Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Lätare, 30. März 2003
Predigt über Johannes 12, 20-26, verfaßt von Jörg Egbert Vogel
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

20 Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest.
21 Die traten zu Philippus, der von Betsaida aus Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollten Jesus gerne sehen.
22 Philippus kommt und sagt es Andreas, und Philippus und Andreas sagen's Jesus weiter.
23 Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde.
24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.
25 Wer sein Leben lieb hat, der wird's verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird's erhalten zum ewigen Leben.
26 Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren.

Liebe Gemeinde,
einige Griechen, nichtjüdische Sympathisanten des jüdischen Glaubens wollen Jesus sehen.
Sie wenden sich mit der Bitte um Vermittlung dieses Wunsches an Philippus, der gemeinsam mit Andreas diese Bitte an Jesus weitergibt.
Dabei geht es den Griechen freilich nicht um ein einfaches Sehen von Jesus, dazu hätten sie ja nicht der Vermittlung der beiden Jünger bedurft, dazu hätten sie sich einfach nur an den Strassenrand zu stellen brauchen, wenn Jesus vorübergeht.
Es geht ihnen vielmehr um eine Begegnung mit Jesus.
Sie wollen Jesus kennen lernen, mit ihm bekannt werden.
Sie möchten seine Nähe erfahren.
Dazu brauchen sie die Vermittlung der Jünger. Ohne deren Hilfe können sie Jesus nicht kennen lernen.
In seiner Antwort geht Jesus scheinbar überhaupt nicht auf die Bitte der Griechen, bzw. der Jünger ein, sondern spricht davon, dass die Zeit, oder besser die Stunde gekommen sei, dass der Menschensohn verherrlicht werde.

Indirekt gibt Jesus aber doch eine klare Antwort an die Griechen.
Sie können mit Jesus bekannt werden, sie können nur mit Jesus bekannt werden, indem sie ihm nachfolgen.
Der Weg der Nachfolge wird allen Menschen durch Jesu Tod ermöglicht.
Wie die Frage vermittelt an Jesus herangetragen wird, so wird nach Ostern die Antwort in umgekehrter Richtung erfolgen. Die Jünger machen durch ihre Verkündigung die Menschen mit Jesus bekannt, Juden wie Griechen.
Und dann werden auch nicht mehr nur Einige mit Jesus bekannt gemacht, wie zu seinen Lebezeiten, sondern Viele.

Wenn Jesus von der Stunde spricht, die gekommen ist, nimmt er damit Bezug auf seine Passion und seinen Tod. Allerdings spricht er davon nicht direkt, sondern durch die Umschreibung „dass der Menschensohn verherrlicht werde“.
Niemand würde normalerweise vom Tod als Verherrlichung reden. Hier wird damit die Besonderheit des Todes Jesu herausgestellt. Gott identifiziert sich mit Jesu Tod, Gott ist in diesem Tod präsent. Es ist deshalb kein vergeblicher Tod. In diesem Tod zeigt Gott seine Herrlichkeit, indem daraus neues Leben entsteht. Neues Leben für Jesus selbst, neues Leben aber auch für alle, die an ihn glauben, die ihm nachfolgen. Sie alle leben aus der Verherrlichung des Menschensohns.
So bringt Jesu Tod viel Frucht, wie das Weizenkorn, das in die Erde fällt und stirbt, von dem Jesus im folgenden Bildwort spricht.

Aus Jesu Tod wächst als Frucht die Gemeinde.
Seine Nachfolger erkennen in seinem Tod die sich selbst hingebende Liebe Gottes.
Auf diese Liebe lassen sie sich ein und sie nehmen sie als tragende Kraft ihres Lebens an.

Dieser Zusammenhang von Tod Jesu und Leben der Gemeinde bleibt nicht auf Jesus beschränkt.
In der Konsequenz der Nachfolge gilt dieser Zusammenhang auch für die Nachfolger.
„ Wer sein Leben lieb hat, der wird's verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird's erhalten zum ewigen Leben.
Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren.“

Besonders der erste Satz: „Wer sein Leben lieb hat, der wird's verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird's erhalten zum ewigen Leben“, klingt sehr schroff und extrem in unseren Ohren.
Allerdings nur, wenn wir ihn losgelöst vom vorhergehenden Bildwort vom Weizenkorn hören.

Mit denen, die ihr Leben lieben, sind zum Beispiel diejenigen gemeint, die alles auf Selbstverwirklichung setzen, die nichts anderes als ihre eigenen Interessen im Sinn haben, ihre Karriere, ihr Wohlergehen, ihren Wohlstand, ihre Lebensqualität, ihre Ölquellen, ihre Macht, ihre Herrschaft.
Mit ihrer atemlosen Suche nach Selbstverwirklichung und Lebenssinn verfehlen sie gerade ihr Leben.
Sie gehen über andere Hinweg, sie übersehen den, der am Wegrand sitzt, global gesprochen gehen sie über Leichen, wie wir es zur Zeit täglich miterleben müssen.

Diejenigen, die ihr Leben hassen, sind dann beispielsweise die, die nicht nur die Durchsetzung ihrer eigenen Interessen im Blick haben.
Es sind die, die ihre Lebenserfüllung auch darin finden, indem sie sich für andere einsetzen.

Dieses Wort vom Hassen des eigenen Lebens wird sehr leicht missverstanden. Es kann nur im engen Zusammenhang mit dem Weizenkorn, das durch sein Sterben viel Frucht bringt richtig verstanden werden.

Jesus rühmt hier nicht Menschen, die ihr Leben hassen und verachten, weil ihre Lebensentwürfe gescheitert sind, weil ihre Beziehungen zerbrochen sind und die frustriert aufgegeben haben, ihr Leben zu gestalten.

Er rühmt vielmehr die Menschen, die bereit sind, sich für andere einzusetzen, die die Not anderer sehen und zu helfen versuchen.

Und es gibt Menschen, die das unter Einsatz ihres eigenen Lebens tun. Gerade sah ich einen Bericht über Rotkreuz-Helfer in Bagdad, die jetzt, mitten im Krieg, versuchen den Menschen dort zu helfen, wo es auch für sie am gefährlichsten ist. Sie tun das nicht, weil sie ihr Leben hassen und ihnen ihr Leben nichts wert ist. Sie tun das, weil ihnen das Leben der vom Krieg betroffen Menschen genauso wichtig ist, wie ihr eigenes Leben.
Ich denke, das ist eine mögliche Form der Nachfolge, von der Jesus spricht.

Oder die Frau aus der Gemeinde, die mir erzählte, dass sie sich ganz regelmässig um Menschen kümmert, die alt und allein sind, oder die in schwierigen persönlichen Verhältnissen leben. Sie tut das ganz unspektakulär. Keiner weiss etwas davon. Sie sagt: „es ist ja nur ein bisschen Zeit, die ich dazu brauche; eben ein paar Termine mehr“.

Diesen Formen der Nachfolge gilt die Verheissung, die Jesus am Ende unseres Abschnittes ausspricht: „wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren.“

Das ist die Antwort Jesu an die Griechen, die ihn sehen, ihn kennen lernen wollen.
Wenn sie mit Jesus wirklich bekannt werden wollen, dann sollen sie ihm nachfolgen. Ihm nachfolgen in seinem Einsatz für andere. Indem sie die Erfahrung von Leben machen, die sich in der Hingabe an andere einstellt, sind sie Jesus nahe, begegnen sie Jesus selbst.

Philippus und Andreas sind die Vermittler zu Jesus.
Wir sind in ihrer Nachfolge seitdem berufen, Menschen mit Jesus bekannt zu machen, indem wir sie in die Nachfolge Jesu rufen in der und durch die wir selbst leben.
Amen.

Jörg Egbert Vogel
j.e.vogel@gmx.ch


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