Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

15. Sonntag nach Trinitatis, 28. September 2003
Predigt über Matthäus 6, 24-34
, verfaßt von Karl W. Rennstich
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Dogmatische und homiletische Entscheidung

Liebe Gemeinde!

Gott und Mammon sind die tiefsten Gegensätze. Die Macht des Götzen Mammon ist die Sorge. Was bedeutet Sorge?

”Als einst die »Sorge« über einen Fluss ging, sah sie tonhaltiges Erdreich: sinnend nahm sie davon ein Stück und begann es zu formen. Während sie bei sich darüber nachdenkt, was sie geschaffen, tritt Jupiter hinzu. Ihn bittet die »Sorge«, dass er dem geformten Stück Ton Geist verleihe. Das gewährt ihr Jupiter gern.

Als sie ihrem Gebilde nun ihren Namen beilegen wollte, verbot das Jupiter und verlangte, dass ihm sein Name gegeben werden müsse.

Während er den Namen die »Sorge« und Jupiter um den Namen stritten, erhob sich die Erde (Tellus) und begehrte, dass dem Gebilde ihr Name beigelegt werden, da sie ja doch ihm ein Stück ihres Leibes dargeboten habe. Die Streitenden nahmen Saturn zum Richter. Und ihnen erteilte Saturn folgende anscheinend gerechte Entscheidung:»Du, Jupiter, weil du den Geist gegeben hast, sollst bei seinem Toden den Geist, du, Erde, weil du den Körper geschenkt hast, sollst den Körper empfangen. Weil aber die»Sorge« dieses Wesen zuerst gebildet, so möge, solange es lebt, die »Sorge« es besitzen. Weil aber über den Namen Streit besteh, so möge es »Homo« heißen, da er aus Humus (Erde) gemacht ist.“

( Die Cura Fabel des Hyginus, in: Martin Heidegger, Sein und Zeit, 8. Aufl. 1957, S. 198).

»Sorge« (Cura) ist ängstliche Bemühung, Sorgfalt und Hingabe. Sie gehört zum Wesen des Menschen. Der Mensch sorgt sich um die Zukunft und um sein Leben. Er macht sich Sorgen. Das größte Sorgenkind des modernen Menschen ist die Zukunftssicherung. Sorge fällt nicht um und man sorgt sich eher alt als reich. Sorgen macht graue Haare und altert ohne Jahre und frisst den Weisen wie Rost das Eisen. Wen Sorgen grau machen, der ist wirklich arm, denn mit bloßen Sorgen kann man keinen Strohhalm zerbrechen.

Jesus war ein Jude. Er sprach und dachte also hebräisch und aramäisch. Das Wort, das wir in unserem Text finden – merimnao- hat eine vom deutschen Wort »sorgen« abweichende Bedeutung. Aus der Wurzel (s)mer wächst neben gedenken, sorgen auch marturea und martus, bezeugen und Zeugnis. Wie im lateinischen Wort cura sollen ängstliches Bemühen, Sorgfalt und Hingabe ihre Blüten treiben und Früchte bringen.

Die umfangreichste Zusammenfassung zum Thema Sorge finden wir in unserem Text und in der so genannten Feldrede (Lukas 12,22-31). Beide wenden sich gegen Irrtum, der Mensch könne durch kurzfristige Sicherung der Lebensbedürfnisse seine Zukunft sichern. Sorgen ist deshalb töricht, weil das Leben mehr als die Speise ist. Der Sorgende kann sein Leben und seine Zukunft letztlich nicht sichern.

Den engen Zusammenhang von Gott und Mammon hat Franziskus von Assisi im Gespräch mit dem Bischof von Assisi auf einen Nenner gebracht:

Der Bischof von Assisi sagte eines Tages zu Franziskus: ”Eure Art, ohne Besitz zu leben, scheint mir sehr hart und schwer.“ ”Herr“, antwortet er, ”wenn wir Güter besäßen, hätten wir Waffen zu unserer Verteidigung nötig; denn da ist die Quelle der Streitigkeiten und der Prozesse, und die Liebe Gottes und der Nächsten pflegt daran viele Hindernisse zu finden. Das ist der Grund, warum wir keine zeitlichen Güter haben wollen.“ (L. Ragaz, Die Bergpredigt Jesu, GTB Siebenstern 451,S. 133).

Der säkularisierte Jude Karl Marx war der Meinung, alles Böse komme vom Privateigentum und der korrumpierenden Macht des Geldes - daher sei das Problem des Bösen mit der Abschaffung des Eigentums automatisch gelöst. Dies hat sich als schwerer Irrtum erwiesen.

Heute fordern Neoliberale - wie Hans-Olaf Henkel eine „Ethik des Erfolgs und sehen das Heil der Welt in der Umsetzung dieser Ethik. Gordon A. Craig sieht Deutschland als „eine Gesellschaft, die mittels Geld Werte in Ware umwandeln konnte". (Über die Deutschen, München 1985, 2, S.124) Dieses Verständnis von Führertum und gnadenloser Ausbeutung besteht bis heute in der globalen Form des „Raubtierkapitalismus“ weiter.

Hier geht es letztlich um die Gegenüberstellung von „Religion und Glaube.“ Dahinter versteckt sich die Frage nach dem wahren oder falschen Gott. Glaube, Vertrauen“ (pistis) stehen im Zentrum der Bibel. Die frühen Christen lehnten den römischen Begriff religio (Religion) ab und benutzten dafür bewusst den Begriff pistis. Muslime nennen ihren Glauben Islam und verstehen darunter die freiwillige Unterwerfung unter den Willen Allahs. Deshalb nennen sie sich Muslime. Die klassische Form von „Religion“ in der westlichen Gesellschaft ist heute der Kapitalismus. Der Konsum als Wesensmerkmal des Kapitalismus beansprucht alle Menschen und wird zum Gott, „an den der Mensch sein Herz hängt“ (M. Luther).

Die Zukunft liege in der Hand dieses neuen Glaubens und nicht mehr in Gottes Hand wie einst nach christlicher Tradition. Das dem Selbsterhaltungstrieb des Menschen dienende Geld trägt quasi-religiöse Züge. Diesen heute weithin verschütteten und fremd anmutenden Gott der Bibel müssen wir Christen in Deutschland wieder entdecken.

Schon der englische Ökonom John Maynard Keynes (1883- 1946) hat mit theologischer Präzision den Gegensatz des biblischen und koranischen Gottesverständnisse zum kapitalistischen Gottesverständnis der „Religion ohne Gott“ herausgearbeitet. Das System der religiösen Macht der Kapitalismus- Religion ist nach Keynes die Geldwirtschaft. Sie ist nicht neutral. Gott dieser neuen Religion ist das Geld. Es ist allmächtig und allgegenwärtig. Alles ist für Geld zu haben. Auch dieser Geld-Gott ist auf Glauben angewiesen. Geld wird durch den Glauben an das Geld gedeckt. Auf ihn richten sich Vertrauen, Treue, Sicherheit, Geborgenheit, Mut zur Zukunft, Liebe, Hoffnung, unersättliches Begehren, Haltungen die religionsphänomenologisch gegenüber Gott gelten. Geld ist zum „Sakrament der bürgerlichen Gesellschaft“ geworden, zum sichtbaren Zeichen der unsichtbaren Gnade.“

Weltanschauung ist heute Geldanschauung (G. Fuchs, Geldanschauung. Aufgabenbeschreibung für eine konkrete Theologie, in: Diakonia 19 (1988) , S. 256). Der neue Geld-Gott bestimmt alle Maßstäbe, er entscheidet über gelingendes oder gescheitertes Leben, er ist Vorsehung und er vermittelt, wie einst die kirchlichen Sakramente, zwischen Immanenz und Transzendenz. Geld wird zum absoluten Wert: Es kann nicht beherrscht werden, es herrscht aber über allen Dingen. Als alles bestimmende metaphysische Wirklichkeit ist es das Medium, das die Welt im Innersten zusammenhält. Geld wird zum god-term, zum Gottesbegriff der Moderne und ersetzt als Bindungskraft fortan die bisherige Religion, „denn die Bedeutung des Geldes rührt“ nach J. M. Keynes (Allgemeine Theorie der Beschäftigung des Zinses und des Geldes, VI , Berlin 5 1974, S. 248) „im wesentlichen daher, dass es ein Verbindungsglied zwischen der Gegenwart und der Zukunft darstellt“. Es verursacht die geringsten Unerhaltskosten und kann nicht verderben. Gleichzeitig hat es die höchste Liquidität. Es dient vor allem der Vorsorge für die Zukunft. Damit ist das zentrale Moment des Kapitalismus beschrieben. Er ist darin religiös, dass er mittels Geld Zukunftsvorsorge betreibt.

„Sorge“ nennt Walter Benjamin die Geisteskrankheit des Kapitalismus im Zusammenhang mit Knappheit. Religionen waren immer mit dem Phänomen des Todes und der Sorge um die Zeit nach dem Tod beschäftigt. Im säkularen Zeitalter des Kapitalismus schrumpft die Vorsorge für die Zukunft auf den überschaubaren Zeitraum von finanziellen Transaktionen zusammen. Die Religion des Kapitalismus konzentriert sich mit Hilfe des Geldes auf die Sorge vor der nicht beherrschbaren Zukunft. Vorsorge wird hier zur Religion. Die zentrale Anweisung der Bergpredigt „Sorget euch nicht!“ (Matthäus 6,25) steht bei Jesus im Zusammenhang mit dem Reich Gottes und damit der Gerechtigkeit. Sorgen ist Kennzeichen der „Heiden“. Die „Reich-Gottes“- Anhänger bitten um das, was zum Leben notwendig ist (Matthäus 6, 11), sie beschränken sich auf die ausreichende tägliche Ration. Das ist das Kennzeichen der biblischen Ökonomie und hat das Manna (2. Mose 16) zum Vorbild, von dem wir lernen, dass alles, was über den Tag hinaus gehend gesammelt wird, verfault und für die Verbraucher schädlich wird. Der Glaube an die Knappheit führt zu Ungerechtigkeit; der Verzicht auf Vorsorge dagegen kommt aus dem Glauben an die Fülle des göttlichen Segens, der die Lilien auf dem Feld prächtiger kleidet als der weise und umsichtige Herrscher Salomo. Diese Form von Vorsorge dient dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit.

Keynes sieht den Weg in die Zukunft darin, die alten Forderungen nach der Abschaffung der Zinsen, wie sie im Judentum, im Islam und in der Kirche bis zum ausgehenden Mittelalter vorhanden sind, nicht mehr„als einen praktischen Ausweg aus einer törichten Theorie“ zu betrachten, sondern „als eine ehrliche, intellektuelle Bemühung, auseinander zu halten, was die klassische Theorie unauflöslich durcheinander gebracht hat, nämlich den Zinsfuß und die Grenzleistungsfähigkeiten des Kapitalismus. Das biblische Zinsverbot (2. Mose 22, 24; 3. Mose 25, 35-37; 5. Mose 23, 20-21) will die Bereicherung einiger weniger in der Zukunft auf Kosten der Not der Armen in der Gegenwart verhindern. Grund und Boden gehören Gott und nicht dem Menschen. Für alle ist genug da, wenn nicht einige auf Kosten anderer ihre Zukunft sichern.

Hier wird der Gegensatz deutlich zwischen einem „verschuldenden Kultus“, der das Schuldbewusstsein auf alles ausdehnt und sogar Gott darin einbezieht (Benjamin), und einem Gott, der die Schuld vergibt, auf dass auch wir vergeben unseren Schuldigern.

Thomas Ruster (Der verwechselbare Gott. Herder, Freiburg i.Br. 2001)sieht den große Unterschied zwischen dem christlichen Glauben und der herrschenden ”Religion des Geldes“. Vorsorge und Nicht-sorgen- zu brauchen sind die Trennungslinie zwischen dem „Gott“ der Bibel und „Mammon“, dem Gott der säkularen Kapitalismus-Religion.

Sorge und Vorsorge können wir treffen, aber oft kommt alles dann ganz anders. Schön fasst das eine Chinesische Parabel zusammen, die wir bei Hermann Hesse (Mit der Reife wird man immer jünger, insel taschenbuch 2857,S. 133f) finden:

”Ein alter Mann mit Namen Chunglang, das heißt »Meister Felsen«, besaß eine kleines Gut in den Bergen. Eines Tages begab es sich, dass er eins von seinen Pferden verlor. Da kamen die Nachbarn, um ihm zu diesem Unglück ihr Beileid zu bezeigen.

Der Alte aber fragte: »Woher wollt ihr wissen, dass das ein Unglück ist?« Und siehe da: einige Tage darauf kam das Pferd wieder und brachte ein ganzes Rudel Wildpferde mit. Wiederum erschienenen die Nachbarn und wollten ihm zu diesem Glücksfall ihre Glückwünsche bringen.

Der Alte vom Berge aber versetzte: »Woher wollt ihr wissen, dass es ein Glücksfall ist?«

Seit nun so viele Pferde zur Verfügung standen, begann der Sohn des Alten eine Neigung zum Reiten zu fassen, und eines Tages brach er das Bein. Da kamen sie wieder, die Nachbarn, um ihr Beileid zum Ausdruck zu bringen. Und abermals sprach der Alte zu ihnen:”Woher wollt ihr wissen, dass dies ein Unglücksfall ist?«

Im Jahr darauf erschien die Kommission der »Langen Latten« in den Bergen, um kräftige Männer für den Stiefeldienst des Kaisers und als Sänftenträger zu holen. Den Sohn des Alten, der noch immer seinen Beinschaden hatte, nahmen sie nicht. Chunglang musste lächeln.“

Wahr ist: ”Suchet vielmehr zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, so wird euch das alles hinzugefügt werden.“

Amen.

Dogmatische und homiletische Entscheidung

Wir gehen davon aus, dass Matthäus 5-7 eine Einheit bilden. Diese Einheit ist bekannt unter dem Namen Bergpredigt. Sie ist weder ein moralisches Gesetz noch eine Utopie, sondern nach L. Ragaz (Die Bergpredigt Jesu, Gütersloher Taschenbücher GTB 451, 1987, S. 8f) durchaus realistisch und beschreibt den Weg Gottes im Gegensatz zum Weg der Welt und religiösen Moral. In der Bergpredigt sind Ordnung und Gesetz des Reiches Gottes zusammengefasst.
Die Bergpredigt ist wie W. D. Davies, (Die Berg Predigt, München 1970) schön herausarbeitet, Teil des Matthäusevangeliums und eingebettet in dieses Evangelium, das eine klare Struktur aufweist 1-2 (Prolog, Geburtsgeschichte:3,1- 425 Erzählendes Material; 5,1-7,27 die Bergpredigt. Dem folgen Buch 2 bis 5, eingeleitet durch bestimmte Formeln (7,28f; 11,1; 13,53; 19, 1; 26,1).
Der neue Mose, der neue Exodus und die Überbietung der mosaischen Kategorien sind die wichtigsten Punkte, wenn man der Pentateuchtheorie folgt. Im Kontext der jüdischen Messiaserwartung stehen der neue Bund und die Tora, der Knecht Gottes und sein Gesetz, sowie Zion und die Tora im Vordergrund.
Jesus war ein Lehrer. Er rief Jünger zu sich. Seine Autorität war autonom. Er drückte seine Lehre im Imperativ aus- nicht in der unter Rabbinen üblichen Partizipform- und benützte die Heilige Schrift als Zeuge für sich selbst. Das Wesen der Jüngerschaft Jesu erwuchs als Antwort auf den Ruf Jesu in die Nachfolge.
Das Konzept der Liebe ist zweifellos die beste Zusammenfassung der ethischen Lehre Jesu. Das Wesen der Liebe offenbart Jesus selbst. Beim genauen Hinsehen wird deutlich, dass die Imperative der Bergpredigt in sich selbst Indikative sind. So besteht das Evangelium zugleich aus Gabe und Forderung und zwar einer Forderung, die verwirklicht werden muss: ”An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“
Wir konzentrieren uns hier auf die Sorge.

Prof. Dr. Karl W. Rennstich
Bei der Kirche 2
72574 Bad Urach-Seeburg
Tel: +49-(0)7381-3215 Fax: +49-(0)7381-501234
E-mail: kwrennstich@gmx.de


(zurück zum Seitenanfang)