Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Ostersonntag, 20. April 2003
Predigt über Johannes 20, 11-18, verfaßt von Ruedi Reich
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Mein Name und Sein Name

Maria aber stand draussen am Grab und weinte. Während sie nun weinte, beugte sie sich vor in das Grab. Und sie sieht zwei Engel in weissen Gewändern dort sitzen, wo der Leib Jesu gelegen hatte, den einen beim Haupt, den anderen bei den Füssen. Und die sagen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie sagt zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiss nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Das sagte sie und wandte sich nach hinten, und sie sieht Jesus dastehen, sie wusste aber nicht, dass es Jesus war. Jesus spricht zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Weil sie meint, es sei der Gärtner, sagt sie zu ihm: Herr, wenn du ihn weggetragen hast, sag mir, wo du ihn hingelegt hast, und ich will ihn holen. Jesus spricht zu ihr: Maria! Da wendet sie sich um und sagt auf hebräisch zu ihm: Rabbuni!, das heisst Meister. Jesus spricht zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn noch bin ich nicht hinaufgegangen zum Vater. Geh aber zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. Maria aus Magdala geht und berichtet den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und dass er dies zu ihr gesagt habe.
Johannes 20, 11 - 18

Liebe Gemeinde

In der mittelalterlichen Kirche gab es den Brauch des Osterlachens: Der Prediger hatte die Aufgabe, die Gemeinde am Ostermorgen durch eine menschenfreundliche Predigt, ja oft durch derbe Spässe, zum Lachen zu bringen. Sicher, da wurde wohl auch allerlei Schabernack getrieben, aber das war gewiss: Das kräftige, hörbare Lachen gehört zum Ostergottesdienst. "Es war ein wunderlich Krieg, da Tod und Leben rungen. Das Leben behielt den Sieg, es hat den Tod verschlungen. Die Schrift hat verkündet das, wie ein Tod den andern frass; ein Spott der Tod ist worden. Halleluja" (Reformiertes Gesangbuch 464,4), so dichtet Martin Luther in kräftigen Bildern im Osterlied. Tod und Teufel haben nichts zu lachen an Ostern. Ihnen geht’s an den Kragen.

Aber die Menschen, die dürfen lachen, befreit und fröhlich lachen. An Ostern gilt's: Wer zuletzt lacht, lacht am besten! Und zuletzt ist nicht das hohle Grinsen des Todes, sondern das österliche Lebenslachen Gottes. An Ostern darf man darum das, was man sonst nicht darf: Man darf über den Tod lachen, ja, den Teufel auslachen!

Ostern - Fest der Freude - Fest des Lebens. Ostern ist darum nicht irgendein Fest im christlichen Festkreis. Ostern ist die Mitte der christlichen Verkündigung. Die Ostergeschichten sind im Neuen Testament nicht einfach am Schluss der Evangelien zu suchen, nach der Passionsgeschichte, dem Bericht vom Leiden und Sterben Christi. Das ganze Neue Testament ist eine einzige gewaltige und vielstimmige Ostergeschichte. Jede Zeile des Evangeliums, jede Aussage der Briefe und Schriften wurde im Licht von Ostern geschrieben. Die Gleichnisse Jesu sind nicht allgemeine Weisheitsregeln, sondern das Aufleuchten von Gottes neuer Welt. Die Bergpredigt ist kein neues ethisches Gesetz, sondern die Grundregel, die Magna Charta, des von Ostern her aufleuchtenden Gottesreiches.

Ostern - Fest des Lebens, Ostern - die Freude, das Lachen, das zum Fest des Lebens gehört. Aber uns droht das Lachen im Halse zu ersticken, wenn wir an Bedrohungen, Krankheit und Leid denken in so vielen Menschenleben. Und erst recht vergeht uns das Lachen, wenn wir an Gewalt, Hass und Leid im Nahen und Mittleren Osten denken. Hilflos, machtlos, vielleicht auch resigniert kommt uns nur das "Kyrie eleison, Herr erbarme dich" über die Lippen.

Ja, wir leben in einer Welt der Angst und auch des Todes. Das erfuhr auch die erste Christenheit in ihren vielfältigen Bedrohungs- und Verfolgungssituationen. Ostern verkündet keine eingebildete fromme Traumwelt. Ostern ist nicht das "Opium des Volkes", die billige Tröstung über die leidvolle Welt hinweg. Christliche Ostererfahrung bewährt sich auch in Schwerem und Dunklem. In den Osterberichten der Evangelien weist der Auferstandene auf seine Wundmale hin. Der Auferstandene ist und bleibt auch der Gekreuzigte. Ostern ist nicht in Abkürzung zu haben, Ostern ist kein direkter Zugang zum Himmel. Der Osterweg ist der Weg mit dem gekreuzigten Christus: Der Weg durch Ausweglosigkeit, Trauer und Schmerz hindurch, Weg der Hoffnung, Weg des Lebens.

Wir haben es gehört im Osterevangelium (Johannes 20, 11 - 18): Ostern beginnt an einem Grab. Ostern beginnt mit Weinen, nicht mit Lachen: "Maria aber stand draussen am Grab und weinte" (Johannes 20,11). So realistisch, so irdisch beginnt Ostern. Und es würde bei diesem von Weinen geprägten Friedhofbesuch bleiben, wenn da nicht eine Stimme wäre, eine anteilnehmende Frage: "Frau, was weinst du? Wen suchst du?" (Johannes 20,15).

" Was weinst du." Eigentlich keine Frage! An Gräbern weinen Menschen um ihr Liebstes und Kostbarstes, das ihnen der Tod genommen hat. Sie weinen um ihr eigenes Leben, das traurig und leer geworden ist. So geht es auch Maria aus Magdala; sie weint um Jesus. Ihm verdankt sie Sinn und Ziel ihres Lebens. In ihm hatte sie Gottes Nähe und Liebe erfahren. Aber Hass und Gewalt hatten gesiegt. Jesus ist tot. Maria ist allein, allein mit ihren Tränen, allein mit ihrem Schmerz, allein mit der inneren Leere. Aber da ist eine Stimme: "Frau, was weinst du? Wen suchst du?" Eine Frage der Anteilnahme. Und Anteilnahme, Verbundensein in Gedanken und im Gebet, das kann schon viel bedeuten mitten in Leid und Trauer.

Was weinst du? - das ist für Maria aus Magdala der Anfang der Ostererfahrung. So begleitet die anteilnehmende Frage des auferstandenen Christus die Seinen auch durch alle Jahrtausende: Was weinst du? Der auferstandene Christus sieht unsere Tränen, unsere Schwierigkeiten, unser Vermissen und Versagen. Unser verzweifeltes oder stilles Weinen ist ihm nicht verborgen. Vor ihm brauchen wir nicht zu tun, als könnten wir das Leben jederzeit meistern. "Alles im Griff auf dem sinkenden Schiff", wie es ein alter Schlager herausschreit. Wer Christus begegnet, der kann auch zu seiner Ausweglosigkeit stehen, zu seiner Angst, zu seinen Zweifeln. Wer Christus begegnet, der begegnet an der Nahtstelle von Karfreitag zu Ostern der anteilnehmenden Frage: "Was weinst du?"

Weinen - da ist das Weinen in Heimen und Spitälern angesichts von Krankheit, Einsamkeit und Ausweglosigkeit. Da ist das Weinen angesichts zerbrochener Beziehungen, wohl auch das Weinen darüber, am Arbeitsplatz nicht wertgeschätzt oder schlicht nicht mehr gebraucht zu werden. Da ist das Weinen und Schreien der Kinder, Frauen und Männer in den Kriegen durch alle Jahrhunderte bis heute. Hilflos stehen wir dem allem gegenüber.

Weinen - es begleitet uns vom ersten Lebensschrei bis zum letzten Seufzer. Aber es ist Einer, der es hört, der Anteil nimmt, einer der selber durch Leid und Not gegangen ist. Christus, der am Kreuz seine Verzweiflung herausgeschrien hat: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" (Markus 15,34). Er ist es, der nicht aufhört nachzufragen: Was weinst du?

Wer sich mit der Geschichte der Sklaverei auseinandersetzt, dieser Geissel der Menschheit, an welcher auch die Christenheit Anteil hat, der begegnet auch immer wieder denen, die aus christlicher Überzeugung und eigener Betroffenheit sich gegen diese Erniedrigung von Menschen gestellt haben. Zu ihnen gehört eine schwarze Frau, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den USA lebte, Sojourner Truth. Als ehemalige Sklavin kämpfte sie gegen die Sklaverei. Von ihr ist ein Wort überliefert, welches für mich die kürzeste und ergreifendste Karfreitagspredigt und Osterpredigt ist. Sie sagte: "Ich gebar dreizehn Kinder und musste mitansehen, wie sie in die Sklaverei verkauft wurden, und als ich in meinem Schmerz schrie, hörte mich niemand, nur Jesus".

Einer hört: Jesus: Das ist der Anfang von Ostern, ja, das ist Ostern. Das ist die Erfahrung von Maria am Grab mitten in ihrem Weinen. Und wie sie nun mit der anteilnehmenden Stimme ins Gespräch kommen möchte, da hört sie nur ein einziges Wort, welches alles verändert: Sie hört ihren Namen. "Jesus spricht zu ihr: Maria! (Johannes 20,16)". Das ist Ostern: Dass ich vom auferstandenen Christus her meinen Namen höre - und dies in Zeit und Ewigkeit als Wahrheit des Lebens, die mich hält und trägt. Mit Maria sind und bleiben wir alle vom Auferstandenen mit unserem Namen angesprochen.

Tief beeindruckt hat mich dieser Tage die Osterbotschaft des Rats der christlichen Kirchen im Mittleren Osten. Diese Kirchen, die von Leid und Not des Palästinakonfliktes und des Irakkrieges unmittelbar betroffen sind, reden zu uns von Hoffnung und Leben. Hören wir auf sie und bleiben wir auch mit ihnen verbunden im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe:

"Dies ist vielleicht der Moment, in dem wir einer deutlichen Osterbotschaft bedürfen. Die Fastenzeit macht uns in besonderer Weise offenbar, dass das menschliche Wesen nicht vor der Sünde gefeit ist und eine innere Neigung besitzt, anderen Leid zuzufügen. In der Karwoche haben wir uns zum Kreuz Christi hin bewegt. Wie ein anbrechender Tag erhebt sich daraus der Neubeginn von Ostern. Unsere Ängste klingen ab, weil Gott dem Leben den Sieg gegeben hat, indem er seinen Sohn von den Toten auferstehen liess. Ja, der Tod wird keine Herrschaft mehr über die Menschen haben.
Solange der ganze Leib Christi in seiner umfassenden Dimension diesem seinem ursprünglichen Erbe treu bleibt, gibt es Hoffnung in der Welt, die mit keinen Mitteln verdrängt werden kann. Wir stellen uns den Herausforderungen von Tod und Zerstörung im Irak und lassen uns von der Gewissheit leiten, dass Christus durch uns wirkt - die Verherrlichung Gottes und der Menschheit Trost werden gewiss sein."

Amen

Ruedi Reich
Kirchenratspräsident der Evangelisch-reformierten
Landeskirche des Kantons Zürich
E-Mail (Sekretariat): verena.schumacher@zh.ref.ch


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