Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Ostersonntag, 20. April 2003
Predigt über Markus 16,1-8, verfaßt von Heinrich Rusterholz
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

1 Als der Sabbat vorüber war, kauften Maria aus Magdala und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben.
2 Und sehr früh am ersten Tag der Woche kommen sie zum Grab, eben als die Sonne aufging.
3 Und sie sagten zueinander: Wer wird uns den Stein vom Eingang des Grabes wegwälzen?
4 Doch als sie hinschauen, sehen sie, dass der Stein weggewälzt ist. Er war sehr gross.
5 Und sie gingen in das Grab hinein und sahen auf der rechten Seite einen jungen Mann sitzen, der mit einem langen, weissen Gewand bekleidet war; da erschraken sie sehr.
6 Er aber spricht zu ihnen: Erschreckt nicht! Jesus sucht ihr, den Nazarener, den Gekreuzigten. Er ist auferweckt worden, er ist nicht hier. Siehe, der Ort, wo sie ihn hingelegt haben.
7 Doch geht, sagt seinen Jüngern und dem Petrus, dass er euch vorausgeht nach Galiläa. Dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.
8 Da gingen sie hinaus und flohen weg vom Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie gepackt. Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich.

Zürcher Bibel 1996

Liebe Gemeinde
Ostern - das Fest der Freude!
Wie freut sich heute gross und klein am Eiersuchen, an Schokoladeeiern und süssen Osterhasen. Alles in jeder Form, traditionell und modern und in beinahe grenzenloser Grösse. Das Schöne dabei ist, dass wir uns von Herzen mitfreuen.
Freude allermeist auch über "das verlängerte Wochenende". Dank freiem Karfreitag und vielerorts Ostermontag lässt sich der Frühling so recht geniessen. Freude weitum, bei vielen höchstens getrübt durch den "Frust im Stau". Aber etwas muss man ja auf sich nehmen.

Ja, weshalb eigentlich ist Ostern das Fest der Freude?
Vier Antworten könnten im Millionenspiel zur Auswahl stehen: a) Legefreudigkeit der Hühner, b) Himmelfahrt, c) Aktion "Mehr Freude" der Schokoladeproduzenten, d) Auferstehung.
In unseren Breitengraden würden leider nicht mehr alle die Hürde dieser Frage nehmen. Nicht einmal alle Gymnasiasten entschieden sich für d) Auferstehung Christi! Nicht wahr, wir alle wären da besser dran! Wirklich? Wären wir nicht etwas verlegen, wenn wir erklären müssten, wie es denn wirklich um die Auferstehung Christi steht? Würden wir dann nicht ob uns selbst erschrecken? Erschrecken, weil uns die Worte fehlen, das, was uns bewegt, so auszudrücken, dass es andere verstehen. Erschrecken, weil wir in grosser evangelischer Nüchternheit weit entfernt sind vom Jubel, der in orthodoxen Kirchen mehrhundertfach aus der österlichen Gemeinde ausbricht: Christus ist auferstanden - er ist wahrhaftig auferstanden!

Ostern - das ist auch das Fest des Friedens.
Wer sich am "verlängerten Wochenende" freut, weiss bestimmt, dass Karfreitag und Ostern zusammengehören. Wer die Frage im Millionenspiel richtig beantwortet, weiss noch mehr: Kreuzigung und Auferstehung gehören zusammen. Denn durch die Auferstehung zeigt sich, dass Gottes Liebe Jesus in dunkelster Stunde am Kreuz durchgetragen hat. Und durch die Auferstehung wendet sie sich auch an alle Menschen. Die Angst vor dem alles in Dunkelheit und leere stürzenden Tod wird überwunden. Versöhnung und der Friede mit Gott wird Tatsache. In der Begegnung mit dem Auferstandenen wird neues Leben möglich.

Doch - ob wir wollen oder nicht - die bedrückende Frage unserer Tage treibt viele um: Können wir Ostern in kriegserfüllter Zeit unbeschwert als Fest der Freude und des Friedens feiern? Zurecht freuen wir uns in diesen Tagen mit den Kleinen und Grossen, die mit kindlichem Eifer nach versteckten Eiern suchen. Dennoch will sich die ungeteilte Freude nicht so recht einstellen. Zu stark lastet vielen die menschliche und politische Tragödie im Irak und im Nahen Osten auf Herz und Seele. In letzter Zeit haben klagen viele Menschen: "Ich erwache morgens so mit einem Druck auf dem Herzen".

Osterfreude reduziert.
Osterfreude unter dem Druck des Entsetzens. Osterfreude bei Sprachlosigkeit ob aller Grausamkeiten der jüngsten Tage und Wochen. Sprachlosigkeit auch, weil wir dem Missbrauch des Namens Christi für Gewaltanwendung und Würgengelmethoden ohnmächtig ausgeliefert sind, selbst wenn sie noch so gut gemeint sind. Sprachlosigkeit auch, weil wir Nichtchristen die Osterbotschaft heute kaum anschaulich als gutes, befreiendes Wort der Freude vermitteln können.

Nur gut, dass wir uns selbst nichts vormachen müssen. Wir müssen die eigene Sprachlosigkeit und das Entsetzen über den gegenwärtigen Lauf der Welt nicht überspielen. Wir brauchen uns nicht zu schämen. Wir können dazu stehen und auf den eben verlesenen ältesten Osterbericht der Evangelien hören. Spüren wir, wie er einen Weg aus der Sprachlosigkeit und dem Entsetzen zeigt? Kann es sein, dass wir gar die grosse Nähe zu den drei beherzten Frauen entdecken, zu Maria aus Magdala, zu Maria der Mutter des Jakobus, und zu Salome?

Wir lesen, wie sie noch spätabends nach dem Ende des Sabbats wohlriechende Öle gekauft haben, um dann gleich frühmorgens aufbrechen zu können. Eine Flut von Gedanken und Eindrücken mögen die drei umgetrieben haben:
Sie hatten die Kreuzigung als Augenzeuginnen erlebt. Die Schmerzen Jesu, seine Verzweiflung und seine Hingabe sind ihnen als unauslöschliche Eindrücke gefolgt. Das Entsetzen über die Schandtat der Römer und den Spott der Umstehenden lastete als ein Wust trüber Gedanken auf ihnen. Trotzdem entschieden sie sich, hinzugehen, um Jesus sozusagen die letzte Ehre zu erweisen. Es mag sie auch befremdet haben, dass die Jünger bei seiner Gefangennahme entsetzt geflohen sind. Sie aber fühlten sich nicht nur verpflichtet, sondern haben die Verpflichtung ernst genommen, Jesus die gebührende Achtung zu erweisen. Hatten sie etwa das Zeugnis des römischen Hauptmanns: "Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn!" im Ohr, dass sie diesen Schritt bei Tagesanbruch wagten?

Umgetrieben von all den widersprüchlichen Gedanken nahmen sie "am ersten Tag der Woche" den Weg unter die Füsse. Angetrieben von der zuvor erlebten Liebe gaben sie wenigstens ein Zeichen der Zuneigung, so wie es ihnen eben möglich war. Damit haben sie das getan, was zu geben die weggelaufenen Männer verpassten. Doch, obwohl so zielstrebig unterwegs, gerieten sie erneut ins Grübeln. Einen Gedanken "wälzten" sie, für den sie zuvor keinen Platz hatten: Die Frage nach dem verstellten Zugang zum Grab: "Wer wird uns den Stein wegwälzen - wie kommen wir zu Jesus?"

Manchmal geraten wir ob einer Vielzahl belastender Erfahrungen selbst ins Grübeln. Manchmal hängen wir trüben Gedanken nach und es scheint, als ob uns ein Stein zentnerschwer auf dem Herzen liege. Da kann es geschehen, dass wir unvermittelt einen Ausweg aus aller Beschwernis sehen. Zunächst nimmt uns Sprachlosigkeit in Beschlag. Nach und nach nehmen wir wahr, was wirklich geschehen ist und wir wieder frei atmen können, dem Schweren ent-setzt, der Betrübnis enthoben.
So etwa muss es den drei furchtlosen Frauen ergangen sein. Sie kamen zum Grab und alles war anders, als erwartet. Ein junger Mann sitzt da, bekleidet mit einem weissen Gewand. Der himmlische Bote blendet sie. Ihre Erfahrungen erscheinen unvermittelt in einem neuen Licht. Sie erschraken und die Angst war wieder da. So wie die Hirten auf dem Feld vor Bethlehem, wie die Jünger auf dem Berg der Verklärung Jesu fürchteten sie sich. Angesichts der Herrlichkeit Gottes fanden sie einfach keine Worte mehr; entsetzt schauten sie in die Welt.

Sie finden sich plötzlich in einer neuen Lage, die ihre bisherigen Erfahrungen nicht einsichtig, nicht fassbar machen. Zudem erfüllen sich langgehegte Erwartungen nicht. Doch Augen und Ohren werden in einer Weise für den Blick der neuen Wirklichkeit geöffnet. Dabei erfahren sie, dass Gott einen Ausweg zeigt, wo ihre Weisheit am Ende ist. Er ent-setzt sie aus ihrer Verlegenheit und allem Schweren und setzt sie gleichsam auf den richtigen Weg, der zu einer neuen entscheidenden Erfahrung führt. Eine neue Verbindung mit ihrem Herrn wird möglich, da ihm der Weg zum Leben nicht mehr versperrt und ihr Zugang zu ihm nicht länger verstellt ist. Denn Gott hatte sich längst zu ihm bekannt, als die Feinde Jesu noch ihren Triumph feierten.

Ihre Begegnung im offenen Grab endet mit Entsetzen und mit Sprachlosigkeit. Doch ihre Ostergeschichte hat eine Fortsetzung, denn mit Ostern ist allem Entsetzen und Schweigen ein Ende gesetzt. Der Bote Gottes richtet ihren Blick nach vorn. Für sie beginnt die Zeit nach Ostern mit der Erfüllung dessen, was ihnen aufgetragen ist: Sie erzählen ihre "entsetzliche" Geschichte den Jüngern. Und mit ihnen brechen sie auf nach Galiläa. Dort wo ihr Weg mit ihm begonnen hat, werden sie ihm erneut begegnen. Am Ort seines Rufes in die Nachfolge werden sie sich erneut zur Nachfolge entschliessen.

Spüren wir die grosse Nähe zu den drei beherzten Frauen, wenn's uns ums Fortlaufen ist vor all den Problemen und dem vielen, das uns das Herz schwer macht? Obwohl sie guten Willens waren, liefen die Frauen fort vor Entsetzen über das, was sie in den drei tragischen Tagen erlebten hatten. Dennoch erfüllten sie ihre Pflicht und ermahnten sie die Jünger, wie aufgetragen. Mit ihnen machten sie sich erneut auf den Weg nach Galiläa. Dabei konnten die Jünger nicht wissen, dass ihre Flucht eine Flucht in die Arme des Herrn war - wahrlich eine grossartige nachösterliche Erfahrung. Doch ihr Weg dahin war lang.
Wir kennen wohl die Richtung, nicht aber den Weg vor uns. Eines wissen wir nun: Die bedrückenden Fragen unserer Tage können wir nicht ablegen. Ebenso wenig können wir die eigenen grossen und kleinen persönlichen Probleme überspielen. Wir sollen das auch nicht, nicht einmal versuchen. Erschrecken, Zweifel, Sorgen können wir getrost als Gepäck mitnehmen, wenn wir uns entschliessen, ähnlich wie die drei Frauen nach Ostern den Weg einzuschlagen, der zur Begegnung mit dem Auferstandenen führt.

Ergreifen wir diese Möglichkeit, gleich wie die Jünger, dem lebendigen Herrn zu begegnen. Sie wurden frei von ihrer Angst, befreit dazu, durch Wort und Tat seine gute Botschaft zu bekennen. Uns bietet sich ebenso die Möglichkeit, frei zu werden und in einer solchen Begegnung das abzulegen, was uns bisher den Weg zu freudigem Bekennen und zu Frieden schaffendem Tun verstellt hat.
Um der Liebe willen hatten sich die Jünger, gemeinsam mit den drei Frauen, in grosser Freiheit zu diesem Weg entschlossen. Ostern wurde so zum Wendepunkt in ihrer Biographie, zu einem Leben in Freude und Frieden. Dieser Weg steht uns offen und wir geniessen die Freiheit, das Angebot anzunehmen und uns zu diesem Schritt zu entschliessen.
Tun wir das, dann können wir leichten Herzens bekennen: " Der Herr ist auferstanden!" und einander wünschen: "Frohe Ostern!" Amen

Präsident i.R. Pastor Heinrich Rusterholz
Spitalstr. 220
CH - 8623 Wetzikon
E-Mail: u-h.rusterholz@bluewin.ch


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