Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

11. Sonntag nach Trinitatis, 31. August 2003
Predigt über Lukas 18, 9-14, verfaßt von Asta Gyldenkærne (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Ein Wort wie "Pharisäer" ist negativ besetzt. Nun gibt es zahlreiche Stellen in den Evangelien, an denen Jesus sich mit den Pharisäern und Schriftgelehrten anlegt - deshalb hat es seinen guten Grund, daß wir zu der Auffassung gekommen sind, daß ein Pharisäer kein positives Wort ist, sondern daß "Pharisäer" zu einem Schimpfwort geworden ist. Denn sowohl Lukas als auch Matthäus haben dazu beigetragen, uns den Eindruck zu vermitteln, daß ein Pharisäer jemand ist, der sich seiner Frömmigkeit rühmt. Ja ein Pharisäer hat direkt heuchlerische Züge. Der Schein trügt. Er macht sich besser, als er in Wirklichkeit ist. Ein Pharisäer ist voll von frommen Worten, aber wenn es darauf ankommt, sieht es ganz anders aus. Denn ein Pharisäer sagt das eine und tut etwas anderes. Es handelt sich um künstliche Frömmigkeit, die gar nicht das ist, was sie vorgibt.

Nun habe ich eben gesagt, daß Pharisäer zu einem Schimpfwort geworden ist. Es ist ja auch klar, wo wir uns selbst am liebsten anbringen, wenn wir ein Gleichnis wie dieses vom Pharisäer und Zöllner hören. Pharisäer - das sind die anderen. Es sind die anderen, die sich selbst erhöhen, während wir uns dafür zu schade sind. Denn wir selbst sind viel demütiger. Aber sind wir das wirklich? Denn ist es Demut, wenn man seinen Christenglauben nicht groß herausstellt? Oder ist demut etwas ganz anderes?

Vor einigen Jahren gab es eine Sache, die in den dänischen Medien lebhaft diskutiert wurde. Es ging um einen Pfarrer in der dänischen Volkskirche, der daran beteiligt war, Flüchtlinge zu verstecken, um sie vor Ausweisung zu schützen. Die Flüchtlinge hatten sich bei ihrer Ankunft hier um Asyl beworben, das war aber abgelehnt worden. Deshalb standen sie vor der Ausweisung in eine sehr ungewisse Zukunft in dem Land, aus dem sie ursprünglich geflohen waren wegen starker ethnischer Spannungen, die dort herrschten. Die Flüchtlinge waren nun untergetaucht und lebten verborgen in dänischen Familien. Viele halfen ihnen, hierunter auch der erwähnte Pfarrer. Wenn er nur dies getan hätte. Wenn er nur für Essen und Unterkunft für die Flüchtlinge gesorgt hätte und sich ansonsten ruhig verhalten hätte, hätte niemand davon Notiz genommen. Viele hätten es zudem im Grunde sehr sympathisch gefunden, daß der Pfarrer Leuten half, die in Not geraten waren.

Nein, das, was den Sturm in den Medien auslöste, war dies, daß der Pfarrer sich hinstellte und den Journalisten erklärte, wenn er dies tue, so handele es sich um Nächstenliebe. Der Pfarrer behauptete, er tue dies im Gehorsam gegenüber dem Wort Christi, daß man seinen Nächsten lieben soll, und deshalb meinte er den Flüchtlingen helfen zu müssen, auch wenn er damit Gesetze brach. Der Pfarrer verletzte die Gesetze des Landes, das war und blieb eine Sache zwischen den Gerichten des Landes und ihm. Eine andere Frage war, und hier begann die kirchliche Diskussion, ob es nicht verwerflich sei, sich hinzustellen und in dieser Weise das Gebot der Nächstenliebe in Anspruch zu nehmen. Darf ein Pfarrer in dieser Weise sich selbst und seine eigene Frömmigkeit über die Gesetzgebung des Landes stellen? Hatte der Pfarrer eigentlich nur seine eigene Frömmigkeit ins rechte Licht rücken wollen? Erhöhte er nicht eigentlich sich selbst, statt etwas demütiger zu sein?

Dieses Unbehagen, seine eigene Frömmigkeit auszustellen, ist etwas, was wir aus dem Neuen Testament haben. Aber wir benutzen es allzu oft, um andere zurechtzuweisen, anstatt vielleicht eher den Pharisäer in uns selbst zu sehen. Denn jedesmal, wenn wir uns in heiligem Zorn von anderen distanzieren, die es gewagt haben, den Mund aufzumachen oder etwas zu tun, lauert der Pharisäer in uns. Jedes Mal, wenn wir jemanden kalt verurteilen, während wir uns zusammen mit Gleichgesinnten wärmen - ist der Pharisäer gegenwärtig.

Aber Jesus hat kaum das Gleichnis erzählt, damit wir die Fehler der anderen sehen und einander zurechtweisen sollen. Das wäre nicht seine Art. Er hat es eher deshalb erzählt, um uns ein Bild der Demut zu geben. Der Pharisäer im Gleichnis braucht insoweit Gott nicht. Er kann alles selbst, ja seine Dankbarkeit gegenüber Gott ist eigentlich geheuchelt. Er dankt sich in erster Linie selbst, weil er nun ein so guter und ordentlicher Mensch ist. Der Zöllner dagegen, er hat nichts vorzuweisen. Die Hände, die er ausstreckt, sind leer. Er weiß, daß er in seinem Leben von Gott abhängig ist. Er weiß, daß ohne Gott nichts möglich ist. Er weiß im Gegensatz zum Pharisäer, daß Gott mit ihm etwas vorhat. Die Demut, die der Zöllner hat, könnte man mit einem anderen Wort auch Hellhörigkeit nennen. Der Zöllner ist hellhörig dafür, daß Gott mit ihm etwas vorhast, was der Zöllner selbst nicht vermag. Diese Hellhörigkeit, diese Demut kann in vielen Dingen bestehen. Vielleicht aber ist es gar nicht so abwegig, unter Demut dies zu verstehen: hellhörig zu sein gegenüber dem Gebot der Nächstenliebe, und dies nach den Kräften, die wir nun einmal haben, in dem Leben wirksam werden zu lassen, das wir miteinander leben. Amen.

Pfarrerin Asta Gyldenkærne
Skovkirkevej 21
DK-3630 Jærgerspris
Tel: ++ 45 - 47 53 00 33
E-mail: agy@km.dk

 


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