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8. Sonntag
nach Trinitatis, 10. August 2003
Predigt über Matthäus 5, 13-16, verfaßt von Hans Joachim Schliep (-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de) |
„Jesus sprach zu seinen Jüngern: Seit etwa 40 Jahren begleiten mich Verse aus dem >Tutzinger Gedichtkreis< von Marie Luise Kaschnitz. Sie haben mir in dunklen Stunden immer wieder Mut gemacht, mich neu dem Evangelium von Jesus Christus, seinem Zuspruch und Anspruch zu stellen, so gut ich es vermag. Marie Luise Kaschnitz hat den >Tutzinger Gedichtkreis< um 1955 herum geschrieben, noch ganz unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs, des Erschreckens über die Judenvernichtung, die ersten Atombombenexplosionen und den >Kalten Krieg< mit seiner Ost-West-Teilung. Wie für so viele andere waren dieses auch für sie - eine sensible Christin, die noch im Rahmen einer bildungs-bürgerlichen Welt aufgewachsen war - erschütternde, verstörende Erfahrungen: Hat Gott sich ganz und gar zurückgezogen aus dieser Welt, beharrlich schweigend bis in alle Ewigkeit? Bleibt die Welt nun ganz dem Menschen, seiner Haltlosigkeit und seiner Zerstörungswut überlassen? Das Gedicht liest sich wie ein Psalm. Gott wird darin unmittelbar angesprochen. Ich lese einige Passagen aus den Schlußstrophen: ....... Du wirst dich uns nicht mehr begreiflich machen, Niemand wird mehr mit seiner Hand berühren Und dennoch wirst du fordern, daß wir Dich Verlangen wirst Du, daß wir, die Lieblosen dieser Erde, Aber jeder wird wissen: dies ist Dein letztes Geheimnis. Und einige wirst Du bisweilen beweglich machen, „ Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt.“ Was heißt das in einer Zeit, in der die Welt immer unbegreifbarer wird und auch Gott sich nicht mehr begreifbar macht? "Niemand wird mehr mit seiner Hand berühren / Die Wunden Deines alten Opfergangs..." Wer erinnert sich noch an den zweifelnden Jünger Thomas, der die Wundmale des Gekreuzigten berühren durfte, als der ihm als Auferstandener begegnete? „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“ zu sein - was heißt das in einer Gesellschaft, in der die Kirchen zwar alle Freiheit genießen, ein Kursverfall des Christlichen aber unverkennbar ist? Wie sollen gerade die Kirchen „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“ sein, die von vielen Menschen für unerleuchtet und fade gehalten werden, die in den Augen vieler ein „Bodenpersonal Gottes“ beschäftigen, das mehr irdischen Qualm als himmlischen Glanz verbreitet, und die auch nach dem Ökumenischen Kirchentag in Berlin außerstande sind, sich gemeinsam um den einen „Tisch des HERRN“ zu versammeln? In aller Klarheit sagt Marie Luise Kaschnitz, daß es nach all der organisierten Inhumanität des 20. Jahrhunderts keine Rückkehr zu einem wie selbstverständlichen, unangefochtenen Reden von Gott geben kann und für politisch wache Menschen ein einfacher, unhinterfragter Glaube unerschwinglich sein wird. Das bleibt, obwohl sich vieles in Europa zum Besseren gewendet hat, auch im 21. Jahrhundert so. Umso überraschter, umso ermutigter bin ich immer wieder, daß für Marie Luise Kaschnitz Gott nicht tot ist, sondern weiterlebt in der Aufgabe, zu der es angesichts der Weltverhältnisse gar keine Alternative gibt: "daß wir, die Lieblosen dieser Erde, / Deine Liebe sind. / Die Häßlichen Deine Schönheit, / Die Rastlosen Deine Ruhe, / Die Wortlosen Deine Rede, / Die Schweren Dein Flug." So geht Gottes Geschichte mit den Menschen weiter, wenn als "sein letztes Geheimnis". „Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt.“ Mehr
noch als die Worte der Dichterin haben die des Wanderpredigers Jesus
von Nazareth etwas Überraschendes, Bezwingendes und Ermutigendes.
Jesus sagt tatsächlich: „Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt.“ Nicht: „ihr werdet“, sondern: „ihr
seid“. In der >Bergpredigt<, wie Matthäus sie überliefert,
gelten diese Worte allen, die auf Jesu Namen getauft sind und die Kirche
bilden. Wir - ja: auch wir hier und heute, in dieser Kirche - sind es.
Ob wir das nun wissen, wollen oder uns zutrauen: Wir sind es. In den >Seligpreisungen< werden Menschen angesprochen, von denen es in Marie Luise Kaschnitz‘ Worten heißt: "In diesem armen Gewande, mit diesen glanzlosen Augen, / Mit diesen Händen, die nicht mehr zu bilden verstehen, / Mit diesen Herzen ohne Trost und Traum." Dabei ersetzt die Dichterin nicht einfach Gott durch den Menschen. Im Auftrag, in dem Gott sein letztes Geheimnis offenbart, zeigt sich vielmehr der Abglanz göttlichen Lichts. Unbegreifbar und verborgen ist Gott doch Gegenwart: "Dein Fernsein Deine Nähe, / Dein Zuendesein Dein Anfang, / Deine Kälte Dein Feuer, / Deine Gleichgültigkeit Dein Zorn." Ähnlich ist es bei Jesus, der im Salz-Wort die jüdische Tradition aufnimmt und weiterführt. Das Salz ist die Thora, die „Weisung“. Jene Thora aber wirkt nur durch Menschen, denen sie „ins Herz geschrieben“ ist. In diesem Sinn ist die ganze >Bergpredigt< „Menschwerdung des Gesetzes“ (Hans Weder) - beglaubigt durch Jesu eigenes Leben. Nur Menschen können die Welt verändern. Vorschriften und Forderungen verbessern nichts. Denn es geht um das, was Jesus den Menschen als neue Lebensmöglichkeit zuspricht und zuweist: "daß wir, die Lieblosen dieser Erde, / Seine Liebe sind." Es geht um die Kreativität der Liebe, die dem Leben dient. Das wird am Salz deutlich: Salz kann würzen - das vor allem. Es kann Speisen vor Verfall, vor Fäulnis bewahren; zur Zeit Jesu war es das wichtigste Konservierungsmittel überhaupt. Manche Salze können Eiskrusten zum Schmelzen bringen. Alles Vorgänge, die lebenswichtig sind, die etwas mit Kreativität, Veränderung, Verlebendigung zu tun haben. Auch Salz als Konservierungsmittel dient dem Leben: durch unverdorbene Speisen kommen wir zu neuen Kräften. Es geht um die Kreativität der Liebe, die Leben schafft. Das wird deutlich am Licht: Licht - das erste Werk der Schöpfung, der Zeit und dem Raum voraus, Energie, Dynamik, Kreativität. Kehrt nach langer Nacht das Licht wieder, bricht ein neuer Schöpfungstag an, in dem sich schon die Morgenröte einer ganz neuen Welt ankündigt: „Morgenglanz der Ewigkeit, / Licht vom unerschaffnen Lichte...“ (EG 450). Und denen, die endlich eine dunkle Vergangenheit, die babylonische Gefangenschaft, verlassen dürfen, ist gesagt: „Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir.“ (Jes 60,1) Die Kreativität der Liebe also will Jesus wecken - in uns, unter
uns, durch uns. An unserer Kreativität soll Gottes Kreativität,
mit der sich Gott von Beginn an gleichsam in die Welt hineingibt, erkannt
werden: „damit die Leute eure guten Werke sehen und euren Vater
im Himmel preisen.“ Mit Jesus folgen Christen nicht dem Trugbild
einer heilen Welt. Aber mit ihm halten sie die Welt, so vergebungsbedürftig
wir Menschen bleiben, für verbesserungsfähig. Die >Bergpredigt<,
angefangen bei den >Seligpreisungen<, zeigt die Richtung an, sich
im Sinne einer Humanität aus Glauben, Hoffnung und Liebe in die
Welt einzumischen. Dabei kümmert Jesus die - protestantische - Sorge
vor den >guten Werken< wenig. Die Erde hat eben Salz, die Welt
hat eben Licht nötig! Also braucht es Menschen, die das einfach
sind. Er jedenfalls weiß sich dazu von Gott bevollmächtigt,
auch wenn die Liebe ihn sein Leben kostet, und bevollmächtigt andere
dazu. „Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt.“ Wir werden noch manche Suppe versalzen. Wir werden aber auch mithelfen, neue Lebensmöglichkeiten zu eröffnen: einen Menschen trösten; Worte sagen und Dinge tun, aus denen Frieden wachsen kann; uns für gerechtere Verhältnisse einsetzen, über unsere eigenen Interessen hinaus; in einigen ruhigen Augenblicken alles von Gott erwarten. Wir werden ein Licht anzünden, statt über die Dunkelheit zu klagen. Auch eine neue Sprache werden wir finden, mit der wir Gott hineinsprechen in die Welt. Wir gehören zu ihnen: "Und einige wirst Du bisweilen beweglich machen, / Schneller als Deine Maschinen und künstlichen Blitze, / Überflügeln werden sie ihre Angst. / Fahrende werden sie sein. Freudige." Amen. Nachbemerkung: Lieder: EG 172; 318 (Wochenlied); 379; 390; 441; 565 Hans Joachim Schliep
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