Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Letzter Sonntag des Kirchenjahres (Ewigkeitssonntag), 23. November 2003
Predigt übe
r Matthäus 25, 1-13, verfaßt von Gerlinde Feine
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde –

Das müssen die fünf Frauen erst einmal begreifen, dass das Fest, zu dem sie von weit her angereist waren, ohne sie stattfinden soll. So viele Erwartungen hatten sie an diese Tage geknüpft, so vieles hatten sie sich zurechtgelegt, was sie dem Herrn des Festes vortragen, mit ihm bereden wollten. Sie hatten feine Kleider ausgesucht und sich zurechtgemacht, hatten die Tage des Wartens genützt mit Besichtigungen und Gesprächen, mit Ausruhen und Essen, hatten auch Lampen für die geplante Lichterprozession besorgt, die gut verpackt auf den Zimmern bereitlagen – aber als der Ruf zum Aufbruch kam, da waren sie nicht parat. Schlaftrunken schafften sie es nicht, ihr Gepäck rechtzeitig in die Halle zu bringen, und als sie endlich die Schachteln mit den Lampen aufbekamen, stellte sich heraus, dass sie auch noch Öl benötigt hätten, denn die Behälter waren leer. So brachen die fünf anderen allein auf, die Frauen, die mit ihnen im Hotel gewohnt und die Zeit mit Warten verbracht hatten, Warten auf gepackten Koffern und mit gut vorbereiteten Lampen. „Macht nichts“, dachten sich die fünf. „Kommen wir halt morgen früh bei Tagesanbruch dazu.“ Aber im kalten Licht des Morgens, als sie zerzaust von der Wanderung vor der Tür des Festsaals stehen, blickt sie der Herr des Festes nur verächtlich an: „Amen. Ich kenne euch nicht“, sagt er und schlägt ihnen die Türe vor der Nase zu. „Schade“, sagt einer seiner Hausgenossen, der ihnen den Weg nach draußen zeigt, „ich hätte euch gerne kennengelernt.“

In ihrem Roman „Die Törichten“ erzählt Maria Beig die Schlüsselszenen der Geschichte in enger Anlehnung an das Gleichnis von den zehn Jungfrauen, das heute unser Predigttext ist (Maria Beig, Die Törichten, Thorbecke 1990), spinnt aber die Lebensfäden der fünf Hauptfiguren noch ein wenig weiter. Sie stellt uns Frauen vor, die sich nur um sich selbst drehen, die nicht um des Festes willen kommen und dabei sein wollen, sondern weil sie ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen möchten, ihre Sehnsucht nach Anerkennung, Liebe und Beachtung. Deshalb sind sie nicht vorbereitet, als das Fest beginnt. Deshalb nehmen sie die Warnsignale nicht ernst und können es nicht fassen, dass man ihnen die Tür vor der Nase zuschlägt.

Anspielungsreich ist diese Geschichte erzählt, und sie nimmt viele Deutungen der Geschichte auf, die wir kennen, insbesondere aus der steingewordenen Theologie mittelalterlicher Dome. Das Umschlagbild erinnert an Darstellungen der Marienportäler, an den Erfurter Dom oder das Straßburger Münster zum Beispiel. Da sehen wir sie wieder, die zehn Jungfrauen aus dem Gleichnis, die klugen als Allegorien der Hoffnung, der Nächstenliebe, des Friedens, der Demut und des Glaubens, die törichten aber als Beispiele für Leichtsinn, Hochmut, Eitelkeit, Schwatzhaftigkeit und vertane Zeit. Verführbar und triebhaft werden sie gezeigt; manche Szenen stellen sie einander als „Kirche“ und „Synagoge“ gegenüber.

Man kann in ihnen aber auch den unterschiedlichen Weg sehen, den die Gemeinde einschlagen kann in der Erwartung des wiederkommenden Herrn. Lesen wir dieses Gleichnis als „Gerichtswort über die Volkskirche…, die durch angelegte Guthaben …reich geworden ist? Oder ist angesichts der guten Ausgangs für die klugen Jungfrauen, die vorgesorgt und Öl für sich gehortet haben, die Volkskirche nicht gerade auf dem richtigen Wege…? (…) Rechnen wir…zu Beginn des dritten Jahrtausends noch mit dem Wiederkommen Jesu Christi und dem eschatologischen Aufschrei „Siehe, der Bräutigam!“?“ (Andreas Heidrich, in: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext zur Perikopenreihe I, Neuhausen 2002, S. 378). Was wäre töricht, und wie können wir es einrichten, dass wir zu den Klugen gehören, die beim Fest dabei sind?

Offen gestanden: Mir waren die Klugen früher immer ein Ärgernis. Warum geben sie nichts ab von ihrem Öl, warum weisen sie den Hilferuf der anderen zurück? Vielen Menschen geht es so, wenn sie mit dieser Geschichte zu tun haben. Sie suchen nach „wirtschaftlichen“ Lösungen für das Problem des Ölmangels, machen Vorschläge, wie man die Ressourcen besser einteilen und einander helfen könne, eben damit dann auch alle dabei sind beim Fest. Warum nicht einfach die Hälfte der Lampen löschen und quasi auf Sparflamme die Wartezeit überbrücken? Wer schläft, braucht sein Licht nicht leuchten zu lassen… Warum nicht einteilen, rationieren, warum nicht die anderen bei der Hand nehmen und sie führen, wenn sie schon im Dunkeln tappen müssen. Warum nicht eine Hintertür für zu spät Kommende? So überlegen wir und ärgern uns über diese Geschichte und über alle zehn Frauen. Aber wer so denkt, sitzt gleich zwei Irrtümern auf:

•  Es kommt nicht auf das Licht an, sondern auf das Fest.
•  Es gibt Dinge, die lassen sich nicht teilen oder abgeben – für die muß man selbst sorgen.

Diese zweite Einsicht fällt uns nicht schwer, wenn wir an die Verstorbenen des vergangenen Jahres denken. Nachher werden wir ihre Namen noch einmal hören und Kerzen für jedes Leben anzünden, von dem wir uns in der Hoffnung verabschiedet haben, dass es uns vorausgegangen ist in Gottes Ewigkeit, dass es schon teilnimmt an dem großen Fest, der königlichen Hochzeit, von der das Gleichnis spricht. Vor einigen Wochen ist meine Großmutter gestorben, die Mutter meines Vaters. Nach der Scheidung meiner Eltern hatten mein Bruder und ich nur wenig Kontakt mit ihr und entsprechend wenig wissen wir von ihrem Leben. Nun ist die Zeit um, in der wir sie hätten fragen können nach ihrer Jugend und ihren Überzeugungen. Vertan sind die Chancen, unerfüllt so mancher Wunsch. Die Enkelreise in ihre Heimatstadt Berlin, wo sie uns all die wichtigen Orte ihrer Kindheit zeigen wollte – wir haben sie nicht gemacht und werden sie nie nachholen können, nicht mit ihr. Niemand kann uns da etwas von seinen Erfahrungen abgeben, wir hätten selbst dafür sorgen müssen, unser Leben mit unserer Großmutter zu teilen, mein Bruder und ich. Jetzt können wir uns das nur vornehmen, dass uns das nie wieder passiert, dass wir besser auf die Menschen achten, die zu uns gehören, dass wir unser Leben gestalten, ohne vertane Zeit bereuen zu müssen.

Es gibt Erfahrungen, die kann man nicht von anderen stellvertretend für einen selbst machen lassen, erst recht nicht Erfahrungen des Glaubens oder der Frömmigkeit. Martin Luther deutet das Öl in den Lampen als Vertrauen auf Gott, und wenn dieses Vertrauen verloren gegangen ist aus Nachlässigkeit oder Mangel an Erfahrung, dann kann ich es mir nicht bei anderen borgen. Das war eine der Einsichten, die den Mönch Luther dazu brachten, 95 Thesen zur Diskussion zu stellen – wer derzeit im Kino den Lutherfilm sieht, findet diese Erkenntnis in manchen Szenen gut auf den Punkt gebracht.

Ich will aber noch einmal auf die andere Einsicht zu sprechen kommen: Es kommt nicht auf das Licht an, sondern auf das Fest – oder anders gesagt: Vielleicht geht es gar nicht so sehr um das Öl, sondern um das Wachbleiben, das Bereit sein für den Moment, in dem der Bräutigam kommt und empfangen werden soll. Eine andere biblische Geschichte fällt mir dazu ein: Wir sehen Jesus im Garten Gethsemane, kurz vor dem Verrat und der Verhaftung. Seine Jünger sind bei ihm, alle bis auf einen, bereit und willens, ihm beizustehen. Und er bittet sie, mit ihm zu wachen und für seinen Weg zu beten. Aber sie schaffen es nicht. Sie schlafen ein, einer nach dem anderen. In gewisser Weise verraten sie ihn auch, lassen ihn ihm Stich, in der tiefen Dunkelheit seiner Verzweiflung und der Einsamkeit seines Gebets. Wie die törichten Mädchen, deren Geschichte ihnen der Herr doch erzählt hatte, sind sie nicht konzentriert auf das, worauf es ankommt, sondern in sich selbst gefangen und beschäftigt. Dabei wäre es wichtig gewesen, wach zu bleiben. Ist nun alles vorbei? – „Ich kenne diesen Menschen nicht“, sagt Petrus im Hof des Hohepriesters, ehe der Hahn kräht.

„Amen. Ich kenne euch nicht!“ Mit Recht fürchteten die Jünger (und besonders Petrus) diese Antwort des Auferstandenen auf ihr Verhalten in seinen schwersten Stunden. Aber das Gegenteil ist der Fall. Jesus tritt ihnen freundlich entgegen, tröstet sie und richtet sie wieder auf. Petrus wird in einer anrührenden Szene am Ufer des Sees Genezareth aufs Neue beauftragt, das Evangelium weiterzutragen; er erfährt Vergebung und kann sich doch noch freuen auf das Fest und die Gemeinschaft mit Jesus, dem auferstandenen Herrn. Obwohl er im entscheidenden Moment nicht wach genug war, gibt es für ihn eine zweite Chance.

Auch der Roman, von dem ich eingangs erzählte, endet nicht mit dem Rauswurf der fünf Frauen. Ihre Geschichten gehen weiter, und wenigstens eine von ihnen findet noch einmal den Weg zu dem Fest, das sie durch Nachlässigkeit und Egoismus versäumt hatte. Diesmal verlässt sie sich nicht auf die eigenen Fähigkeiten oder gar darauf, dass jemand anders ihr aus der Patsche hilft. Sie sucht sich geistlichen Beistand und schließt sich einer kleinen Gemeinde an, sie bereitet sich sorgfältig vor und bringt die nötige Konzentration auf, um doch noch dabei zu sein und eingelassen zu werden. Sie erlebt eine wunderschöne Zeit, die für alle Mühen entschädigt. Diesmal erkennt sie der Herr des Festes und schenkt ihr ungefragt die Zuwendung, um die sie beim ersten Mal vergeblich gebettelt hatte. Sein Mitarbeiter erinnert sich ebenfalls: „Sind Sie nicht eine von den Törichten?“ – „Heute bin ich eine Kluge“, sagt sie. Sie weiß nun, dass es Dinge gibt, die man nicht delegieren und nicht nachholen kann; sie gestaltet ihre Zeit in dem Bewußtsein, dass sie begrenzt und nicht wiederholbar ist. Und so nimmt sie teil an dem Fest des Lebens, unverdient, aber voller Begeisterung.

Herr, lehre auch uns bedenken, dass wir sterben müssen – auf dass wir klug werden! Amen.

Pfarrerin Gerlinde Feine
Rohrgasse 4
D-72131 Ofterdingen
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Fax 07473/270266
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