Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Judika, 6. April 2003
Predigt über Markus 10, 35-45, verfaßt von Dankwart Arndt
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Was ist daran zu tadeln, dass jede und jeder einen Platz sucht, weil doch jeder einen Platz braucht? Ist es zu tadeln, dass jede und jeder nach einem guten Platz strebt, nach einem „Platz an der Sonne“, einem Ehrenplatz, einem sicheren und geachteten Platz? Brauchen wir nicht alle zumindest ein gewisses Maß an Anerkennung im Leben? Benötigt nicht jedermann zumindest ein kleines Erfolgserlebnis, so zu sagen als Rast nach steinigen Wegen samt ihren Vergeblichkeiten und Mühen? Und muss nicht jede oder jeder ein Stückchen Größe haben und behalten dürfen, trotz aller Defizite und Beulen?

Diese Fragen dürfen nicht vergessen werden, wenn das Gespräch mit Jesu mit den Jüngern verstanden werden soll; denn möglicherweise finden sie Antworten, wenn einer aufmerksam hinhört.

Eine erste Beobachtung: Jesus wehrt der Bitte um gute Plätze nicht ab; er „schmettert“ sie nicht ab. Schon gar nicht mit dem durchaus grundfalschen Argument, vor Gott seien alle gleich: Sie sind es nicht, wie sich herausstellt, wenn wir diesem Stück Evangelium wirklich bis zum Ende zuhören. Jesus „schmettert“ die Bitte um gute Plätze nicht ab. Im Gegenteil: Bestand nicht überhaupt ein guter Teils seines Wirkens darin, Plätze zu zurichten und anzuweisen? Hat er nicht Platz in seiner unmittelbaren Nähe eingeräumt denen, die sonst keinen hatten, gemieden und ausgestoßen waren? Hat er nicht Kranken, wenn er sie heilte, eine Platz zugerichtet und angewiesen im Tempel, so dass sie wieder ganz am Gottesdienst teilnehmen konnten? Hat er nicht der Sünderin, in dem er sich in unbedingter Güte zu ihr stellte, einen Platz zugewiesen, so dass sie eben nicht verworfen blieb, sondern ihr Leben neu in die Hand nehmen konnte? Hat Jesus nicht der Haltung des Zöllners Zachäus Anerkennung gezollt, als der sich hatte überwinden lassen von der zuvorkommenden Güte Jesu?

Was also wäre daran zu tadeln, dass die beiden Jünger ganz dicht neben ihrem Meister sitzen möchten, wenn ´s so richtig losgeht mit seiner Herrschaft, wenn das verheißene Reich anbricht? Was ist daran zu tadeln, dass sie schließlich und endlich da sein wollen, wo Macht ausgeübt und nicht nur erlitten wird? Zumal wenn wir uns vorzustellen versuchen, wie anschaulich, wie konkret die Zebedäus-Söhne das kommende Reich der Herrlichkeit vor Augen hatten, und wenn wir dann erkennen, dass sie eben nicht nur einen „Platz an der Sonne“ begehren, sondern an der Christus-Sonne, dort also zu sein bitten, wo Licht das Dunkel des Irrtums und des Zweifels vertrieben haben wird, wo die Wärme der Gottes-Liebe die Kälte – auch des eigenen Herzens – endgültig überwunden haben wird, wo Krankheit, Krieg, Not, Elend nicht mehr hinreichen, sondern alle Tränen getrocknet sein werden – wer könnte, wenn wir dies alles bedenken, Wunsch und Bitte der Zebedäus-Söhne tadelnswert finden?

Jesus schmettert ihre Bitte nicht ab. Und doch scheint das Ansinnen der beiden Jünger, so weit oben einen Platz zu bekommen, schon früh in der Geschichte des christlichen Glaubens peinlich gewirkt zu haben. Matthäus lässt, bezeichnend gegenüber Markus, die Mutter der Zebedaiden bitten! Wenn Mütter für ihre Söhne bitten, dann ist das nicht gar so peinlich! Und Lukas, der von Jacobus und Johannes wusste, dass sie starke, tragende Säulen der ersten Gemeinde geworden waren, lässt diese Bitte in seinem Evangelium ganz weg. Später, sagen spitze Zungen, hat man in der Kirche auch Herrschaftsvollzüge unter der Hand zu „Diensten“ erklärt: vom Predigt-Dienst des Pfarrers bis hin zum Leitungs-Dienst von Bischöfen und Präsiden. Auch die „Fürsten der Völker und ihre Grossen“ haben diesen Weg gewählt. Auch „in der Welt“ ist nun alles „Dienst“: Der Herrscher wird „erster Diener des Staates“; es kommt zum „öffentlichen Dienst“ samt seinen ausspähenden Geheim-Diensten“!

Jedenfalls: Jesus weist die Bitte der beiden Jünger nicht zurück; er nimmt sie auf. Zusammen mit ihr nimmt er auch die Peinlichkeit auf, die an ihr haftet. Mehr noch: er nimmt den Unmut, das Misstrauen, die Eifersucht auf, die den Jüngerkreis bewegen. Er nimmt sie auf und hebt sie auf! Jesus – das ist die zweite Beobachtung – rückt die Bitte um gute Plätze leise und taktvoll und doch deutlich zurecht: „Wisst ihr eigentlich, worum ihr bittet?“ Es zieht euch in die Nähe dessen, der den vollen, bitteren Kelch des Leidens wird leeren müssen; des Leidens, das über die hereinbricht, die den allmächtigen Gott als den seinen Geschöpfen zugeneigten, bedingungslos liebenden Vater bezeugen? Es zieht euch in die Nähe dessen, der sich ohnmächtig der Gewalt seiner Gegner ergeben wird, der nicht himmlische Heerscharen zu seinem Schutz und zur Durchsetzung seines Willens herbeirufen wird? Es treibt euch in die Nähe dessen, der zittern und zagen wird vor der „Taufe in den Tod“, wenn die Fluten gottfeindlicher Mächte über ihm zusammenschlagen, wie die Psalmen sagen (42;69;Jes.43) ?

Über diese leise zurechtrückenden Gegenfragen hinaus schließt – dritte Beobachtung – Jesus die Frage nach den oberen Rängen in der Königsherrschaft Gottes gleichsam kategorisch ab: ich verteile gar keine Plätze im Gottesreich. Die Zuständigkeit für endgültige Rangfolgen, für „Plätze an der Sonne“ für Ordensklassen, Ehr-Abstufungen, Sitz- und Tischordnungen nimmt Jesus nicht für sich in Anspruch. Sie bleibt dem vorbehalten, dem auch „der Sohn untertan“ ist.

Aber – und das ist die alles entscheidende vierte Beobachtung – Jesus begründet sehr wohl eine Rangordnung, seine Rangordnung. Da hat nicht das Recht auf seiner Seite, wer die Macht in Händen hält. Da haben nicht die einen zu sagen, und die anderen haben zu kuschen. Da müssen nicht dienen, die herrscherlicher Gewalt unterstehen. Da können, die „oben“ sind, nicht niederhalten, die „unten“ sind. Da gibt es nicht „Meinungsführer“, und alle anderen wären Vasallen.

Jesus begründet seine eigene Rangordnung in seiner Person, in seinem Geschick, in seinem Tun und Leiden und Sterben. In einer völlig unerwarteten Weise spricht er über Plätze, die die Seinen einnehmen sollen. Freilich: Er spricht nicht nur über sie, sondern er spricht sie zu, verspricht sie, weist sie an.

Wir bedenken den Namen dieses Sonntags: „Judica“ – „Richte mich“. Ich ergänze und verändere ein wenig: „Richte mich zu“ – „Richte mir einen Platz zu“! Richte mir einen Platz zu, der mir zukommen kann, auf dem ich sein kann, was ich sein soll, auf dem ich dann auch bin, was ich sein kann. Dieser Platz – das ist das Evangelium in diesem Predigttext, seine Frohbotschaft – ist schon zugerichtet. Und er ist dadurch gekennzeichnet, dass mir dort gedient ist, dass ich dort der Bediente bin, der in einem fort nehmen kann, für den das Teuerste aufgewendet ist: „Sein Leben zu einer Erlösung für viele“. Da soll mein und aller Jüngerinnen und Jünger Platz sein, wo die ersten Jünger saßen, als Jesus den Schurz umband, sie von aller trennenden Schuld reinigte und sie in die Gemeinschaft mit sich aufnahm. Wer diese Zusage hört, beherzigt, gelten lässt, der kann voll dankbaren Staunensbekennen: Ich habe meinen Platz. Mir ist gedient. Ich bin gelöst von Fesseln einer Schuld, die mich eigentlich bis in die Unendlichkeit binden müsste. Ich bin befreit von der Last, mich selbst rechtfertigen zu müssen; befreit von dem Zwang, meine Wertigkeit selbst herstellen zu müssen, zur Not auch so, dass ich meinen Nächsten als dunkle Folie benutzen muss. Ich bin angenommen, gehalten, gewürdigt, geliebt von einer unvorstellbar tiefen, kraftvollen, verwandelnden, erneuernden Liebe. Das ist mein Platz schon jetzt und in Ewigkeit. Mir ist gedient: Ich bin ein Herr; denn der Herr aller Herren hat sich mir hingegeben als Diener und will es wieder und wieder tun.

Alles, wirklich alles, was dann sonst noch denkbar und erstrebenswert ist im „Ranking“ um Plätze oder auch zu befürchten: Machtstellungen oder Ohnmacht, Herrscher-Möglichkeiten oder Dauerverpflichtungen – das alles Nicht-Platz, Irrweg, Irrwitz. Mit feiner Ironie – folgt man einer Übersetzung (Wilckens) – ist das in diesem Jesus-Wort mit einem Satz gesagt: „Die als Herrscher der Völker gelten“, also zu herrschen scheinen, „schalten und walten über sie, und ihre Großen nutzen ihre Macht über sie aus...“.

Mir ist gedient. Dieser Platz ist mir zugerichtet. Ihn kann ich verlieren, wenn ich nicht wahrer Herr und das heißt Diener sein kann. Jesus begründet ja seine Rangordnung so: Wahrer Herr sein meint: geben, hüten, bewahren und nicht ausbeuten und Gewalt üben. Mir ist gedient; das ist mein Platz. Ich verliere ihn, wenn ich von da aus „von oben herab herrschen“ und nicht „von unten heraufdienen“ und zu bauen bereit bin. Da können dann auch Tricks und List nicht zum Zuge kommen, mit ihrer Hilfe etwa, unter der Maske des Dienens, zu herrschen, unter einer Demuts-Maske sich umso mehr ins Licht zu setzen; denn dienen heißt immer: sich riskieren, heißt: wach bleiben für andere; da sein für solche, die allein sind. Dienen heißt: Da sein für die, die böse, bösartig geworden sind in Enttäuschungen, in Rückschlägen, in Vergeblichkeiten; deren Bösesein erst einmal aufladen und ertragen. Dienen heißt: stützen, die müde sind; verbinden, die wundgeschlagen und wundgerieben sind; wachsen helfen, größer werden helfen denen, die klein geblieben oder klein geworden sind auf der Jagd nach dem, was als „guter Platz“ gilt.

Dienst baut Brücken, wohingegen die Herrschenden Mauern um sich her hochziehen, sich abgrenzen müssen. In der Haltung des Dienens erkannt man deshalb die Menschen um sich herum ganz neu. Die Augen dessen, der dient, der frei dient, weil ihm gedient ist, - diese Augen sind schärfer – nicht stechender! - : Sie erkennen Schwächen und wie ihnen abzuhelfen ist, sie erkennen Stärken und wie sie dienstbar zu machen sind, ohne dass der Starke ausbeutet. Die Augen des Dienenden haben einen barmherzigen Blick: Sie entdecken heimlichen Schmerz, unausgesprochene Sehnsucht, unbewusste Ängste und leise Leiden.

Die Jesu Zuspruch hören, beherzigen, für sich gelten lassen können, denen ist gedient, die haben ihren guten Platz. Sie haben Leben. Wahrhaftig leben aber heißt: Dem Leben dienen zu wollen. Nur der Tod will alles für sich. Leben, das diesen Namen zu Recht trägt, weil es geschenktes, verdanktes, begnadetes, erlöstes Leben ist - , - Leben will geben und dienen.

Gott schenke uns allen, dass wir immer neu einweisen lassen auf diesen Platz, an dem uns gedient ist und von dem aus wir dienen können, - leben können.

Dr. Dankwart Arndt
Pastor i. R.
Auf dem Breckels 1
24329 Grebin


(zurück zum Seitenanfang)