Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Miserikordias Domini (2. Sonntag nach Ostern), 4. Mai 2003
Predigt über Johannes 10, 11-16, verfaßt von Friedrich Seven
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11 Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte läßt sein Leben für die Schafe. 12 Der Mietling aber, der nicht Hirte ist, des die Schafe nicht eigen sind, sieht den Wolf kommen und verläßt die Schafe und flieht - und der Wolf erhascht und zerstreut die Schafe- 13 denn er ist ein Mietling und kümmert sich nicht um die Schafe. 14 Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich, 15 wie mich mein Vater kennt, und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe. 16 Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muß ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden.

Hirten, liebe Gemeinde,
kennen wir inzwischen auch auf den Dörfern eher vom Krippenspiel oder vielleicht aus dem Urlaub. Zwar erleben wir in den Dörfern noch, daß Schafherden hindurch getrieben werden und den Verkehr aufhalten, aber der, der sie treibt, den würden wir kaum einen Hirten nennen. Ist er doch wahrscheinlich einer von denen, die vor Jahren mit mehreren aufs Land gezogen sind und sich an einem Jugendtraum abarbeiten, den im Dorf schon keiner mehr recht träumen wollte.

Wer einmal durch die Heide oder bis an die Nordseeküste gefahren ist, der kann freilich noch große Schafherden sehen, aber die mit Handy und Kleintransporter ausgerüsteten Schäfer, die uns viel von den Tieren, mehr aber noch über Schafhaltung und landwirtschaftliche Kalkulation erzählen können, fügen sich kaum noch in unser sehnsüchtiges Bild vom Hirten.

Diese Bild stammt mehr aus Erzählungen, aus Geschichten, Liedern und aus der Weihnachtsgeschichte, als daß es mit unseren wirklichen Erfahrungen noch zusammenhinge. Nur aus einer ziemlichen Ferne, etwa beim Blick aus dem Autofenster im Vorbeifahren auf der Landstraße gelingt es uns vielleicht, die Gestalten, die wir bei den großen Herden zur Linken oder zur Rechten erkennen können, für Hirten zu halten- so wie wir sie uns vorstellen und wünschen. Aus der Nähe betrachtet, verlieren diese Hirten und ihre Herde schnell ihre Beschaulichkeit.

Selten nämlich kann solch ein Hirte nur der traute Geselle sein, dem die Tiere willig folgen und der Tag und Nacht bei ihnen wacht. Inzwischen wachen andere über beide, über Mensch und Tier, in Ämtern und höheren Hausern. Und bis tief in die Nacht wird so mancher Hirte über Unbezahltem und Unbezahlbarem wach bleiben und sich fürchten vor der Stunde des Wolfs.

Bei der Wache über die Tiere helfen ihm Hunde, Hunde übrigens, auf die Kinder besser nicht zugehen. Immer ist der Hirte auch der, der auswählt unter den Tieren- ist ein Mann über Leben und Tod seiner Tiere. Gut freilich erinnere ich mich noch an Grausamkeiten, mit denen die Herdentiere schnell von den Halbwüchsigen unter uns zusammengetrieben wurden, wenn wir meinten, dem Schäfer helfen zu müssen.

Schäfer, Sennen, Hirten, sie leben mit ihren Tieren einen harten Beruf in einer anscheinend immer noch härter werdenden Zeit. Keiner wird es ihnen verdenken können, wenn auch sie sich mit dem Gedanken tragen, ihren Hirtenhut an den Nagel zu hängen.

Vielleicht aber sind es gerade die romantischen Bilder in uns, die Philosophen dazu verleitet haben, den Menschen „einen Hirten des Seins“ zu nennen, und damit zu behaupten, der Mensch könne selbst das Leben in seine Hut nehmen. Da ist es gar nicht verwunderlich, wenn vor nicht allzu langer Zeit ein Philosoph sogar meinte, diesen Hirten in einen Menschenpark setzen zu können, um hier auch Menschen zu züchten. In der Tat kann die Zucht von Tieren auch zu den Aufgaben eines Hirten gehören.

Welchem Hirten aber kann sich da der Einzelne anvertrauen, wenn Menschen sich dem Menschen gegenüber solche Aufgaben anmaßen? „Ich bin der gute Hirte“, was wie eine schnelle überhebliche Antwort klingt, erklärt dieser Hirte aber sogleich: “Der gute Hirte läßt sein Leben für die Schafe.“ Er selbst wird auch das Lamm sein, das zur Schlachtbank geführt wird.

Dieser Hirte, den wir nicht suchen müssen, sondern der sich uns vorstellt und in dem wir Jesus von Nazareth, den Sohn Gottes, erkennen können, will nicht über Leben und Tod entscheiden, sondern seinLeben für uns geben. Er hat sich keine Menschen herangezogen, die ihm genehm sein konnten. Wer ihm wirklich folgen wollte, der ließ alles stehen und liegen und folgte ihm nach. Dann hat sich der Hirte in die Hände derer begeben, denen er selber nicht genehm war, und dahin mochte und konnte ihm auch von seine Freunden keiner mehr folgen.

Denen, die ihn in seinem Sterben allein ließen, hat er die Treue gehalten und wird sie heimführen zu seinem Vater und ihrem Herrn. Er hat es nicht für Lohn getan, wer von uns hätte ihn auchfür sein Leib und Leben entlohnen können; und für Gotteslohn hätte der Gottessohn nicht dienen müssen. Uns ganz allein wollte er dienen. Wer möchte da nicht zu seiner Herde gehören. Doch er kennt seine Schafe.

Es genügt nicht, sich zu seiner Herde zu halten und geduldig und heimlich mitzutrotten. Nur wer seinen Ruf hört und seinem Wort folgt, der gehört auch zu ihm und folgt ihm nach.

Sein Ruf ergeht immer wieder und klingt weit über die Hürden hinaus. Die Hürden sollen uns nicht trennen von den anderen draußen, sondern uns sehen und spüren lassen, bis wohin wir gekommen sind und worüber hinaus er uns noch führen mag.

Auch ich soll ihm folgen, auf seine Stimme warten, bis ich sie heraushöre aus all den Stimmen, die auf mich einreden und mir einflüstern wollen, wohin die Reise schon lange gehen könnte und wohin sie ohne sie schon lange gegangen wäre. Stimmen die mir so lange in den Ohren liegen, bis ich daran glaube, daß ich ohne sie schon ganz von gestern wäre, mit ihnen jedoch das morgen endlich erreichte.

Aber die freundliche Stimme meines guten Hirten erkenne ich wohl, so wie er mich in der Herde erkennt hat und gerade zu mir spricht: „Ich bin der gute Hirte“. Auf diesen Augenblick warte ich und vertraue meinem guten Hirten.

Dr. Friedrich Seven
Im Winkel 6
37412 Scharzfeld
Tel: 05521/2429
E-Mail: friedrichseven@compuserve.de

 


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