Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

8. Sonntag nach Trinitatis, 10. August 2003
Predigt über Matthäus 5, 13-16, verfaßt von Wolfgang Petrak
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Hannas stellte den Leuchter langsam auf den Tisch. Beim Anzünden der Kerzen zitterte seine Hand ein wenig. Das tat sie immer, weil er unwillkürlich zurückdenken musste: damals in Jerusalem, als es noch den Tempel... „Hannas, die Linsen sind gleich fertig“. Fröhlich rief das Julia ihrem Schwiegervater zu, während sie den Topf vom Herdfeuer nahm. Hoffentlich sind sie nicht angebrannt, dachte sie, er ist ja sonst ein lieber Kerl, aber beim Essen wird er immer pingeliger. „Hast du auch das Salz nicht vergessen? Und zum Schluss einen Faden Olivenöl“! „Aber nein, und frisches Brot habe ich auch. Judith, kommst du“? „Simon ist ja noch gar nicht da“. Etwas maulig stand das vierzehnjährige Mädchen aus ihrer Ecke auf, wedelte die Papyrusseite durch die Luft, damit die Tinte schneller trocknete. „Es ist wichtig, total wichtig, dass das rauskommt“. „Hast du wieder was geschrieben?“ Hannas musste ein bisschen lächeln. Natürlich lag er oft mit seiner Enkeltochter über kreuz, was ja auch kein Wunder ist, wenn man zu viert in einem Raum lebt, und dann noch in diesem Alter. Aber er mochte sie, auch, wie sie die Dinge ansprach, wie sie sich was traute und wie sie sich einsetzte. „ Da fehlt doch Salz“! „Judith, wir fangen gemeinsam an und warten, bis Simon da ist“.

„Also Judith, was hast du geschrieben“? „Pass auf, Großvater, du hast doch gesagt, dass unser Herr gesagt hat, dass wir Salz der Erde sein sollen und Licht der Welt“. „Nein ,so habe ich das nicht...“ „Doch, so soll es doch sein, und deshalb halbe ich diesen offenen Brief geschrieben: 'Gegen die Ausbeutung im Hafen von Ephesus. Ende der Kinderarbeit. Im Namen des allmächtigen: Lasst die Sklaven frei!' “. „Aber Judith, alle Welt hat Sklaven“ rief ihre Mutter vom Herd herüber, während sie nochmals im Topf rührte und sich mit der freien Hand eine Locke, die immer gerade dann widerspenstig in die Stirn zu fallen pflegte, wenn es hitzig wurde. „Du bist ja auch Römerin“, fuhr Judith ihre Mutter an, „und bei Euch zu Haus habt ihr immer Sklaven gehabt“. „Aber bei uns hatten Sklaven es gut, waren gut untergebracht und saßen mit am Tisch. Und außerdem verstehst gar nicht, wie die Zeiten waren. Und dann...“Julia ging einen Schritt in Richtung Tochter, hatte dabei noch den Löffel in der Hand, sodass sich durch den Schein des Leuchters ein riesiger Löffel als Schatten an der Wand abbildete. „ Und dann haben wir dafür gesorgt, dass alle in unserem Haus getauft wurden“.
„Aber das ist es ja gerade“. Nun war es Judith, die aufgestanden war und deren Schatten den erhobenen mütterlichen Löffel-Arm überdeckte. „ Das ist doch so was von scheinheilig. In die Gemeinschaft der Christen wird man aufgenommen. Und was tut ihr in Wirklichkeit? Nichts. Salz sollt ihr sein, hörst, du, Salz“. „Und Licht“, fügte Hannas hinzu, „das brauchen wir, um die Schriften zu verstehen“. Hannas zog den Leuchter zu sich herüber. „ Sieh, als damals das Volk Gottes aus der Fron in Babylon zurückgekehrt war, da haben Menschen, einfache Menschen so wie wir, begriffen, dass der Herr seinen Bund mit uns schließt, wenn wir seinen Willen tunt. Und dann, du warst da noch nicht geboren, als der Tempel in Jerusalem von den Ungläubigen geschändet und zerstört wurde, da haben wir alle bekannt: wir müssen den Weg der Gerechtigkeit gehen, so wie es in den Schriften gesagt ist“.
Hannas war aufgestanden, um aus einem Tongefäß in der Ecke, also dort, wo seine Schlafmatte lag, einige Rollen hervorzuziehen. „Also was sagen die Schriften zum Thema Salz“? In dieser Frage waren sich Mutter und Tochter einig. Hannas stand am Licht. „In der Thora (Lev.2,13) ist Salz ein Zeichen des Bundes des Herrn mit seinem Volk. Die Speiseopfer müssen gesalzen werden“. Wohl deshalb, damit sie rein sind“. „Julia, du kennst dich gut bei uns aus“. „Ja, aber das gilt doch jetzt alles nicht mehr“. „Aber“, und dabei tippte Judith mit ihrem Zeigefinger an die Schläfe, was sie immer tat, wenn ihr ein neuer Gedanke gekommen war, „dann kann doch damit gemeint sein, dass wir alle Priesterinnen und Priester sein sollen“. „Sind, Judith, sind. Unser Herr hat auf dem Berg Gottes gesagt: Ihr seid das Salz der Erde, nicht, ihr sollt sein, Sondern ihr seid das“. „Immer diese feinen Unterschiede, warf Julia ein, „ wo Simon bleibt? Vielleicht müssen wir allein anfangen“. „Vielleicht muss er in der Schule nachsitzen, er ist doch sowieso kein großes Licht“. „Judith“! „Judith, weißt du, was das Licht bedeutet? Damit ist der Gesalbte des Herrn gemeint“. „Ich dachte: Die Weisheit“? „Sag mir Julia, wer ist weiser als der Herr“?
Wieder berührte Hannas den Leuchter gedankenverloren, dann stellte er ihn entschlossen in die Mitte des Tisches. „Es ist so“, sagte er laut und fest, „dass er gekommen ist. Wir haben sein Wort. Und wir werden ihm nachfolgen, sodass alle Völker es sehen können: Christus ist der Herr“. Leise war Julia hinter Hannas getreten. Sie legte ihre Hand auf seine Schulter und sah ihn fragend von der Seite an:„Ist es deshalb, warum du nicht mehr in die Synagoge gehst“? „Ach, es ist so, dass wir keinen Zugang mehr haben. Aber wir sind das Salz der Erde und jeder kann es merken, und wir sind das Licht der Welt, und jeder kann es sehen“. „Und die Pharisäer“?

Mit einem Seufzer wollte der Großvater Hannah die Frage der Enkeltochter beantworten, auch, um sich selbst eine Antwort zu geben, doch da ging die Tür leise auf. Dem Herrn sei Dank, dachte er, dachte auch, dass das Jahr 70 noch gar nicht so lange her war, und dass man in dieser Zeit man nicht sicher sein konnte, wer an die Tür kam. „Mensch, Simon, endlich, ich habe Hunger“. Judith legte ihr Flugblatt zurück und setzte sich an den Tisch. Der Bruder stand mit hängenden Schultern noch unschlüssig an der Tür. „Hey ,Brüderlein! Bist du verknallt oder warst du beim Sport“? Trotz der Dunkelheit vermeinte Judith erkennen zu können, wie das Gesicht ihres Bruders errötete. Und dabei war er doch zwei Jahre älter! „Ach ne, lass man, hör doch auf“, sagte er leise zwischen den Zähnen hindurch. Julia dachte, bevor Fräulein Tochter noch ein weiteres Wort sagt, dachte Julia, sollte sie jetzt was sagen, einfach anfangen, irgendwie, es wird schon gehen: „ Du, ich habe gehört, dass deine Euterpe ganz nett sein soll. Willst du sie nicht einfach mal mitbringen, nur so, oder vielleicht auch zum Essen“? „Ja? Ich weiß nicht.“
„Isst sie nur Krebse und Schnecken?“ „Hör doch auf“. Weniger wütend als traurig kam das raus. „Aber, es ist ja nur, also: wenn sie mitkommt und wir wollen essen und fangen dann erst einmal an zu beten, sie ist doch eine von den Völkern..“ „Na und“, jetzt war es Hannas, der laut wurde, „ meinst du etwa, wir wollen uns mit dem Beten dicke tun? Wir beten doch nicht, um andere auszuschließen, sondern um sie einzuschließen, weil der Wille des Herrn im Himmel und auf Erden geschehen soll. Sie kann ja mitbeten. Oder einfach nur dabei sein. Und jetzt lasst uns anfangen, ich habe Hunger“.

Julia gab sich richtig Mühe, ihr Lächeln, dass sie ab liebsten ganz breit aufgesetzt hätte, nicht zu zeigen. Aber es gibt Situationen, wo man ernst bleiben sollte. Komisch, dachte sie, wir sind doch ganz verschieden. Verzagt der Simon, und Judith wie immer, Schwiegervater Hannas : er nimmt es genau, gleich fehlt ihm noch Öl, und ich- , ich bin irgendwie frei. Und wenn ich mir vorstelle: diese Unterschiede an einem Tisch: wenn man jetzt unsichtbare Linien ziehen würde, dann ist das wie ein Kreuz. Ja genau: wir sind ja das Salz. So, wie wir wind. Und damals am Berg: ach, die werden doch auch alle ganz verschieden gewesen sein, als unserer Herr sie alle angeredet hatte.

„Wir bitten dich: unserer Herr komm“. Ja, das ist gut.

P. Wolfgang Petrak
Schlagenweg 8a
37077 Göttingen, den 14.1.02
Tel: 0551/31838
e-mail: W.Petrak@gmx.de


(zurück zum Seitenanfang)