Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

15. Sonntag nach Trinitatis, 28. September 2003
Predigt über Matthäus 6, 25-34
, verfaßt von Thomas Ammermann
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde!

Die Kapitel 5-7 des Matthäus-Evangeliums bilden die sogenannte “Bergpredigt Jesu”. Jesus äußert sich hier ganz konkret zu den unterschiedlichen Bereichen des menschlichen Daseins auf dieser Erde. Wie bei einem Backrezept zum Gelingen eines wohlschmeckenden und nahrhaften Kuchens gibt Er Anweisungen, wie wir uns als Christen im Sinne eines wirklich gelingenden Lebens vor Gott verhalten sollen.

Da geht es sowohl um die Ehe als auch (das scheint da ja irgendwie naheliegend) um die Feindesliebe; er spricht vom Vergeben und vom Almosengeben, vom rechten geistlichen Beten ist die Rede und eben auch davon, wie wir zu den materiellen Fragen unseres Daseins eingestellt sein sollten.

Wie bei einem Backrezept zum Gelingen eines wohlschmeckenden und nahrhaften Kuchens gibt Er Anweisungen, wie wir uns als Christen verhalten sollen, wenn es gilt, aus den vielfältigen uns zu Gebote stehenden “Ingredienzen” dieser Welt einen gelungenen Kuchen für das Reich Gottes zu fertigen, einen Lebenskuchen, von dem alle ein Stück abbekommen können. Der Abschnitt, dem unser heutiger Predigttext (MT 6, 25-34) entnommen ist, trägt in der Lutherbibel den Titel: “Vom Schätzesammeln und Sorgen” Ich lese ihn im Auszug:

Jesus Christus spricht:

25) Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?
26) Seht die Vögel des Himmels an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie?
27) Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?
(28) Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.
29) Ich sage euch, daß auch Salomo in all seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen.
30) Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte Er das nicht vielmehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?)
31) Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden?
32) Denn nach dem allen trachten die Heiden. Euer himmlischer Vater weiß ja, daß ihr das alles braucht.
33) Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach Seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.
34) Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, daß jeder Tag seine eigene Plage hat.

“Seht die Vögel des Himmels an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch ... Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden?”

- Liebe Gemeinde! Könnte es sein, daß Sie mir angesichts dieses freundlichen Rates die Vögel des Himmels zeigen werden - mit dem Finger an der Stirn nämlich? Was soll denn auch eine Gemeinde von realistischen Leuten, gestandenen Landwirten womöglich, die - notgedrungen - mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen stehen, mit solch einem luftigen Motto anfangen?

Was soll es heißen: “sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch”? Noch dazu mitten in der Erntezeit?!

Kriegen vor Gott am Ende die Recht, die - aus welchen Gründen auch immer - planlos in den Tag hineindümpeln, die keine Verantwortung für die Zukunft übernehmen und im wahrsten Sinne des Wortes “den lieben Gott einen guten Mann sein lassen”?

Nein, so ist das natürlich nicht gemeint! Wenn es in unserem Predigttext heißt: “Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet”, so bedeutet das keineswegs: “kümmert euch nicht darum”! Sich nicht sorgen heißt ja nicht: Sich nicht kümmern, sondern: Sich nicht bekümmern lassen!” Das ist ein Unterschied. Und den gilt es zu erkennen und zu wahren. Auch wenn das nicht immer leicht ist.

So ist es natürlich sinnvoll und klug, daß sich z.B. Eltern um ihre Kinder kümmern. Sie sorgen für ihr Gedeihen und Wohlergehen. Dazu gehört natürlich auch, daß sie kluge Vorsorge treffen für ihr späteres Leben: Sei es, indem sie für eine anständige Erziehung sorgen, auf ihre Ausbildung acht geben, oder auch dadurch, daß sie ein Sparkonto für sie einrichten, das ihnen helfen mag, später einmal einen guten Start im eigenen Leben zu haben. - Nicht anders tun es übrigens auch die Vögel des Himmels. Auch sie sorgen ja für sich und die ihren: Sie bauen Nester, legen Eier, ziehen die Jungen auf und kümmern sich selbst nach Kräften darum, daß aus ihnen etwas wird. (Ich glaube nicht, daß Jesus an den Kukuk gedacht hat, als er uns die Vögel des Himmels zum Vorbild gab.) Von einer Aufforderung zu liderlicher Untätigkeit also keine Spur.

Doch was, wenn die Kleinen flügge werden? - Ein gnädiges Geschick bewahrt unsere Vogeleltern davor, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was alles aus ihnen werden könnte, wenn sie das Nest verlassen haben...

Hingegen leiden wir ach so bodenständigen Menschen, im Unterschied zu unseren geflügelten Mitgeschöpfen, unter einer ganz besonders schmerzlichen Eigenschaft: Ausgestattet mit den “Flügeln der Vernunft” neigen wir nämlich dazu, dem “Hier und jetzt” unseres Daseins immerwieder vorauseilen zu wollen, uns allzuviele Gedanken zu machen um das, was die Zukunft bringen mag. Und über der Sorge um das zukünftige Gedeihen der Menschen und Dinge, die uns gerade am Herzen liegen, verlieren wir allzuleicht die Orientierung auf jenem Weg, den wir zweibeinigen Erdbewohner eben nur Schritt für Schritt gehen können... Statt uns vertrauensvoll auf das Hier und Jetzt zu beschränken und uns um das zu kümmern, was gerade für uns ansteht, werden wir be-kümmert angesichts dessen, was wir vielleicht noch ausstehen müssen... Und am Ende kann es passieren, daß wir denen, die wir doch lieben - aus lauter Sorge um ihr Wohlergehen die eigenen Flügel beschneiden. Oft tun wir ja gerade denen Gewalt an, die wir vor Schaden bewahren wollen. Die wir lieben hängen wir da gern an eine goldene Kette - wie eine Taschenuhr und wenn sie sich dann buchstäblich von uns aufgezogen fühlen, sind wir enttäuscht, stimmts?

- All dies sind Zeichen unserer Lebensangst!

“Darum”, so heißt es am Ende unseres Predigttextes, “sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, daß jeder Tag seine eigene Plage hat.”

“Gut gekrächzt, alter Kanzelrabe”, mögen Sie jetzt denken. “Aber wie soll das gelingen? Wie soll es uns möglich sein, das Gespenst unserer Sorge zu verscheuchen? ”

Nun, liebe Gemeinde, jetzt zeige ich Ihnen - im Namen Jesu Christi - den Vogel: “Seht die Vögel des Himmels an”- sie mühen sich fleißig, aber sie wissen auch: Nur aus einem Ei, das wirklich gelegt ist, kann etwas Lebendes schlüpfen. Deshalb brütet auch ihr nicht über ungelegten Sorgeneiern, sondern kümmert euch (wie die Vögel) schlicht um das Naheliegende. Alles andere ergibt sich nämlich wirklich daraus - vorausgesetzt, sie und ich erkennen, was wirklich “das Naheliegende” ist! In diesem Sinne lassen Sie mich nocheinmal die Bergpredigt zitieren:

“Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach Seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles (andere) zufallen “, sagt Jesus Christus. Das ist das Naheliegende: Gottes Reich. Danach sollen wir Ausschau halten. Gott selbst ist uns nah. Er bietet uns an, daß wir uns auf Ihn verlassen...

“Na, das ist ja mal wieder ein echter Pfaffenspruch”, werden Sie jetzt vielleicht abwinken, “erst sollen wir uns keine Sorgen machen und uns konzentrieren auf das, was naheliegt - schön und gut - aber wenn man fragt, was das sein soll, wird die Nebelmaschine angeworfen: Gottes Reich - als ob das nicht erst recht in weiter und wahrhaft ungewisser Ferne läge... Da können wir ja gleich auf die eierlegende Wollmilchsau setzen, oder?”

Liebe Gemeinde, sollten Sie so ähnlich denken? Sie täten Unrecht daran. Denn kein geringerer als Jesus Christus hat in sehr realer Weise vorgelebt, wie das aussehen kann: Gott zu vertrauen und sich um das Naheliegende zu kümmern. Denn Er suchte Menschen, die Ihm nahe waren. Niemand anderes als unseren Nächsten hat Jesus Christus uns, damals, auf dem Berg, mit den Worten ans Herz gelegt: “Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach Seiner Gerechtigkeit.”

Ja, Gottes Reich ist ganz nah. Denn dort, wo es Menschen gibt, denen das Gebot Seiner Gerechtigkeit nahe geht, die sich die Anliegen ihrer Mitmenschen wirklich zu Herzen nehmen, beginnt es tatsächlich zuwachsen. Schon bricht die Schale auf und ein neues, ungeahntes Glück wird unter uns lebendig... unter denen, die sich zu Herzen nehmen, was Gott uns allen verheißen hat.

Natürlich ist es nicht einfach, die Sorgen beiseite zu schieben und auf Gott zu vertrauen. Gerade in schwierigen Zeiten wissen wir oft nicht, wie wir das anstellen bzw. durchhalten können.

Aber dort, wo wir wirklich nach dem Gebot Seiner Gerechtigkeit trachten und in diesem Sinne versuchen, den Menschen, die uns nahe sind, wirklich gerecht zu werden, wo wir fragen, was wir unseren Nächsten geben können, da gilt Gottes Verheißung. Und mit ihr wächst auch in uns echtes Gottvertrauen heran - wie ein Küken im Ei. Denn Gottes große Fürsorge macht sich denen kund, die Ihn für sich sorgen lassen.

Gelassenheit - das ist das Zauberwort für ein Gottgerechtes Leben, in dem auch andere wahrhaft Platz finden. Unser wirkliches Gottvertrauen und unsere vertrauensvolle Zuwendung zu wirklichen Menschen gehören zusammen wie Ei und Dotter.

Liebe Gemeinde, ich möchte nocheinmal zum Anfang dieser Predigt zurückkehren: All die unterschiedlichen Themen, um die es in der Bergpredigt geht, haben einen gemeinsamen Nenner: Es geht hier nicht allein ums richtige Verhalten in den einzelnen Lebensbereichen, sondern darum, unsere gesamte Lebenshaltung von Grund auf zu überdenken und - zu erneuern. Was es zu tun und zu lassen gilt, alles hängt davon ab, daß wir wissen - oder wieder lernen - wo wir selbst hingehören, an wen wir uns halten müssen. Das ist wie beim Kuchenbacken: Sie alle wissen, daß es darauf ankommt, die richtigen (möglichst hochwertigen) Zutaten zu verwenden (viele gute Eier z.B.). Aber es ist nicht damit getan, daß wir all das “irgendwie” miteinander verrühren, am Ende hängt die ganze Köstlichkeit nämlich davon ab, daß wir auch wissen, wohin damit - in den Keller?, unters Bett? oder in den vorgeheizten Ofen...? Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach Seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles andere zufallen. - heißt es in unserem Predigttext. Also: Vorheizen nicht vergessen! Am besten auf 37°C, denn das ist die Temperatur menschlicher Lebenswärme. Mit der wird in Gottes Reich gebacken. Guten Appetit. Amen.

Pfarrer Thomas Ammermann
Keplerstr. 7
97980 Bad Mergentheim
ev_pfarramt2_mgh@yahoo.de


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