Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Weihnachten, 24. Dezember 2003
Predigt übe
r Lukas 2, 22-40, verfaßt von Dorothee Löhr
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde!

In Bonn, wo ich 12 Weihnachten meines Lebens verbracht habe, gibt es eine Krippentour, die auch die Krippen der romanischen Kirchen in Köln mit einbezieht. Wenn man jeden Tag zwischen Heilig Abend und Epiphanias sich auf den Weg macht, an den Tagen der 12 weißen Nächte, dann kommt man vielleicht durch alle Kirchen mit Krippenausstellungen durch. Ich habe diese Krippentour nie vollständig absolviert, immer nur teilweise. Auf so einer Teilstrecke der Krippentour fanden wir die merkwürdigsten Darstellungen der Weihnachtsgeschichte. In der Kapelle der Universitätskliniken z.B. hatte der Stall die Gestalt des Verwaltungsgebäudes der Klinik, und es gab Überlegungen, das Christkind ganz Krankenhausgemäß in einen Brutkasten zu legen, es sei ja schließlich für die Welt zu früh gekommen. Weihnachten im modernen Krankenhaus wörtlich genommen. In einer anderen Kirche kamen die ganzen Berufsgruppen zum Stall, die an Heilig Abend arbeiten: Polizisten, Krankenschwestern, Feuerwehr, Schaffner und Busfahrer. In einer riesigen Krippenlandschaft in der Heilandkirche schließlich kam das ganze alte Testament heran, Adam und Eva, Abraham, Isaak und Jakob, die Propheten und Psalmsänger.

Das war eine Heilsgeschichtliche Zusammenschau aller Zeiten. Und indem wir uns einreihten in die Krippenbesucher, fanden wir uns plötzlich gleichzeitig mit denen, die die Geburt Jesu vorausgesagt hatten, obwohl sie ihn rein historisch betrachtet nicht mehr erlebt haben. Wir befanden uns in der Wolke der Zeugen, die Gott und Mensch zusammen sehen durch die Zeiten und Generationen. In dieser riesigen Krippenlandschaft fand ich auch die beiden Gestalten Simeon und die Prophetin Hanna, von denen das heutige Evangelium des Lukas erzählt.

Lukas, der Historiker unter den Evangelisten, erzählt hier von Zeitgenossen Jesu, die die alte prophetische vorchristliche Tradition verkörpern und bestätigen. Simeon und Hanna, das sind die uralten Zeugen, die aus zweier Zeugen Mund, die Zeitenwende und die heilsgeschichtliche Zusammenschau bezeugen. Jesus der lange Erwartete, der Heiland, Licht der Völker und Zeichen Israels, das Widerspruch hervorrufen wird. Ich lese aus dem 2.Kap. die Verse 22-40 und bitte Sie im Gesangbuch die rote Nr 764 aufzuschlagen. Unter der Nr 764 finden Sie den Lobgesang des Simeon, das Nunc dimittis, einen der neutestamentlichen Psalmen, den wir in der Lesung gemeinsam sprechen wollen....

Weihnachten ist durchaus nicht nur ein Fest für Kinder. Hier ist es ein Fest für zwei ganz alte Menschen. Sie schauen nicht nostalgisch zurück sondern nach vorne. Und so werden sie Zeugen des Neuanfangs und der Zukunft mit Gott: Von Simeon hören wir, dass er ein Alter erreicht hat, in dem er schon den Tod erwartet, und wenn wir das Alter der Hanna rekonstruieren, 84 Jahre Witwenschaft + 7 Jahre Ehe + sagen wir 15 Jahre vor der Ehe - dann kommen wir auf mindestens 105 Jahre! Wir hören also von zwei wirklich sehr alten Menschen, die das erste Mal in ihrem Leben Weihnachten erleben.

Eine merkwürdige Vorstellung, als alter Mensch Weihnachten zu erleben, das erste Mal: Schauplatz ist nicht der Stall von Bethlehem sondern der Tempel von Jerusalem, der Ort, zu dem alle Kinder frommer jüdischer Eltern gebracht wurden. Es ist der Ort der eigenen religiösen Tradition. Wohl dem, der solch einen Ort hat und ihn im Alter auch noch kennt. Wir erfahren, dass die Eltern Jesu alles nach dem Brauch und nach dem Gesetz ihrer Tradition tun: sie lassen Jesus beschneiden, als 8 Tage um waren, und sie geben ihm den Namen, der vom Engel genannt war vor seiner Geburt, nach 40 Tagen bringen sie das Kind mit der Kollektengabe zum Tempel und begegnen Simeon und Hanna. Ich lese diese liebevolle Darstellung des Brauchtums von Beschneidung und Darbringung im Tempel zunächst wie eine exemplarische Taufgeschichte: Setzen wir für Tempel Kirche und für Beschneidung Taufe ein. Taufe und Beschneidung, das bedeutet das gleiche: Zugehörigkeit zu Gott. Eingezeichnet sein in seine Hand. Wir taufen die kleinen Kinder in der Kirche, und zwar wenn die Mutter wieder fit ist, wir taufen nicht im stillen Kämmerlein, wir bringen die Kinder vor die Öffentlichkeit der Gemeinde, wir sammeln eine Kollekte, nicht mehr in Naturalien sondern in Euro, voller Dankbarkeit über die glückliche Geburt und in dem Wissen, dass unsere Kinder nicht uns gehören sondern Gott. Wir übergeben und befehlen sie in der Taufe den Händen Gottes und empfangen sie aus seinen Händen wieder neu. In seine Hände sind sie eingezeichnet und wir auch. Das Kind selber spielt noch keine aktive Rolle. Das übernehmen Eltern und Paten. Die Paten kommen als Zeugen, im Falle Jesu heißen sie Simeon und Hanna. Wir erwarten, dass die Paten dem Kind ihren Glauben bezeugen, den Segen Gottes für das Kind erbitten und auch seine Zukunft im Blick behalten, und zwar unabhängig von den Eltern, also auch, wenn die Zöglinge den Eltern Kummer bereiten werden. Taufe als Anknüpfung an Brauchtum und Tradition, Patenschaft als geistliches Amt. Simeon und Hanna, die exemplarischen Paten, die Paten Jesu Christi.

Liebe Gemeinde, gute Paten können warten. Sie sehen nicht nur, was vor Augen liegt, ein ganz normales Baby, sie sehen mehr, sie sehen seine Zukunft. Das richtige Sehen hat Simeon vom Heiligen Geist gelernt und vom Warten auf den Trost Israels. Er lässt sich nicht nur von Brauchtum und Gewohnheit leiten, er ist auch nicht Tag und Nacht im Tempel wie die Prophetin Hanna, sondern er folgt der spontanen Eingebung in den Tempel zu gehen. Er kommt auf Anregen des Geistes, sagt Lukas. Zwei Zeugen, zwei Formen des Wartens, zwei Formen der Frömmigkeit, die sich ergänzen, erleben wir in Simeon und Hanna. Ein Mann und eine Frau. Die Prophetin Hanna stammt aus einem alten Geschlecht, sie hat ein Amt im Tempel, der Vater Phanuel hat schon im Namen, was Hannas Aufgabe ist: Phanuel heißt Angesicht Gottes. Im Angesicht Gottes leben, in seinem Licht leben, unter dem Segen Gottes, dessen Angesicht über uns leuchtet, wandeln. Epiphanias ist ihr Lebensprogramm, nämlich die Zuwendung Gottes im Menschen aufspüren und schützen, seine Gottesebenbildlichkeit, sein Licht erkennen und preisen. Nicht nur das sehen, was vor Augen liegt.

Simeon und Hanna, ihre Namen bedeuten Gott hat erhört und Gott hat sich erbarmt. Die beiden Krippenfiguren in der Heilandkirche, die wir auf der Krippentour gefunden haben, sehen aus, als wären sie blind. Man hat den Eindruck, der Simeon nimmt das Kind in die Arme, um es zu ertasten und ganz zu umfangen. Er hätte auch sagen können: meine Hände haben den Heiland gesehen oder mein Herz. So wie wir es nachher singen werden: Eins aber hoff ich, wirst du mir, mein Heiland nicht versagen, dass ich dich möchte für und für, in, bei und an mir tragen.

Liebe Gemeinde, auch das, was Simeon zu Maria sagt, kann man mit bloßem Auge nicht erkennen. Er segnet sie, indem er ihr große Leiden voraussagt. Dass ihr Leiden ein Segen sein soll, mag uns erstaunen. Denn der Segen Gottes, den Simeon ihr weitergibt, bedeutet für Maria nicht, dass alles glatt, friedlich und freundlich in ihrem Leben laufen wird, sondern dass sie zu Jesus Christus stehen wird in guten und in bösen Tagen. Maria wird mit Jesus leiden, weil ihr Sohn Ablehnung und Widerspruch erfahren wird. Die gleiche Ablehnung, die auch seine Nachfolger erfahren werden. Sie steht an der Krippe und wird auch am Kreuz stehen. Maria, die alles in ihrem Herzen bewegt, wird in der Wolke der Zeugen für Geduld und Mitleid stehen, für Ausdauer, Gehorsam und Treue. So - nur so - wird sie auch nach dem Tod ihres Sohnes eine der ersten Zeugen der Christengemeinde sein. Maria steht für das, was wir im Advent gesungen haben: Und wer dies Kind mit Freuden umfangen, küssen will, muß vorher mit ihm leiden groß Pein und Marter viel, danach mit ihm auch sterben und geistlich auferstehn, das ewig Leben erben, wie an ihm ist geschehn. Wir erleben an Simeon und an Hanna, eine Weitsicht des Glaubens, die das ganze Leben des Christkindes und seiner Mutter erfasst. Ob ihre leiblichen Augen schon trüb waren, wie es die Krippenfiguren in der Heilandkirche bei Bonn wollen, oder nicht, macht da keinen großen Unterschied. Diese Weitsicht erfordert eine innere Schau.

Diese Weitsicht des Glaubens - und das ist der letzte Punkt - hat seinen Ort nicht nur in der Taufe und am Anfang des Lebens, sie schließt auch das eigene Sterben und das Ende unseres Lebens mit ein: Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren. Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir, erscheine mir zum Schilde, zum Trost in meinem Tod, und laß mich sehn dein Bilde in deiner Kreuzesnot. Diese friedliche Aussicht auf das eigene Sterben ist die beste Grundlage für ein Leben bis zuletzt. Kreuz und Krippe aus dem gleichen Holz, Windel und Lendentuch aus dem gleichen Stoff, Jesus Christus der einzige Trost im Leben und im Sterben, das ist im Munde von Hanna und Simeon, den Paten des Christkindes, die Weihnachtsbotschaft für die ganze Welt und nicht nur für Weihnachten sondern auch für das neue Jahr.

Liebe Gemeinde, auf dieser Grundlage können auch wir das ganze Jahr über viele neue lebendige Krippenlandschaften bauen, Hospizpflegedienst und Obdachlosenfrühstück, in unseren beiden reformierten Kirchen, Freizeiten auf Amrum und in Ratzeburg, alte und junge Menschen gemeinsam, Amen.

Dorothee Löhr, Hamburg


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