Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

3. Sonntag nach Trinitatis, 6. Juli 2003
Predigt über Lukas 15, 8-10, verfaßt von Christian Tegtmeier
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

„Wiederfinden bereitet überschwängliche Freude!“

so könnte ich heute die frohe Botschaft benennen oder noch einmal klassisch, in Worten von Paul Gerhard:

„Laß mich mit Freuden ohn alles Neiden
sehen den Segen, den du wirst legen
in meines Bruders und Nähesten Haus.“

Um diese Freude und um einen glücklichen Menschen soll es gehen - eigentlich eine ganz selbstverständliche Sache, die Jesus da berichtet und für unseren Glauben auslegt. Dabei hat das jeder schon einmal erlebt: da habe ich einen Schlüssel oder die Geldbörse oder gar die Brille so gut verlegt, dass ich suchen mag, solange ich will – sie lässt sich nicht finden. So wie die Frau, die einen Dukaten vermisst und ihn nun sucht und dabei alles durch und aus kramt: alle Schränke und Kommoden, alle Schubladen und Borde; sie nimmt Licht, Besen und Stangen zu Hilfe um irgendwo diesen einen Dukaten wieder zu finden, der ihr verloren gegangen ist. Sie bedenkt alle Möglichkeiten, schaut in jeden Winkel und bleibt solange beharrlich bei ihrer Suche, bis sie ihn, den verschwundenen Dukaten endlich entdeckt hat. Darüber ist sie glücklich: nämlich dass ihr Suchen erfolgreich war, dass sie nicht vergeblich und umsonst alles um und um geräumt hat. Dieses Glück und diese Freude möchte sie nicht allein für sich behalten, sondern teilen: Sie feiert diesen guten Ausgang der Suche und lädt die ein, die sie kennt, ihre Freundinnen und Nachbarn. Und alle kommen und freuen sich mit ihr.

Warum erzählt uns Jesus diese Geschichte? Damit wir uns freuen sollen mit der Frau über ihren Fund, über die gelungene Suche? Gewiß – das mag stimmen und richtig sein. Wir sollen nicht mit Neid und Missgunst das Glück und Wohlergehen des anderen mit ansehen, sondern es ihm gönnen, wenn er glücklich ist und seine Freude alles umgibt und durchströmt, worin er lebt. Eben getreu den Worten Paul Gerhards, die ich bereits oben genannt habe.

Mag sein, dass da beide richtig gesehen haben, Jesus ebenso wie Jahrhunderte später Paul Gerhard, dass sie die Menschen kannten, die so oft und gern des anderen Glück mit neidvollen Augen betrachten, das Leben anklagen, und ihr eigenes Glück nicht suchen und finden wollen. Eher bleiben sie unzufriedene Menschen und Bürger, so dass andere unter ihrer Missgunst leiden. Mag sein, dass diese Geschichte überliefert wird, um den Neidern und Missgönnern Mores zu lehren. Doch wollen die sich auch ändern und gütige Menschen werden?

„Wiederfinden bereitet überschwängliche Freude!“

Die Geschichte ist ein Gleichnis, es erzählt mit einfachen, leicht verständlichen Worten wie Gott sich freut über jeden, der umkehrt, der Buße tut und sein bisheriges Leben ändert! – Nun bekommt die Botschaft schon eine andere Wendung. Sollte Gott etwa einen besonderen Grund haben, sich zu freuen? Sollte er sich nicht vielmehr darüber freuen, dass es einige Berufschristen gibt und die breite Masse ihn in Frieden lässt? Wer so denkt und spricht, der kennt Gott nicht, der hat Gott nicht bei sich und in seiner Welt. Gott freut sich über die, die umkehren, die ein neues Leben mit ihm beginnen wollen.

Gott freut sich einen Menschen, der neu anfängt wie jemand, der einen Schiffbrüchigen in letzter Sekunde vor dem Ertrinken gerettet hat; wie jemand, der einen Schwerkranken vom Krankenlager wieder auf die Beine bringt, ihm zur Gesundheit verhilft. Da wird ja auch ein neuer Anfang gemacht, Leben neu geschenkt, kann die Freude darüber mit anderen geteilt werden. Ich denke, liebe Gemeinde, so ist dieses Gleichnis auch zu lesen und zu verstehen.

Gott sucht den Menschen, der verloren geht: auf seinem Lebensweg, bei Krankheit oder in Zweifeln, in Not oder Sorgen. Er sucht sie, geht ihnen nach, möchte sie aus all ihren Sackgassen zurückbringen ins Leben auf gute Wege, die zum Menschen führen, leben und glücklich bleiben lassen. So wie ein Hirte, der einem verlorenen Schaf nachgeht; so wie die Frau, die ihren verlorenen Dukaten sucht und keine Mühe scheut, bis sie ihn endlich gefunden und in Sicherheit gebracht hat. So geht Gott dem Menschen nach. So möchte er ihn vor schlimmerem Schaden bewahren, ihn im Guten leben lassen. Ob das die Menschen immer so mitbekommen? Und ob so das wollen?

Manchmal habe ich da meine Zweifel, denn viele Menschen sagen, dass sie auch ohne direkten Bezug zu Gott, auch ohne ein für sie sichtbares und erlebbares Band gut leben können – bis zu dem Tag, wo alle anderen Stricke reißen. Wenn sie selbst mit ihrem Latein am Ende sind, dann suchen und rufen sie nach ihm und wundern sich, dass er nicht gleich kommt, dass sie nicht gleich befriedigt werden. Sich selbst zu erlösen, sich selbst glücklich zu machen, das entspricht ihrem Denken und Wollen. Sich selbst aus eigenen Kräften zu entschulden und von allen Fehlern zu befreien – als wenn das so ohne weiteres ginge und zum Erfolg führte. Mit ist bisher noch niemand begegnet, dem dieses geglückt ist, der sich als Verlorener selbst wieder gefunden hat. Menschen, die das versuchen sind irgendwo immer unglücklich und traurig über ihre Erfolglosigkeit und Dummheit.

Um es noch einmal nach alledem auf den Punkt zu bringen:

*Gott bringt zurück, was verloren gegangen ist:

Er möchte es zurückbringen ins Leben. Das erlebe und erfahre ich da, wo ich aus vollem Herzen mit offenen Augen und Ohren Vertrauen schenke, Gott glaube. Erst da und nur da gelingt, was das Gleichnis erzählt:

Wiederfinden bereitet überschwängliche Freude.

*Gott macht mich frei von der Hypothek des Misserfolges und der Schuld.

Ich kann mich selbst ein Leben lang abstrampeln und suchen, wie ich die Loch, die Lücke, das Defizit eben das verlorenen Gut wieder finden und zurückbekommen kann. Es wird mit menschenmöglichen Mitteln immer ein unerreichbares Ziel bleiben, keine Erfüllung geben und kein neuer Anfang sein. Wo jedoch Gott das Verlorenen in die Ausgangsposition des Lebens bringt, da darf ich hoffen. Mit anderen Worten: wo Menschen aus welchen Gründen auch immer mit und in ihrem Leben gescheitert sind, müssen sie mit dem Schatten ihrer Biographie leben. Gott befreit sie, wenn sie umkehren, wenn sie sich auf ihn einlassen. Er befreit sie zu einem neuen, erfolgreichen Start ohne Schatten aber mit dem Wissen, dass alles Wiedergefundene eine wunderbare Freude bereitet.

Nichts anderes tut Jesus: er will das Verlorenen zu seinem Vater zurückbringen. Und nicht anderes tun die Jünger nach ihm bis heute:

Zu lehren, wie der Mensch in der Ferne und Fremde sich zu Gott wendet und damit zugleich sich selbst, sein Glück und seinen Frieden wieder findet.

Zu warnen vor dem verlockenden Gedanken, ich wäre meine eigenen Glückes Schmied und könnte mich in allem selbst befriedigen und selbst erlösen. Das ist ein frommer Irrtum und ein unsinniges kostspieliges Unterfangen. Mein Erlöser bleibt mein Herr, mein Heiland.

Gott möchte mich wieder finden als verlorenen Teil seiner Schöpfung, darüber darf und soll und kann ich glücklich sein. Diese Freude teilt er mit mir und ich darf die mit anderen teilen, die ebenso glauben.

Christian Tegtmeier
Pfarrer in Kirchberg/Seesen
E-Mail: gabriele.tegtmeier@t-online.de



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