Die Chance, mit seinen Talenten umgehen zu lernen
Will gehört zu einer Clique junger Männer, die sich ihr Geld
hart auf dem Bau verdienen. Nach der Arbeit entspannen sie sich in einer
Pinte, genießen das Bier, Gespräche und sind gelegentlich auch
für eine Rauferei zu haben. Besonders Will, er ist deswegen schon
öfter mit dem Gesetz in Konflikt geraten und saß schon ein
paar Mal in Untersuchungshaft. Der Richter hat ihn schärfstens ermahnt:
Noch ein Vorfall und er muss einsitzen.
Will [Matt Damon] hat noch einen Job an einer berühmten Highschool,
aber nicht etwa als wissenschaftlicher Mitarbeiter oder als Bibliothekar.
Nein, er ist dort als Reinigungskraft angestellt. Dabei hätte er
ohne weiteres das Zeug zu wesentlich mehr. Er löst nämlich in
aller Heimlichkeit und Anonymität die kompliziertesten mathematischen
Probleme, die ein Mathematikprofessor auf dem Flur an eine Tafel schreibt:
ellenlange Gleichungen und Formeln, von denen er sich durch seine Studenten
(oder einem/einer unter ihnen) eine Lösung erhofft. Eine solche Intelligenzbestie
würde er umgehend in besonderer Weise fördern und für einen
Award, einen Preis, vorschlagen.
Und siehe da: am nächsten Tag steht die Lösung an der Tafel;
der Prof beruft sofort eine Studentenvollversammlung im größten
Lehrsaal ein. Er möchte, dass sich derjenige oder diejenige zu erkennen
gibt. Aber er stößt auf beharrliches und zudem unschuldiges
Schweigen. Niemand von den Anwesenden hat das mathematische Wunder vollbracht!
Erst später wird der Hochbegabte mit Hilfe der Verwaltung identifiziert:
Will löst die abstrakten Aufgaben gleichsam en passant, indem er
z.B. während seiner Putzarbeiten das Problem notiert und daheim löst,
um am folgenden Tag bereits den Professor mit der Lösung zu beglücken.
Der möchte ihn natürlich sofort unter seine Fittiche nehmen;
aber da stellt sich ein Riesenproblem: Will ist wieder straffällig
geworden und hatte nun beim Richter ausgespielt. Nur eine einzige, diesmal
allerdings juristische Möglichkeit wird Will angeboten. Wenn er sich
in ambulante psychiatrische, psychotherapeutische Behandlung begibt und
aus dieser als gesellschaftsfähig entlassen würde, käme
er um eine Haft herum. Aber welcher Psychiater soll den schwierigen jungen
Mann behandeln? Will ist nämlich nicht einseitig begabt; er ist auch
sehr belesen und versteht unter anderem auch einiges von Literatur und
Geschichte, wenn auch nur theoretisch.
Will läßt einige Psychiater und Therapeuten völlig auflaufen,
entlarvt sogar deren eigene Schwächen, bis er schließlich bei
einem Freund des Matheprofessors landet. Die erste Begegnung verläuft
ähnlich wie die mit anderen „Seelendoktoren“; es trifft
den Psychiater [Robin Williams] hart: Will deckt seine Vergangenheit auf,
indem er anhand eines von diesem gemalten Bildes nachweist, dass der Therapeut
den Tod seiner Frau noch nicht verarbeitet hat. Die Behandlung scheint,
gerade erst begonnen, ihr abruptes Ende zu finden.
Aber der Psychiater bekommt seine persönliche Krise in der darauffolgenden
Nacht in den Griff und bleibt Will gegenüber hartnäckig. Im
Laufe der nächsten Sitzungen entwickelt sich ein Vertrauensverhältnis,
hauptsächlich durch gegenseitige Offenheit, aber auch durch klare
Direktiven seitens des Therapeuten. Er versucht Will dabei zu helfen,
zu seiner außergewöhnlichen mathematischen Begabung zu stehen
und das beste daraus zu machen. Der befreundete Matheprofessor profitiert
von diesen Veränderungen und verschafft Will einige Vorstellungstermine
bei sehr guten, lukrativen beruflichen Verwen-dungen, aber Will’s
Auftreten dort ist außerordentlich arrogant. Er verspielt seine
Chancen; er weiß auch noch gar nicht, was er wirklich will.
Inzwischen versuchen auch seine Freunde, ihn zum Umdenken zu bewegen.
Sein bester Kumpel aus der Clique sagt ihm eines Tages ins Gesicht: „Will,
ich werde Dir die Visage polieren!“ – Will ist natürlich
entsetzt; sein bester Freund ... – „Doch! Ich sage Dir auch,
warum. Weißt Du, wir arbeiten hart; machen uns die Knochen kaputt
auf dem Bau, und das ist in Ordnung so. Denn wir können nichts anderes;
aber DU hast ‚sechs Richtige’ in der Tasche und machst nichts
draus! Warum gibst Du Dir nicht ein wenig Mühe und ergreifst die
Hilfe und die Chance, die man Dir anbietet? Mensch, wenn wir eine solche
Begabung hätten ... – Ich warte seit langem darauf, dass Du
morgens nicht mehr da bist, wenn ich Dich abholen komme. Dann würde
ich nämlich sagen: Gut so, Will hat’s kapiert! Und ich wäre,
wir wären alle verdammt stolz auf Dich.“
Parallel dazu geht es auch um seine brachliegende Emotionalität,
die sich auch im Umgang mit Frauen offenbart. Auch dabei versucht ihm
der Psychiater zu helfen. Will lernt während dieser Zeit an der Hochschule
eine Studentin kennen, mit der er gut harmoniert, aber dann bekommt er
es mit der Angst zu tun. Ihre Liebe geht ihm zu nah ...
Als sie ihm die Chance eines für sie günstigen Hochschulwechsels,
allerdings in einen anderen Staat, unterbreitet und sich bei dieser Gelegenheit
seiner Liebe vergewissern möchte, kneift er; es kommt zum Bruch.
Er verleugnet seine Liebe zu ihr. Auch beruflich kommt er nach wie vor
nicht weiter. Aber persönlich macht er Fortschritte; dank der Offenheit
seines Therapeuten schafft er es, seine miserable Kindheit aufzuarbeiten
und total verdrängte Gefühle – auch latente Selbstvorwürfe
– rauszulassen. Am Ende eines therapeutischen Gespräches fällt
er dem Psychiater schluchzend in die Arme; dieser nimmt sich seiner väterlich
und freundschaftlich, nicht nur fachlich an.
Der Schluß ist ein Happyend, auch wenn manches für den Zuschauer
offen bleibt: Will kündigt die Stelle, die er zu guter Letzt doch
noch angenommen hatte; er reist seiner Studentin nach, um die Liebe und
das Leben – wie es wirklich ist – kennenzulernen. Ob er auch
noch studiert, ob er eine andere Stelle annehmen wird, das bleibt offen
... Er vergisst aber nicht, seinem Arzt und Freund einen Zettel zu hinterlassen:
„Ich muss mich um meine Liebe kümmern.“ (So oder ähnlich
heißt es). Auch der Psychiater hat sich verändert: Er tritt
eine längere Reise an und will ebenfalls etwas Neues wagen.
Liebe Gemeinde, dieser Film „GOOD WILL HUNTING“ (USA 1997)
lief kürzlich wieder im Fernsehen; vielleicht haben Sie ihn gesehen.
Er ist wirklich empfehlenswert; eigentlich wie fast alle Filme mit Robin
Williams. Wahrscheinlich kennen Sie auch den Film „CLUB DER TOTEN
DICHTER“; darin spielt er einen Literaturprofessor, der mit außergewöhnlichen
Methoden versucht, seinen Studenten selbständiges Denken zu vermitteln
und sie ihre individuellen Gaben/Begabungen entdecken zu lassen. Einem
jungen Mann wird z.B. offenbar, dass er ein enormes schauspielerisches
Talent hat. Doch leider ist sein Vater strikt dagegen; sein Sohn soll
einen „vernünftigen“ (angesehen) Beruf erlernen als Jurist
oder Mediziner. Der Student begeht Suizid (Selbstmord), und der Professor
wird von der Hochschule verwiesen. In der Schlußszene solidarisieren
sich noch einmal alle seine Studenten mit ihm, indem jeder demonstrativ
auf seinen Tisch steigt, - in Erinnerung an eine seiner extravaganten,
aber stets sinnreichen Lehrmethoden (sie sollten damals ausprobieren,
ob sich die Welt aus einer höheren Perspektive nicht doch noch anders
wahrnehmen läßt).
Beide Filme erzählen von den Schwierigkeiten, sogar von der Tragik
der Selbstfindung. Wie soll ein Mensch seine Gaben, seine Begabungen,
seine Talente entdecken, wenn er nicht früh- oder rechtzeitig gefördert
wird? Wenn die Lebensumstände im Elternhaus mehr als ungünstig
ausfielen, wenn er oder sie niemanden hatte, um die entscheidenden Wege
zu ebnen, Weichen zu stellen und den jungen Menschen zu ermutigen, eigene
Wege zu entdecken? Wenn Eltern versuchen, sich in ihren Kindern zu verwirklichen?
Vielen ist das gar nicht bewußt! Wenn eine Familientherapie auf
Grund mangelnden Bewußtseins, die Probleme betreffend, überhaupt
nicht im Blick ist oder eine solche wegen vermeint-lich besseren Wissens
verweigert wird; etwa nach dem Motto: Psychiater und Psycho-logen sind
doch selbst gestört. (Das ist noch milde ausgedrückt ...!)
Manche Talente liegen aber auch brach, weil die Betroffenen Minderwertigkeitskomplexe
oder auch Versagensängste entwickelt haben. Andere leiden unter schrecklichen
Depressi-onen. Oft kommen alle bisher erwähnten Faktoren zusammen.
Dann wird es selbst für einen Facharzt schwierig, dem paradoxerweise
mit oder gar unter seinen Talenten Leidenden wirklich zu helfen. Die Behandlung
kann sich über Jahre erstrecken; eine Unterbrechung – kein
Abbruch – ist manchmal hilfreich.
Liebe Gemeinde,
es geht hier keineswegs einseitig um hochbegabte Menschen; vielmehr sind
wir alle ange-sprochen, denn jeder von uns hat Gaben und Fähigkeiten,
die er für sich und für die Ge-meinschaft einbringen oder aber
auch „vergraben“, verbergen kann.
Der Nazarener hatte offenbar ein besonderes Gespür dafür, in
den Menschen, auf die er damals in Israel stieß, ihre Gaben und
Begabungen anzusprechen. Er ermutigte, ermahnte und provozierte; aber
in allem diente er den Menschen. Er selbst wird übrigens von einer
Tiefenpsychologin [Hanna Wolff] als eine der gesündesten und stärksten
Persönlichkeiten bezeichnet; sie hat sich intensiv mit der Gestalt
des Jesus von Nazareth beschäftigt.
Wahrlich, von diesem Jesus, auch wenn er uns nur noch in den Erzählungen
der Evangelien begegnet, ließe sich vieles lernen: Pädagogisches
und Psychologisches. Ich halte das für wichtiger als irgendeine „Gotteslehre“.
Jesus war kein Theologe!
Ein guter Pädagoge und Psychologe redet anschaulich; genau das vermochte
der Nazarener: Er vermittelte Gleichnisse, Beispielerzählungen oder
sprach in Bildworten. In der Theologie, Germanistik und Literaturwissenschaft
hat sich ein eigener Forschungs-zweig darum gebildet.
Vergangenen Sonntag hörten Sie einiges über das Bildwort: „Ihr
seid das Salz der Erde.“ Heute vernahmen Sie ein Gleichnis, gleichzeitig
auch Evangelium des Sonntags. Die Filmerzählung hat – freilich
in einer ganz anderen Sprache – vieles aus diesem ‚Gleichnis
von den Talenten’ bereits angesprochen. Falls Sie das nicht so empfinden,
bitte ich Sie, sich daheim einmal den Film (als Videoausgabe) anzuschauen
und dann auch das Gleichnis selbst noch einmal nachzulesen (Mt 25, 14-30).
Ich bin mit Ihnen gespannt, was dabei herauskommt.
Wenden wir uns nun einem Aspekt des Gleichnisses zu, der vielleicht am
meisten Kopf-zerbrechen bereitet: Warum vergräbt jemand sein Talent
und macht später noch dem, der ihm nur Gutes will, noch Vorwürfe?
In einer Meditation zu diesem Gleichnis meint Eugen Drewermann, dass hier
keineswegs einseitig die Faulheit oder Trägheit dessen angesprochen
wird, der das eine Talent, was er erhalten hat, vergräbt und sich
später mit fadenscheinigen Argumenten aus der Affäre ziehen
will. Vielmehr ist er zum einen neidisch auf die anderen, die mehr bekommen
haben (zehn und fünf Talente), und zum anderen ist er voller Angst,
im Konkurrenzkampf unterzugehen und zu versagen. Deshalb entwickelt er
sich zu einer Totalverweigerung und wählt den Weg der vermeintlichen
Sicherheit, und die bestand damals im Vergraben des anvertrauten Gutes.
Dass er sich damit völlig der Möglichkeit beraubt, etwas aus
seinem Leben zu machen, dass ihn die Angst, der Neid und der immer stärker
werdende Haß und die Wut auf die anderen, die sich am Ende sogar
auf den Geber erstreckt, an einem von Gott gewollten, erfüllten Leben
hindert, - das alles hat er nicht im Blick.
Das Gleichnis könnte uns die Augen öffnen für eine Lebensart,
in der wir frei werden vom ständigen Vergleich mit den materiellen
und ideellen oder geistigen Gaben der anderen. Wer es hören und sein
Leben danach (um)gestalten kann, dem werden die eigenen Fähig-keiten
zunehmend liebenswert und sinnvoll erscheinen. Wir dürfen und sollen
unsere Be-gabungen einbringen und auf diese Weise zufrieden werden –
mit uns und unseren Mitmenschen: in der Familie, im Freundeskreis, am
Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft, auch in der Gemeinde.
Aber – wie die Filmerzählung verdeutlicht hat – nicht
jeder Mensch hat von Anfang an die notwendigen Voraussetzungen, seine
Gaben überhaupt zu entdecken oder zu entwickeln. Davon haben wir
gesprochen. Vielleicht dürfen wir einem oder sogar einigen Menschen
dabei helfen, ihre brachliegenden oder ängstlich und verkrampft todgeschwiegenen
Gaben ans Licht zu bringen. Denn niemand soll sein „Licht unter
den Scheffel stellen“.
Warum sollte es Menschen, die großtuerisch auftreten, mit ihren
Fähigkeiten prahlen und andere gern niederhalten, vorbehalten bleiben,
mit ihren Begabungen und Leistungen zu glänzen? Interessanter- und
gerechterweise sind diese normalerweise gar nicht so beliebt, wie es für
sie selbst den Anschein hat.
Aber wie beglückend ist es doch, wenn wir einen Menschen dazu ermutigen
konnten, sich mit seinen ganz individuellen Fähigkeiten einzubringen,
wenn wir ihn dafür loben und wir durch die bei ihm freigesetzte Freude
und wieder erwachte Lebensenergie beschenkt werden. Alles Wesentliche
und wirklich Wichtige im Leben ist ein Geschenk. Im Grunde können
wir einander immer wieder „nur“ beschenken. Wir haben –
recht verstanden – nichts davon in die Welt gebracht, und wir werden
auch nichts davon in die andere Dimension mitnehmen können. Aber
das Beschenkt- und wohl auch Beschämtwerden durch die unendliche
Güte und Großzügigkeit des Gebers wird nicht aufhören.
Deshalb ist es wichtig, in diesem Leben alles zu geben, alles einzusetzen,
was uns anver-traut und geschenkt wurde bzw. noch geschenkt und anvertraut
werden wird. Nicht nur unsere Begabungen, sondern auch Menschen, denen
gegenüber wir eine naturgemäße und/oder rechtliche Verpflichtung
haben: Eltern und Großeltern, Kinder und Enkel, Paten-kinder, Ehepartner
und Lebensgefährten, Vorgesetzte und Mitarbeiter u.v.a.
Je mehr wir uns selbst werden annehmen können, desto phantasievoller
wird sich unser Verantwortungsbereich automatisch – wie von selbst
– erweitern. Wir beginnen, unsere Gaben auch im Rahmen moralischer
Verpflichtungen oder im Sinne ethischer Überzeugungen einzusetzen:
z.B. könnten wir uns im Bereich des Umweltschutzes engagieren, oder
wir könnten einer Initiative, Hilfsorganisation oder Selbsthilfegruppe
beitreten, um deren Arbeit zu fördern. Vielleicht bekommen wir einen
Blick für Hilfs-bedürftige in der Nachbarschaft oder in der
Gemeinde.
Wer auf diese beschriebene Weise seine Gaben entdeckt, wird sie mit Freuden
ausleben, sofern man ihn läßt – das muß leider
stets dazugesagt werden; ansonsten würden wir die Realität ausblenden.
Kinder z.B. sind normalerweise mit schier unbändigem Eifer, voller
Entdeckerfreude, Neugier und Selbstvergessenheit bei der Sache, wenn sie
spielen oder sich mit etwas beschäftigen, das sie interessiert und
positiv vereinnahmt.
Insofern brauchen wir wieder ein kindliches Vertrauen, eine unschuldige
Naivität, die uns dazu befreit, ganz natürlich all das auszuleben,
was uns geschenkt ist und den Begabungen frei und mit Freuden zu entsprechen,
die uns anvertraut, geliehen oder sogar geschenkt sind.
AMEN.
Thomas Bautz
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