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Gedenken an Jochen Kleppers
100. Geburtstag,
22. März 2003
Albrecht Weber (-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de) |
Entwurf fuer
einen Gottesdienst zum Gedenken
an Jochen Klepper im Monat seines 100.
Geburtstages (22. März 1903- 22. März 2003) am
Sonntag, dem 23.März 2003 (Vorbemerkung:
Kirchliche Kreise haben sich eine Zeit lang schwer mit dem Freitod
Kleppers getan. Sicher ist dieser Freitod des Ehepaares Klepper und
Kleppers Stieftochter Renate kein allgemeingueltiger Fingerzeig fuer
die Loesung von Lebensproblemen, aber auch keine unvergebbare Handlung.
Denn diese Selbsttoetung war, wie der Tagebucheintrag Kleppers vom
10. Dezember 1942 zeigt, ein Handeln in der Lage auswegloser Verzweiflung
in vollem Vertrauen auf den in Christus gnaedigen Gott. „Nachmittags
die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst. Wir sterben nun, ach, auch
das steht bei Gott- Wir gehen heute nacht gemeinsam in den Tod. Ueber
uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der
um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben.“ (J. Klepper, Unter
dem Schatten deiner Fluegel. Aus denTagebuechern der Jahre 1932- 1942.
Deutsche Verlags –Anstalt Stuttgart,, 1956, 1133) Daher kann man Klepper als ein Opfer des moerderischen Rassenwahns des Nationalsozialismus sehen. Die im hohen Masse wahrscheinliche Deportation, KZ- Folterung und schliessliche Toetung seiner Frau und seiner Stieftochter hat Klepper dazu gefuehrt, in Solidaritaet der ehelichen Liebe und der Liebe zu seiner Stieftochter mit beiden den sicheren Tod zu teilen und vorwegzunehmen. Auch wenn es hierzu bislang keine offzielle Erklaerung der Kirche gibt, wuerde ich persoenlich nicht zoegern, aus den genannten Gruenden Jochen Klepper zu den Maertyrern der Kirche zu zaehlen, zu denen also, die noch im gewaltsam aufgenoetigten Tod bereit waren, den Glauben an den gnaedigen Gott zu bezeugen. Daher halte ich es fuer erlaubt, zum Gedenktag des 100. Geburtstages von Jochen Klepper die Proprien fuer den „Gedenktag eines Maertyrers der Kirche“ zu verwenden (Perikopenbuch der Lutherischen Liturgischen Konferenz, Luth. Verlagshaus Hannover, 5. Aufl. 1995, 613 ff.). Liturgische
Farbe: ROT Musik
zum Eingang Begruessung: Im
Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes! Gemeinde:
Amen. Unsere
Hilfe steht im Namen des Herrn. Gemeinde:
Der Himmel und Erde gemacht hat. Liturg: „Ich
begruesse Sie mit dem Wort
fuer den Gedenktag eines Maertyrers der Kirche: „Der
Tod seiner Heiligen wiegt schwer vor dem Herrn. Dir will ich Dank
opfern und des HERRN Namen anrufen.“ Psalm 116, 15.17 EG
452 Er weckt mich alle Morgen (Jochen Klepper, 1938) (oe)
1. Er weckt mich alle Morgen, er weckt mir selbst das Ohr. Gott
haelt sich nicht verborgen, fuehrt mir den Tag empor, dass
ich mit seinem Worte begruess das neue Licht. Schon an der Daemmrung
Pforte ist er mir nah und spricht. 2.
Er spricht wie an dem Tage, da er die Welt erschuf. Da schweigen Angst
und Klage; nichts gilt mehr als sein Ruf. Das Wort der ewgen Treue,
die Gott uns Menschen schwoert, erfahre ich aufs neue so, wie ein Juenger
hoert. 3.
Er will, dass ich mich fuege. Ich gehe nicht zurueck. Hab nur in ihm
Genuege, in seinem Wort mein Glueck. Ich werde nicht zuschanden, wenn ich nur ihn vernehm. Gott loest mich aus den Banden. Gott macht mich ihm genehm. Als
Psalm beten zwei Lektoren im Wechsel ein
Gedicht von Jochen Klepper: (Jochen
Klepper, Ziel der Zeit. Die gesammelten Gedichte, Luther- Verlag
Bielefeld, 6.
Aufl. 2001, 87f.) 1:
Die Menschenjahre dieser Erde sind alle nur ein tiefes Bild, das uns
dein heiliges „Es werde!“ am Anfang aller Zeit enthuellt. Allein
in diesem Schoepfungswort besteht, was Menschen tun, noch fort. 2.:
Wir wissen nicht den Sinn, das Ende. Doch der Beginn ist offenbar.
Nichts ist, was nicht in deine Haende am ersten Tag beschlossen war, und
leben wir vom Ursprung her, bedrueckt uns keine Zukunft mehr. 1.:
In allen Aengsten unseres Handelns siegt immer noch dein ewiger Plan. In
allen Wirren unseres Wandelns ziehst du noch immer deine Bahn. Und
was wir leiden, was wir tun: Wir koennen nichts als in dir ruhn. 2.:
Hast du uns Haus und Gut gegeben, hast du uns arm und leer gemacht-,
das milde und das harte Leben, sind beide, Herr, von dir bedacht. Was
du uns nimmst, was du uns schenkst, verkuendet uns, dass du uns lenkst. 1.:
Du laesst den einen durch Geschlechter von Kind zu Kindeskind bestehn. Den
andern laesst du wie durch Waechter von allem abgetrennt vergehn. Durch
Fuelle und durch Einsamkeit machst du uns nur für dich bereit. 2.:
Auf Feldern, die sich fruchtbar wiegen, in kargem Halm auf armem Sand muss
doch der gleiche Segen liegen: Du saetest sie mit deiner Hand. Und
was du schickst, ob Glueck, ob Angst, zeigt stets, wie du nach uns
verlangst. 1.: Der Lebensbaum im Garten Eden, der Dornbusch, der dich gluehend sah, sind beide nur das eine Reden: Der Herr ist unablaessig nah. Und alles, was der Mensch vollbringt, ist Antwort, die dein Ruf erzwingt. G.:
Ehr sei dem Vater… Kyrie Gruss Kollektengebet Anstelle
der Epistel hoeren wir ein
betendes Gedicht Jochen Kleppers zum Kirchenjahr. Das Kirchenjahr hat
Klepper viel bedeutet. Dieses Gedicht ersetzt zugleich das Glaubensbekenntnis
in diesem Gottesdienst. (Jochen Klepper, Ziel der Zeit. Die gesammelten
Gedichte, Luther- Verlag Bielefeld, 6. Aufl. 2001, 54f.) 1.:
Du bist als Stern uns aufgegangen, von Anfang an als Glanz genaht.
Und wir, von Dunkelheit umfangen, erblickten ploetzlich einen Pfad. Dem
Schein, der aus den Wolken brach, gingen wir sehnend nach. 2.:
Am Ende unserer weiten Fahrten gabst du uns in dem Stalle Rast. Was
Stroh und Krippe offenbarten, ward voll Erstaunen nur erfasst. Die
Zeichen blieben nicht mehr Bild, Verheissung war erfuellt. 1.:
Und über Stall und Stern und Hirten wuchs Golgatha, dein Berg empor. Nah
vor den Augen der Verirrten trat aus der Nacht dein Kreuz hervor. Dort
neigtest du für uns dein Haupt. Da haben wir geglaubt. 2.:
Vor deines Felsengrabes Hoehlung ward hart und schwer ein Stein geklemmt.
Am Morgen kamen wir zur Oelung und fanden nur dein Totenhemd. Kein
Fels hat deinen Weg gewehrt. Wir folgten, Herr, bekehrt. 1.:
In deines Herzens offene Wunde hast selbst du unsere Hand gelegt, uns
bis zu deiner Abschiedsstunde mit Brot und Wein bei dir gehegt. Die
Wolke, die dich aufwaerts nahm, trug uns aus Angst und Scham. 2.:
Als eine Taube, lichtumflossen, hast du dich sanft herabgesenkt, uns
mit dem Feuerglanz begossen und die Verlassenen beschenkt. Denn weil
der Himmel offen steht, gabst du uns das Gebet. 1.:
Durch Stern und Krippe, Kreuz und Taube, durch Fels und Wolke, Brot
und Wein dringt unaufhoerlich unser Glaube nur tiefer in dein Wort
hinein. Kein Jahr vor unserer Zeit verflieht, das dich nicht kommen sieht. EG
379 Gott wohnt in einem Lichte (Jochen Klepper, 1938, Melodie: Befiehl du deine Wege) oe
1. Gott wohnt in einem Lichte, dem keiner nahen kann. Von seinem Angesichte
trennt uns der Suende Bann. Unsterblich und gewaltig ist unser Gott
allein, will Koenig tausendfaeltig, Herr aller Herren sein. 2.
Und doch bleibt er nicht ferne, ist jedem von uns nah. Ob er gleich
Mond und Sterne und Sonnen werden sah, mag er dich doch nicht missen in
der Geschoepfe Schar, will stuendlich von dir wissen und zaehlt dir
Tag und Jahr. 3.
Auch deines Hauptes Haare sind wohl von ihm gezaehlt. Er bleibt der
Wunderbare, dem kein Geringstes fehlt. Den keine Meere fassen und keiner
Berge Grat, hat selbst sein Reich verlassen, ist dir als Mensch genaht. Lekto(rin): Wir hoeren das Evangelium für den Gedenktag eines Maertyrers der Kirche, aufgezeichnet bei Markus im 13. Kapitel: (Lektionar S. 632) Kantor/Gemeinde: „Ehre
sei dir Herre!“ 5 „Jesus
fing an und sagte zu ihnen: Seht zu, dass euch nicht jemand verfuehre! 6
Es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin's, und
werden viele verführen. 7
Wenn ihr aber hören werdet von Kriegen und Kriegsgeschrei, so fuerchtet
euch nicht. Es muss so geschehen. Aber das Ende ist noch nicht da. 8
Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Koenigreich
gegen das andere. Es werden Erdbeben geschehen hier und dort, es werden
Hungersnoete sein. Das ist der Anfang der Wehen. 9
Ihr aber seht euch vor! Denn sie werden euch den Gerichten überantworten,
und in den Synagogen werdet ihr gegeisselt werden, und vor Statthalter
und Koenige werdet ihr gefuehrt werden um meinetwillen, ihnen zum Zeugnis. 10
Und das Evangelium muss zuvor gepredigt werden unter allen Voelkern. 11
Wenn sie euch nun hinfuehren und überantworten werden, so sorgt euch
nicht vorher, was ihr reden sollt; sondern was euch in jener Stunde
gegeben wird, das redet. Denn ihr seid's nicht, die da reden, sondern
der heilige Geist. 12
Und es wird ein Bruder den andern dem Tod preisgeben und der Vater
den Sohn, und die Kinder werden sich empoeren gegen die Eltern und
werden sie toeten helfen. 13
Und ihr werdet gehasst sein von jedermann um meines Namens willen.
Wer aber beharrt bis an das Ende, der wird selig.“ (Mk 13,5-13) Kantor/Gemeinde:
Lob sei dir, o Christe! EG
379 4.
Er macht die Voelker bangen vor Welt- und Endgericht und
trägt nach dir Verlangen, laesst auch den Aermsten nicht. Aus seinem
Glanz und Lichte tritt er in deine Nacht: Und alles wird zunichte,
was dir so bange macht. 5. Nun darfst du in ihm leben und bist nie mehr allein, darfst in ihm atmen, weben und immer bei ihm sein. Den keiner je gesehen noch kuenftig sehen kann, will dir zur Seite gehen und führt dich himmelan. PREDIGT zum Thema: Jochen
Klepper. Darf ein Glaubender untergehen? Kann ein Glaubender scheitern? oder
eine Auslegung eines Gedichtes oder Liedes von J. Klepper EG
16 Die Nacht ist vorgedrungen (Jochen Klepper, 1938) oe
1. Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern! So sei
nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern! Auch wer zur Nacht geweinet,
der stimme froh mit ein. Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst
und Pein. 4.
Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld. Doch
wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld. Beglaenzt
von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr, von Gottes Angesichte
kam euch die Rettung her. Abkuendigungen EG
380 Ja, ich will euch tragen (Jochen Klepper, 1938) 1.
Ja, ich will euch tragen bis zum Alter hin. Und ihr sollt einst sagen, dass
ich gnaedig bin. 2.
Ihr sollt nicht ergrauen, ohne dass ich's weiss, muesst dem Vater trauen, Kinder
sein als Greis. 3.
Ist mein Wort gegeben, will ich es auch tun, will euch milde heben: Ihr
duerft stille ruhn. 4.
Stets will ich euch tragen recht nach Retterart. Wer
sah mich versagen, wo gebetet ward? 5.
Denkt der vor'gen Zeiten, wie, der Vaeter Schar voller Huld zu leiten, ich am Werke war. FUERBITTEN/
VATERUNSER 6.
Denkt der fruehern Jahre, wie auf eurem Pfad euch das Wunderbare immer
noch genaht. 7.
Lasst nun euer Fragen, Hilfe ist genug. Ja, ich will euch tragen, wie ich immer trug. SEGEN Thema
der Predigt anhand von Jesaja 49, 1-6: Der
Knecht Gottes das Heil Israels und das Licht der Heiden 1„Hoert
mir zu, ihr Inseln, und ihr Voelker in der Ferne, merket auf! Der
HERR hat mich berufen von Mutterleibe an; er hat meines Namens
gedacht, als ich noch im Schoss der Mutter war. 2
Er hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht, mit dem Schatten
seiner Hand hat er mich bedeckt. Er hat mich zum spitzen Pfeil gemacht
und mich in seinem Koecher verwahrt. 3
Und er sprach zu mir: Du bist mein Knecht, Israel, durch den ich
mich verherrlichen will. 4
Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte meine Kraft
umsonst und unnuetz, wiewohl mein Recht bei dem HERRN und mein Lohn
bei meinem Gott ist. 5
Und nun spricht der HERR, der mich von Mutterleib an zu seinem Knecht
bereitet hat, dass ich Jakob zu ihm zurueckbringen soll und Israel
zu ihm gesammelt werde, - darum bin ich vor dem HERRN wertgeachtet,
und mein Gott ist meine Staerke -, 6
er spricht: Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, die Staemme
Jakobs aufzurichten und die Zerstreuten Israels wiederzubringen,
sondern ich habe dich auch zum Licht der Heiden gemacht, dass du
seist mein Heil bis an die Enden der Erde.“ (Jes. 49, 1-6) Gemeinde
Jesu! Diese Botschaft Gottes ist in dunkler Zeit dem Volk Israel von einem unbekannten Propheten als Botschaft des Trostes vermittelt worden: Das von Gott erwaehlte Volk Israel ist und bleibt allen Verschuldungen und Strafgerichten Gottes zum Trotz ein „Gottesknecht“, ein Diener des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs, durch den sich dieser Gott „verherrlichen“ moechte. Aber da ist noch ein anderer „Knecht“ Gottes erwaehnt, der in geheimnisvoller Weise Israel durch seine Person repraesentiert und doch von ihm unterschieden ist: Er soll ja die „Zerstreuten Israels“ neu sammeln! Dieser Knecht hat nicht nur eine Sendung an Israel, sondern eine Aufgabe weit ueber dieses Volk hinaus. Dieser Knecht soll das „Licht der Welt“ sein und der ganzen Menschheit das Heil Gottes vermitteln! Dies ist ein Auftrag, der offenbar ueber den Auftrag an das ganze Volk und ueber den Auftrag eines einzelnen Propheten deutlich hinausgeht. Denn ein nachweislich mit Fehlern behaftetes Volk und ein einzelner fehlbarer Gottesbote waeren doch bei weitem darin ueberfordert, der ganzen Welt in uneingeschraenkter Strahlkraft das Heil Gottes zu bringen. Wir Christen sehen in dieser Gestalt den, der von sich sagte: „Ich bin das Licht der Welt“ (Joh. 8,12). Von ihm hatte schon kurz nach seiner Geburt der durch den Geist Gottes erleuchtete Simeon in prophetischer Klarheit gesagt: „Meine Augen haben deinen Heiland gesehen, den du bereitet hast vor allen Voelkern, ein Licht, zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.“ (Lk. 2, 30ff.) Ja,
Gott geht es um Israel und um die Voelker. Der besondere „Gottesknecht“, eine Person, die zunaechst eine Aufgabe am Volk Israel hat, beklagt in dem verlesenen Abschnitt biblischer Prophetie, dass ihre Mission offenbar scheitert.
Ist es da nicht troestlich zu hoeren, dass selbst der am meisten gesegnete „Gottesknecht“ meinte, seine Kraft umsonst eingesetzt zu haben und am Ende an seiner Aufgabe gescheitert zu sein? Nehmen wir einmal an, dass die Analyse dieses „Gottesknechtes“ richtig war, dass er ein Gescheiterter war. Ist es da nicht eine Sensation, dass Gott eben diesem Gescheiterten nach Verzweiflung und Resignation ankuendigt, dass sein Auftrag weitergefuehrt, vertieft und ausgeweitet wird? Das Volk Israel hat aus dem verlesenen Abschnitt des biblischen Prophetenbuches fuer seine Leidens- und Verfolgungsgeschiche immer wieder Trost geschoepft. In der Tat wird hier ja eigens das Volk Israel genannt. Aber auch Christen, die Scheitern, Leid und Elend erlebten, haben im Aufblick zu dem besonderen Gottesknecht aus diesem Abschnitt ebenfalls Trost empfangen. Denn diese Christen wussten ja: Wir gehoeren einem Herrn, der selbst Einsamkeit, Nullpunktsituationen, Verfolgung, Mobbing, Folter und schliesslich eine ausweglose Situation bis hin zur physischen Zerstoerung erlebt hat. Er kann uns in den Einsamkeiten und Ausweglosigkeiten unseres Lebens helfen. Er kann uns verstehen und das Scheitern in Segen verwandeln. Genau dies hat Jochen Klepper erfahren: Die Erfahrung zunehmender Ausweglosigkeit und schliesslich die Nullpunktsituation, die in seiner Selbsttoetung und der Selbsttoetung seiner Frau und seiner Stieftochter Renate gipfelte. Aber zugleich hat Klepper gegen alle Negativ- Erfahrungen, dunklen Gefuehle und menschliche Hoffnungslosigkeit bis zuletzt sein Vertrauen auf den „segnenden Christus, der um uns ringt“, durchgehalten. Martin Luther hat in vielen Schriften und Briefen immer wieder darauf hingewiesen, dass es wahren Glauben an Gott ohne staendige Anfechtung gar nicht geben kann. Im Gegenteil: Wahrer Glaube muss im Kampf gegen die Anfechtung immer wieder neu errungen, „erfochten“ und bewaehrt werden. Bis zu welchem Extrem dieser Kampf bisweilen gefuehrt werden muss, koennen wir an dem Leben Jochen Kleppers beispielhaft nachvollziehen. Wer
ist Jochen Klepper? Jochen Klepper wurde am 22. Maerz 1913 in Niederschlesien, in Beuthen an der Oder, geboren. Seine Eltern waren der evangelische Pfarrer Georg Klepper und Hedwig, geborene Weidlich, die erst mit der Heirat von der Zugehoerigkeit zur katholischen Konfession zur evangelischen Konfession ueberwechselte. Der dominierende Vater, politisch deutschnational gesinnt, verbindet eine liberale Theologie mit pietistischer Froemmigkeit nach Herrnhuter Art. Seine Mutter ist keine typische Pfarrfrau, hat vielmehr Freude an der Mode und schoenen Dingen und liebt den persoenlichen Freiraum. Ein in Breslau begonnenes Theologiestudium bricht Klepper ganz ab und verlaesst die Universitaet ohne Examensabschluss. Eine Art Scheitern? Unerwartet erhaelt Klepper im Fruehjahr 1927 eine Anstellung im Ev. Schlesischen Presseverband, wo er so etwas wie eine journalistische Lehre durchmacht und Beitraege fuer verschiedene Zeitschriften verfasst. Seitdem entwickelt sich Klepper zu einem zunehmend beachteten, profilierten Schriftsteller. Er hat verschiedene Anstellungsverhaeltnisse und muss auch Entlassungen erleiden. Alles, was Klepper schreibt und dichtet, ringt er sich in dieser Zeit der Bedraengnis ab. All das stammt aus einer grossen Tiefe, ist gereift im Schmelzofen des Leides, einer intensiven Lektuere der Bibel und einem innigen Umgang mit Gott. Im Mai 1939 glueckt nach laengerer Vorbereitung die Ausreise der aelteren Stieftochter Brigitte nach England. Diese noch rechtzeitige Auswanderung rettet ihr das Leben. Als am Ende feststeht, dass Frau Klepper und die Tochter Renate nicht mehr ausreisen koennen, dass sie verhaftet und mit groesster Wahrscheinlichkeit nach qualvollem Konzentrationslager hingerichtet werden wuerden, entscheiden sich die Kleppers, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Die letzte Eintragung in Kleppers Tagebuch stammt vom 10.
Dezember 1942: „Nachmittags
die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst. Wir sterben nun- ach, auch
das steht bei Gott- Wir gehen heute nacht gemeinsam in den Tod.
Ueber uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus,
der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben.“ In kirchlichen Kreisen gab es urspruenglich gewisse Schwierigkeiten mit dem Freitod Kleppers, zumal es als Schuld gilt, wenn Menschen das Leben selbst beenden. Es gilt der Grundsatz: Nur Gott, der das Leben gegeben hat, hat auch das Recht, es zu beenden. Diese Befangenheit mag es erklaeren, dass von den tiefgruendigen Klepperliedern in dem ersten Ev. Kirchengesangbuch nach dem Krieg nur vier Lieder mit aufgenommen worden sind. Im oekumenischen Liederbuch von 1973 (Titel: „Gemeinsame Kirchenlieder“) sind immerhin schon 5 Lieder von Jochen Klepper zu finden. In unserem neuen Gesangbuch gibt es sogar 12 Lieder von Klepper - die hoechste Anzahl von Liedern von einem Dichter des 20. Jahrhunderts-. Dies zeigt, dass die Kirche mit der Zeit verstanden hat, dass der Freitod Kleppers zwar kein allgemeingueltiger Fingerzeig fuer die Loesung von Lebensproblemen, aber auch keine unvergebbare Handlung sein kann. Denn es war ein Handeln in der Lage auswegloser Verzweiflung in vollem Vertrauen auf den gnaedigen Gott. Das Hauptmotiv Kleppers fuer seine Entscheidung zur Beendigung seines Lebens war, so scheint mir, in dem vom Staat fuer seine Frau und Tochter beschlossenen Tod mit ihnen in Liebe verbunden zu bleiben. Wer wollte hier eine Anklage erheben? Darf ein Glaubender untergehen? Kann ein Glaubender scheitern? An Klepper sehen wir: Von Menschen, die ihr dunkles Geschick, ihr Scheitern, im Glauben an Gott annehmen, kann ein ganz grosser Segen ausgehen. Ist es unserem Herrn Christus anders ergangen? Nein; es gilt darum vielmehr: Anhang: Auszuege
aus den von Reinhold Schneider 1956 herausgegebenen Tagebuechern
Jochen Kleppers aus den Jahren 1932- 1942 mit dem Titel „Unter dem
Schatten deiner Flügel“, Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart, 1956: „Klepper
hat die Seinen an der Hand genommen, als es kein Recht und keinen
Schutz mehr gab, und ist mit ihnen vor den Richter, den schrecklichen
Vater, geeilt, sich schuldig wissend und doch unergruendlicher Gnade
gewiss: gerade dieser Tod ist, von ihm her gesehen, zu einem Glaubenszeugnis
und einem Zeichen der Treue geworden; es war kein Nein, vielmehr
ein Ja, der glaubensstarke Schritt ueber die Schwelle des Ewigen
Hauses- fuer uns bleibt er aufwuehlende Anklage.“ Reinhold
Schneider in seinem
Vorwort zu den Tagebuechern Kleppers, 12f. 22.
August 1933: „Ich
erlebe ein allgemeines Schicksal, das Tausende meiner Art trifft,
mit; aber individuell gesehen musste alles das sein, um mich im
oberflaechlichen, unbezaehmbaren Ehrgeiz zu treffen.“ (100f.) 23.
August 1933: „Offizielle
Erklaerung:´Mischehen mit Fremdrassigen muessen als das gekennzeichnet
werden, was sie sind, naemlich der Grund fuer geistige und seelische
Entartung wie fuer die Entfremdung dem eigenen Volke gegenueber.`
101 15.
August 1935: „An
manchen Tagen packt es einen hart, was man schreiben wollte und all
der wirren, harten Umstaende wegen nicht schreiben konnte und kaum
nachholen kann- Das
Glueck der Vergaenglichkeit- (neu schreiben!) Hoffnungslosigkeit, Katharina
von Bora... Nichts
ist in mir, was vor Gott auch nur noch den geringsten Anspruch zu
erheben wagte. Aber die Bitte ist noch da; er moege mir dieses Leben
lassen, wie es jetzt ist. Vielleicht gibt es dann noch eine Fruchtbarkeit.“ 277 3.
September 1934: „Ich
will gern ohne Namen arbeiten, wenn ich nur weiter wirkliche Arbeit
leisten darf und nicht in diesen schrecklichen Journalismus zurueck
muss, in dem es nur noch ums 80- Zeilen-Format geht.“ 280 12.
September 1935: „Man
ist ganz zerstoert. Will Gott mit dem Zerstoerten noch bauen?“ 285 13.
September 1935: „Das
ist ein Vorgang, der einen ganz durchschuettelt: Das Preussentum
und das Judentum gleichzeitig nebeneinander begreifen zu muessen
in ihrer unloesbaren Verknuepfung durch den Knecht- Gottes Glauben.
Und was heisst hier ´begreifen`: Es muss durchlebt werden all die
Muehsal um das Buch und die Angst um eine derart bedrohte Existenz.
Die grossen Menschen leiden unter ihrem Auftrag. Manchmal scheint
mir, die kleinen Menschen leiden unter der Auftragslosigkeit ihres
Lebens noch viel mehr. Die Angst um jene Auftragslosigkeit, um jenes
leere Verebben des Lebens kann furchtbar sein.“ 286f. 5.
November 1935: „Ein
Katholik wie Schneider arbeitet in dem Gefuehl der Vergeblichkeit
vor Menschen und des Verdienstes vor Gott- wir Protestanten muessen
unser Leben ertragen in dem Gefuehl der Vergeblichkeit unserer Arbeit
vor Menschen und der Verwerflichkeit vor Gott. Von Tag zu Tag trage
ich schwerer daran. So im Untergang des Volkes stehen zu muessen,
ist furchtbar.“ 307 24.
Dezember 1935: „Gott
kann von uns nur noch im Leiden gelobt werden. Der Schmerz kann nicht
getilgt werden: dass die Gabe des Lebendigen, des Herrn allen Lebens,
sein Tod ist.“ 322f. 10./16.
Februar 1936: „Nur
mit dem Schreiben wieder verdienen, dann waeren diese schweren Wochen
wieder so milde! So viel befriedigender, als alles, alles zuvor jemals
war!“ 333 6.
Maerz 1936: „Ein
Grad von Erschoepfung ist erreicht, in dem ist von Wille nicht mehr
die Rede, nur noch von Gnade.“ 337 10./11.
Maerz 1936: „Weil
aber die Welt ausgerichtet ist auf ein Buch, die Bibel, ist Buecherschreiben
eine so grosse Sache, dass es eben nicht anders als mit Zittern und
Zagen vor sich gehen kann -. Die
Zeitgemaessheit, die Dauer, der Zeitpunkt der Wirkung- alles, alles
steht bei Gott, und alle Bitte kann nur dahin gehen, zu erloesen
aus der Unfruchtbarkeit! Dieser eine Gedanke ist entsetzlich; nicht
der der Erfolglosigkeit; nicht der der Ertragslosigkeit, so bitter
er ist, wenn man Opfer von einem geliebten Menschen verlangt.“ 339 23.
Maerz 1936: „Keine
andere Groesse scheint erreichbar, als die, die schon gegeben ist:
von dem grossen Gott gebrochen zu sein.“ 343 7.
Juni 1936: „Die
Entlassung aus dem Rundfunk ist heut drei Jahre her; und an solchem
Tage fuehlt man doch, wie diese drei Jahre der Erfolglosigkeit, Enttaeuschung,
Isolierung und Erwerbslosigkeit auf einem lasten. Unausgesetzt geht
der Kampf in einem vor, dass man sich zu dem Ja zum Weiterleben „entscheiden“ muss,
was Gott auch schicken mag; dass man dieses „Gespraech mit Gott“ fuehren
muss, in dem er die Frage stellt und die Antwort gibt. Die tiefste
Verwundung kommt doch von der Groesse des Lebens her.“ 353 28.
Juli 1936: „Wohin
fuehrt mein quaelendes, abseitiges, isoliertes, menschenscheues Muehen
ohne Bestaetigung, ohne Hilfe, ohne Resultat… Die
Hilfe, die ich erfahre, so reich und schoen sie noch ist, macht bange:
das Haus, das mich aufnimmt und durchhaelt, es ist die Hilfe, die
der Gescheiterte erfaehrt; darum bedrueckt es so. Ob da noch eine
Zukunft ist, bleibt voellig verborgen.“ 3365f. 27.
Maerz 1937: „So
ist nun das Schwere, mit jeder Post erwartet, gekommen: der Ausschluss
aus der Schrifttumskammer. In solchen Stunden kann nichts gelten
und geschehen als der Blick auf die Worte der Schrift. Die
sehr schoene, ungekuerzte Auffuehrung der Matthaeuspassion hat wieder
eine volle, volle Kirche gefunden…“ 434 16.
September 1937: „Die
Zeit ist endgueltig da, in die Stille zu gehen, dem Chaos die Sammlung
entgegenzusetzen, der hektischen Aktivitaet zu begegnen mit dem Gebet,
dem Eigenlob, der Ruhmsucht mit der Busse, dem Schein mit dem Gehalt,
der unertraeglichen Erregung mit der Geduld. Die Zeit ist da.“ 501 5.
Oktober 1937: „Da
du mich in der Not anriefest, half ich dir aus; ich erhoerte dich.“ Psalm
81,8 „Immer
wieder, wenn das Herz bitter und muede ist, immer wieder, wenn der
Anspruch sich vermisst, kommt die einfache Loesung: Es ist kein Verlust,
der „ohne des Herrn Befehl“ geschieht. Es ist keine Gabe, fuer die
ihm nicht gedankt werden darf. Es gibt,- ausser dieser einen, die
sein Geheimnis bleibt und die ich nicht zu erfahren brauche,- keine
Schuld, die nicht durch ihn vergeben ist. Es
gibt kein Leiden und Tun, das nicht, weil alles in Christi Namen
vor ihn gebracht wird, von ihm gewendet und gewertet werden kann
zu meinem Heil und seiner Ehre.“ 508 7.
Oktober 1937: „Die
Gefahr des Verrinnens, Erschoepftwerdens, der Planlosigkeit ist erschreckend
gross.“ 510 29.
April 1938: „Es
zehrt an allen Kraeften,
die zur Leistung noetig sind, das dauernde und immer noch wachsende
Unrecht an den Juden in Deutschland ohnmaechtig mit ansehen zu muessen.“ 584 6.
Juli 1938: „Wir
werden von Tag zu Tag mueder. In allen Stunden, in denen man das
Leben rein menschlich ansieht, will man immer nur sterben, Hanni
wie ich, trotz aller Dankbarkeit.“ 612 20.
Oktober 1938: „Ueber
die Quaelerei der Juden und den Raub, der an ihrem Eigentum geschieht,
wenn sie, nachdem man ihnen die Existenzmoeglichkeiten nahm, Deutschland
verlassen wollen, geraet man allmaehlich in einen Zustand, der einer
Gemuetskrankheit nicht mehr unaehnlich ist. Die Voelker haben fuer
den Frieden gebetet; werden sie dafuer zu beten beginnen, dass Friede
fuer die Juden wird?“ 667 21.
Oktober 1938: „Worin
sind wir besser als die Juden? In dem, was Gott uns geschenkt hat.
Wir haben`s nicht erworben und verdient. Mit den Juden geschieht
etwas so Ungeheuerliches, dass man sich der laehmenden Wirkung kaum
mehr erwehren kann! Diese entsetzliche Ohnmacht des Volkes gegenueber
dem, das im Namen des Volkes geschieht, ohne dass es- ueber Numerus-clausus-Massnahmen
hinaus- dahinter stuende. Das
eigene Wesen- das Judentum-: Gott muss retten. Gott muss schnell
retten.“ 667f. 12.
November 1941: „Das
ist vielleicht das Zerruettendste an dieser Zeit, dass sie dem Beten
das freudige Amen geraubt hat. Aber der in uns ist, ist groesser
als der, der in der
Welt ist.“ 980 17.
November 1941: „Das
Unglueck der Juden verkuerzt uns nicht den Blick und verengt uns
nicht das Herz dafuer, welch namenloser Jammer jetzt auf der Welt
ueberhaupt und in Europa besonders herrscht. Aber wiederum sind die
Juden ein Urbild.“ 985 9.
Maerz 1942: „Mit
dem Aufhoeren meines aeusseren Erfolges, meines materiellen Erfolges
ist meine letzte irdische Bastion gefallen. Das gibt eine eigentuemliche
Ruhe.“ 1041 2.
September 1942: „Welch
verzweifelte, flehentliche Gebete in aeusserster menschlicher Not
um die aeussere Rettung hat Gott in dieser Zeit n i c h t erhoert!“ 1094f. 7.
September 1942: „Dass
nun auch noch die schwere Pruefung im Beruf gekommen ist! Ich habe
sie im Erfolg noch einmal erwartet. Nun ist sie da; und so seltsam-
ohne Misserfolg eine so schwere Pruefung, in der alles zu Ende zu
sein droht. Nur wieder schreiben, nur schreiben, wenn auch nicht
veroeffentlichen, wirken und verdienen zu koennen; nur nicht dieses
Versiegen in mir in diesen Lebensjahren, die doch die Hoehe des Lebens
darstellen muessten!“ 1097 28.
September 1942: „Deportationen,
Deportationen- die Alten; die Kranken. Und nichts mehr Geruecht,
sondern Menschen, die man kennt.- Der
Krieg allein war schwer genug; und nun noch das.“ 1101 5.
November 1942: „Es
ist keine Zeit mehr, der man begegnen koennte mit Handeln; es ist
eine Zeit des Seufzens und Tragens, und der Aufblick zu Gott ist
immer scheuer geworden.“ 1118 28.
November 1942: „Hanni
und ich wissen doch nun, wie furchtbar man noch einmal an Gott verzweifeln
musste- aber wir koennen nicht zweifeln, koennen vom Glauben nicht
los, nachdem er doch so schmerzhaft in uns geschieden ist von irdischer
Hoffnung.“ 1124
Dr.
Albrecht Weber
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