Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Judika, 6. April 2003
Predigt über Markus 10, 35-45, verfaßt von Maria Widl
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Vom Herrschen und vom Dienen

"Da traten Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, zu ihm und sagten: Meister, wir möchten, dass du uns eine Bitte erfüllst. Er antwortete: Was soll ich für euch tun? Sie sagten zu ihm: Lass in deinem Reich einen von uns rechts und den anderen links neben dir sitzen. Jesus erwiderte: Ihr wisst nicht, um was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde? Sie antworteten: Wir können es. Da sagte Jesus zu ihnen: Ihr werdet den Kelch trinken, den ich trinke, und die Taufe empfangen, mit der ich getauft werde. Doch den Platz zu meiner Rechten und zu meiner Linken habe nicht ich zu vergeben; dort werden die sitzen, für die diese Plätze bestimmt sind.
Als die zehn anderen Jünger das hörten, wurden sie sehr ärgerlich über Jakobus und Johannes. Da rief Jesus sie zu sich und sagte: Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele."

Die heutige biblische Erzählung greift ein zu jeder Zeit brisantes Thema auf: das der Macht als Lebenssicherheit. Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, stammen aus einfachen Verhältnissen. Durch günstige Umstände geraten sie in den Kreis Jesu, der offensichtlich irgendwo ein Reich, also Besitztümer, Liegenschaften und Untertanen hat. Eine günstige Gelegenheit, um sein Glück zu machen und ausgesorgt zu haben. Was es tatsächlich heißt, die Verantwortung für ein Reich, seine Geschicke und das Leben seiner Untertanen zu tragen; davon haben sie keine Ahnung. „Zur Rechten und zur Linken sitzen, ein wenig Repräsentieren und einige kleine Erledigungen machen, dazu ein gutes Leben ohne Sorgen – sehr attraktiv und garnicht schwierig“, so denken sie offenbar; sonst könnten sie nicht so einfach sagen, sie wären selbstverständlich dazu imstande, den Kelch und die Taufe Jesu zu teilen. Die anderen Jünger sind entsetzt: wie kann man nur so ahnungslos, dumm und selbstherrlich sein, sich selbst auf eine solche Art zu empfehlen! Bei Matthäus ist die Sachlage noch peinlicher dargestellt: die Mutter kommt zu Jesus und bittet ihn händeringend und auf Knien, doch ihre Buben auf jene Positionen zur Rechten und zur Linken zu bringen. „Für wen diese Plätze vorgesehen sind, bestimmt der Vater“, antwortet Jesus. „Er ist offenbar nur der Juniorchef, der in Personalfragen noch nichts zu sagen hat“, denkt sicher die Mutter daraufhin.

Auch die anderen Jünger hatten unter sich bereits darüber gesprochen, wer von ihnen wohl der Größte sei, reagierten aber beschämt, als Jesus dazukam. (vgl. Mk 9,33ff par.) Auch bei dieser Gelegenheit macht Jesus auf den Dienst aufmerksam und stellt ein Kind in die Mitte – offensichtlich eines der vielen Straßenkinder, wie es sie auch heute in städtischen Elendsbereichen gibt: „Wer ein solches Kind aufnimmt, nimmt mich auf“, ist seine Lehre. Nur kurze Zeit später kommen die Zebedäus-Brüder mit ihrem Ansinnen. Man ist unterwegs nach Jerusalem, Jesus hat sein Leiden schon mehrfach angekündigt und tut es in diesem Zusammenhang wieder. Die Jünger verstehen ihn zwar nicht, aber sie merken, dass es langsam ernst wird mit Jesus und seinem Reich, dass es auf die Entscheidung zugeht. Und da will sich jeder seine Pfründe vorsorglich sichern – heute ist das nicht anders als damals.

Jesus weiß, was seine Jünger beschäftigt. Er holt daher alle zusammen und erklärt es ihnen noch einmal: „Herrscher unterdrücken ihre Völker und missbrauchen ihre Macht. Bei euch soll es nicht so sein.“ Dann stellt Jesus alle Regeln von Macht, Selbstdarstellung und Bequemlichkeit auf den Kopf: „groß ist, wer dient; und der Erste ist der Sklave aller.“ Es ist nicht überliefert, wie die Jünger auf diese Rede reagierten; vermutlich betroffen schweigend, wie wir heutigen Christen auch. Und insgeheim denken wir: unrealistisch, kein praktikables Konzept, Utopie – für die fromme Betrachtung geeignet, nicht für das wirkliche Leben. So handeln wir dann auch: Dienstboten, Servicepersonal und weisungsgebundene Angestellte sind generell sozial wenig geachtet, schlecht bezahlt, leiden unter schlechten Arbeitsbedingungen – und sind mehrheitlich Frauen oder Ausländer. Auch in der Kirchenerfahrung ist den meisten Leuten von früher her der „Hochwürden“ noch weitaus vertrauter als das „Dienstamt“. Schlossähnliche Palais im Kichenbesitz, prunkvolle barocke Sakralbauten und die prächtigen Ornate der geistlichen Würdenträger bei massenmedial vermittelten kirchlichen Hochfesten verfestigen das Vorurteil: auch bei uns ist es nicht anders (jedenfalls im katholischen und orthodoxen Bereich).

Dazu kommt noch ein weiteres Problem: „herrschen“ und „dienen“ sind beide kulturell nahezu geächtet. Herrscher gelten tendenziell immer als Gewaltherrscher á la Saddam Hussein. Auch „Macht“ gebraucht der moderne Mensch höchst selten, und dann in Gottes Namen und um der Gerechtigkeit willen, wie George Bush. Sonst zeigt jemand Führungsqualitäten, leitet erfolgreich ein starkes Team und hat wegen seiner herausragenden Kompetenz Karriere gemacht. Auch dient niemand mehr: man ist im Service tätig und macht professionell distanziert und gemäß den Regeln seine Arbeit. Sklaverei schließlich ist abgeschafft, weil sie der Menschenwürde widerspricht. Die von Jesus aufgestellten Spielregeln sind daher nicht nur utopisch, sie sind auch höchst unzeitgemäß. Soweit unser normaler Hausverstand.

Das aufregend Christliche offenbart hingegen: es gibt ein besseres Leben jenseits des normalen Hausverstands und der einfältigen Sachzwänge des Alltags in angemessenem Wohlstand und Sicherheit (wie es sich die Zebedäussöhne und Unzählige nach ihnen erträumen). Das Reich Gottes und seine Spielregeln (ausgefaltet in der Bergpredigt, zusammengefasst im dreifachen Liebesgebot) sind nicht u-topisch, „ort-los“, sondern omnipräsent, allgegenwärtig, wenn auch nie „ganz normal“, sondern immer ein Wunder. Wo Menschen anfangen, das Dienen und somit das Lieben zu lernen, verwandeln sich die Welt und ihr Leben hinein ins Wunderbare. „Dienen“ bedeutet dabei, dem/r je anderen nach meinen Möglichkeiten so hilfreich zu sein, wie es ihr/m nach seinen/ihren Vorstellungen gut tut. Wer dient, wird den anderen zum Segen. Wer dient, verlässt Personen und Orte schöner, „aufgeblühter“, als sie/er sie vorgefunden hat.

Das impliziert weder Unterwürfigkeit, noch den dauernden Verzicht auf die eigenen Bedürfnisse. Es bedeutet so zu leben und zu arbeiten, wie man es – erfüllt von der Freundlichkeit und Barmherzigkeit unseres Gottes – am besten kann. Diese Freundlichkeit und Liebeswürdigkeit ist auch keine unehrliche Pose, wenn sie von innen kommen – und damit kann man sich anfreunden, wenn man es nur übt. Auch der gesellschaftlich vorherrschende rücksichtslose und selbstherrliche Egoismus ist schließlich eingeübtes Verhalten, weil man meint, auf diese Weise seine eigene Bedeutsamkeit zu unterstreichen. Wer liebt, wird auch nicht unglücklich und arm; denn wer maximal gibt, worauf andere einen Anspruch durchsetzen können, muss damit rechnen, ebenfalls hintergangen zu werden. Wer jedoch zu schenken weiß, wird selbst immer noch reichlicher beschenkt sein.

Es kann aber auch sein, dass man dabei sein Leben verliert, weil es andere aus Berechnung und Eigennutz ausbeuten und zerstören. „Wie kann Gott das zulassen?“ fragen wir dann. Gottes Antwort auf diese Frage ist, dass er sich dieses Schicksal selbst zumutet. Jesus liebt und dient uns Menschen um den Preis seines Lebens, und stirbt auf erbärmlichste Weise „als Lösegeld für die vielen“, also alle, die es anzunehmen bereit sind. Er kostet die Spielregeln der ganz normalen Machtverhältnisse dieser Welt aus bis zum letzten, wo verschwinden muss, wer die Mächtigen stört. Damit zeigt er die Grenzen aller weltlichen Macht auf, die das wahre Leben niemals zerstören kann. Indem wir uns – gegen allen „normalen Hausverstand“ der eigennützigen Durchsetzung eigener Vorteile - für denselben Weg entscheiden, immer und immer wieder, bekommt schon unser jetziges Leben einen Hauch des Wunderbaren. Dieser Hauch des Wunderbaren ist die Anzahlung auf das endgültige Reich Gottes, das all jenen verheißen ist, die sich darauf einzulassen bereit sind.

Dr.habil. Maria Widl
Leiterin des Pastoraltheologischen Instituts der Pallottiner in Friedberg (Bayern)
E-Mail: maria.widl@utanet.at


 



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