Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Ostermontag, 21. April 2003
Predigt über Lukas 24, 13-35, verfaßt von Berthold W. Köber
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Der Lebendige begegnet uns auf dem Weg der Hoffnungslosigkeit

„Der Herr ist auferstanden!“ – „Er ist wahrhaftig auferstanden!“
So begrüßen sich am Ostertag die orthodoxen morgenländischen Christen, auch diejenigen, die der Kirche nicht nahe stehen. In diesem Gruß drückt sich die überschwängliche Freude darüber aus, dass der Herr Jesus vom Tod erstanden ist und lebt; dieser Gruß teilt diese Freude mit und möchte, dass die ganze Welt und im besonderen die Gegrüßten von ihr erfüllt und getragen werden.

Der Herr ist auferstanden! Er lebt! Er wird euch begegnen!
So wird den Frauen am leeren Grab, so wird den Jüngern verkündet.
Doch da ist keine Freude. Ganz unerwartet ist diese Nachricht. Niemand ist darauf vorbereitet, weder die Frauen am Grab, noch die Jünger im Haus, noch sonst wer. Ihre Herzen sind verschlossen. Sie sind ganz von dem befangen, was sich in den vergangenen Tagen abgespielt hatte. Sie hatten den von ihnen geliebten und verehrten Herrn und Meister verloren, und dazu noch auf noch so schreckliche Weise. Er, der soviel Gutes gesagt und getan hatte, war als Verbrecher hingerichtet worden. Er hatte ihnen Mut und Hoffnung geschenkt. Ein Neues hatte mit ihm angefangen. Seinetwegen hatte es sich gelohnt, alles aufzugeben und ihm nachzufolgen...
Es sollte nicht sein. Das Vergangene war eben doch nicht vergangen. Es war mit Macht gegenwärtig. Es hatte sie wieder eingeholt und lähmte ihre Gedanken, ihre Herzen, ihre Blicke.

*

Und so machen sich zwei der Jünger auf, um in ihre Vergangenheit zurückzukehren. Dorthin, von wo sie einst voller Hoffnung aufgebrochen waren. Das Vergangene bestimmt ihre Herzen, ihre Gedanken, ihre Gespräche. Es ist ein Weg der Trauer und der verlorenen Hoffnungen, ein Weg der Ohnmacht und der Resignation. Die unerhörte Nachricht läßt ihre Herzen kalt. Für sie bleibt der Lebendige tot.

Wir können sie verstehen, wir können ihnen nachempfinden. Es ergeht uns ähnlich wie diesen beiden Jüngern. Ihre Gedanken und Gefühle sind uns nicht fremd. Wer hatte nicht auch große Hoffnungen? Lebensmut und Zuversicht? Träume von einer schönen, erfüllten Zukunft? Einen überzeugten Glauben an Gott, an seine Gerechtigkeit, seine Liebe? Und dann kamen sie, die Ereignisse, die uns erschütterten und ernüchterten. Unsere langjährige, und nun gescheiterte Beziehung. Das Wegziehen der Kinder. Die schwere Erkrankung. Der Verlust des Arbeitsplatzes. Die 37. erfolgslose Bewerbung. Der Unfalltod des besten Freundes. Die vergeblichen Bemühungen um den Frieden und der blutige Krieg... Ereignisse, die uns überdeutlich bewußt werden lassen: die Vergangenheit ist nicht vergangen. Sie ist gegenwärtig und bestimmt unser Leben.
Der Herr ist auferstanden? So unerhört neu ist diese Botschaft für uns nicht. Und nur zu deutlich stehen unsere negativen Lebenserfahrungen dagegen. Zu groß sind unsere Enttäuschungen, zu tief die Verletzungen, zu deutlich die Machtlosigkeit, zu stark die Zweifel. Die Zukunft ist dunkel.
Wir befinden uns auf ähnlichem Weg wie die beiden Emmausjünger.

*

Auf diesem Weg gesellt sich ein Fremder zu ihnen. Ein Fremder? Sie erkennen ihn nicht. Wie sollten sie es auch mit ihren verschlossenen Herzen? Da ist kein Raum für das Neue, für das Leben, für den Lebendigen.
Er begleitet sie auf diesem Weg. Er hört sie an, läßt sie ihr Herz ausschütten,
ihre Enttäuschung, ihre Ratlosigkeit, ihre Hoffnungslosigkeit.
Er redet mit ihnen. Er läßt das Wort der Schrift zu ihnen sprechen...
Ihr Herz beginnt, sich zu öffnen. Zunächst für seine Worte. Dann für ihn.
„ Bleibe bei uns, denn es will Abend werden“, bitten sie ihn. Und er bleibt.
Sie setzen sich zu Tisch.
Da nimmt er das Brot, und bricht es und gibt es ihnen. Wie vor wenigen Tagen, als er sich ihnen im Brot schenkte... Da erkennen sie ihn! Er lebt! Er war mit uns auf unserem Weg! Er hat zu uns geredet. Und unser Herz brannte. Er ist es wirklich!

Da macht es nichts mehr aus, dass er ihren Blicken entschwindet. Wie weggewischt sind Trauer, Müdigkeit und Hoffnungslosigkeit. Sie eilen, Dunkelheit und Gefahren nicht achtend, zurück, um auch den anderen die Freude zu bringen. Das neue Leben ist angebrochen. Ein Zurück in die Vergangenheit gibt es nicht mehr.

„Der Herr ist wahrhaftig auferstanden!“ So begrüßen sich die Jünger in kaum faßbarer Freude über das Unerhörte. Etwas ganz Neues ist Wirklichkeit geworden. Das es noch nicht gegeben hat – sie erleben es. Die verlorenen Hoffnungen, die zerstörten Illusionen, die Furcht und die Resignation, die ihre Herzen in den schrecklichen letzten Tagen in Bann geschlagen hatten – sie müssen der Freude weichen. Die Zukunft ist angebrochen. - Und plötzlich ist es dann der Auferstandene selbst, der bei ihnen ist.

Auch wir sind auf den Wegen unseres Lebens nicht allein, und mögen sie noch so hoffnungslos sein. Unser lebendiger Herr Jesus geht mit uns – auch wenn er uns ferne scheint, auch wenn unser verschlossenes Herz ihn nicht wahrnimmt. Wenn wir nur noch Leiden und Kreuz sehen. Und eine dunkle Zukunft. Wir können mit ihm reden, uns ihm anvertrauen mit allem, was uns bedrängt und bedrückt, was uns zweifeln und verzweifeln läßt: unsere Enttäuschungen und unsere Trauer, unsere Macht- und Mutlosigkeit, unsere Verzweiflung und unsere Zweifel; unsere Resignation.
Er spricht zu uns. Er möchte uns aufrichten, trösten, ermutigen, er möchte unser Herz für das neue Leben öffnen, in dem das Vergangene vergangen und die Zukunft gegenwärtig ist. Er spricht zu uns, im Wort der Schrift, durch andere Menschen.
Und er schenkt sich uns selbst – in dem Brot, das wir brechen, in dem Wein, den wir trinken – im Heiligen Abendmahl, das er mit uns feiert und in dem er uns seine Nähe leib-haftig erfahren läßt.
Im Gebet, im Wort der Schrift, im Heiligen Abendmahl schenkt uns unser lebendiger Herr seine Gemeinschaft mit ihm; er schenkt uns sich selbst. Wo das geschieht, da ist Gottesdienst. Die besondere Weise, in der uns der lebendige Herr gegenwärtig ist, wo er uns begegnet, uns anspricht, die Herzen öffnet und uns Zuversicht und Freude schenkt. Da ist Ostern.

Das geschah damals, auf dem Weg nach Emmaus. Der erste Gottesdienst, den der Auferstandene mit den Seinen feierte.
Und es geschieht seither immer wieder aufs Neue.

Mögen wir ihn immer wieder als den Lebendigen erfahren, der uns aus der Vergangenheit herausführt zur Hoffnung, aus der Trauer zur Freude, aus dem Tod zum Leben. Denn:

Der Herr ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden.

Prof. Dr. Berthold W. Köber
Pfarrer am Altenberger Dom (bei Köln)
Blütenweg 24
42799 Leichlingen
Tel. 02174-894974
E-Mail: bwkoeber@hotmail.com



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