Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

8. Sonntag nach Trinitatis, 10. August 2003
Predigt über Matthäus 5, 13-16, verfaßt von Berthold W. Köber
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Christen sind Salz der Erde

Jesus Christus spricht:
Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütz, als dass man es wegschüttet und läßt es von den Leuten zertreten.

Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder!

Es war einmal ein König, der hatte drei Töchter, die er alle sehr liebte, am meisten aber die jüngste von ihnen. Sehr gerne wollte er wissen, ob die Töchter seine Liebe erwidern und verlangte von ihnen ein Zeichen ihrer Liebe. Am nächsten Tag traten sie vor ihn. Die älteste hatte in ihrer Hand eine Schale mit Zucker und sagte zu ihm: Ich liebe dich so wie diesen Zucker. Der Vater freute sich darüber sehr. Die mittlere hatte in ihrer Hand einen Tiegel mit Honig und sagte zu ihm: Ich liebe dich wie diesen Honig. Auch darüber freute sich der Vater und blickte dann erwartungsvoll auf seine jüngste Tochter. Diese hatte in ihrer Hand ein Brettchen mit etwas Salz darauf und sagte zum Vater: Ich liebe dich so sehr wie dieses Salz. Das hatte der Vater nicht erwartet. Wenn das deine Liebe zu mir ist, bist du nicht mehr meine Tochter, sagte er zornig. Sie mußte den Königshof verlassen und in die Welt ziehen.

Nach langem Umherirren konnte sie sich schließlich auf einem anderen Königshof als einfache Küchenmagd verdingen. Niemand kannte sie dort, und sie mußte niedrigste Dienste verrichten. Durch ihr freundliches und liebliches Wesen und ihre Anmut gewann sie aber die Zuneigung aller, mit denen sie zu tun hatte, und schließlich auch die Liebe des Königssohnes. Er wollte sie – wie halt im Märchen – heiraten. Zur Hochzeit wurden viele Könige, darunter auch der Vater der Braut eingeladen. Niemand aber wußte, wer die Braut wirklich war, auch der Königssohn nicht und erst recht nicht ihr Vater. Die aufgetragenen Speisen schmeckten herrlich. Als aber der Vater der Braut den ersten Bissen von seinem Teller nahm, mußte er ihn sofort ausspeien; so schlecht schmeckte er. Er bat seine Tischnachbarn, von ihren Speisen kosten zu dürfen - und ihr Essen schmeckte vorzüglich. Da sprang der König zornig auf und rief, man wolle ihn zum Narren halten, und wollte die Hochzeit verlassen. Bestürzt kam der Vater des Bräutigams hin und als er die Speise kostete, mußte auch er sie ausspeien. Da rief er zornentbrannt: Fürwahr, wer das getan hat, soll dafür mit dem Tod bestraft werden. Da stand die Braut auf und sagte: Ich habe die Speise zubereitet und habe statt mit Salz mit Zucker und Honig gewürzt, und erzählte ihre ganze Geschichte...

Dieses Märchen handelt von der Wichtigkeit des Salzes für unser Leben. - Bei einem Besuch in Regensburg sah ich im Eingang zum alten Rathaus eine ganz alte, große Waage aus Holz stehen. Ich meinte, man habe darauf nur größere Gewichte abwiegen können. Der Reiseleiter legte eine leere Zündholzschachtel auf eine Waagschale – und brachte die Waage damit aus dem Gleichgewicht. Wir erfuhren, dass es hierbei um eine alte Salzwaage handle. Sie mußte so genau wie eine Apothekerwaage sein, da das Salz damals äußerst kostbar war. – Von früher her ist uns vielleicht der Ausspruch bekannt: Salz verschütten bedeutet sieben Jahre Unglück. Das war nichts Abergläubisches; das Verschütten bedeutete großen Schaden, weil das Salz so teuer war.

Die Wichtigkeit des Salzes hat auch unser Herr Jesus Christus im Blick, wenn er zu seinen Jüngern sagt: Ihr seid das Salz der Erde. Was meint er damit? Er spricht ihnen damit ein neues Sein, eine neue Identität zu. Sie besteht in der Bedeutung, die die Jünger für die Welt haben. Sie sind es nicht aus eigener Kraft und eigenem Bemühen, sondern diese neue Identität ist ihnen von Jesus selbst geschenkt worden. Ihr Grund ist die Verbundenheit der Jünger mit ihm und ihre Zugehörigkeit zu ihm. Daher werden sie auch nicht aufgefordert: Ihr sollt oder ihr müßt Salz der Erde sein, sondern sie werden als das angesprochen. Entsprechen sie dem auch? Was meint Jesus damit konkret?

Salz der Erde sein – damit sind auch wir hier und heute angesprochen, die wir zu Jesus gehören und im Glauben an ihn und in Verbundenheit mit ihm leben. Diese neue Identität ist uns in der Heiligen Taufe geschenkt worden. Sie besteht in unserer Bedeutung für diese Welt, in der wir leben. Was das heißt, wollen wir miteinander etwas ausführlicher bedenken.

Zunächst: Salz macht die Speisen genießbar und schmackhaft; Salz ist die erste und eigentliche Würze. Wie wichtig es ist, können diejenigen unter uns bezeugen, die eine salzlose Diät einhalten müssen, die etwa nur ungesalzenes Brot essen dürfen. Auf uns übertragen heißt das: Die Christen machen das Leben in der Welt erträglicher. Das gilt in mehrfacher Hinsicht.

Zum einen: Wieviel Streit und Haß und Zwietracht gibt es unter uns. Und wieviel Krieg und blutige Auseinandersetzungen gibt es in unserer Welt. Wie leiden wir darunter und die vielen anderen Menschen, die davon betroffen sind. Streit und Haß und Gewalt lassen sich aber nicht mit neuem Haß und noch größerer Gewalt überwinden. Das wird erschreckend deutlich am Verhältnis zwischen Israel und den Palästinensern. Terroranschläge werden mit Militärschlägen, Militärschläge mit neuem Terror beantwortet, die Spirale der Gewalt wird immer größer und betrifft immer mehr Menschen – ein Ende ist nicht in Sicht. Was allein Haß und Gewalt überwinden kann, ist der Weg, den unser Herr Jesus uns gezeigt hat und den er selbst gegangen ist: den Weg der Versöhnung und der Liebe. Das können wir als seine Jünger durch unser eigenes Leben und Handeln bezeugen, indem auch wir Versöhnung und Liebe leben. Nur so wird wirklicher Friede und Zusammenleben möglich.

Zum anderen: Die Menschen bemühen sich, möglichst viel zu arbeiten und zu schaffen, um das Leben genießen zu können: Haus, Auto, Urlaub, Konsum. Die Welt lebt es vor und die Menschen versuchen, ihrem Anspruch zu entsprechen und darin den Sinn ihres Lebens zu sehen. Das aber ist verbunden mit Streß, Hektik, Neid, Konkurrenzangst, Angst zu kurz zu kommen und das Leben zu verfehlen. Bringen aber Genuß und Konsum wirklich die erhoffte Freude und Erfüllung? Für kurze Zeit, vielleicht. Aber die Ansprüche wachsen. Man möchte noch mehr haben, und das bringt noch mehr Streß, usw... Und wenn es sich nicht mehr steigern läßt, wächst die Unzufriedenheit...

Demgegenüber können wir als Christen durch unser Leben bezeugen: Die Welt mit ihrem Anspruch an uns ist nicht das Letzte und Wichtigste. Rechte Freude und Erfüllung ist auf diesem Weg nicht zu finden. Es ist die Verbundenheit mit unserem Herrn, die die nötige Distanz zu all diesen irdischen und vergänglichen Dingen schenkt und die uns erst rechte Freiheit und bleibende Freude und Erfüllung bringt.

Sodann: Das Salz hält den chemischen Haushalt des menschlichen Körpers in Ordnung. Nur so ist Leben überhaupt möglich. Salz dient auch zur Konservierung von Lebensmitteln, besonders von Fleisch und Wurstwaren. Die Älteren unter uns wissen es vielleicht noch aus eigenem Erleben: Früher, als es noch keine Tiefkühltruhen gab, wurde das im Winter geschlachtete Fleisch in Salz eingelegt, damit es über längere Zeit gehalten werden konnte. Auf uns übertragen heißt das: Durch ihr Leben wirken Christen welterhaltend und -bewahrend.

Die heutige Gesellschaft ist vielfach gekennzeichnet durch Relativierung und Verfall der Werte. An ihre Stelle ist Lieblosigkeit, Maßlosigkeit und Gottlosigkeit getreten. Sie bestimmen das menschliche Zusammenleben, den Umgang miteinander und mit der Natur und der Schöpfung insgesamt. Sie führen nicht nur zum sittlichen Verfall der Gesellschaft, sondern und wirken insgesamt zersetzend und zerstörend. Je gottloser eine Gesellschaft ist, umso unmenschlicher ist sie.

Demgegenüber vertreten die Christen durch ihr Leben bestimmte Werte, wie Ehe, Familie, Freundschaft, Gemeinschaft, Liebe zu Gott und zum Nächsten, Rücksichtnahme, Versöhnung, Verantwortung im Umgang miteinander und mit der Natur. Mit ihrer Fürbitte treten sie bei Gott für die Erhaltung der Gesellschaft und für die Welt ein. Dadurch wehren sie dem Verfall der Gesellschaft und wirken erhaltend und bewahrend, - konservierend.

Das trägt ihnen freilich den Vorwurf ein, konservativ zu sein. Konservativ wird heute nur noch abwertend gebraucht; es ist gleichbedeutend mit veraltet, rückständig, überholt, unzeitgemäß; es qualifiziert ab und ist sozusagen zum Schimpfwort geworden. Für manche Vertreter der Kirche ist das der Grund, auf jeden Fall zeitgemäß, progressiv sein zu wollen. Das aber heißt, dem Zeitgeist zu huldigen und sich von ihm Fragen und Antworten diktieren zu lassen. Wer sich aber mit dem Zeitgeist verheiratet, wird sehr schnell zur Witwe, besagt ein Ausspruch. Indem die Christen durch ihr Leben für Werte und durch ihre Fürbitte für die Welt eintreten, nehmen sie Teil am bewahrenden Wirken Gottes. Nicht zufällig wird er im Bekenntnis creator und conservator, d.h. Schöpfer und Erhalter genannt.

Sehen wir uns nun das Salz etwas genauer an. Zweierlei fällt dabei auf: Es ist ein unscheinbares, weißes Pulver. Wer, der es nicht kennt, würde diesem unauffälligen Pulver eine solche Kraft und Wirkung zutrauen? Für das Würzen der Speisen reicht schon eine kleine Menge dieses Pulvers, denn es hat eine durchdringende Wirkung. Dabei geht es ganz in der Speise auf. Bezogen auf die Christen heißt das: sie sind in der Regel keine herausragenden, großen, auffälligen Menschen, keine Helden und Supermenschen. Sie sind keine Gelehrten oder Akademiker, professionelle Alleskönner, sondern sie sind eher unscheinbar, unauffällig, bescheiden, wie es Jesu Jünger auch waren: einfache Leute, Handwerker, nicht besonders beeindruckend und hinreißend.

Und sie waren eine kleine Minderheit, zunächst nur zwölf. Und dennoch ist das Christentum zur Weltreligion geworden. Es hat die Welt durchdrungen, es ist so sehr sie eingegangen und hat sie so verchristlicht, dass man es heute als solches kaum noch wahrnimmt. Was es alles bewirkt hat, wird als selbstverständlich hingenommen, ohne dass man sich darüber Gedanken macht, wem das zu verdanken ist. Unsere gesamte Kultur und Zivilisation wäre ohne das Christentum nicht denkbar. Drei Beispiele, die für viele andere stehen, mögen das kurz belegen.

Die Reformation hat nicht nur auf geistlichem Gebiet nachhaltig gewirkt. Sie setzte sich auch für die Schulbildung der Kinder entschieden ein. Dass es heute die allgemeine Schulbildung gibt, ist im Wesentlichen ihrem Wirken zu verdanken. - Unsere ganze soziale Fürsorge ist im ihrem Wesen nichts anderes als eine Verwirklichung der Nächstenliebe; sie ist institutionalisierte Nächstenliebe. - Grundlegend für unser Rechtswesen und das gesellschaftliche Zusammenleben sind die Menschenrechte, von denen so viel gesprochen wird. Gott hat jeden Menschen einmalig und unverwechselbar geschaffen. Das verleiht ihm seinen einmaligen Wert. Hierin haben die Menschenrechte ihren Grund und von hier leiten sie sich ab.

Unser Herr Jesus spricht aber auch die Gefährdungen an, die mit unserem neuen Sein als Salz der Erde verbunden sein können. Salz ist keine Speise für sich. Allein ist es nicht genießbar. Das wissen wir spätestens seit damals, als wir aus Versehen Salz statt Zucker nahmen. Seine rechte Wirkung entfaltet es erst in den Speisen. Was bedeutet das im Blick auf die Christen? Es ist heute nicht mehr in, sich zu seinem christlichen Glauben zu bekennen. Viele Menschen genieren sich, über ihren Glauben zu sprechen. Sie möchten nicht unangenehm auffallen und nicht als unmodern und überholt gelten. Sie befürchten, verspottet und ausgegrenzt zu werden. Deswegen wollen sie als Christen nicht in Erscheinung treten und ziehen sich auf sich selbst zurück. Meinungsforscher halten fest, dass bei „heutigen Christen vor allem ihre Unauffälligkeit auffallend sei“ (R. Köcher).

Dann aber geschieht dieses: das Salz verliert seine durchdringende Kraft und Wirkung und wird nutzlos. Tatsächlich hat das Christentum hat in der westlichen Gesellschaft seine prägende Kraft und seinen bestimmenden Einfluß verloren. So sagte der namhafte Philosoph und Universitätspräsident N. Lobkovicz, dass „das Christentum seine kulturgestaltende Kraft weitgehend verloren habe“, und H. Boventer spricht von der „Verdunstung des christlichen Glaubens in der Öffentlichkeit“.

Gerade aus diesem Grund werden wir auf unsere neue Identität angesprochen. Es wird uns in Erinnerung gerufen, wer wir sind und was das für uns und für die Welt, in der wir leben, bedeutet. Die Welt bedarf unseres Seins und unsres Lebens in diesem neuen Sein. Namhafte Denker und Wissenschaftler erwarten das nicht nur von uns als christlicher Kirche, sondern sagen es uns auch immer wieder. Kürzlich ist dafür auch die bekannte Schriftstellerin Gabriele Wohmann in einem Artikel in der FAZ vehement eingetreten. Wir haben etwas für diese Welt und diese Gesellschaft, das sie nicht hat und sich auch nicht selbst geben kann. Deshalb bedarf sie dessen, dass wir als Christen und als Kirche in Erscheinung treten und für das eintreten, was wir sind und haben. Nur das, was öffentlich wahrnehmbar gelebt wird, ist für die Gesellschaft von Bedeutung.

Die Kirche will die Welt nicht verändern. Aber wenn die Kirche Kirche ist, wird die Welt durch sie verändert. So werden wir dazu ermutigt, das zu sein, worauf wir angesprochen werden und was wir sind: nämlich Salz der Erde.

Prof. Dr. Berthold W. Köber
Kieskauler Weg 53
51109 Köln
E-Mail: bwkoeber@hotmail.com

 

 


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