Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Quasimodogeniti (1. Sonntag nach Ostern), 27. April 2003
Predigt über Johannes 20, 19-29, verfaßt von Peter Michael Wiegandt
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

19 Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den (führenden) Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch!
20 Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, daß sie den Herrn sahen.
21 Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. 22 Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: nehmt hin den heiligen Geist!
23 Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen, und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.

24 Thomas aber, der Zwilling genannt wird, einer der Zwölf, war nich bei ihnen, als Jesus kam.
25 Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich´s nicht glauben.
26 Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen versammelt, und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch!
27 Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände und reiche deine Hand und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!28 Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott!
29 Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.

Liebe Gemeinde,

Zwillinge haben es manchmal schwer. Das war schon in der Antike so. Die griechische Götterwelt ist voll von Zwillingspaaren. Sie stehen oft für eine besondere Einheit, aber auch für schmerzliche Trennungen.

Zwillinge haben es manchmal schwer. Das fängt vermutlich nicht erst beim ersten fahrbaren Untersatz, dem Kinderwagen, an. Zwillingsschwangerschaften sind wohl meist anstrengender als gewöhnliche Umstände. Zwillingsgeburten, ungefähr 1:85, erfordern eine vermutlich größere Aufmerksamkeit der Hebammen und Ärztinnen.

Zwillinge brauchen von Beginn an alles doppelt, Nahrung, Windeln, Spielzeug und vieles mehr. Da ist die Beschaffung eines ersten fahrbaren Untersatzes, eines Kinderwagens oft noch leichter zu lösen.

Liebe Gemeinde, Internetseiten, die man heute mit Computern aufruft, sind voll von Zwillingsratgebern. Es gibt Seiten mit medizinischen und statistischen Texten, Seiten mit Verkaufshilfen, Seiten mit Bildern, Seiten auch, wo Zwillinge älter geworden sind, von Zwillingstreffen, Seiten schließlich auch mit vielen Hinweisen für die, die älter geworden sind oder für die, die Abschiede begehen müssen. Zwillinge sind, so scheint es, ein eigener Markt.

Zwillinge haben es manchmal schwer. Auf einigen universitären Seiten zur Entwicklung von Zwillingen heißt es: Vom nominalen Dual. Das ist ein Fremdwort der Psychologen, aber das bedeutet nur, daß Zwillinge in einer kurzen Zeit ihrer sprachlichen Entwicklung für eine Sache oder eine Person einzelne Worte gebrauchen können, die auch zwei Gegenstände oder zwei Personen in einem einzigen Wort zusammenfassen. So kann zum Beispiel der Name Enna eine Zeitlang eine Person, eine oder einen von beiden, aber auch deren zwei bedeuten.

Zwillinge haben es manchmal schwer. Es ist nicht nur der erste fahrbare Untersatz, ein Kinderwagen.

Liebe Gemeinde, als Predigttext haben wir an diesem Sonntag mit dem Namen Quasimodogeniti, übersetzt: Wie die neugeborenen Kinder, von Jesus und der Sendung der Jünger gehört. Es gibt vermutlich nur wenige biblische Texte, in denen der Friedensgruß, der uns in diesen Tagen beschäftigt, so oft genannt ist, und in dem so viele Ausrufezeichen, wie hier, aufgeführt sind.

Auch wenn das Haus verschlossene Türen hat, wie es der Evangelist Johannes, nach dem Text der Guten Nachricht: aus Furcht vor den führenden Juden begründet, es ist Leben in dieser Bude. So war das wohl am Anfang, eine Woche nach Gottes unbegreiflichen Eingreifen, als der Auferstandene, der Herr der Maria, dem Petrus, dem Lieblingsjünger und den anderen begegnete.

Nur ein Jünger fehlt beim ersten Treffen, und die Fortsetzung von diesem Jünger, wie es immer wieder heißt, dem ungläubigen oder zweifelnden Thomas, der sprichwörtlich wurde, ist vermutlich immer wieder erzählt worden..

Eine Woche nach Ostern, nach dem Besuch der Maria und der ersten Jünger am leeren Grab, sitzen die Freunde Jesu in einem Haus mit verschlossenen Türen, als ihnen der Auferstandene erscheint, nur: Thomas fehlt und zweifelt. Er will Handfestes. Es vergeht nur eine Woche, bis Jesus nochmals im Haus mit verschlossenen Türen und damit auch ihm erscheint

Liebe Gemeinde, der Name Thomas bedeutet im Hebräischen oder Aramäischen, der Sprache Jesu, Zwilling. So, wie es der Evangelist Johannes, der vermutlich die Weltsprache der damaligen Zeit, das Griechische, benutzt, erläuternd, eigentlich überflüssig, Thomas, genannt der Zwilling, hinzufügt, handelt es sich bei diesem Jünger um eben einen solchen Menschen, um einen Zwilling.

Was mit seinem Bruder, wenn es eineiige Zwillinge waren, oder, wenn es ein zweeiiges Paar war, mit seinem Bruder oder seiner Schwester, geschah, ist nicht überliefert. Auch ist nicht bekannt, warum dieser Thomas beim ersten Zusammentreffen des Auferstandenen mit den Jüngern nicht anwesend war.

Aber die Feststellung, daß Zwillinge es manchmal schwer haben, das trifft auf diese Gestalt zu.

Liebe Gemeinde, nicht nur hier, am Ende der Geschichten von den Worten und Taten Jesu Christi, wird dieser Jünger aus der Gruppe der Zwölf mit Namen besonders herausgehoben. Schon vorher, in der Mitte des Evangeliums, bekommt Thomas, genannt der Zwilling, besondere Unterweisung und Belehrung.

Thomas begegnet, wie es der Evangelist Johannes im 11. Kapitel berichtet, in der Gruppe der Zwölf mit Jesus Maria und Marta, die sich um Lazarus sorgen, der gestorben sein soll, und dem Jesus Gottes auferweckendes Tun zeigen wird. "Laßt uns mit ihm gehen, daß wir mit ihm sterben!", ruft Thomas den anderen Jüngern am Ende einer ersten Diskussion zu (Johannes 11,16).

Ein zweites Mal fällt Thomas wieder Jesus in den Gesprächen, diesesmal in den sogenannten Abschiedreden, mit einer Frage ins Wort, die der Auferstandene grundsätzlich beantwortet: "Spricht zu ihm Thomas: Herr, wir wissen nicht, wo du hingehst; wie können wir den Weg wissen? Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich." Und es heißt weiter: "Wenn ihr mich erkannt habt, so werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Und von nun an kennt ihr ihn und habt ihn gesehen." (Johannes 14,5-7). Thomas, der Zwilling, der Zweifler. Ein anderer Jünger setzt das Gespräch mit weiteren Fragen fort. Thomas schweigt.

Liebe Gemeinde, wer der Zwillingsbruder oder die Schwester des Thomas war, wissen wir nicht. Warum Thomas, einer der Zwölf, bei der ersten Begegnung mit dem Auferstandenen fehlt, bleibt in unseren biblischen Berichten offen. Später aber galt dieser Thomas als einer der Gründer der Kirche in Syrien. Ein den meisten unbekanntes Thomasevangelium, in dem Jesusworte der drei ersten Evangelisten, aber auch anderes Spruchgut gesammelt ist, wird unter seinem, noch einmal erweiterten Namen veröffentlicht, und es wird eröffnet wohl mit einem Lernerfolg des zweifelnden Zwillings: "Dies sind die geheimen Worte, die Jesus der Lebendige gesprochen und Didymus Judas Thomas niedergeschrieben hat. 1. Und er sagte: Wer die Auslegung dieser Worte findet, der wird den Tod nicht schmecken".

Liebe Gemeinde, Thomas, hier mit einem weiteren, zweiten, vielleicht ursprünglichen Namen, wurde zu einer Autorität der ersten Christenheit.

Der zweifelnde Jünger spricht heute in vielfacher Weise, ob in der dunklen Überlieferungsgeschichte des ihm zugeschriebenen Evangeliums oder in den sogenannten Thomasmessen, in denen Fragende, Zweifelnde, gleich, ob Zwillinge oder andere Menschenkinder, Frauen oder Männer, Arme oder Reiche, Gott suchen und wohl auch finden können.

Liebe Gemeinde, Zwillinge haben es manchmal schwer. In die Entwicklung der Zwillinge gehört, so die Psychologen, der nominale Dual. Ein und dassselbe Wort kann eine Zeit lang auch zwei Sachen oder Personen bezeichnen.

Tod und Leben, Zweifel und Zuversicht, Angst und Mut, Sehen und Glauben mit einem einzigen Begriff zu beschreiben, das aber ist Teil der vielen verschiedenen Osterberichte.

Gläubig zu sein, wie es die Luther Übersetzung unserer Stelle formuliert, kann ein andere ausschließendes Vorgehen sein.

Praktisch gleichzeitig das Verschiedene zusammenzusehen, das ist existentielles Handeln, Ort der Gotterkenntnis, Bekenntnis, wie es viele der Osterberichte ausmacht. Wie Rudolf Otto es ausdrückte, gehören das Faszinosum und das Tremendum, das Anziehende und das Erschreckende, zusammen.

Ich denke, die drei Geschichten von Thomas, der Zwilling gennant wurde, zeigen, wie sehr der Zweifel zum Glauben dazugehört, wie aber das Bekenntnis auch persönliche, existentielle Angelegenheit ist.

Bei aller Auseinandersetzung und Streit, die der Evangelist Johannes mit der Vergebung der Sünden in diesem Kapitel gegenüber den Jüngern anspricht, die den Auftrag der Versöhnung zugesprochen bekommen, und die Beschäftigung mit dem Tod und seiner Überwindung, die in unserem Kapitel der ersten Auferstehungszeugen angesprochen wird, ist Thomas, der Zwilling genannt wurde, vermutlich eine helfende Gestalt.

Manchmal haben es Zwillinge schwer, aber sie können damit anderen Menschenkindern Hilfe geben. Ich denke, Thomas, der Zwilling genannt wurde, gehört dazu. Amen.

Peter Michael Wiegandt
Pastor
Baumhofsweg 14
D-31162 Bad Salzdetfurth
E-Mail: pmwiegandt@t-online.de


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