Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Buß- und Bettag, 19. November 2003
Predigt übe
r Lukas 13, 6-9, verfaßt von Peter Böhlemann
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Die Geschichte vom Feigenbaum, der keine Feigen haben wollte

Kann auch als Mitmacherzählung für Kinder zum spontanen Stegreifspiel erzählt werden (1).
(Rollen: 1 Feigenbaum, 2-4 Weinreben, 1 Weinberg­besitzer, 1 Gärtner; Materialien: Feigen, Trauben, Äste, Axt, Gießkanne, Korb).

Es war einmal ein kleiner knorriger Baum mitten in einem wun­derschönen Garten voller Weinreben.

Unser Baum meinte, das Leben zu kennen, denn er kannte den Boden, auf dem er stand. Und es war guter Boden, nicht zu trocken und nicht zu feucht.

Eigentlich hätte er ganz zufrieden sein können; aber er war es nicht. Ihn stör­ten die Weinstöcke um ihn herum. Die taten das ganze Jahr über nichts ande­res, als stolz große saftige Trauben hervor­zubrin­gen, um sie sich dann von den Men­schen wegneh­men zu lassen.

Einmal hatte sich eine Rebe, die neben ihm wuchs, zu ihm ge­dreht und gefragt: „Warum hast du eigentlich so wenig Blätter? Und wieso wachsen denn gar keine Früchte an dir?“

Da hatte er mürrisch geantwortet: „Weil ich nicht so dumm bin wie ihr. Warum soll ich meine Kraft und meinen Saft für Blätter und Früchte vergeuden, um sie dann herzugeben? Ich lebe doch so viel besser!“

Und als eine andere Rebe erwiderte: „Aber die Menschen freuen sich über uns“, hatte er nur gelacht.

„Seht euch doch mal an! Ihr seid ja nicht mal halb so groß wie ich. Ich brauche meine Kraft für mich selbst.“

Seitdem hatte ihn keiner mehr gefragt.

Eines Tages kam der Besitzer des Gartens zu ihm. Er hatte einen Korb dabei, blieb damit vor ihm stehen und sah ihn lange an. Offensichtlich suchte er etwas, denn er murmelte: „Hat der denn noch immer keine Feigen?“

Dann schüttelte er mit dem Kopf, zuckte mit den Schultern und ging nach Hause.

„Aha!“ dachte der Baum, „Ein Feigenbaum bin ich also. - Aber ich bin ein be­sonders kluger Feigenbaum, denn ich gehöre nur mir selber. Gut, dass ich keine Früchte hervorgebracht habe! Jetzt wäre ich sie bestimmt alle los.“

Doch dann ereignete sich etwas, was sein Leben völlig verändern sollte. Wieder einmal war der Weinbergbesitzer ge­kommen, um Feigen an ihm zu suchen.

Als er jedoch diesmal erneut keine fand, ging er nicht einfach weg, sondern rief wütend nach dem Gärtner:

„He, Gärtner, komm her! Wofür bezahle ich dich eigentlich?! Komm her, und sieh dir das einmal an! Aber bring die Axt mit!“

Schon nach kurzer Zeit kam der Gärtner mit einer Axt auf der Schulter gelaufen.

„Drei Jahre bin ich jetzt umsonst gekommen“, sagte der Besit­zer zu dem Gärtner, „Drei Jahre, und dieser Baum hat keine einzige Frucht gebracht! Hau ihn ab! Er nimmt dem Boden die Kraft.“

Unserem Feigenbaum durchzuckte es alle Äste. Er sollte abge­hauen werden?! Er, der Schön­ste und Größte, er der Klügste im ganzen Garten?!

Und er glaubte, nicht recht zu hören, als der Gärtner antwortete: „Herr, lass ihm noch ein Jahr! Ich will um ihn herum graben und ihn düngen und begießen. Vielleicht nützt es was ...“

„Also gut!“, sagte der Weinbergbesitzer und verschwand.

Und der Gärtner legte die Axt beiseite und holte seine Gieß­kanne und goss den Baum.

„Warum setzte sich dieser Mann für ihn ein?“ Er hatte ihm doch nie etwas gege­ben. „Warum hilft dieser Gärtner mir?“, dachte der Baum. Und völlig verzweifelt ließ er alles mit sich geschehen.

Der Gärtner kam oft. Er düngte ihn, lockerte mit seinem Spaten die Erde um ihn herum und begoss ihn mit herrli­chem Wasser.

Und als die ersten Knospen kamen und sich entroll­ten, machte unser Feigen­baum nicht einmal den Versuch, sie zurückzuhal­ten. Plötzlich zog es überall an ihm, und es knackte in seinen Zweigen. Riesige gefin­gerte Blätter entstanden, und er wurde immer größer. Dann bedeckten sich seine Zweige mit vielen kleinen Blüten.

Die Weinreben um ihn herum staunten. Auch der Feigenbaum verstand die Welt nicht mehr: „Ich habe doch gar nichts dazu getan.“

Und auf einmal freute er sich, wenn der Gärtner sich mittags in seinen Schatten setzte. Ja, er lernte, ihn gern zu haben, und dachte gar nicht mehr daran, ihn nicht an sich arbeiten zu las­sen.

Im nächsten Jahr kamen die ersten Früchte, kleine grüne Feigen. Und im Spätsommer trug er schon wieder neue Früchte. Als dann geerntet wurde, dachte er: „Merkwürdig, drei Jahre habe ich mich angestrengt, um glücklich zu leben, und sollte gefällt wer­den. Jetzt habe ich ein Jahr lang nichts getan, als an mir arbei­ten zu lassen, und die anderen freuen sich über mich, und ich bin glück­lich wie nie.“

Fast schien es ihm, als würde er erst jetzt anfangen zu leben ...

Jesus hat diese Geschichte einmal so ähnlich er­zählt. Sie steht in Lukas 13, 6-9:

(6) Er sagte ihnen aber dies Gleichnis:

Es hatte einer einen Feigenbaum, der war gepflanzt in seinem Weinberg,
und er kam und suchte Frucht darauf und fand keine.

(7) Da sprach er zu dem Weingärtner: „Siehe, ich bin nun drei Jahre lang gekom­men und habe Frucht gesucht an diesem Feigenbaum, und finde keine.
So hau ihn ab! Was nimmt er dem Boden die Kraft?“

(8) Er aber antwortete und sprach zu ihm: „Herr, lass ihn noch dies Jahr,
bis ich um ihn grabe und ihn dünge,

(9) vielleicht bringt er doch noch Frucht; wenn aber nicht, so hau ihn ab.“

 Liebe Gemeinde.

Zu wem haben Sie den vor 14 Tagen bei Wahl zum Präses der EKD gehalten? Auf wessen Seite standen Sie? Vielleicht hat Sie das aber auch gar nicht so sehr interessiert, weil Sie die Kandidaten gar nicht kannten oder weil wir ja selber auch nicht wählen durften.

Bei unserem Predigttext dürfen Sie wählen. Sie sind gefragt. Lukas stellt uns in seinem Evangelium von Beginn an zwei Kandidaten vor, die beide für eine bestimmte Richtung im Glauben stehen. Und die Frage, wo wir stehen, mit wem wir uns identifizieren, stellt sich verschärft durch dieses Gleichnis vom Feigenbaum.

Aber lassen Sie mich, bevor Sie sich entscheiden, ein wenig die zur Wahl stehenden Kandidaten vorstellen. Und es geht hier nicht nur um Jesus!

Jesus ist ja nicht im luftleeren Raum aufgetreten. Er hatte zumindest einen bedeutenden Vorläufer, nämlich Johannes den Täufer. Kein Evangelist berichtet soviel über diesen Mann wie Lukas. Warum? Nun, er macht durch die Gegenüberstellung von Johannes und Jesus von Anfang an deutlich, worum es ihm geht. Und diese Gegenüberstellung ist auch der Schlüssel für unser Gleichnis vom Feigenbaum. (2)

Bei Lukas steht Johannes der Täufer sozusagen als Musterbeispiel für eine bestimmte Richtung und einen bestimmten Predigttyp. Er ist der mit dem nahenden Gericht drohenden Bußpre­diger.

Und Jesus steht für eine andere Richtung, für einen anderen Predigttyp. Seine Art der Verkündigung ist die der Gärtner und Gartenbauer.

Johannes der Täufer tritt am Jordan auf und predigt die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden. Er muss ein sehr beeindruckender Mann mit einer sehr beein­druckenden Botschaft ge­wesen sein, denn viele Menschen kamen damals zu ihm an den Jordan und wollten sich von ihm taufen lassen.

Damit Sie mal einen Eindruck von seiner drohenden Bußpredigt bekommen, lese ich einige wörtliche Zitate aus Lukas 3 vor:

7 Da sprach Johannes zu der Menge, die hinausging, um sich von ihm taufen zu lassen: Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gewiss gemacht, dass ihr dem künf­tigen Zorn entrinnen wer­det?

8 Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße; ...

9 Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.

Vielleicht haben Sie den Bezug zu unserem Gleichnis schon gemerkt. „Jeder Baum, der keine ordentlichen Früchte bringt, wird abge­hauen und verbrannt.“ - Ein Bild für das Gericht. So redet Johannes der Täufer, er gebraucht fast dieselben Worte wie Jesus in seinem Gleichnis vom Feigenbaum, aber im Grunde genom­men sagt er etwas ganz ande­res.

Johannes sagt: „Bringt Früchte, sonst werdet ihr abgehauen und verbrannt!“. Das heißt: „Tut das richtige, sonst geht es euch an den Kragen!“

Es hat in der Kir­chengeschichte viele wie Johannes gegeben. Und es gibt sie leider auch noch heute, wenn auch im modernen Gewand.

Aber im Gegensatz zu anderen hat Johannes eines nicht getan. Er hat nie behaup­tet, das , was er verkünde, sei das ganze Evangelium. Im Gegenteil, er hat sogar darauf hingewiesen:

Ich bin nicht der Gesalbte. Es wird nach mir einer kommen, der ist stärker als ich. Er wird euch mit dem heiligen Geist taufen (Lk 3, 16).

Nach der Predigt des Johannes scheint es so, als wäre Buße-tun aus Angst vor dem Gericht der Weg, wie wir uns das Himmelreich verdienen könnten.

Aber da hat Jesus noch kein Wort öffentlich gesprochen. Das Evangelium ist erst angekündigt und noch nicht verkündigt .

Jesus redet völlig anders von der Buße, er redet nicht als Gerichtsprediger, son­dern als guter Gärtner und Weinbauer.

Jesus tritt bei Lukas erst ein Kapitel später, also nach dem Täufer, auf. Und ich möchte ebenso wie bei dem Täufer auch bei Jesus die ersten Worte der Antritts­predigt nach dem Lukasevangelium vorlesen.

Jesus steht in der Synagoge in Nazareth auf und sagt:

„Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, zu verkündigen das Evangelium ...; zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn.“ (Lk 4, 18f)

Das ist das Evangelium Jesu Christi: Das Gnadenjahr des Herrn und nicht das Gericht!

Und jetzt denken Sie noch mal an unsere Geschichte vom Feigenbaum. Wenn Johannes diese Geschichte erzählt hätte, hätte er nur einen Teil davon er­zählt - etwa so:

Es war einmal ein Feigenbaum, der keine Frucht brachte. Als dann der Be­sitzer zum Erntetag kam und keine Früchte fand, ließ er ihn mit der Axt umhauen und verbrennen, weil er zu nichts nütze war.

Deshalb ändert euch, tut etwas und bringt Früchte der Buße, damit es euch nicht genauso geht!

Und wir hätten am heutigen Buß- und Bettag Grund genug, in uns zu gehen und zerknirscht Buße zu tun oder sie wenigstens – wie es in der Kirche ja viel häufiger üblich ist – Buße oder Umkehr von anderen zu fordern.

Aber Jesus erzählt dieses Gleichnis so, wie wir es gehört haben:

Da ist ein Baum, der nichts tut und nichts bringt. Aber da ist ein Gärtner, der al­les tut. Er ver­kündigt nicht nur das Gnadenjahr des Herrn, er voll­zieht es auch. Er düngt und begießt den Baum. Er sorgt für ihn. Er sorgt für uns.

Jesus bewirkt Umkehr, nicht indem wir etwas tun , sondern indem er alles für uns getan hat .

Soviel zur Theologie des Lukas und zu seiner Gegenüberstellung von Johannes und Jesus. Sie hilft uns, die Geschichte von dem unfruchtbaren Feigenbaum besser zu verstehen und auch besser zu wählen. Jesus ist nicht gekommen, um zu fällen und zu verbrennen, sondern um zu befreien.

Aber gibt es etwas über diese Erklärungen hinaus? Etwas, was dieses Gleichnis mit mir persönlich zu tun haben könnte? Wo komme ich in dieser Geschichte vor? Wenn ich wählen soll, muss ich mir ja auch klar machen, wo ich eigentlich stehe – ich persönlich und wir als Gemeinde oder Kirche.

Wenn wir uns in diesem Gleichnis suchen, dann finden wir uns - wenn wir ehrlich sind - weder in dem Weinbergbesitzer noch in dem Gärtner wieder. Denn wir haben keinen fruchtbaren Weinberg, den wir vorweisen könnten.

Wir sind vielleicht eher dieser eigensinnige fruchtlose Feigenbaum. Jedenfalls manchmal fühle ich mich so. Du versuchst es immer und immer wieder, denkst: So muss die Kirche wachsen, so wird mein Glaube Strahlkraft haben. Und dann wirst Du auf den Boden der Realität zurückgeworfen und merkst wie mühsam echte Veränderungen sind.

Du und ich, wir sind es, die es zwar immer wieder versucht haben, Frucht zu bringen, aber die auch immer wieder kläglich gescheitert sind. Ja, natürlich haben wir schon den ein oder anderen Erfolg gehabt, aber dass wir Früchte in großer Fülle hervorgebracht hätten, davon kann überhaupt keine Rede sein.

Ich will ja gar nicht, dass wir in Sack und Asche gehen, ich will gar nicht wie Johannes der Täufer als Gerichtsprediger auftreten, - auch wenn heute Buß- und Bettag ist. Aber ich finde, so ehrlich können wir heute mal sein. Da ist nichts, was wir als Gemeinde oder auch ich als Christ wirklich vorweisen könnten, um einen Platz im Garten des Herrn zu beanspruchen.

Im Gegenteil oft wirken wir oder fühlen uns auch wie ein wertloser Baum, der nicht mal mehr aufrecht stehen kann, geschweige denn, andere mit seinen Früchten versorgen könnte. Wir sind manches Mal mit der Kraft am Ende und dann fehlt uns gerade noch, dass es wie bei diesem Baum heißt: Er ist nutzlos. Er hat nicht das getan, was er sollte. Er wird abgehauen und ins Feuer geworfen.

 Aber das ist nicht das Gleichnis Jesu wie es bei Lukas steht. Dieser Baum wird nicht abgehauen, weil da ein Gärtner ist, der für ihn sorgen will, der ihm Luft zum atmen und Wasser zum Leben geben will. Der Baum, das bist du, vielleicht auf wir oder die Kirche, aber der Gärtner, das ist Jesus Christus.

Der Jesus, der von sich gesagt hat: „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, zu verkündigen das Evangelium den Armen; er hat mich gesandt, zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und den Zerschlagenen, dass sie frei und ledig sein sollen, zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn.“

Das Jahr, um das der Gärtner den anderen bittet, ist keine Galgenfrist, es ist das Gnadenjahr des Herrn, in dem Jesus selber für uns sorgen will, damit wir Frucht bringen. Er will uns befreien, wieder aufrichten, er will uns die Augen öffnen. Wenn wir Frucht bringen wollen, wenn wir wollen, dass sich unsere Gemeinde mit Leben füllt, dann müssen wir Jesus an uns arbeiten lassen.

Dann brauchen wir seinen Heiligen Geist, mit der er uns begießen will, und wir müssen ihn an unsere Wurzeln und unseren harten Boden heran lassen, damit er uns befreit und Luft zum Atmen gibt.

Jesus will dich begießen, wo du ausgetrocknet bist.
Er will dir helfen, wo du hilflos bist.
Er will sich um dich kümmern, wo du verkümmert bist.
Du sollst den Heiligen Geist schmecken und spüren.
Lass dich beschenken von der Gnade Gottes!
Er hat alles getan, was zu tun ist.

Jesus selbst ist an unserer Stelle gefällt und getötet worden, damit wir stehen bleiben können und das Leben wählen. Sein Geist will in uns und durch uns Früchte bringen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 

GEBET: Herr, unser Gott, danke, dass Du uns verändern willst.
Danke, dass wir keine Angst haben zu brauchen, nicht genug zu tun,
um in Deinem Garten stehen bleiben zu dürfen.
Danke, dass Du einen Platz für uns hast und für uns sorgen willst.

Öffne uns für Deine Liebe und lass sie in uns wachsen.
Schenk uns die Bereitschaft, uns von Dir begießen zu lassen.
Lass uns Deinen Heiligen Geist schmecken und sehen.
Bring Deine Früchte der Liebe durch uns. Amen.

Predigtlied: EG 503,13-15 Hilf mir und segne meinen Geist

Dr. Peter Böhlemann, Pfr., (p.boehlemann@institut-afw.de)
Institut für Aus-, Fort- und Weiterbildung der EKvW (www.institut-afw.de)

(1) Vgl. Peter Böhlemann, Simon und die schöne Anna, Mitmach- und Mutmachgeschichten aus der Bibel, Stuttgart 2002, S. 70-72.

(2) Vgl. Peter Böhlemann, Jesus und der Täufer – Schlüssel zur Theologie und Ethik des Lukas, MSSNTS 99, Cambridge 1997.

 

 


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