Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

5. Sonntag nach Trinitatis, 20. Juli 2003
Predigt über Lukas 5, 1-11, verfaßt von Jürgen Ziemer
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Liebe Gemeinde!

Das ist eine wunderbare Geschichte. In ihrer Mitte steht Jesus, der hier schon etwas ausstrahlt von der Aura des Göttlichen, des Kyrios Jesus Christus. Die Bilder dieser Erzählung setzen in vielen von uns Empfindungen des Staunens, der Freude, des Glücks frei. Fast ein Urlaubsposter: der See, das Ufer, die Menge erwartungsvoller Menschen, Fischerkähne, in einem von ihnen Jesus predigend, unter den Zuhörern eine Gruppe von Fischern um Petrus. Später: ein überaus erfolgreicher Fischzug, der die Netze bis zum Zerreißen füllt, und dann der Entschluss der Fischer, sich Jesus anzuschließen, bedingungslos in seine Nachfolge zu treten, ein missionarischer Aufbruch. Alles in allem: ein überaus erfolgreicher Tag.

Der Text scheint so richtig zu passen an den Schluß einer intensiven Arbeitsperiode, eines langen Schuljahres, eines kräftezehrenden Semesters: wenn Prüfungen geschafft, Projekte vorangebracht, Aufträge erfüllt worden sind. Volle Netze, wer wird sich da nicht freuen dürfen.

Freilich kann eine solche Geschichte mit ihren prachtvollen Bildern auch ganz andere Gefühle aufrufen. Es kommt eben darauf an, wer sie hört und in welcher seelischen Verfassung sie sich befindet. Wer das „umsonst“ des Petrus hautnah erfahren musste, wer Nächte hindurch geschuftet hat, um am Ende eine bittere Enttäuschung zu erleben, wer monatelang vergeblich Bewerbungen zu Papier gebracht oder Projektanträge ohne Erfolg formuliert hat, wer mit allem Einsatz eine Krankheit niederzukämpfen versucht hat, aber dennoch das Scheitern spüren muss - der wird zu diesem Text eher auf Distanz gehen: eine schöne Geschichte, aber auch eine Geschichte für mich?

Es ist eben nicht egal, in welch einer Situation mich eine biblische Geschichte erreicht. Je nach dem werden bei mir spontane Zustimmung oder Widerstand verstärkt.

Gerade wenn es um ziemlich alltägliche Dinge geht. Und um die geht es hier im Lukasevangelium. Genauer: Es wird ein Thema angerührt, das in Kirche und Theologie nahezu Tabu ist: es geht um die Arbeit und dabei vor allem um deren Erfolg. Das überlassen wir doch lieber Sportlern, Ökonomen, Künstlern und Politikern. Aber ist es wirklich nicht unser, mein, Ihr Thema? Und wie ist das eigentlich bei Jesus mit dem Erfolg? Die Geschichte vom wunderbaren Fischzug des Petrus gibt uns manchen Fingerzeig im Umgang mit einem sehr menschlichen Thema.

Erfolg tut not. Wer etwas tut, will dass es erfolgreich sei. Das ist menschlich. Und Jesus lässt da keinen Zweifel. Erfolg darf mit Fug und Recht erhofft und erwartet werden. Besonders uns Protestanten freilich erscheint der Erfolg schnell suspekt. Rücksichtsloser Ellenbogengebrauch und widerliches Protzertum tauchen beim Stichwort „Erfolg“ sogleich vor unserem geistigen Auge auf. In unserer Geschichte dagegen wird ganz nüchtern und vorurteilsfrei über den Erfolg gesprochen. Es beginnt mit der Predigt Jesu. Das Ufer ist voll von Menschen, die diesen sonderbaren Wanderprediger aus Nazareth hören wollen.

Wenn das keine Erfolg ist! Und Jesus nimmt an. Er entschuldigt sich nicht, etwa nach dem Motto: ich wollte eigentlich nur eine kleine Gruppe versammeln und kein großes Aufsehen erregen. Nein, er stellt sich auf den Erfolg ein und sorgt erst einmal dafür, dass sich angesichts der großen Zuhörerschaft die Kommunikationsbedingungen verbessern. Er steigt in eins der Fischerboote und bittet Petrus, ein wenig hinaus zu rudern, damit alle ihn hören und sehen können. Jesus will den Erfolg auch sichern. Was er zu sagen hat, seine Botschaft vom kommenden Gottesreich – das soll nicht ungehört verrauschen. Es dürfen getrost noch mehr werden unter den Hörerinnen und Hörern Jesu. Auch heute, unsere Kirchen sind darauf angelegt!

Nach dem Ufergottesdienst folgt dann gleich eine zweite Erfolgsgeschichte: der große Fischzug. Auch Petrus und seine Fischerkollegen sehnen sich nach Erfolg. „Fahre hinaus“ fordert Jesus ihn auf. Arbeit muß etwas bringen. Und Petrus hatte noch nichts gefangen. Er zweifelt. Das ist es ja, alle Anläufe haben nichts gebracht. Die Nacht war verstrichen, Stunde um Stunde ohne jeglichen Erfolg. Rezession auf der ganzen Linie. Man kennt das: nichts gefangen, nichts verdient, wer weiß wie es weitergeht.

Jesus setzt da auf Beharrlichkeit – „Nachhaltigkeit“ heißt das entsprechende Modewort! – und auf Vertrauen. Petrus hört auf Jesus und überwindet den eigenen Pessimismus: „aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen.“

Wie oft täte auch uns das gut, wenn jemand da wäre, der Mut machte und sich von der depressiven Stimmung nicht anstecken liesse. Das Wunder geschieht, es wird wider alles Erwarten ein großer Fang. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Auch bei Jesus gibt es kein Erfolgsmanagment mit Garantieanspruch. Aber es wird deutlich: Erfolg ist bei Jesus nicht tabu. Im Umkreis Jesu darf mit Erfolg gerechnet und auf Erfolg hin gearbeitet werden. Man darf sich über Erfolge freuen und man darf über Misserfolge enttäuscht sein.

Freilich, auch das muß gesagt werden: In der Perspektive des christlichen Glaubens wird „Erfolg“ neu verstanden und anders, realistischer bewertet; denn Erfolg ist immer auch Gnade. Das begreift Petrus sofort. Und er steht hier für alle, die gerade in der Stunde ihres Erfolges, wie man so sagt: auf dem Teppich bleiben. Ja Petrus gerät in tiefes Erschrecken angesichts des ihn völlig überwältigenden Erfolges auf dem See Genezareth.

„ Als das Simon Petrus sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir; denn ich bin ein sündiger Mensch.“

Es wird ihm deutlich, wer der ist, der ihn auf den Fischzug geschickt hat, und wer er selbst ist: ich bin ein „sündiger Mensch“. Es geht gar nicht darum, dass Petrus irgendetwas ganz besonders Schlimmes getan hätte. Er könnte vielleicht auch gesagt haben: ich bin ein Mensch, ich habe doch Fehler, Grenzen, meine Möglichkeiten sind bescheiden. Vor Jesus wird das deutlich.

Ich kann es ganz gut nachempfinden, wie es Petrus hier geht. Im Augenblick eines Erfolges geht einem mit einem Male auf: Wer bin ich eigentlich? Was steht mir wirklich zu? Wem habe ich zu verdanken, was mir an Erfolg widerfahren ist?

Bei großen Siegerehrungen und Preisverleihungen hat man manchmal den Eindruck, dass so etwas sich für einen Moment unter die Tränen der Freude und die Sprachlosigkeit mischt. Meist währt das nicht lange und man ist dann schnell wieder auf der Woge des Stolzes und der Selbstüberhebung.

Das ist etwas, was der „gewöhnliche Kapitalismus“ mit sich bringt: dieses unentwegte Sammeln und Darstellen der eigenen Erfolge. Alles allein hingekriegt! Man darf nicht nicht erfolgreich sein. Wer es dennoch ist, hat Pech gehabt, oder hat noch nicht recht begriffen, wie man sich richtig verkauft.

Gegenüber solch einer Einstellung rückt der Text einiges zurecht. Erfolg ja, aber darüber sollen wir nicht vergessen, wer wir sind: „Ich bin ein sündiger Mensch.“ Und das heißt ich bin angewiesen. Was mir gelingt, ist mir gegeben. Und ich darf gerade darüber glücklich sein: „Fürchte dich nicht“ sagt Jesus zu Petrus.

Ich bin davon überzeugt: das Leben in unserer Gesellschaft, in unseren Institutionen, nicht zuletzt auch in den Kirchen gewönne an menschlichem Profil, wenn wir jeder für uns deutlicher realisierten: Erfolg ist nicht meine Leistung allein, Erfolg ist auch Gnade: mein gutes Zeugnis, mein Karrieresprung, mein positives Feedback. Ich kann auf den Selbstprotz (auch auf den unter Christen zuweilen eher verdeckten) getrost verzichten.

Und noch etwas muss im Blick auf den Erfolg bedacht werden. Der Erfolg, den ihre Arbeit und ihr Vertrauen den Fischern einbrachte, war überwältigend. Aber damit wird der Großerfolg nicht zur Regel erklärt. Die Geschichte bei Lukas steht nicht isoliert. Wir wissen, da ist auch die andere Seite. Nach dem großen Predigterlebnis am See blieben die Massen nicht bei Jesus, nur wenig später, im Garten Gethsemane, war er allein. Das eine wie das andere gehört zur Geschichte Jesu. Und Petrus? Jesus befestigt den Erfolg zunächst noch: Er bevollmächtigt den Fischer und seine Freunde zu weit Größerem: „Von nun an sollst du Menschen fangen“. Das Werk der christlichen Mission ist in Gang gebracht. Aber die Netze waren und sind keineswegs immer voll. Menschen gewinnen, das ist mehr als ein einfacher Abfischungsvorgang. Es ist mühevoll und schwer, es fordert viel Einfühlungsvermögen und Kreativität, und manchmal taucht die Frage auf: lohnt es noch? Gerade deshalb ist es wichtig ein Drittes heute zu begreifen: Erfolg gibt es niemals total, es gibt ihn immer nur in der Begrenzung. Das sich immer wieder vor Augen zu halten, bewahrt vor Enttäuschung und Schlimmerem. Es bewahrt uns vor dauernder Selbstunzufriedenheit und ständiger Larmoyanz. Und es bewahrt uns vor Selbstüberschätzung, als wäre ich der liebe Gott persönlich mit ungeahnten Möglichkeiten. Erst wenn ich begriffen habe, dass es Erfolg nur in der Begrenzung gibt, kann ich mich über die wirklichen Erfolge freuen: auch über die Prüfung jenseits der 1,0, auch über den Gottesdienstbesuch, der viele Bankreihen frei lässt. Erfolg gibt es nur in der Begrenzung. Erfolg steht neben Nichterfolg. Das ist so, auch wenn ich das Beste will und alle meine Kräfte angespannt habe.

Das Thema Erfolg gewinnt noch einmal besondere Brisanz, wenn wir uns das Datum dieses Sonntags vergegenwärtigen: 20.Juli. War die Auflehnung einiger mutiger Menschen heute vor 59 Jahren gegen die Diktatur Hitlers ein „Erfolg“? Darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Aber nachdenkenswert bleibt, was Dietrich Bonhoeffer, einen Tag nach dem Attentatsversuch, in einem Brief über die Nachfolge als Leben im Diesseitigen schreibt, dass sie gerade im Annehmen der Armut und Begrenzheit bestehe, und dass Glaube sich darin zeige, „in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge und Misserfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten (zu) leben“. So können wir handeln und zugleich bezeugen, dass wir dem zugehören, dem wir Alles und nicht zuletzt unsere Erfolge verdanken.

Amen.

Verwendete Literatur:
M.Josuttis: Der Erfolg, in: ders.: Der Traum des Theologen, Göttingen 1988, 80-93: Predigtmeditationen von H.-W.Pietz (GPM/ PTh 92, 2003, 355-360) und D.Beese/W.Koeppen (Predigtstudien I/2, 2003, 79-85)

Prof. Dr. Jürgen Ziemer, Leipzig
E-Mail: ziemer@rz.uni-leipzig.de

 

 


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