Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

14. Sonntag nach Trinitatis, 21. September 2003
Predigt über Lukas 17
, 11-19, verfaßt von Erik Høegh-Andersen (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Zehn Aussätzige kamen und riefen zu Jesus: Meister erbarme dich über uns! Zehn Männer - alle waren gleich gestellt. Ihr Elend war dasselbe. Sie waren wegen der Ansteckungsgefahr gezwungen, für sich selbst zu leben, in öden Gegenden, ohne Kontakt zu Freunden und Verwandten. Wenn sich gesunde Menschen näherten, war es ihre Pflicht zu rufen: "Unrein!", so daß man nicht Gefahr lief, mit ihnen in Berührung zu kommen. Dennoch riefen sie, haben wir gehört, aus großer Entfernung Jesus an und baten ihn, sich ihrer zu erbarmen und sie zu heilen.

Zehn Männer - alle trugen die deutlichen Zeichen des Aussatzes, mit verzerrten Gesichtern und verkrüppelten Armen und Beinen. Alle waren im selben Elend und in derselben Not.

Und dann geschieht es, daß die Krankheit wie ein Morgennebel aus ihrem Leben verschwindet. Wie das geschieht und was eigentlich passiert ist, das wissen wir nicht. Wir wissen nur, wie erzählt wird, daß sie auf ihrem Weg hin zu den Priestern wieder rein werden. Ein Wunder ist geschehen. Sie sind nun nicht mehr wie tot, von andern Menschen isoliert, sie können nun wieder unter anderen Menschen leben.

Zehn Menschen haben etwas unfaßbar Großes erlebt. Zehn Menschen haben die Möglichkeit erhalten, neu zu leben - allen widerfährt dasselbe. Aber nur einer von ihnen kehrt zurück, um Jesus zu danken für das, was geschehen ist.

Worin besteht eigentlich der Unterschied zwischen ihm und den neun anderen? Warum kehrte er zurück und die anderen nicht? Oberflächlich betrachtet könnte man ja sagen, daß er nur besser erzogen war als die anderen, daß er es gewohnt war, Danke zu sagen, das waren die anderen nicht. Aber natürlich steht etwas anderes und mehr auf dem Spiel.

Die neun anderen - es steht faktisch nichts darüber da, wie sie auf ihre wiedergewonnene Gesundheit reagiert haben. Sie verschwinden aus dem Bericht, und wir hören seit dem nicht von ihnen.

Aber man muß sich vorstellen, daß sie zu ihren Familien zurückgekehrt sind, überaus glücklich über das ehrlich gesagt unglaubliche Glück, das sie gehabt haben. Man muß sich vorstellen, daß das, was sie erlebt haben, als eine Erschütterung in ihrer Seele bleibt, etwas Großes und Unerklärliches, und man muß wohl damit rechnen, daß sie in der Zeit danach darüber erfreut waren, so das Leben, die Freiheit, die Gesundheit wiedererlangt zu haben. Die Krankheit, der Aussatz, steht da als eine düstere Finsternis, in die sie hineingeraten waren, nun aber sind sie zu der Welt zurückgekehrt, die sie kennen und lieben. Ihr Leben ist wie vorher.

Für den zehnten Mann aber, den Samaritaner, der er ja war, der zu Jesus zurückkehrte, ist das Leben nicht mehr so, wie es war. Der zehnte Mann, der zurückkehrte, ist nicht nur von einer schrecklichen Krankheit geheilt und kann sein Leben wie vorher wieder aufnehmen. Nein, es ist, als habe er durch das, was geschehen ist, sein Leben in einer neuen Bedeutung wiedergewonnen. Es ist, als wisse er nun ganz anders als zuvor, was es heißt, am Leben zu sein, ein freier Mensch zu sein, zu merken und zu sehen. Und er weiß, in all dem, was ihm geschenkt worden ist, will Gott etwas mit ihm. Er ist nicht nur der glückliche Gewinner in einer anonymen Lotterie, wo es einigen gut geht und anderen weniger gut. Gott selbst hat ihm ein neues, großes, überwältigendes, bewegendes Leben gegeben, und nun ist es an ihm, es anzunehmen als die unglaubliche und verpflichtende Gabe, die es ist.

Deshalb kehrt er zurück in Dankbarkeit, um dem Geber, um Gott zu zeigen, daß er versteht, was ihm geschenkt worden ist. Er dankt nicht nur für das Leben als solches, sondern für die Güte, die Gott ihm erwiesen hat, für die wunderbare Liebe, die er in seiner Heilung erfahren hat.

Das ist aus meiner Sicht der entscheidende Unterschied zwischen ihm und den anderen neun. Die anderen brauchen keine undankbaren Zeitgenossen zu sein, wie man sie oft beschrieben hat. Sie sind vermutlich begeistert gewesen oder zumindest außerordentlich zufrieden mit dem, was ihnen widerfahren ist.

Der Unterschied besteht darin, ob wir nur das Leben annehmen als eine anonyme Gabe, also eine Gabe ohne Absender, ohne Wille und Liebe, bei der es dann ganz an uns liegt, ob wir uns darüber freuen können oder nicht. Oder ob wir ganz verstehen, daß das Leben Gabe Gottes ist, eine Gabe, die dann von Seiten Gottes einen Sinn hat und bei der wir in der Gabe selbst die Liebe Gottes empfangen, den Willen Gottes, Gott selbst.

Das macht einen Unterschied.

Stellen Sie sich einen Kindergeburtstag vor. Mit Vater und Mutter und den Geschwistern und den Großeltern und Onkeln und Tanten. Alle kommen sie mit Geschenken für das Geburtstagskind. Sie werden auf den Gabentisch gelegt. Und das darf Peter - lassen Sie uns das Geburtstagskind so nennen - die Geschenke auspacken. Aber das geschieht mit einer solchen Ungeduld oder Gier, daß er gar nicht sieht, wer welche Geschenke gegeben hat. Das Papier wird abgerissen und zusammen mit der beigelegten Karte weggeworfen, auf der stand, wer der Geber war, dazu vielleicht einige Worte, die etwas über die Absicht mit dem Geschenk sagen. Aber Peter ist das egal. Da ist eine CD, die er sich gewünscht hat, und das macht ihn glücklich. Da ist ein Hemd, und das ist gut. Da ist ein Buch, das er nicht kennt. Da ist ein Taschenmesser, das wohl seinem Großvater gehört hat, aber das merkt er nicht, denn ein Messer ist wohl ein Messer, und dies hier ist schöner als die meisten.

Peter ist durchaus zufrieden. Ja er ist glücklich, um nun seinen Zustand zu beschreiben. Schöne Geschenke hat er bekommen, die er sicher gut gebrauchen kann. Aber seine Freude gilt dem Geschenk an sich, nicht der Liebe, die in dem Geschenk liegt. Da sind vielleicht Geschwister, die wochenlang darauf gewartet haben, Peter ein bestimmtes Geschenk zu machen. Da ist der Großvater, der sich darauf gefreut hat, seinen Enkel mit dem Messer zu sehen, das er selbst einmal als Kind geschenkt bekommen hat. Da sind viel Umsicht und Liebe in allen Geschenken.

Deshalb ist auch klar, daß Peter, auch in seiner Freude über die einzelnen Dinge, nicht ganz verstanden hat, was er bekommen hat. Denn in einem Geschenk geben wir etwas von uns selbst. Es ist Ausdruck für das, was wir denken, unsere Lebe oder unsere Seele. Natürlich gibt es auch Geschenke, die wir nur aus Pflicht oder Konvention machen oder als regelrechte Bezahlung dafür, daß wir am Fest teilnehmen dürfen. Aber wirkliche Geschenke sind vom einen zum anderen und im Geschenk geben wir etwas von uns selbst.

So ist es auch mit den Gaben Gottes.

Sie sind zwar anonym in dem Sinne, daß es keine Karte gibt, die an das Paket geheftet ist und klar und deutlich sagt, wer der Geber ist. Viele von ihnen sind auch anonym in dem Sinne, daß sie nicht nur mir gelten, sondern allen. Dieser phantastische Morgen, mit einem ganz besonderen milden diesigen Spätsommerlicht, das in den Blättern der Bäume und die Spinnweben schimmert, dieser Morgen ist ja nicht nur für mich, sondern ein Geschenk für uns alle.

Dennoch verstehe ich erst voll und ganz, was dieser Tag enthält, wenn ich ihn als Geschenk Gottes an mich empfange. Wenn ich verstehe, daß Gott mir heute etwas will. Heute soll ich meine Augen öffnen und alles sehen und merken, was ist.

Das Dasein, daß ich bin und die anderen da sind, ist überhaupt nicht nur ein anonymes und objektives Faktum, über das ich mich nach eigenem Gutdünken freuen kann oder auch nicht. Nein, alles wird mir geschenkt, in kleinen und großen Wundern überschüttet Gott mich mit seiner Liebe - im Sonnenlicht, in den Blicken der anderen, darin, daß ich mich erheben und wahrnehmend einhergehen kann, in all dem will Gott etwas mit mir.

Das Leben ist selbstverständlich auch, meistens jedenfalls, gut in sich. Aber seinen besonderen Charakter, was es von mir fordert, verstehe ich eigentlich erst, wenn ich es annehme als gute Gabe Gottes und wenn ich es neugierig auspacke und mich für seinen Reichtum und seine Liebe täglich öffne.

Denn so ist es natürlich auch. Gaben müssen gebraucht werden. Sie sollen nicht nur auf dem Gabentisch liegen bleiben oder weggelegt werden. Und deshalb sagt Jesus zu dem Samaritaner, als er seinen Dank annimmt: "Stehe auf, gehe hin!" So sagt Jesus in der Tat irgendwie immer zu all denen, denen er begegnet. Stehe auf, nimm dein Bett, gehe nach Hause und sündige nicht mehr, Geh, Gehe hin in Frieden. So werden wir stets in das Leben zurückgeschickt, das uns jeweils gegeben ist. Wir sollen erleben, sehen, für einander dasein. Wir dürfen die Tage nicht an uns vorübergleiten lassen als seien sie nichts. Das Geschenk soll gebraucht werden.

Aber in unserer Einstellung zum Geschenk ist unsere Dankbarkeit wichtig. Nicht weil Gott sie braucht oder weil die ständige Güte Gottes davon abhängig wäre, ob wir danken oder nicht. Die Geschenke Gottes sind souverän, es sind Liebesgaben, die großzügig - wenn auch nicht immer gleichermaßen - uns allen zufließen. Nein, unsere Dankbarkeit ist wichtig als Ausdruck dafür, daß wir faktisch uns auf der Höhe befinden mit dem Leben, das uns geschenkt ist. Wir versinken so leicht in einen Zustand, wo das Laben nur da ist - als etwas Selbstverständliches, als Licht oder Finsternis, in Freud und Leid. Manchmal merken wir in unserem Dösen nicht einmal den besonderen Charakter des Tages.

Aber unser Leben ist mehr als das, es ist eine Gabe, wo Gott etwas von uns will, auch wenn es uns unüberschaubar und schwer vorkommt. Und die Dankbarkeit zeigt, daß das, was geschieht, nicht nur stumme und leere Ereignisse sind, sondern daß Gott uns fordert, uns anspricht in dem, was auf uns kommt, ja in jedem Tag, finster oder hell, ist ein Sinn, den wir ergreifen und festhalten sollen.

Eine solche Einstellung nennt Jesus Glauben. "Dein Glaube hat dir geholfen", sagt er zum Samaritaner. Der Glaube sieht die Gegenwart und die Liebe Gottes in dem, was uns begegnet. Und in der Dankbarkeit des Glaubens ist eine Offenheit, die notwendig ist, damit wir die Gabe voll empfangen und auf einer Höhe sind mit dem Laben, das wir empfangen haben. Der Samaritaner ist deshalb ein gutes Beispiel für einen Menschen, der sich selbst, der das Dasein in der rechten Perspektive sieht. Alles ist uns geschenkt, ein überwältigendes, wunderbares, schwindelndes, aber auch forderndes Leben. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Das ist ein Geschenk, das uns gegeben ist, eine Liebesgabe, und zu der können wir uns der Natur der Sache nach nicht anders verhalten als in Dankbarkeit und Glaube.

Und wenn wir vergessen, daß es so ist? Ja, dann werden wir in Gebet und in Liedern, ja überhaupt wenn wir in die Kirche gehen, daran erinnert, daß es so ist. Im Gottesdienst werden wir sozusagen an unseren Platz gestellt, dorthin, wo wir unser Leben und unser Geschick als etwas sehen, in das Gott sein Leben und seine Liebe gelegt hat. Wir werden im Wundern und in der Offenheit des Lobgesanges auf eine Höhe gebracht mit dem Leben, das uns geschenkt ist. Amen.

Pfarrer Erik Høegh-Andersen
Prins Valdemarsvej 40
DK-2820 Gentofte
Tel. ++ 45 - 39 65 43 87
e.mail: erha@km.dk


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