Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Ostermontag, 21. April 2003
Predigt über Lukas 24, 13-35, verfaßt von Christoph Dinkel
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Liebe Gemeinde,

(I.) woran erkennt man den auferstandenen Christus? Woran würden Sie denn erkennen, dass Ihnen der auferstandene Herr begegnet? Oder finden Sie diese Frage unpassend, weil es doch gar nicht möglich ist, dass uns Heutigen der Auferstandene begegnet?

Wenn Sie nicht sogleich wissen, woran man den Auferstandenen erkennt, dann sind Sie in guter Gesellschaft. Die Jüngerinnen und Jünger Jesus wussten es auch nicht. Die biblischen Ostergeschichten haben fast alle dasselbe Thema: Der Auferstandene wird zuallererst einmal nicht erkannt. Der Auferstandene begegnet den Seinen und die kriegen es zunächst gar nicht mit.

Ich lese aus Lukas 24 die Geschichte vom Ostererlebnis der beiden Jünger aus Emmaus.
"Und siehe, zwei von Jesu Jüngern gingen an demselben Tag, dem Ostertag, in ein Dorf, das war von Jerusalem etwa zwei Wegstunden entfernt; dessen Name ist Emmaus. Und sie redeten miteinander von allen diesen Geschichten. Und es geschah, als sie so redeten und sich miteinander besprachen, da nahte sich Jesus selbst und ging mit ihnen. Aber ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten.
Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Dinge, die ihr miteinander verhandelt unterwegs?
Da blieben sie traurig stehen. Und der eine, mit Namen Kleopas, antwortete und sprach zu ihm: Bist du der einzige unter den Fremden in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen dort geschehen ist?
Und er sprach zu ihnen: Was denn? Sie aber sprachen zu ihm: Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Taten und Worten vor Gott und allem Volk; wie ihn unsre Hohenpriester und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben. Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde. Und über das alles ist heute der dritte Tag, dass dies geschehen ist.
Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen, haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe. Und einige von uns gingen hin zum Grab und fanden's so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht.
Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben! Musste nicht Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen?
Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in der ganzen Schrift von ihm gesagt war.
Und sie kamen nahe an das Dorf, wo sie hingingen. Und er stellte sich, als wollte er weitergehen. Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben.
Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach's und gab's ihnen. Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen. Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete?
Und sie standen auf zu derselben Stunde, kehrten zurück nach Jerusalem und fanden die Elf versammelt und die bei ihnen waren; die sprachen: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und Simon erschienen. Und sie erzählten ihnen, was auf dem Wege geschehen war und wie er von ihnen erkannt wurde, als er das Brot brach."

Woran erkennt man den Auferstandenen? – Das war unsere Ausgangsfrage. Am Brotbrechen wird er erkannt. Das ist die Antwort der Ostergeschichte aus Emmaus. Die Jünger erkennen den Auferstandenen nicht an dem, wie er aussieht. Sie erkennen ihn nicht an der Stimme, nicht an seiner Schriftgelehrtheit und noch nicht mal an seinen Wundmalen. Es ist ganz offensichtlich: Der Auferstandene ist nicht einfach so zu erkennen. Die Jünger erkennen den Auferstandenen erst daran, dass er mit ihnen Abendmahl feiert. „Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach’s und gab’s ihnen.“

Die Geste des Brotbrechens und des Dankes – darin zeigt sich der Auferstandene. Im gemeinsamen Mahl ereignet sich Ostern. Es ist genau wie in jener Nacht als er verraten wurde und mit seinen Jüngern zu Tisch saß, genau wie bei den vielen Gastmahlen, von denen uns im Neuen Testament erzählt wird: beim Mahl mit dem Zöllner Zachäus, beim Mahl mit den Sündern, über das sich Pharisäer und Schriftgelehrte erregen. Das gemeinsame Mahl bildet die Brücke vom irdischen Jesus der Passion zum auferstandenen Christus an Ostern.

Auch bei der Speisung der Fünftausend finden wir diese Worte und Gesten: „Da nahm er die fünf Brote und zwei Fische und sah auf zum Himmel und dankte, brach sie und gab sie den Jüngern, damit sie dem Volk austeilten.“ Oder denken sie an die Hochzeit zu Kanaa als Wasser zu Wein, zu erstklassigem Wein wurde. Seine Gegner haben Jesus als Fresser und Weinsäufer beschimpft. Und jetzt an Ostern in Emmaus macht der Auferstandene dem Irdischen alle Ehre. Er nimmt das Brot, dankt, bricht es und gibt's seinen Jüngern. Und in diesem Augenblick erkennen sie ihn. Jetzt erst ist für sie Ostern. Der Herr ist auferstanden!

(II.) Lange hat es gebraucht, bis es für die Jünger von Emmaus Ostern wurde. Lange hat es gebraucht, bis die zwei verstanden, wer ihnen da auf dem Weg nach Emmaus begegnete. Denn die Botschaft von Ostern ist gar nicht so einfach. Ostern ist nicht bloß das „Happy end“ einer dramatischen Geschichte. Ostern ist zuerst einmal verwirrend und störend. Auch die Frauen am Grab sind vor allem entsetzt und erschüttert. Ostern ist eine Störung. Die Frauen erzählen von der Erscheinung am leeren Grab. Und was machen die Jünger? – „Weibergeschwätz“ – denken die Jünger. „Die Frauen sind wohl ein wenig hysterisch geworden vor lauter Weinen.“

Die Jünger bleiben lieber auf dem Boden der Tatsachen. Sie sind zwar geflohen, als man Jesus hinrichtete. Aber jetzt, wo die größte Gefahr vorbei ist, sehen sie entschlossen dem Tod Jesu und damit den Tatsachen ins Auge. Jesus ist tot. Schlimm, dass es so böse enden musste. Aber jetzt, jetzt kann man auch nichts mehr machen. Und deshalb gehen die beiden Jünger nach Hause, nach Emmaus.

Und wie sie so gehn und treten, gesenkten Hauptes aber festen Schrittes, da werden sie unterbrochen. Es tritt einer an sie heran und stört ihre Gespräche. Aber nicht genug, dass er sie stört. Der Störer ist überdies noch ein Fremder, der von nichts eine Ahnung hat. Von all den dramatischen Ereignissen in Jerusalem hat er nichts mitbekommen. Wohl ein Tourist, ein Passahpilger aus dem Ausland. Der hat gerade noch gefehlt.

Man kommt wohl oder übel ins Gespräch. So ganz ohne Ahnung ist der Fremde dann doch nicht. Immerhin kennt er sich in der heiligen Schrift ganz gut aus. Aber dann behauptet er, alles hätte so kommen müssen. Schon die Propheten hätten das vorausgesagt. „Musste nicht Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen?“ „Ja was soll man denn dazu sagen“, werden die Jünger gedacht haben. „Wir sind gerade mitten in der Trauerarbeit und er hält mit uns eine Bibelstunde ab. Warum lässt der Fremde uns nicht in Frieden. Die Sache ist doch traurig genug. Nun muss er uns nicht auch noch quälen.“

So einfach, liebe Gemeinde, ist sie nicht, die Botschaft von Ostern. Das Grab ist leer, die Frauen haben Erscheinungen. Aber für die Jünger von Emmaus ist alles beim Alten. Ihre Augen werden gehalten. Sie sind von der Macht der Vernichtung und des Todes gefangen. Ostern? – Ostern ist etwas für andere. Es ist für die Jünger von Emmaus ganz klar, wer gewonnen und wer verloren hat. Der Unschuldige ist ermordet. Er ist am Kreuz elend gestorben. Die Mächte des Todes haben triumphiert. Die Mörder sind die Sieger der Geschichte. Da gibt es nichts zu rütteln. Mit dem muss man sich abfinden.

Die Jünger von Emmaus verstehen die Botschaft von Ostern nicht. Sie bleiben blind. Sie haben träge Herzen. Ostern ist für sie zunächst kein triumphaler Sieg. Und auch die Erklärungen aus der Schrift fruchten nichts. Sie lassen sich von Ostern in ihrer Trauer erst einmal nicht stören.

Immerhin, sie merken, dass sie den Fremden nicht einfach weiterziehen lassen sollten. Die Störung durch den Fremden rührt sie doch an. Auch wenn man Optimisten nicht recht glaubt, so sind sie in der Regel gern gesehene Leute. Und also lädt man den Fremden ein und setzt sich zu Tisch, zu Hause in Emmaus.

Und da, am Tisch in Emmaus, da gehen ihnen die Augen auf. Der Fremde ergreift nun endgültig die Initiative. Er lässt sich nicht als Gast bedienen. Nein, der Fremde wird selbst zum Gastgeber. Mit aller Selbstverständlichkeit und aller Autorität nimmt er das Brot, dankt, bricht es und gibt es ihnen. Der Herr ist auferstanden.

(III.) Ostern – das ist keine ganz einfache Botschaft, liebe Gemeinde. Ostern stört die Erwartungen der Jüngerinnen und Jünger, es erschreckt ihre trägen Herzen, bevor es sie dann in Brand steckt.

An Ostern werden die Mächte der Finsternis und des Todes überwunden. Die Mörder von Karfreitag werden vom Thron der Geschichte gestürzt. Aber all das geht nicht einfach so glatt und mit einem Paukenschlag. Die Botschaft von Ostern ist nicht leicht zu glauben, weil die Macht des Todes so stark ist, weil wir die finsteren Mächte täglich erfahren und wir ihnen aus eigener Kraft so wenig entgegenzusetzen haben. Ostern ist eine Störung, weil unsere Herzen oft träge sind, wie die Herzen der Jünger von Emmaus. Wir verrennen uns in Schmerz und Leid. Wir lassen uns vergiften von Neid und Hass. Wir unterstellen anderen Böses, wir gönnen unserem Nächsten nicht die Luft zum Atmen, die nötige Liebe und Zuwendung.

Wir sind in dieser Hinsicht nicht besser als die Jünger von Emmaus. Wir sind nicht besser als die Sünder, mit denen sich Jesus an den Tisch setzte. Wir hören die Geschichten von Jesus, die Gleichnisse von Gottes Reich, das mitten unter uns ist. Aber unsere Augen werden gehalten und unsere Herzen brennen oft genug nicht. Erst die Geste des Brotbrechens öffnet den Jüngern von Emmaus die Augen. Ganz sinnenfällig müssen sie erfahren, dass der Gekreuzigte lebt, dass er ihnen das Brot bricht.

Und weil wir auch nicht besser sind als die Jünger von Emmaus, deshalb brauchen auch wir immer wieder die ganz sinnenfällige Zuwendung des Auferstandenen durch das Mahl am Tisch des Herrn. Weil auch wir nicht mehr Kraft zum Glauben haben als die Jünger von Emmaus, deshalb lädt uns Gott im Abendmahl an seinen Tisch, um uns mit seiner Gegenwart zu stärken.

Allerdings, wenn hier in der N.N.-kirche zum Abendmahl eingeladen wird, dann ist der Gottesdienst oft schlechter besucht als sonst. Von denen, die trotzdem im Gottesdienst sind, kommt nur ein Teil zum Abendmahl. Viele haben eine gewisse Scheu vor dem Abendmahl, Scheu vor zu viel Nähe zu den anderen Kirchgängern, Scheu vielleicht auch deshalb, weil das Abendmahl früher oft in einer bedrückenden und freudlosen Atmosphäre gefeiert wurde. Aus Angst vor irgendwelchen Missbräuchen haben die christlichen Kirchen über Jahrhunderte die Menschen vom Abendmahl eher abgeschreckt als dass sie dazu eingeladen haben. Und keine Sorge, wir feiern heute kein Abendmahl, obwohl es unser Predigttext nahe legt.

Aber die Geschichte von den Jüngern aus Emmaus weist uns auf die zentrale Bedeutung des Abendmahls hin: Im Abendmahl, in der Geste des gemeinsamen Essens und Trinkens ereignet sich dasselbe, was sich einst in Emmaus zwischen Jesus und den beiden Jüngern ereignete. Jesus selbst lädt uns beim Abendmahl an seinen Tisch. Daran wird bei jedem Abendmahl erinnert. Jesus ergreift die Initiative, er ist gegenwärtig als auferstandener Herr der Kirche. Er selbst vergegenwärtigt sich in den Gaben von Brot und Wein, in diesen elementaren und zugleich köstlichen Gaben aus Gottes Schöpfung. Er vergegenwärtigt sich im gemeinsamen Teilen des Brotes. Und vielleicht ist es dann gar nicht mehr so absurd zu fragen, woran Sie, woran wir Heutigen den Auferstandenen erkennen können und wo er uns begegnet. Wie die Jünger von Emmaus können auch wir im Brechen und Teilen des Brotes erkennen, dass Christus unter uns lebt und unter und in uns wirkt.

Ostern, liebe Gemeinde, Ostern ist keine einfache Botschaft. Ostern stört unsere Trägheit. Aber wenn wir uns von der Nähe des Auferstandenen stören lassen, dann können unsere Herzen brennen und wir erkennen ihn. In der Gemeinschaft des Mahles ist Christus selbst gegenwärtig. In der Gemeinschaft des Mahles werden wir von seinem Geist erneuert und gestärkt wie einst die Jünger von Emmaus. „Und es geschah als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte brach's und gab's ihnen. Da wurden ihre Augen geöffnet und sie erkannten ihn.“ – Der Herr ist auferstanden. Halleluja!

Dr. Christoph Dinkel
Pfarrer, Privatdozent
Gänsheidestraße 29
70184 Stuttgart
E-Mail: christoph.dinkel@arcor.de


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