Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Judika, 6. April 2003
Predigt über Markus 10, 35-45, verfaßt von Peter Kusenberg
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Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen: Meister, wir wollen, dass du für uns tust, um was wir dich bitten werden.
Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue?
Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit.
Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?
Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde;
zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das steht mir nicht zu, euch zu geben, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.
Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes.
Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.
Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein;
und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.
Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele. (Markus 10, 35-45)

Liebe Gemeinde,

die beiden Jünger Jesu, Jakobus und Johannes, waren Weggefährten der ersten Stunde. Fischer waren sie gewesen, am See Genezareth, wie Petrus und dessen Bruder Andreas, die Jesus als erste rief, um sie zu Menschenfischern zu machen. Danach hatte er sie gerufen, und sie hatten die Netze, die sie flickten, aus der Hand gelegt, hatten ihren Vater Zebedäus mit den Hilfskräften allein im Boot zurückgelassen, um mit Jesus zu gehen.

Sie hatten von Anfang an miterlebt, wie er durch die Dörfer und Städte zog, Kranke heilte, in den Gotteshäusern und auf freiem Feld predigte, hatten den immer größeren Zulauf des Volkes erlebt, die Erwartung der Menschen, ihren Hunger nach Veränderung.

So gut sie konnten, hatten sie mitgeholfen, den Zustrom der Leute zu ordnen, die ihren Lehrer sehen, berühren oder ihm aus nächster Nähe zuhören wollten. An die 5000 waren es einmal, die sie an einem Tage zu verpflegen hatten.

Kein Zweifel – sie hatten eine Menge erlebt mit diesem Mann aus Nazareth, von dem eine so faszinierende Wirkung ausging. Manches Mal war er ihnen fast unheimlich vorgekommen, wie in der Nacht, als ihr Boot im Sturm zu sinken drohte. Sie erinnerten sich noch deutlich genug, wie sie Jesus in Todesangst geweckt hatten, und an ihr ehrfurchtsvolles Staunen, als er dem Sturm Einhalt gebot.

Manchmal hatten sie ihn missverstanden. Als sie ihm die neugierigen Kinder vom Leibe halten wollten, da hatte er geschimpft und ihnen vorgehalten, gerade die unbefangene Natur dieser Kinder sollte Vorbild für sie sein.

Und manchmal hatte er ihnen Rätsel aufgegeben, wenn er in Bildergeschichten aus dem Alltag von Gottes Reich redete, das nahe herbeigekommen sei.

Aber bereut hatten sie es keinen Augenblick, den Weg an seiner Seite gewählt zu haben. Und ich nehme an, dass sie auch in gewissem Maße stolz darauf waren, zum engsten Kreis der Auserwählten zu gehören.

Kein Wunder also, wenn Jakobus und Johannes sich Gedanken machen, wie es weitergehen könnte. Sie spüren es ja, dass eine Entscheidung nahe ist. Sie sind auf dem Weg nach Jerusalem, in die Hauptstadt. Dort wird etwas geschehen. Jesus hat es selbst gesagt, dass er dort sein Ziel sieht.

Und je näher das Ziel rückt, je weiter sie dem erwarteten Finale entgegen gehen, desto konkreter werden die Gedanken der Jünger. Wenn es wirklich wahr wird, wie sie im Stillen hoffen, dass Gottes Reich nun tatsächlich anbricht, dann wird dies Reich doch auch irgendwie regiert werden müssen.

Jakobus und Johannes sind einfache Leute, aber so viel wissen sie: ein Reich braucht neben dem Herrscher, der auf dem Thron sitzt, auch Minister und Ratgeber. Es gibt den Hofstaat und Würdenträger. Ist es da nicht naheliegend, solche Ämter an zuverlässige Weggefährten des Herrschers zu vergeben? Dürfen sich die Jünger nicht zu Recht Hoffnung machen auf einen Kabinettsposten in Jesu künftiger Regierung? Wäre eine solche Karriere nicht angemessene Belohnung für ihre Treue in den Zeiten der Wanderschaft kreuz und quer durchs Land?

Und so gehen sie hin und tragen Jesus ihren Wunsch vor: je einen Posten zur Rechten und zur Linken, vielleicht als Außen- und Innenminister. – Doch Jesus antwortet mit einer Gegenfrage: “Ihr könnt nicht absehen, um was ihr da bittet. Könnt ihr den Weg des Leidens gehen, den ich gehen werde?”

Ihre Antwort kommt schnell, vielleicht ein wenig zu schnell. “Ja, natürlich, können wir das. Wir gehen mit dir durch Dick und Dünn, komme, was da wolle!” So wird auch Petrus später im Brustton der Überzeugung behaupten: “Bevor ich abstreite, zu dir zu gehören, sterbe ich eher!”

Jesus sieht die beiden lange an. Dann sagt er: “Ja. So wird es wohl kommen, dass auch ihr leiden müsst. Auch euch werden sie verhöhnen, verachten und verfolgen. Doch die Plätze an meiner rechten und linken Seite zu verteilen, das steht mir nicht zu.”

Die anderen Jünger sind inzwischen aufmerksam geworden. Die, die von Anfang alles mitbekommen haben, informieren flüsternd die anderen. Ich kann mir die Situation gut vorstellen. Ärgerliches Gemurmel. Gerunzelte Stirnen. Was bilden die beiden sich eigentlich ein?

Zweifellos ist auch ein wenig Neid im Spiel. Neid, weil Jakobus und Johannes das als erste offen ausgesprochen haben, das vermutlich auch den anderen irgendwie im Kopf herumging. Eine Belohnung für den geleisteten Dienst zu erbitten – darauf hätte man auch selbst kommen können. Geschieht ihnen ganz recht, dass Jesus ihnen keine Vorrechte gewährt. Schadenfreude ist auf ein paar Gesichtern zu lesen.

Liebe Gemeinde, es tut mir immer wohl, zu hören und zu lesen, dass Jesu Jünger ganz normale Durchschnittsmenschen waren, voller kleiner und großer Schwächen und Unzulänglichkeiten, so, wie ich sie immer auch wieder an mir selbst bemerke. Der Wunsch der Jünger nach Belohnung, das unbewusste, leise Schielen auf die Erfolge oder Misserfolge der Anderen ringsum – kommt uns das so fremd vor?

Ich finde es deshalb wohltuend, weil Jesus diesen normalen Menschen dennoch zugetraut hat, an seinem Reich mit zu bauen. Es gehören keine übermenschlichen Fähigkeiten dazu. Und das bedeutet: Gott traut es auch mir zu. Er traut es jedem von uns hier zu. Trotz unserer Fehler, denn er hat Geduld mit uns.

Mit der gleichen Geduld wendet sich Jesus an die tuschelnden Jünger. Er weist sie nicht zurecht, so wie er auch Jakobus und Johannes nicht zurechtgewiesen hat. Er wendet sich aber mit deutlichen Worten an alle Zwölf: “Ihr habt noch immer falsche Vorstellungen vom Reich Gottes. Ihr meint, wer herrschen will, muss oben sitzen, um die Macht zu haben. So kennt ihr es aus der Politik und der Wirtschaft. Und so geht ihr auch oft privat miteinander um. Ihr glaubt noch immer, man müsse die Ellenbogen gebrauchen, um voran zu kommen.”

“Ich aber sage euch: die Mächtigen, die oben sitzen, üben Gewalt aus, um ihre Macht zu erhalten. Bei euch aber soll es umgekehrt sein: wer von euch Einfluss und Ansehen haben will, der soll helfen, dass die Menschen in seiner Nähe ihr Leben frei entfalten dürfen. Auch ich bin nicht zu euch gekommen, um mich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen – selbst um den Preis meines Lebens. Habt ihr das noch immer nicht verstanden?”

Die Jünger werden nachdenklich. Ob sie merken, dass sie – wieder einmal – umdenken müssen. Dass eine Welt des Friedens und der Freiheit nur auf dem Weg des Dienstes für den Anderen erreicht werden kann? Ahnen sie, wie ernst es ihrem Freund und Lehrer ist, sein eigenes Leben dafür als Lösegeld zu zahlen? Werden sich Jakobus und Johannes an ihre Bitte erinnern, wenn sie nach Jesu Tod hören, zu seiner Rechten und Linken hätten zwei weitere Kreuze gestanden?

Eins ist sicher: Spätestens durch Jesu Tod und Auferstehung haben die Jünger die volle Wahrheit erkannt. Nun wussten sie: In Gottes Reich gibt es keine Macht von Oben nach Unten. Groß sein bedeutet: groß im Dienst am Nächsten. Und sie traten diesen Dienst ohne Zögern an.

Amen.

Peter Kusenberg, Pastor und freier Journalist
Adelebsen-Erbsen
E-mail: pekusenb@aol.com

 



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