Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

20. Sonntag nach Trinitatis, 2. November 2003
Predigt übe
r Markus 10, 2-12, verfaßt von Martin Evang
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


2 Und Pharisäer traten zu ihm
und fragten ihn, ob ein Mann sich scheiden dürfe von seiner Frau;
und sie versuchten ihn damit.
3 Er antwortete aber und sprach zu ihnen:
Was hat euch Mose geboten?
4 Sie sprachen:
Mose hat zugelassen,
einen Scheidebrief zu schreiben und sich zu scheiden.
5 Jesus aber sprach zu ihnen:
Um eures Herzens Härte willen hat er euch dieses Gebot geschrieben;
6 aber von Beginn der Schöpfung an hat Gott sie geschaffen als Mann und Frau.
7 Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen
und wird an seiner Frau hängen,
8 und die zwei werden ein Fleisch sein.
So sind sie nun nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch.
9 Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.
10 Und daheim fragten ihn abermals seine Jünger danach.
11 Und er sprach zu ihnen:
Wer sich scheidet von seiner Frau und heiratet eine andere,
der bricht ihr gegenüber die Ehe;
12 und wenn sich eine Frau scheidet von ihrem Mann und heiratet einen andern,
bricht sie ihre Ehe.

Liebe Gemeinde,

„was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden“. So ist es von Jesus überliefert. So hören es Ehepaare bei ihrer kirchlichen Trauung. Da ist es doch wunderbar – und wir, christliche Kirchen und Christenmenschen, wollen Gott dafür loben –, dass hierzulande zwei Drittel aller Ehen und in unseren Großstädten immer noch mehr als die Hälfte aller Ehen nicht durch Menschen, sondern erst durch den Tod geschieden werden! Mit absoluter, ja mit Zweidrittelmehrheit folgen oder entsprechen die Ehepaare in unserem Land der Weisung Jesu! Freuen wir uns darüber und danken wir Gott dafür!

Welch ein Glück, dass so viele Menschen ihre Lebenserfüllung in der Ehe nicht nur suchen, sondern in der Ehe auch finden! Welch ein Segen für die verheirateten Frauen und Männer selbst, für ihre Kinder und Enkel, für ihre weiteren Mitmenschen! Was von den Millionen gelingenden Ehen an Gutem in unsere Gesellschaft ausstrahlt, das ist ein Segen, der sich überhaupt nicht ermessen und beziffern lässt. Gelobt sei Gott, und ihr, Land und Stadt: lasst euch gratulieren angesichts der absoluten Mehrheit von Ehen, die glücken!

Glückwunsch vor allem aber euch selbst, ihr Ehefrauen und Ehemänner, die ihr einen Partner gefunden habt, den ihr nicht nur lieben, sondern notfalls auch leiden könnt! Den ihr nicht nur genießen, sondern notfalls auch riechen könnt! Angesichts des epidemischen Gejammers über scheiternde und qualvolle Ehen sind feierliche Seligpreisungen am Platz: „Selig sind die Ehefrauen und Ehemänner, die glücklich verheiratet sind!“ „Glücklich zu preisen sind die Ehefrauen und Ehemänner, die füreinander das größte Geschenk ihres Lebens sind!“ „Wohl der Ehefrau und wohl dem Ehemann, die in dem, was ihnen die Ehe auferlegt, eine Aufgabe erblicken, die in der Gabe der Ehe beschlossen liegt, nicht aber Grund und Anlass, den Partner zu verlassen!“

Selig! Glücklich! Wohl denen …! So werden in der Bibel und ihrer Tradition Menschen gepriesen, aber weniger für eine aus eigenem Vermögen vollbrachte Leistung, vielmehr für ein ihnen widerfahrenes – oder noch widerfahrendes – Glück, mit dem sie allerdings auch glücklich umgehen. Wenn wir Ehepaare selig preisen, dann deshalb, weil Gott ihnen in ihrer Ehe etwas Wunderbares geschenkt hat – den besonnenen Umgang damit inclusive.

Wir wollen uns doch nicht, liebe Gemeinde, vom Boulevard die Sinne trüben und die wunderbare Wirklichkeit gelingender Ehen vernebeln lassen! Von Dieter Bohlen und den anderen Beziehungssurfern von der Spaßmafia sollten wir uns in unserem Gotteslob für die Ehe beirren lassen? Wegen einer Handvoll Scheidungspromis uns einschüchtern lassen? Uns verleiten lassen, das Lob der Ehe nur noch leise und in Moll, hinter vorgehaltener Hand oder verschlossener Kirchentür zu singen? So dass es klingt, wie Magenbitter schmeckt? Nein: Öffentlich und laut gehört dies Lob gesungen, vorzugsweise in D-Dur!

Natürlich! Vielem zum Trotz gehört das Lob der Ehe als Lob Gottes öffentlich und laut und fröhlich gesungen! Es ist ja nicht so, als ließen wir uns vom millionenfachen Eheglück die Sinne für die tausendfachen Ehemiseren und Ehemalaisen trüben. Wir sehen sie. Die in den Medien inszenierten Ehedramen – von der Hochzeitsgala zur Scheidungstragödie – langweilen oder ärgern uns mehr, als dass sie uns bedrücken. Wirklich bedrückend sind die anderen, die an unser persönliches Leben heran- und mitunter in es herein reichen und in das Leben der uns nahen Menschen, auch in das Leben unserer Kirchengemeinden. Wer selbst oder durch nahe Menschen mit betroffen ist von Ehe-Unglück, dem kann schon einmal das Lob der Ehe im Halse stecken bleiben, und der kann es auch zeitweilig nicht gut anhören.

Aber das Lob der Ehe und des Eheglücks, das der Klage über viel Eheelend zum Trotz gesungen wird, will ja gar nicht trutzig, nicht triumphalistisch daherkommen, es will nicht klirren wie Schlachtgesang. Das Lob der Ehe will die nicht verletzen, deren Ehe mehr traumatisch als traumhaft verläuft oder verlief. Das Lob der Ehe will Entwicklungen in unserer Gesellschaft, die zu bejahen und zu begrüßen sind, nicht diffamieren, selbst wenn sie, wie die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Ehefrauen, höhere Scheidungsziffern zur Folge haben. Auch will das Lob der Ehe nicht den Eindruck erwecken, als sei sie die eine Form und Norm, an der gemessen alle anderen Lebensformen und Lebenskonzepte defizitär wären. Nein, das Lob der Ehe wollen wir singen – öffentlich und laut, fröhlich und dankbar singen! – als Lob der Wohltat, die sie für ungezählte Menschen tatsächlich ist.

Die Wohltat der Ehe! Eine Wohltat Gottes des Schöpfers für die Menschen! So stellt Jesus die Ehe ins Licht. So will er sie geschätzt und geschützt wissen. Gott hat die Menschen als Mann und Frau geschaffen; so steht es im ersten Schöpfungsbericht ganz vorn in der Bibel. Der Mann und die Frau bilden gemeinsam eine neue Lebenseinheit, werden „ein Fleisch“; das ist der Paradiesgeschichte entnommen. Jesus kombiniert diese biblischen Angaben und entnimmt ihnen, dass jedes Ehepaar von Gott als Schöpfer selbst „zusammengefügt“, wörtlich: „ins Joch gespannt“ ist. So ist für Jesus die Ehe – jede konkrete Ehe – menschlicher Willkür entzogen. Deshalb vertritt Jesus auch die Auffassung, Ehescheidung sei gleichbedeutend mit Ehebruch oder laufe darauf hinaus. Als Übertretung des siebenten (bzw. nach katholischer und lutherischer Zählung: sechsten) Gebots ist Ehescheidung demnach manifeste Sünde gegenüber Gott.

Ja wirklich: diese extreme Position hat Jesus vertreten. Extrem erscheint sie aber nicht erst uns heute. Extrem war sie schon für Jesu Zeitgenossen. Wenn er da gefragt wurde, „ob ein Mann sich scheiden dürfe von seiner Frau“, so war das für die Frager gar keine echte Frage. Für sie war die Sache klar: Natürlich war einem Mann die Scheidung erlaubt. Das war im Gesetz ausdrücklich vorgesehen bzw. vorausgesetzt. Ein Mann konnte seine Frau durch Ausstellen und Aushändigen einer Urkunde, eines „Scheidebriefes“, entlassen; so wurde die Scheidung vollzogen. Das war übrigens eine Schutzbestimmung zugunsten der verstoßenen Ehefrau, die dadurch wieder heiraten konnte.

Offensichtlich ist den Fragestellern Jesu extremer Standpunkt zur Ehescheidung bereits bekannt. Sie wollen ihn dazu verleiten, sich offen in Widerspruch zum Gesetz des Mose, zur Tora, zu setzen: „Sie versuchten ihn damit“, sagt Markus. Aber Jesus argumentiert geschickt mit der Tora selbst. Er stellt den ursprünglichen Willen des Schöpfers gegen das von Mose „um eures Herzens Härte willen“ gegebene Gebot. Die mit dem Mosegebot, einen Scheidebrief auszustellen, gegebene Zulassung der Ehescheidung bedeutet nicht, wie die Fragesteller wohl meinen, dass sie Gottes Willen entspricht. Sie selbst ist und bleibt Abkehr von Gott, „Sünde“.

Wenn aber Sünde, dann auch nach Möglichkeit und nach Kräften zu vermeiden! Was wäre da in unseren Tagen zu tun? Zu einer Ehescheidungsvermeidungsstrategie gehört an erster Stelle, dass die göttliche Wohltat der Ehe wahrgenommen, gepriesen und verkündet wird. „Kultur der Bejahung“ ist in den letzten Jahren zu einem Hauptwort evangelischer Weltorientierung aufgestiegen; in einer von Mäkeln und Jammern bestimmten Atmosphäre sollen wir wieder sehen und wertschätzen und loben lernen, was uns Gutes gegeben ist – gerade auch die Wohltat der Ehe. Kinder sollen den Segen der Ehe ihrer Eltern so reichlich wie möglich zu spüren kriegen. Beziehungs- und Konfliktfähigkeit soll als Bildungsziel mit Vorrang etabliert werden. Jugendlichen und jungen Erwachsenen sollen von Seiten der Kirche attraktive Angebote zur Ehevorbereitung gemacht werden. Angesichts von unumgänglichen Sparnotwendigkeiten sollen die Ehe- und Familienberatungsstellen arbeitsfähig bleiben. Und Menschen in Ehekrisen brauchen einfühlsame, mutige und vertrauenswürdige Gesprächspartner.

Es kann wirklich viel getan werden, Ehescheidungen vorzubeugen und damit Sünde zu vermeiden.

Jedoch:

„Pecca fortiter“, „sündige tapfer“, lautet ein kühnes Wort Martin Luthers. Es kann seine Kraft und Wahrheit gerade auch angesichts scheiternder und gescheiterter Ehen erweisen. Es gibt ja Ehen, da kommen alle Rettungs- und Heilungsbemühungen an ein Ende. Da ist irgendwann nichts mehr zu retten und zu heilen. Wo sich der Segen der Ehe zum Fluch verkehrt hat und wo die Erlösung von diesem Fluch eine Wohltat wäre, da wäre ein Festhalten an der Ehe um des Wortes Jesu willen – „was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden“ –, da wäre Festhalten an der Ehe um des Willens Gottes willen ebenfalls Sünde. Da muss, da kann, da darf auch „tapfer gesündigt“, da muss, kann und darf auch im Angesicht Gottes eine Ehe geschieden werden – nicht ohne dass Schuld erkannt und benannt und bekannt wird, nicht ohne dass um Vergebung gebeten und gebetet wird, nicht ohne dass die Partner Verantwortung füreinander und gegebenenfalls für Kinder und weitere betroffene Menschen behalten, vielleicht auch neu übernehmen.

„Sündige tapfer!“ Eine Ehescheidung kann ein Exodus, ein heilsamer Auszug, Flucht- und Rettungsweg aus einer prekär gewordenen Situation sein. Dann soll sie dieses Gütesiegel des christlichen Glaubens tragen: „Sündige tapfer!“ Auch die Tapferkeit des Sündigens hat ihre eigene Seligkeit. Nach einer Überlieferung, die nur in einer einzigen alten Bibelhandschrift steht, hat Jesus einmal zu einem Mann, der am Sabbat arbeitete, also Verbotenes tat, gesagt: „Selig bist du, wenn du weißt, was du tust; wenn du es aber nicht weißt, bist du verflucht und ein Übertreter des Gesetzes.“ Gott, der den Menschen die Ehe – wie den Sabbat – als Wohltat geschenkt hat, will die Ehescheidung nicht, erlaubt sie auch nicht so, als stünde sie zur beliebigen Verfügung des Menschen. Trotzdem: „Selig bist du, wenn du weißt, was du tust“, sagt Jesus. „Sündige tapfer“, sagt Luther – eine Ermutigung für Menschen, die sich fern aller Leicht- und Eilfertigkeit zu diesem Schritt entschließen.

Gut, wenn wir als Kirche für Menschen in Ehekrisen und für Geschiedene mit dem selben Elan da sind, mit dem wir das Lob der Ehe singen, das Gelingen der Ehen möglichst fördern und dem Scheitern von Ehen möglichst vorbeugen. Anders als die katholische Kirche lehnt es die evangelische bekanntlich nicht grundsätzlich ab, geschiedene Menschen erneut kirchlich zu trauen. Auch dies geschieht weder leicht- noch eilfertig, sondern aus theologischer Einsicht und in geistlicher Verantwortung. Neuerdings fragen gelegentlich Menschen, die sich ihre Trennung auch um Gottes willen schwer machen, nach einer gottesdienstlichen Feier, in der sie aus Anlass ihrer Scheidung Schuld bekennen, Verantwortung übernehmen und den Zuspruch des Segens neu erbitten können. Das klingt sicher noch ungewohnt – aber sollte es uns nicht freuen, wenn Menschen danach fragen? Auch Gottesdienste, die aus Anlass von Ehescheidungen gefeiert werden, bilden eine berechtigte Stimme in dem polyphonen Gesang, den wir zum Lob der Ehe, zum Lob Gottes, des Schöpfers, singen wollen – öffentlich, laut und fröhlich.

Pfarrer Dr. Martin Evang, Düsseldorf
martinevang@web.de

 


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