Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

15. Sonntag nach Trinitatis, 28. September 2003
Predigt über Matthäus 6, 24-34
, verfaßt von Hanne Sander (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Immer wieder taucht das auf im Alten wie im Neuen Testament: Sorget nicht! Man denke an die Erzählung vom Manna in der Wüste, wie es schief ging, als die Israeliten hamsterten und sich nicht damit begnügen wollten, Manna für einen Tag zu sammeln, wie ihnen gesagt worden war. Oder die Erzählung vom reichen Mann und dem armen Lazarus, wo der reiche Mann ein Narr genannt wird, weil er nun sterben muß, gerade jetzt, wo er beschlossen hatte, es etwas langsamer angehen zu lassen und zu leben. Oder wir können an die Geschichte vom reichen Jüngling denken. Er kommt zu Jesus und fragt nach einem sinnvollen Leben, aber wenn es drauf ankommt, kann er sich nicht von seinem materiellen Überfluß trennen.

Und nun hier in dem Teil der Bergpredigt Jesu, dem heutigen Predigttext: Sorget nicht um euer Leben. Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen.

In den biblischen Erzählungen wird also auffällig oft der enge Zusammenhang zwischen Besitz und Unfreiheit hervorgehoben. Der Drang, etwas zu besitzen und sich zu sichern, wird schnell zu einer dämonischen und tyrannischen Begierde, die uns bindet und unfrei macht und besorgt. Vielleicht sind das auch die Texte, die am verschiedensten gelesen werden, denn je nach Auslegung hat das zu Phantasten und Träumern geführt, es sind weltfremde Asketen daraus hervorgegangen.

Menschen haben den Text hier gehört und ihn als Begründung dafür benutzt, von allem Weltlichen Abstand zu nehmen und das Dasein in eine geistliche und eine sinnliche Welt aufzuteilen, wobei man die letztere verachten mußte. Sie hatten ja gehört, daß sie nicht sorgen sollten, sondern erst nach dem Reiche Gottes trachten sollten. Das konnte auch zu religiöser und kirchlicher Bequemlichkeit und Faulheit führten. Verantwortungslosigkeit gegenüber der Gesellschaft und der politischen Welt, in der wir leben.

Meist aber wird der Text hier wohl als ein schöner Text und ein bewegendes Bild wahrgenommen, aber so fern von der Wirklichkeit, in der wir leben, daß es uns schwer fällt ihn ernst zu nehmen.

Ja es ist recht leicht, den Text umzukehren, indem man ihn kritisiert und sagt, daß er unsere Wirklichkeit und unseren Alltag nicht ernst nimmt. Denn wo führt das hin, wenn wir uns keine Sorgen machen? Wie würde die Welt aussehen, wenn wir nicht über den heutigen Tag hinausblicken würden.

Wir haben ja schon längst kapituliert und dem Eigentumsrecht und dem Drang zum Besitz nachgegeben, und wir haben deshalb weithin akzeptiert, daß Begier und ihr Begleiter der Neid das sind, was unsere Gewohnheiten bestimmt und die Art und Weise, inder wir unser Dasein einrichten. Und dann muß man sich natürlich sorgen und etwas nachsichtig über ein Evangelium den Kopf schütteln, das etwas anderes über die Wirklichkeit sagt.

Oder ist das noch eine andere Möglichkeit: Statt daß wir den Text umkehren - lassen wir uns selbst vom Text umkehren.

Denn wenn wir im Ernst damit anfangen, auf den Text zu hören, dann betreffen die Worte, daß wir nicht sorgen sollen, ganz entscheidend das, was wir gewöhnlich die Wirklichkeit nennen. Denn wo ist der, der sich sorgt, eigentlich - in Wirklichkeit? Ja der, der sich sorgt, ist eigentlich selten wirklich gegenwärtig. Denn entweder hängt er fest am gestrigen Tag - in Sorge - oder er ist schon beim morgigen Tag - in Sorge.

Im heutigen Tag - der wirklich ist - da ist der, der sich sorgt, nur scheinbar.

In dieses Schneinleben bricht Jesus ein mit seiner Hilfe - mit Worten, die zugleich scharf und trostreich sind:

Ihr Kleingläubigen: Das ist kennzeichnend für unser Leben, daß wir kein Vertrauen haben zu anderen als uns selbst, daß wir keinen Glauben haben an andere Sicherheit als die, die wir selbst aufbauen können, daß wir nicht mit dem Reich Gottes rechnen, sondern nur mit unserem eigenen Reich, und daß wir uns deshalb mit unserem sorgenden Sichern unserer selbst vom Leben und von einander entfernen.

Aber dann hält uns Jesus dafür das helle uns starke Bild vor Augen: Seht die Vögel des Himmels. Seht, wie die Liljen des Feldes wachsen. Er will damit sagen: Versucht, darauf aufmerksam zu sein, daß ihr im tiefsten Sinne von dem lebt, wofür ihr nicht selbst gesorgt habt - das Leben gehört in diesem Sinne nicht uns, sondern Gott. Wir sollen es ausfüllen, in der Tat, aber beachte wieder, wie diese Form der Abhängigkeit eine unendliche Befreiung bedeutet.

Der Vogel lebt sein Vogelleben voll aus, er singt aus Freude über das Licht, und er sorgt für den heutigen Tag, sorgt für das Nest und für die Jungen.

Die Blumen leben ihr Blumenleben voll aus: Sie strecken sich aus nach der Sonne mit ihrem warmen Licht, öffnen sich für den Regen, entfalten sich, solange es Tag ist.

Sie können in der Tat unsere Lehrmeister sein - und deshalb wollen wir nun singen:

Nun lob, mein Seel, den Herren,
was in mir ist, den Namen sein.
Sein Wohltat tut er mehren,
vergiß es nicht, o Herze mein.

Amen.

Pfarrerin Hanne Sander
Prins Valdemarsvej 62
DK-2820 Gentofte
Tel.: 39 65 52 72
e-mail: sa@km.dk

 


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