Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Ostersonntag, 20. April 2003
Predigt über Epheser 3,3-10, verfaßt von Wilhelm Gräb
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Predigt am Ostersonntag 2003 im Universitätsgottesdienst, Themenreihe: Segenskräfte

Segenskräfte. Von ihnen soll in den Predigten der Universitätsgottesdienste dieses Semesters die Rede sein. Heute zuerst, am Ostersonntag. Dazu haben wir eben den Hymnus gehört aus dem Epheserbrief. Er redet in überschwänglichen Worten von dem Segen, der uns durch Christus geschenkt ist. Er verheißt Segen von oben, vom Himmel herab und Segen aus der Tiefe, die unten liegt. Unerschöpfliche Segenskräfte. Das sind Kräfte, die wir nicht aus uns selbst haben, die wir aber doch so nötig brauchen, damit wir durchs Leben kommen. Segenskräfte, das sind die Kräfte, die uns geschenkt werden, von oben, vom Himmel herab und aus der Tiefe, die unten liegt. Sie brechen hervor, wo Erde und Himmel sich berühren, eins werden in dem Gott, der zum Menschen wird, in Christus.

Jesus Christus, ein Mensch unter Menschen hier auf Erden, aber ganz mit Gott, seinem Vater im Himmel, verbunden. Ganz mit Gott eins und doch ein Mensch, der mit beiden Beinen auf dieser Erde steht. So können auch wir werden, ein jeder, eine jede von uns, weil auch wir Gottes gesegnete Kinder sind. Immer wenn wir Gottesdienst feiern, dann wieder hinausgehen auf die Straßen unseres Lebens, kommen die Segenskräfte über uns. Sie machen uns stark, fröhlich, mutig, liebevoll. Dann ist die Angst wie weggeblasen. Dann gehen wir der Welt mit neuer Begeisterung entgegen. Dann packen wir unser Tagewerk schwungvoll an.

Wir spüren diese Segenskräfte nicht immer. Oft fühlen wir auch unsere Schwachheit, sind wir mutlos, niedergeschlagen, traurig. Es ist etwas schief gegangen. Beziehungen haben sich verloren. Jemand, den wir lieb hatten, ist von uns gegangen. Wir fühlen uns elend und matt. Es wird dunkel in uns und eng. Wir haben die Freude am Leben verloren, können nicht mehr arbeiten, nicht mehr lieben. Dinge haben sich gedreht. Hoffnungen sind zerronnen. Es ist aus und vorbei.

So ist es den drei Fragen am Ostermorgen ergangen. Wir haben es aus dem Mk gehört. Sie hatten unter dem Kreuz gestanden, waren mitgegangen als man den toten Jesus begraben hat. Früh am Morgen, nach einer langen, durchwachten Nacht, nach den vielen Tränen, wollten sie dem Toten die letzte Ehre erweisen, den Leichnam mit edlen Spezereien einbalsamieren. Sie hatten nur noch die eine Sorge: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?

Da war keine Wille zur Zukunft mehr, kein Mut, kein Vertrauen, keine Zuversicht. Es war ihnen als wäre alle Lebenskraft von ihnen gewichen. Sie hatten die ungeheure Dynamik dieser Kraft gespürt als sie mit Jesus zusammen waren. In seiner Nähe war eine so große Offenheit füreinander, Liebe, Vergebung, Anerkennung, Freiheit. Jesus lebte das alles aus seiner tiefen Verbundenheit mit Gott heraus. Er nannte ihn seinen Vater. Es war zu spüren, dass die ungeheure Lebenskraft, die von Jesus ausging, aus dieser tiefen Verbundenheit mit Gott kam. In ihm waren Kräfte von oben, vom Himmel herab und Kräfte aus der Tiefe, die unten liegt: Segenkräfte.

Doch dann war Jesus gefangen genommen und getötet worden, noch bevor die Bewegung, die von ihm ausging, so richtig Wirkung zeigen konnte. Jesus wurde ans Kreuz geschlagen, umgebracht. Jetzt war wieder alles so, wie es schon immer war. Das Leben ohne eine gute Perspektive. Eine Krankheit zum Tode. Müh und Arbeit, aber wofür. Schlimm geht es zu. Und es wird so bleiben. Ja, es ist so geblieben. Das wissen wir Heutigen. Es geht schrecklich zu in dieser Welt. Es wird viel gestorben. Es herrscht Unfrieden. Es toben Kriege. Was ist da ein Menschenleben wert, wenn die Bomben fallen? Was ist mein Leben wert, das eines jeden von uns? Kommt es auf den einzelnen überhaupt an? Jeder ist doch so leicht ersetzbar. Wir müssen alle sterben. Und was wird dann gewesen sein? Das Leben wird weiter gehen als wäre ich nie da gewesen.

Den drei Frauen hatte sich der Lebenshorizont wieder verdüstert. Es war ein sonniger Morgen, nachdem der Sabbat vergangen war. Doch in den drei Frauen sah es ganz dunkel aus. Sie fühlten sich elend und schwach, waren müde und so traurig. Alle diese Gedanken stiegen in ihnen auf. Wie der Tod doch alle gleich macht, in die Gleichgültigkeit zwingt. Wie wenig ein einzelnes Menschenleben zählt. Was für einen Sinn hat eigentlich das Ganze? Sogar Jesus, der ein anders Leben geführt hat, neue Wege ging, ist tot. Er praktizierte den Widerstand gegen die verbreitete Gleichgültigkeit. Er achtete jeden einzelnen in seinem Recht auf Leben. Kranke hat er geheilt, den Armen zu Essen gegeben, jedem gesagt, dass Gott ihm nahe ist. Gesegnet hat er die Kinder und alle Mühseligen und Beladenen, mit Kraft von oben, vom Himmel herab, mit Kraft aus der Tiefe, die unten liegt, lauter Segenskräfte. Doch offensichtlich sind die Gegenkräfte stärker, der Hass, die Gewalt, die Macht des Geldes.

Jesus musste sterben, gewaltsam und früh. Die Menschen ertragen diese Offenheit, Liebe, Freundlichkeit offensichtlich nicht. Du musst Stärke zeigen, dass du etwas bist und etwas kannst. Du musst Leistung zeigen. Du musst dich durchsetzen. Du brauchst Macht. Sonst gehst du unter in dieser Welt. Wer auf die geistlichen Kräfte setzt, auf die Segenskräfte von oben, vom Himmel herab und aus der Tiefe, die unten liegt, der hat schlechte Karten. Wer sich auf Gott verlässt, der ist verlassen. Wer auf andere zugeht, offen und frei, dem wird man übel mitspielen.

Die drei Frauen hatten mit dieser Welt abgeschlossen. Auch Jesus hatte keine Chance. Mit leeren Blicken stiegen sie hinauf zur Grabstätte. Es war ein klarer, schöner Morgen. Doch die drei Frauen hatten keine Hoffnung mehr. Es ist aus und vorbei.

Doch da sie zum Grab kamen, sahen sie, dass der große Stein, der es verschlossen hatte, weggewälzt war. Das Grab war leer. Jesus verschwunden. Statt dessen sahen sie einen Jüngling, der hatte ein langes weißes Kleid an. Und sie erschraken sehr. Das ist ja nur zu verständlich, geschahen doch Dinge, die sie nicht für möglich gehalten hatten. Und wir Heutigen erst Recht nicht für möglich halten. Tote gehen nicht aus Gräbern hervor. So etwas war noch nie. So etwas glaubt man auch nicht, es sei denn, man hat es selbst gesehen. Aber auch die drei Frauen haben Jesus ja nicht aus dem Grab hervorgehen sehen.

Die drei Frauen hörten die Stimme dieses Jünglings im weißen Gewand reden. Gewiss, auch das eine Begegnung der unwahrscheinlichen Art. Aber immerhin ein Mensch wie wir, der eine Deutung des leeren Grabes gab. Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden. Er ist nicht hier.

Den drei Frauen half diese Deutung zunächst nicht. Furcht und Zittern kam sie an. So erschrocken waren sie. Die Traurigkeit wich nicht von ihnen. Er, den sie gesucht haben, Jesus, er ist nicht hier. Das war die Tatsache. So klangen auch besonders diese Worte des Jünglings in ihnen nach. Er ist nicht hier, er ist nicht hier, ist nicht hier, nicht hier. Es hafteten die Worte nicht mehr, mit denen der Jüngling in den weißen Kleidern zu reden fort fuhr: Erzählt es den Jüngern und Petrus weiter, dass er vor euch hergehen wird nach Galiläa. Dort werdet ihr ihn sehen.

In Galiläa werden ihr Jesus wieder finden, dort, wo ihr ihn kennen gelernt haben, mit ihm durch die Lande gezogen seid, wo ihr die Kräfte gespürt haben, die von ihm ausgingen, Segenkräfte. Geistlicher Segen in himmlischen Gütern.

So singt der Epheserbrief das Loblied auf den Gott, der in Christus allen Menschen mit der Kraft seines Segens begegnet. Und ich kann mir gut vorstellen, wie vor Karfreitag auch die drei Frauen, die mit Jesus durch Galiläa gewandert waren, freien Herzens in dieses Loblied eingestimmt hätten. In der Nähe Jesu, der Gott seinen Vater nannte, öffnete sich der Himmel und war eine Kraft aus der Tiefe zu spüren, die unten liegt. Es war in der Begegnung mit ihm zu merken, dass wir recht eigentlich von Voraussetzungen leben, die wir nicht selber geschaffen haben. Es gibt so vieles, was unserem eigenen Tun und Machen zuvorkommt und das Leben doch recht eigentlich erst lebenswert macht. Dass wir lachen, lieben und vertrauen können, einander vergeben. Das alles sind Fähigkeiten und Möglichkeiten, die wir nicht aus uns selbst haben. Sie werden uns geschenkt, von Gott, weil wir seine gesegneten Kinder sind. Doch nun ist Jesus ja tot. Die drei Frauen stehen an seinem Grab. Dieses Grab ist zwar leer. Aber das tröstete die drei Frauen am Ostermorgen nicht.

Dennoch, sie hörten wenigstens den Jüngling im weißen Gewand: Er ist nicht hier. Geht nach Galiläa. Dort werden ihr ihn sehen. Der Jüngling gab eine Deutung des leeren Grabes: Jesus lebt. Doch die drei Frauen haben auch diese Deutung des leeren Grabes zunächst nicht recht verstanden. Und bis heute geht unter Theologen ja immer wieder der Streit, ob das leere Grab ein Beweiß für die Auferstehung Jesu von Toten ist oder nicht.

Ich meine, ein Beweiß für die Auferstehung Jesu von den Toten im strengen Sinne ist das leere Grab nicht. Dann bedürfte es ja gar nicht der Deutung. Dann hätte Markus berichten müssen, dass und wie der tote Jesus aus der Grabeshöhle als ein wieder in Fleisch und Blut lebendiger Mensch hervorgegangen ist. Von einem solchen Gespenst berichtet Mk aber nicht und auch die anderen Evangelien tun dies nicht. Mk berichtet von einem jungen Mann, der eine Deutung von einem der Deutung bedürftigen Faktum gibt. Das leere Grab ist ein Hinweiszeichen, das in seinem Sinn verstanden sein will. Und die Deutung des jungen Mannes weist nach Galiläa. Zurück ins alltägliche Leben der Frauen, der Jünger, des Petrus. All derer, die mit Jesus mitgegangen sind. Ihr werdet ihn sehen. Ihr werdet die Erfahrung machen: Jesus lebt. Nicht so wie zuvor werdet ihr ihm begegnen, nicht einem Menschen aus Fleisch und Blut. Dann müsste Jesus ja noch einmal sterben. Jesus lebt auf geistige Weise. Er ist die Kraft des Geistes, der uns Menschen lachen macht, lieben und vertrauen, offen füreinander, der uns immer wieder erfüllt mit neuer Begeisterung für die Welt. Jesus lebt, mit ihm auch ich: Tod, wo sind nun deine Schrecken? Jesus lebt in der Kraft des Geistes Gottes, als Gottes Kraft, als unerschöpfliche Segenskraft.

In Galiläa werdet ihr dem lebendigen Jesus begegnen. Dort, wo ihr mit ihm durch die Lande gezogen sein. Dort, wo ihr eure Familien habt, eure Freunde, eure Arbeit, eurer alltägliches Leben. Dort werdet ihr merken: Es ist nicht aus und vorbei. Es geht auch nicht einfach immer so weiter. Nein, ein Strahl der Ewigkeit hat uns berührt, mitten in der Zeit. Die Todesgrenze ist durchbrochen. Das Licht fällt hindurch vom Jenseits des dunklen Tunnels. Die Bösen und Mächtigen haben nicht das letzte Wort. Wir werden das Lachen nicht mehr verlernen, die Liebe nicht verlieren, können vertrauen – über den Tod hinaus. Das alles nicht aus eigener Kraft und Anstrengung. Es geschieht an uns. Es sind Möglichkeiten und Fähigkeiten, die sich uns, Gott allein weiß wie, eröffnen. Wir spüren es, wenn sie da sind, über uns kommen. Es sind die Segenskräfte, die unser kleines Leben so groß machen, unendlich weit.

Es mag uns gehen wie den Frauen. Voller Zweifel hören wir die Deutung des Jünglings vom leeren Grab. Der Leichnam Jesu könnte ja auch sonst wie verschwunden oder gestohlen worden sein. Aus dem Tod ist noch keiner ins Leben zurückgekommen. Das ist wahr. Dennoch, auch wir werden dem lebendigen Jesus begegnen. Nicht einem Menschen aus Fleisch und Blut. Wie könnte ein solcher unendliche, unerschöpfliche Lebenskraft sein, Segenskraft, Gottes Kraft, die uns hält und trägt, auch wenn sonst alles bricht. Wir werden dem lebendigen Jesus begegnen, wenn wir wieder hinausgehen, aus dieser Kirche, aus diesem Gottesdienst. Der Segen Gottes kommt dann über uns. Gott erhebt sein Angesicht auf uns. Er lässt es über uns leuchten, wohin auch immer wir gehen. Er gibt uns die Ewigkeit ins Herz. Wir werden dessen gewiss, dass wir nicht nur die Summe unserer mehr oder weniger gelungenen Taten sind. Da ist unendlich mehr in uns und um uns herum als wir je selber aus unserem Leben machen könnten. Wir sind gesegnet mit geistlichem Segen in himmlischen Gütern durch Christus. Wir sind Gottes gesegnete Kinder, nicht allein von dieser Welt. Gesegnet von oben, vom Himmel herab, gesegnet aus der Tiefe, die unten liegt. Unerschöpfliche Quellen der Kraft fließen uns zu, täglich. So werden wir nie den Mut verlieren, die Hoffnung nicht, nicht das Vertrauen, mag uns vor den Mächten des Bösen und des Todes noch so grauen. Es wird schließlich alles gut.

Amen

Prof. Dr. Wilhelm Gräb, Berlin
E-Mail: WGraeb@t-online.de


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