Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Quasimodogeniti (1. Sonntag nach Ostern), 27. April 2003
Predigt über Johannes 20, 19-29, verfaßt von Jan Ulrik Dyrkjøb (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

"Da hast mir den Sack der Trauer ausgezogen und mich mit Freude gegürtet", so preist der Psalmist seinen Gott (Ps. 30,12).

Es besteht kein Grund mehr zur Klage. Es besteht Grund zur Freude, denn Gott hat eingegriffen. Gott hat gehandelt. Er hat mich vom Nichts und der Finsternis errettet. "Herr du hast mich von den Toten heraufgeholt; du hast mich am Leben erhalten". Er hat mich vom Nichts und der Finsternis errettet, er hat mir den Sack der Trauer ausgezogen und mich mit Freude gegürtet.

Für uns geschah dies am Ostertag, als wir die Botschaft von der Auferstehung hörten. Oder wir können sagen, es geschah erneut. Am Ostertag wurde uns der Sack der Trauer abgenommen und wir wurden mit Freude gegürtet.

Und nun ist das große Fest vorbei. Aber die Freude über die Auferstehung ist nicht vorbei. Wir sind noch immer mit Freude gegürtet. Denn die Osterbotschaft ist die Botschaft des Christentums schlechthin - Ostern und die ganze Osterzeit und das ganze Kirchenjahr hindurch. Christ sein heißt mit Freude gegürtet sein.

Vom ersten Ostertag an bis zum Ende der Zeiten soll die frohe Botschaft klingen. Sie soll mitten in der Trauer und der Angst erklingen, mitten in all dem Tod und der Zerstörung, der die Erde ausgesetzt ist.

"Wir haben den Herren gesehen". Das ist die Botschaft in ihrer kürzesten Form. So ergeht die Botschaft an den Apostel Thomas. Er war nicht bei den anderen Aposteln und Jüngern, als Jesus sich ihnen zum ersten Mal zeigte. Und als sie Thomas wiedersehen, erzählen sie ihm, was geschehen ist.

"Wir haben den Herrn gesehen". Einfacher kann man es nicht sagen. Und es muß gerade so einfach gesagt werden, weil es so groß und unfaßbar ist. Man kann es nicht begründen. Es gibt keine Erklärung. Niemand kann hinter dieses Ereignis zurück.

Es ist nicht eine Folge von etwas, war vorausgegangen ist. Alles fängt vielmehr hier an. Eine neue Wirklichkeit entsteht. Es ist dazu nur das zu sagen, was die Jünger dem Thomas mitteilen: "Wir haben den Herrn gesehen".

Aber wir wollen dennoch von vorn anfangen. Was ist am ersten Ostertag geschehen? Die Frauen kamen an das Grab, und der Stein war vom Grabe gewälzt, das Grab war leer.

So pflegen wir von dem zu reden, was die Frauen erlebten: Sie sahen das leere Grab.

Das ist ein gutes Beispiel dafür, daß Worte einen täuschen können. Theologen und Verkündiger haben immer wieder von diesem leeren Grab geredet.

Aber die Wahrheit ist, daß das Grab, das die Frauen am Ostermorgen sahen, alles andere als leer war. Es ist zwar richtig, daß das Grab leer war vom Tod. Aber das Grab war auch voll von Leben. Ja, die Grabhöhle, in die die Frauen am Ostermorgen hineingingen, war voll vom höchsten und stärksten Leben. Sie kamen in einem Raum, der voll war mit überirdischem Licht und Leben.

Die Frauen sahen den Toten nicht. Sie sahen nicht das, was sie erwarteten. Aber sie sahen etwas anderes! Sie sahen Engel in weißen Kleidern. Und sie hörten die Botschaft von der Auferstehung. Am stärksten wird sie vom Evangelisten Lukas wiedergegeben: "Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten? Er ist nicht hier. Er ist auferstanden."

"Den Lebendigen!" Merkwürdig: Diese eine Wort sagt alles.

Alle vier Evangelisten erzählen von dieser Erscheinung der Engel und geben die Botschaft wieder, die die Frauen hörten. Das ist eine göttliche Erscheinung und ein göttliches Wort. Das ist wirklich das, was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herzen gekommen ist.

Das ist die geheime Weisheit Gottes, die zum ersten Mal diesen Frauen offenbart wurde und die die Männer zuerst nicht glauben wollten.

Und dann sogleich am selben Abend kommt Jesus zu den Jüngern durch geschlossene Türen. Er steht mitten unter ihnen. Sie können die Wunden in seinen Händen und an seiner Seite sehen. Sie können sehen, daß es wirklich der Mensch ist, der einen furchtbaren Tod erlitt. Er ist nun lebendige Wirklichkeit. Der Tote ist "der Lebendige".

Und er wünscht ihnen seinen Frieden. Er gibt ihnen seinen Frieden. Er sagte es, ehe er starb: "Frieden lasse ich Euch, meinen Frieden gebe ich Euch". Damals war das ein Wort an die Freunde von einem Menschen, der bald sterben wird. Es war ein menschliches Wort.

Jetzt ist es ein Wort, das aus einer anderen Wirklichkeit gesprochen wird. Jesus tritt ja hier auf und wird sichtbar direkt aus der Unsichtbarkeit. Nun sind seine Worte reine göttliche Worte.

Er gibt ihnen seinen Frieden. Und er bläst seinen Lebensgeist in sie hinein. Er gibt ihnen den Heiligen Geist. Er macht sie zu seiner Kirche und seiner Gemeinde auf Erden.

Jesus erscheint nicht nur seinen Jüngern. Es geht nicht nur darum, daß sie sehen sollen, daß es wirklich Jesus ist und daß er wirklich auferstanden ist.

Es geht auch darum, daß sie teilhaben sollen an seiner Auferstehungswirklichkeit und seiner Auferstehungskraft. Die Kraft, die ihn durch die Finsternis des Todes getragen hatte. Die Kraft, die nun in ihm Gestalt und Stimme erhalten hat, die Schöpferkraft, die nun etwas ganz Neues begann, die Kraft und das Leben sollen sie nun empfangen.

Es ist eine Kraft. Es ist Wahrheit. Es ist Liebe. Es ist eine Liebe, die alles vergeben kann und die selbst die größten Sünder der Erde erneuern kann. Es ist eine Liebe, die alles wieder aufrichten kann.

Aber es ist auch eine Liebe, die dem nicht aufgezwungen werden kann, der sie nicht annehmen will. Es ist eine übermenschliche Liebe. Es ist aber auch eine verletzliche Liebe, die nur leben kann, wenn wir nach ihr reichen und sie entgegennehmen wollen.

Das ist das Wunderbare am Evangelium. Der Friede und die Gnade und die Liebe kommen zu uns als eine unwiderstehliche Kraft, durch das souveräne Handeln Gottes in und durch diesen Menschen. Da ist kein Platz für den Willen und das Eingreifen des Menschen. Und doch ist der Mensch nicht nur passiv Gegenstand des göttlichen Handelns. Der Mensch ist auch Partner.

Gottes Handeln ist souverän, aber Gott kann sein Tun nicht zuende führen, ohne daß da ein Mensch ist, der sich Gott zuwendet.

Deshalb sagt Jesus: "Welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten". Die Sündenvergebung ist nämlich immer dem versagt, der sich von der Liebe abwenden möchte.

Und nun kommt Thomas ins Bild. Er hört die Botschaft: "Wir haben den Herrn gesehen!" Aber die Botschaft genügt ihm nicht. Er will auch selbst sehen.

Und er bekommt den Auferstandenen zu sehen. Und er hat nur eine Antwort: "Mein Herr und mein Gott!" Das ist wie ein Nachklang des Bekenntnisses des alten Israel. Thomas hat wie die anderen die Worte seit seiner Kindheit gehört und gelernt: "Höre Israel! Der Herr unser Gott ist einer".

Nun gilt dieses Bekenntnis diesem auferstandenen Menschen. Denn in ihm ist die göttliche Fülle voll und ganz gegenwärtig. In ihm sehen sie das Unsichtbare selbst. Auch Thomas sieht es, und sogleich weiß er, daß die einzig mögliche Antwort Bekenntnis und Anbetung ist: "Mein Herr und mein Gott!"

Die Apostel und die Jünger sind die ersten von vielen. Sie sind die ersten Christen. Als Jesus mitten unter ihnen steht und ihnen seinen Frieden gibt und seinen Geist einbläst und ihnen die Vollmacht erteilt, die Sünden der Menschen zu vergeben, da werden sie Kirche und Gemeinde.

Aber die Kirche und die Gemeinde leben weiter, auch nachdem sie nicht mehr sind. Wir sind ihre Nachfolger als Kirche und Gemeinde und als Christen. Uns ist derselbe Friede und derselbe Geist gegeben und dieselbe Vollmacht. Auch wir haben den Geist der Wahrheit und der Liebe empfangen.

Aber Thomas hat eine ganz besondere Bedeutung für uns. Er ist unser Vorgänger in einer besonderen Weise. Thomas glaubt nicht an die Auferstehung, ehe er den Auferstandenen sieht. Und anläßlich dessen, was mit ihm geschieht, sagt Jesus: "Selig sind, die nicht sehen und doch glauben".

Das sind ja wir! Wir hören die Botschaft, aber wir sehen nicht direkt. Das Unsichtbare offenbart sich für uns nicht sichtbar, sondern im Wort, in der Erzählung, in der Taufhandlung, im Brot und Wein des Abendmahls, im Gebet im Namen Jesu.

Wir haben nicht Teil an der ersten Offenbarung. Wir haben Teil an dem Zeugnis von der Offenbarung. Was bedeutet das für unser Leben?

Drei Dinge:

Erstens daß wir eben dieses Zeugnis annehmen müssen. Wir müssen das Wort hören und uns in es vertiefen mit Verstand und Herz. Ohne das Zeugnis, das der Heilige Geist inspiriert hat, können wir nicht Christen sein.

Zweitens müssen wir betende Menschen sein und die Kirche zu einer betenden Kirche machen. Ohne das Gebet zum Auferstandenen und im Namen des Auferstandenen können wir keine Christen sein. Auch wir müssen sagen: "Mein Herr und mein Gott!"

Drittens müssen wir das Leben leben, das Jesus uns zeigt und lehrt. Wir müssen den Frieden und die Gemeinschaft und die Barmherzigkeit und die Vergebung walten lassen.

Gottes Wort hören, mit dem Herzen beten, leben, wie er uns gelehrt hat. Das eine ist nicht wichtiger als das andere. Das gehört alles dazu. Verstand und Sinn und Herz und Wille und Tun: Wir sind ganze Menschen, und es bedarf ganzer Menschen, um die Botschaft von der Auferstehung anzunehmen und zu realisieren: Daß wir das Zeugnis derer weitertragen dürfen, die in das Unsichtbare hinein gesehen haben und die Herrlichkeit selbst geschaut haben. Daß wir das in Wort und Gebet in unserem Leben tragen dürfen! Das ist eine große Freude.

"Da hast mir den Sack der Trauer ausgezogen und mich mit Freude gegürtet, daß ich dir lobsinge und nicht stille werde. Herr, mein Gott, ich will dir danken in Ewigkeit." Amen.

Pfarrer Jan Ulrik Dyrkjøb
Knud Hjortsøvej
DK-3500 Værløse
Tel.: ++ 45 - 44 48 06 04
e-mail: jukd@vaerloesesogn.dk


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