Von Mozart sagen wir, er habe ein ganz ungewöhnliches
musikalisches Talent gehabt. Wir sprechen bewundernd von einer jungen
talentierten Mathematikerin. Die Spuren des biblischen Gleichnisses finden
sich in unserer Umgangssprache. Wer so begabt ist, der muß auch
was daraus machen, sagen wir. Bei so einem Talent wäre es schade,
es brach liegen zu lassen. Ja, es wäre unverantwortlich.
Die meisten Menschen kennen diese Redewendungen. Wir könnten es heute
mit den selben Worten ausdrücken. Der Gedankengang Jesu ist leicht
nachvollziehbar. Seine Worte leuchten ein. - Kann man, muß man mehr
dazu sagen? Lohnt es sich, darüber zu predigen, lohnt es sich bei
so einer Predigt wirklich zuzuhören?
Sie merken natürlich, dass ich eine Scheinfrage stelle. Denn ich
bin längst dabei, darüber zu predigen. - Ja, über diese
Worte von Jesus muß gepredigt werden. Es geht Jesus um mehr als
um eine allgemeine Lebenserfahrung. Es geht um Verkündigung. Diese
Worte haben einen Mehrwert; etwas, das wir von uns aus nicht wissen können
oder wissen wollen. Jesus meldet einen Anspruch an, einen Anspruch Gottes
an uns – verbunden mit einer Zusage.
Es gibt noch einen anderen Grund, warum man über diese Bibelworte
reden muß. Bis zum heutigen Tage sind sie immer wieder missverstanden,
ja mutwillig missbraucht worden. Von einem jungen Mann wird berichtet,
dass er im Gottesdienst dieses Gleichnis als Lesung vorgetragen habe und
zwar unvorbereitet. Beim Ende der Geschichte geriet er ins Stocken: Den
unnützen Knecht werft in die Finsternis hinaus. Da wird sein Heulen
und Zähneklappern. Das ging ihm zu weit. So etwas konnte er nicht
glauben und schon gar nicht in der Kirche laut vorlesen. Er wollte von
nun an überhaupt nicht mehr lesen, ja er ging zur Gemeinde auf Distanz.
Erst später fand er auf Umwegen zurück.
Diese und ähnliche Worte haben nicht nur ihn verschreckt, sie haben
viele gutwillige, nachdenkliche, auch ängstliche Christen beunruhigt.
Es gibt ganz prominente Beispiele wie Martin Luther, der verzweifelt nach
dem gnädigen Gott suchte. Er versuchte auf jede Weise, es Gott recht
zu machen und ihn gnädig zu stimmen. Auf diesem Weg geriet er immer
tiefer in die Sackgasse.
Nun sagen manche biblische Wissenschaftler, dass gerade dieses Wort,
dieser Vers gar nicht von Jesus selbst stammen könne. Sie führen
dafür einleuchtende Gründe auf. Aber darf man die Heilige Schrift
so hinterfragen? Manchen Mitchristen geht das zu weit. Ich will darum
diese Argumente nicht weiter verfolgen. Viel wichtiger scheint mir die
einfache Tatsache, dass Jesus ein Gleichnis erzählt. Er spricht nicht
direkt, wie er es etwa in großen Teilen der Bergpredigt tut. Jesus
wählt einen Vergleich. Er erzählt eine Geschichte, die gar nicht
religiös ist. Mit dieser Geschichte will er das anschaulich machen,
worum es ihm geht: Mit dem Himmelreich ist es, wie mit einem Menschen,
der außer Landes ging ... Es ist ein Gleichnis, eine Form der Illustration.
Ein Gleichnis kann man nicht eins zu eins umsetzen. Man kann es nicht
Punkt für Punkt erklären. Man muß die erzählte Geschichte
als Ganzes nehmen und dann fragen: Wo ist der springende Punkt, auf den
es Jesus ankommt? Was will er damit zum Ausdruck bringen, was will er
sagen?
Jeder von uns hat von Gott bestimmte Gaben mitbekommen, das macht das
Gleichnis deutlich. Diese Gaben sind zugleich Aufgaben. Wir sollen mit
unseren Begabungen und Talenten, auch mit den Möglichkeiten, die
sich uns im Leben bieten, etwas Vernünftiges anstellen. Wir sollen
etwas daraus machen. Dabei wird durchaus unterschieden: von dem einem
kann man große Dinge erwarten, von dem anderen nur kleine. Es werden
keineswegs alle über den selben Kamm geschoren. Schlimm wird es nur,
wenn wir uns verweigern; wenn wir aus Trotz, aus Bequemlichkeit oder aus
mangelndem Vertrauen die Hände in den Schoß legen und das anvertraute
Talent verkommen lassen. Das ist Pflichtverletzung, das ist Arbeitsverweigerung.
Der dritte Knecht reagiert ja ausgesprochen aggressiv gegen seinen Herrn.
Man muß sich nicht wundern, wenn er zur Rechenschaft gezogen wird;
wenn ihm das anvertraute Talent weggenommen und er entlassen wird; ja
wenn er bestraft wird wegen vorsätzlichem Missbrauch von fremden
Eigentum. Das alles liegt in der Konsequenz der Dinge.
Soweit das Gleichnis. Aber was das Gleichnis zum Ausdruck bringt, ist
nicht das ganze Evangelium. Es ist nur ein Teil, ein unverzichtbarer Teil
des Evangeliums. Es zeigt, daß es ernst ist. Daß Gott nicht
fünf gerade sein läßt. Daß er nicht der liebe Gott
ist, der es allen recht machen will. Das Vergeben ist nicht sein Job,
wie es der Philosoph Voltaire spöttisch behauptet hat. Nein, Gott
ist der Herr und bleibt der Herr. Er lässt nicht mit sich spaßen,
er lässt nicht alles mit sich machen.
In unserer Welt wäre mit dem Schuldspruch die Geschichte zuende:
Dieser Mensch würde seine verdiente Strafe bekommen. Bei Gott ist
das letzte Wort nicht so schnell gesprochen. Der Fall ist für ihn
nicht einfach abgeschlossen. Er hat seine Ohren nicht verstopft. Er lässt
immer noch mit sich reden. Allerdings will er nicht dauernd dieselbe alte
Melodie hören, die Melodie von Klage, Vorwurf und Selbst-Entschuldigung.
Aber wenn der vorher Aufsässige und Widerspenstige einen neuen Ton
anschlägt, wenn er in sich geht und zu seiner Schuld steht, dann
wird er Gehör finden. Dann wird er feststellen, dass er einen sehr
großzügigen und menschenfreundlichen Herrn hat.
Gott ist nicht so schnell fertig mit uns. Er gibt uns nicht gleich verloren.
Das ist der andere Teil des Evangeliums, der entscheidende Teil: Der unnütze
Knecht, der ungerechte Haushalter, der verlorene Sohn haben immer noch
eine Chance: Die Chance, es sich noch einmal gut zu überlegen, die
Chance in sich zu gehen und zurückzukehren. Das ist nicht Thema dieses
Gleichnis. Dafür wird in vielen anderen Geschichten davon erzählt:
Vom schuldbewussten Zöllner, von dem einsichtig gewordenen Pharisäer,
vom verlorenen Sohn und dem gefallenen Mädchen, die zurückfinden
und mit offenen Armen von Gott aufgenommen werden. Mit anderen Worten:
Das Gleichnis von den anvertrauten Talenten ist das vorletzte Wort. Das
letzte Wort Jesu heißt: Im Himmel wird mehr Freude sein über
einen Sünder, der Buße tut, als über neunundneunzig Gerechte,
die der Buße nicht bedürfen. Das letzte Wort heißt: Dir
sind Deine Sünden vergeben. Das letzte Wort – Jesus sagt es
in seiner Todesstunde zu dem schuldbewussten Mitgekreuzigten – Heute
noch wirst du mit mir im Paradies sein.
Ich komme noch einmal auf den Anfang zurück: Jesus will mit diesem
Gleichnis nicht an allgemeine Lebenserfahrungen erinnern. Er geht ihm
nicht um das, was andere kluge Frauen und Männer vielleicht ähnlich
ausgedrückt haben. Er verkündigt das Evangelium: Er sagt, dass
Gott wirklich das Beste für uns will, aber dass er nicht mit sich
spaßen lässt.
Wahrscheinlich liegt der wunde Punkt des Gleichnisses für uns an
einer anderen Stelle. Der Punkt, der es vielen Menschen schwer macht,
sich in den Worten Jesu wiederzufinden. Es ist weniger die Strafe, die
droht, als die Tatsache, dass wir überhaupt Rechenschaft ablegen
sollen. Wie kommen wir dazu?! Ist es nicht unsere Sache, was wir mit unseren
Talenten machen? Verantwortlich sind wir letzten Endes nur vor uns selbst.
Vor unserem eigenen Gewissen. Ist es nicht unser Recht, das Beste aus
unserem Leben zu machen – so wie wir es uns vorstellen. Auch auf
die Gefahr, dass es schief geht ?!
Das ist das Evangelium unserer Zeit: Jeder ist seines Glückes Schmied.
– Aber ist das wirklich ein Evangelium, eine frohe Botschaft? Ist
es nicht eine große Selbsttäuschung, ein Selbstbetrug? Verkennen
wir nicht unsere tatsächliche Situation? Machen wir uns am Ende nicht
damit unglücklich – wir uns selbst, aber auch unsere Mitmenschen,
ja die ganze Welt, wenn alle so denken?
Wenn Jesus uns mit einem Knecht vergleicht; wenn er uns als Brüder
und Schwestern anspricht; wenn er sagt, wir seien Gottes Töchter
und Söhne – dann mutet er unserem aufgeklärten Ego viel
zu, unserer Vernunft, aber auch unserem Eigenwillen. Ja, er mutet uns
viel zu: Wir sollen über unseren eigenen Schatten springen und Gott
machen lassen. Genau genommen aber opfern wir nicht unsere Freiheit. Vielmehr
macht Gott uns überhaupt erst frei. Frei von unserer Beschränktheit,
frei von unserer Verbohrtheit, frei von allem verzweifelten Größenwahn.
Frei von uns selbst. Er nimmt uns so, wie wir nun einmal sind. Und dann
schafft er uns neue, ungeahnte Lebensmöglichkeiten. Er gibt uns ein
Zuhause in dieser Welt. Er eröffnet uns eine Zukunft, die weit über
unser Vermögen und Verstehen geht. Es ist ein Glück, zu diesem
Gott zu gehören!
Anmerkung: Wenn der Text in der Lutherübersetzung vorgetragen wird,
sollte man statt von Zentnern von Talenten sprechen. Sonst könnte
man z. B. die katholische Einheitsübersetzung zugrunde legen.
Wilhelm v. der Recke
Strichweg 40 a
27472 Cuxhaven
Tel / Fax: 04721 /444 014
|