Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Weihnachten, 24. Dezember 2003
Predigt übe
r Römer 1, 1-7, verfaßt von Christoph Dinkel
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Liebe Gemeinde,

(1) zu Weihnachten gehören Grüße. So wie der Tannenbaum, die Weihnachtskrippe und die Weihnachtsmusik zum Fest gehören, so sind auch Grüße an Weihnachten unverzichtbar. Zu Weihnachten verschickt man Grußkarten und Briefe an die, die man liebt oder schätzt, - und wohl auch an die, die es von einem erwarten. An Weihnachten telefoniert man mit der Familie, man grüßt einander und wünscht sich gegenseitig ein frohes Fest. Zu Weihnachten grüßt auch der Bundespräsident und spricht uns und der Gesellschaft insgesamt Mut zu. Brauchen kann man den ja in diesen Tagen. Auch der Papst lässt es sich nicht nehmen und grüßt die Gläubigen, die ihn für zuständig halten, in 76 oder noch mehr Sprachen, urbi et orbi, wenn es seine Gesundheit denn zulässt. Selbst der Händler, der mir zu Weihnachten in Kooperation mit meiner Frau einen neuen Computer beschert, grüßt per E-Mail zum Fest und wünscht auf einem adretten Foto seiner heiter illuminierten Firmenzentrale: „Frohe Weihnachten und ein erfolgreiches neues Jahr!“

Das Grüßen in den verschiedensten Formen und Weisen gehört zum Weihnachtsfest elementar dazu. Und in diese Folge von Grüßen und Wünschen reiht sich heute auch unser Predigttext ein. Der Apostel Paulus schreibt an die Gemeinde in Rom und beginnt seinen Brief mit folgendem Gruß: „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!“

(2) Ein apostolischer Gruß zur Weihnacht am Heiligen Abend – ja passt das denn überhaupt? Am Heiligen Abend da geht es doch um das Kind im Stall, um Maria und Josef, um Ochs und Esel, um Hirten, Könige und Engel. Im Vergleich dazu fällt der apostolische Gruß des Paulus doch ein wenig ab. In emotionaler Hinsicht jedenfalls kann er mit den vertrauten Bildern und Themen der Weihnacht kaum mithalten. Der Gruß ist wirkt etwas sachlich im Verhältnis zu dem, was wir am Heiligen Abend erwarten.

Drehen wir die Sache daher ein wenig anders. Betrachten wir den Gruß des Paulus einmal nicht als Gruß an uns oder an die ursprünglich gemeinte Gemeinde in Rom. Betrachten wir den Gruß des Apostels einmal als Deutung und Interpretation des Weihnachtsgeschehens. Weihnachten, so könnte man dann sagen, Weihnachten selbst ist ein Gruß, ein göttlicher Gruß an uns Menschen. Die Geburt des Kindes im Stall von Bethlehem wäre dann der eigentliche Gruß und die Worte des Apostels würden uns nur erläutern, wie der göttliche Gruß zu verstehen ist, nämlich als Zeichen der Gnade und des Friedens von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.

(3) Können wir Weihnachten verstehen als göttlichen Gruß an uns Menschen? Vielleicht schon. Die Weihnachtsgeschichte selbst steckt jedenfalls voller Grüße: Der Engel, der Maria die Geburt Jesu ankündigt, eröffnet ihr die Botschaft mit einem Gruß: „Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir!“ Maria ist über diesen Gruß zunächst allerdings gar nicht erbaut. Vielmehr erschrickt sie und fragt sich: „Welch ein Gruß ist das?“ Der Engel muss ein zweites Mal ansetzen, um sie zu beruhigen: „Fürchte dich nicht, Maria“, sagt er, „du hast Gnade bei Gott gefunden.“ Und wieder taucht hier in diesem Gruß des Engels an Maria das Stichwort „Gnade“ auf, das wir schon aus dem Gruß des Apostels kennen. Die Hinweise verdichten sich: Weihnachten, das ist ein Zeichen der göttlichen Gnade, ein göttlicher Gnadengruß gleichsam.

Bei Maria scheint der göttliche Gnadengruß aber noch nicht gleich so richtig angekommen zu sein. Die Botschaft schwanger zu sein, obwohl sie nicht verheiratet ist, wird sie zunächst kaum als Zeichen einer besonderen Gnade verstanden haben. Für Maria dürfte ihre Schwangerschaft mit Jesus vielmehr zunächst eine elementare Bedrohung gewesen sein. Bis heute hat man es als allein erziehende Mutter nicht leicht. Wie viel schwieriger dürfte das damals gewesen sein, zumal bei den rigiden Sittenregeln des Orients. Weil sie an der Tatsache der Schwangerschaft wiederum auch nichts ändern kann, fügt sich Maria in ihr Schicksal und entlässt den Engel mit der lapidaren Feststellung: „Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe wie du gesagt hast.“ Auch diese Antwort hat etwas Sachlich-Nüchternes an sich. Von weihnachtlichem Jubel ist da zunächst keine Spur.

Es bedarf eines zweiten Grußes, damit Maria sich über die Schwangerschaft mit Jesus wirklich freuen kann. Erst als Maria ihre gleichfalls schwangere Kusine Elisabeth besucht, wird ihr klar, dass der Gnadengruß des Engels vielleicht doch nicht so verfehlt war. Maria jedenfalls macht sich auf ins Gebirge Juda, um einen Verwandtschaftsbesuch abzustatten. Wir notieren: Verwandtschaftsbesuche zu Weihnachten haben eine lange Tradition. Bei ihrer Kusine angekommen grüßt Maria Elisabeth. Das ist aber noch nicht der spektakuläre Gruß. Der eigentliche Gruß findet im Verborgenen statt. Es ist Elisabeth, die mit Johannes, dem späteren Täufer schwanger ist, die den verborgenen Gruß wahrnimmt: „Und es begab sich, als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe.“ Und hellsichtig wie Elisabeth ist, weiß sie den Gruß des einen Ungeborenen an den anderen Ungeborenen zu deuten. Elisabeth erwidert den Gruß Marias mit einem jubelnden Gruß, wie ihn noch keine Frau zuvor gehört hat: „Gepriesen bist du unter den Frauen“, ruft Elisabeth „und gepriesen ist die Frucht deines Leibes!“ Elisabeth ist durch das Hüpfen in ihrem Bauch ganz außer sich. Sie merkt, dass das Hüpfen ein Zeichen der Gnade auch für sie selbst ist. „Und wie geschieht mir das“, fährt sie fort, „dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt. Denn siehe, als ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leibe.“

Jetzt erst, auf den jubelnden Gruß Elisabeths hin, versteht Maria, dass ihr in der Tat Gnade und nicht Unheil zuteil wurde. Und auch Maria beginnt zu jubeln und singt ein Lied über die Gnade und Barmherzigkeit Gottes. Maria stimmt jenes Magnifikat an, das wir vorhin im Wechsel gemeinsam gesprochen haben. Auf den Gruß Elisabeths hin begreift sie, dass das Kind in ihrem Bauch zugleich der Herr der Welt, der Sohn des himmlischen Vaters ist. Und obwohl sie ahnt, dass die Aufgabe, dieses Kind auszutragen und bei seinem Auftrag zu begleiten, ihre Kräfte über die Maßen fordern werden, weiß sie nun, dass in allem, was geschieht, Gottes Gnade mit ihr sein wird. Der jubelnde Gruß Elisabeths macht für Maria aus der bedrohlichen Situation einer ungewollten Schwangerschaft ein Zeichen der göttlichen Gnade und Zuwendung. Weihnachten ist für sie nun keine Bedrohung mehr, sondern tatsächlich ein göttlicher Gnadengruß an sie und an die Menschen: „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!“

(4) Die Worte des Apostels lehren uns, Weihnachten als göttlichen Gruß zu verstehen. Und Grüße, das müssen wir bedenken, Grüße sind nichts Beiläufiges und Unwichtiges. Grüße geben kund, wie eine Beziehung eigentlich gemeint ist. Im Gruß, den wir einander bei einer Begegnung geben, stellen wir klar, dass wir mit friedlichen Absichten kommen und dem anderen unser Wohlwollen gilt: Beim Grüßen wünschen wir dem anderen einen „guten Tag“, wir sagen „Grüß Gott“ und wünschen dem Gegenüber damit den göttlichen Segen. Ein Gruß kann kenntlich machen, wes Geistes Kind man ist: statt im Namen Gottes zu grüßen und einen guten Tag zu wünschen haben viele in diesem Land - es ist noch keine sechzig Jahre her - einander im Namen eines Massenmörders Heil gewünscht. So verräterisch können Grüße sein. Grüße sind keinesfalls harmlos und unbedeutend.

Beim Grüßen geben wir kund, wie wir es miteinander meinen. Und der Gruß des Apostels macht deutlich, wie Gott es mit uns Menschen meint: „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!“ Gnade und Frieden – das will Gott für die Welt und für uns Menschen. Und dass gerade Weihnachten ein Zeichen für Gottes Gnaden- und Friedenswillen ist, das macht ein weiterer Gruß in der Weihnachtsgeschichte deutlich: der Gruß des Engels an die Hirten auf dem Feld bei Bethlehem.

(5) Wie Maria so sind auch die Hirten zunächst keineswegs erbaut über das plötzliche Auftauchen eines Engels. Das strahlende Licht der göttlichen Herrlichkeit löst bei ihnen Erschrecken und Entsetzen aus. Der Engel sieht sich daher genötigt, die Hirten erst einmal zu beruhigen: „Fürchtet euch nicht!“ sagt er zu ihnen. Ob die Hirten diese Beschwichtigung schon wirklich beruhigt hat?

Doch der Engel hat noch mehr zu sagen. Auch er hat eine Grußbotschaft. Er überbringt die eigentliche, die öffentliche Grußbotschaft Gottes zu Weihnachten: „Fürchtet Euch nicht!“ sagt der Engel und dann fährt er fort: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“

Der Engel überbringt den Hirten und mit ihnen uns die Botschaft und den Gnadengruß Gottes: „In alle Finsternis und Traurigkeit der Welt sende ich meinen Heiland, den Retter, das Kind, das die Welt neu macht und verwandelt. Geht hin in den Stall, geht hin zu dem Kind, das in Windeln gewickelt in der Krippe liegt: Hier an diesem erbärmlichen Ort, hier, wo die Dynamik und Schönheit, hier, wo aber auch die Zartheit und Gefährdung des Lebens so unmittelbar zu spüren ist, hier mache ich alles neu. Hier bricht es an, das Reich Gottes, die Welt, wie ich sie gewollt habe. Hier im Stall von Bethlehem komme ich euch ganz nahe. Ich kenne eure Traurigkeit. Ich nehme Teil an Eurem Leiden. Ich nehme selbst Schmerz und Ablehnung auf mich, weil ich euch nahe bin und euch liebe. Hier beim Kind in der Krippe seht ihr meine Macht, die Macht des Schöpfers der Welt, hier seht ihr meine Liebe zu den Menschen, meinen Willen zum Leben, meine Kraft der Neuschöpfung.“ – Das ist der göttliche Gruß an Weihnachten, das ist die Botschaft des Kindes, das in Windeln gewickelt in der Krippe liegt. In dieser Weise gibt sich Gott in seinem Weihnachtsgruß kund.

(6) Der Engel überbringt den Hirten in Bethlehem und mit ihnen auch uns die Nachricht von der Geburt des göttlichen Kindes, des Heilands der Welt. Und weil diese Botschaft für uns Irdische den Himmel öffnet, erscheint den Hirten und mit ihnen uns das ganze Engelsheer. Aus dem einen Engel wird die Menge der himmlischen Heerscharen, die Gott loben und das Kommen des göttlichen Friedens bejubeln: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“

Dieser Jubel der Engel ist Gottes Gruß an alle, die Angst haben und verzweifelt sind, er ist Gottes Gruß an alle Wehmütigen und Verdrossenen, der Gruß an jene, die gerne wüssten, wo es lang geht, und die unsicher sind und nach dem richtigen Weg suchen. Der Gruß Gottes an Weihnachten ist ein Gruß des Friedens an jene, die streiten und kämpfen, er ist ein Zeichen der Sanftmut gegen allen Ärger und Hass in unseren Herzen. Der Gruß Gottes ist ein Zeichen der Gnade, der Zuwendung und der Liebe. Im Kind in der Krippe kommt Gott uns ganz nahe und verspricht uns: Ich bin bei euch. Ich schenke euch meine Gnade und meinen Frieden. Und an diesen Gruß Gottes zur Weihnacht schließt sich der Apostel Paulus an. Sein apostolischer Gruß zu Weihnachten gilt auch uns: „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!“ – Amen.

Predigtlied : EG 36, 1-3+6, Fröhlich soll mein Herze springen

Dr. Christoph Dinkel
Pfarrer, Privatdozent
Gänsheidestraße 29
70184 Stuttgart
christoph.dinkel@arcor.de


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