Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Weihnachten, 24. Dezember 2003
Predigt übe
r Lukas 2, 1-14, verfaßt von Karsten Nissen (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


In einer neuerbauten Kirche an einem Ort hier in Dänemark gibt es ein sehr großes Fenster über dem Altar. In der ersten Zeit nach der Einweihung der Kirche hatte diese Kirche klare Fenster, so daß man in der Kirche sitzen konnte und den Vögeln und den Wolken am Himmel und den Blättern und Zweigen der Bäume folgen konnte. Aber mit der Zeit sammelte die Gemeinde Geld für das, was schon immer beabsichtigt war: Ein großes Glasmosaik in diesen großen Fenstern.

Das große Glasmosaik wurde angebracht. Und es war sehr modern. Da waren keine Formen, die man wiedererkennen konnte, alles war nonfigurativ, mit vielen unterschiedlichen Farben und Formen. Als es fertig war, trafen sich der Künstler und die Gemeinde, um über das Werk zu sprechen. Ein Mann aus der Gemeinde sagte bei dieser Gelegenheit:

"Ich gehöre zu den Unzufriedenen. Was ich gegen das Fenster habe, ist nicht dies, daß es nichts 'ähnelt'. Ganz im Gegenteil: Es ähnelt viel zu sehr, es gleicht der Zeit, in der wir leben. Ich habe die ganze Gegenwart vor Augen, wenn ich jetzt in der Kirche sitze. Das Bild ist flimmernd, gespalten und gesprengt, so wie es die heutige Zeit ist, etwas, was vereint, findet sich nicht, die Harmonie fehlt in dem Bild, so wie sie auch der heutigen Zeit fehlt. Deshalb finde ich das Bild verfehlt, weil es all das hineinnimmt, was wir doch lieber draußen lassen und vergessen sollten, wenn wir in der Kirche sind. In einer Kirche soll Frieden herrschen; dieses Fenster schafft Unruhe. In einer Kirche hören wir auf das Wort vom alten Jerusalem, um an das neue Jerusalem zu denken, in einer Kirche wollen wir den heutigen Tag vergessen und gehalten werden von der Botschaft von dem kommenden Reich. Deshalb!"

So weit dieser Mann.

"Und laßt uns geh'n mit stillem Sinn
Mit Hirten auch zur Krippe hin,
Mit Freudentränen danken Gott
Froh für sein Gnadenangebot"
(Aus Grundtvigs Weihnachtslied "Det kimer nu til julefest")

So haben wir gesungen. Deshalb kommen wir heute in die Kirche. Nicht um von all dem zu hören, was uns verwirrt und beunruhigt und wovon die Welt so voll ist, sondern um vom Frieden zu hören und dem Heil, das in die Welt kam. Denn unsere Zeit ist so verworren aus einem einzigen Grund: Weil wir nicht Glauben und Vertrauen haben. Weil der Mensch sein eigener Gott geworden ist. Und deshalb feiern wir Weihnachten erst in der Kirche und dann zu hause um den Weihnachtsbaum, weil wir das brauchen, etwas was rein und warm ist. Etwas, was zu uns von außen kommt. Das nicht an unserer Verworrenheit teilhat.

Und das ist der Kern der Weihnachtsbotschaft: Daß Gott zu uns das Beste sandte, das er hat, seinen eigenen Sohn. Euch ist heute ein Heiland geboren in der Stadt Davids, in Bethlehem. Er ist Christus, der Herr. So sprachen die Engel zu den Hirten auf dem Felde. Ein Heiland? Was bedeutet das? Das ist ein Wort, das so unhandlich und fern von unserem alltäglichen Leben zu sein scheint. Wir denken oft anders vom Heil und verwenden das Wort über unsere eigenen kleinen Anliegen. Wie ein Graffiti, das ich einmal an einer Mauer in Århus gesehen habe: "Was würden wir tun, wenn Jesus morgen wiederkäme?" Die Antwort stand gleich darunter: "Ebbe Sand auf den Flügel stellen".

Daß Jesus zu uns als unser Heiland gekommen ist, bedeutet für mich zweierlei. Erstens, daß Gott sich zu dir und mir bekennt, so wie wir sind. Er sandte sicherlich nicht Jesus in die Welt, weil sich die Menschen der Erde gut aufgeführt hatten und es sich verdient hatten, daß Jesus kam. Jesus wurde geboren, weil Gott in der denkbar deutlichsten und klaren Sprache sagen wollte, daß er sich zu uns bekennt. Er bekennt sich so sehr zu uns, daß sein eigener Sohn einer von uns wird.

Und deshalb bekennt er sich nicht nur zu uns, er kennt auch unser Leben durch und durch. All das, worüber wir seufzen, was schwer zu ertragen ist. Worüber wir vielleicht weinen, wenn wir allein sind. Die schweren Gedanken, die zu dir kommen. Alles kennt er. Alles kennt er durch und durch, weil er Mensch wurde. Er bekennt sich zu uns so wie wir sind, auch wenn er und kennt, so wie wir sind. Das ist das Wunderbare an der Weihnachtsbotschaft. Daran wird nicht gerüttelt. Wir können uns von Gott abwenden. Aber er hält an uns fest.

Daß Jesus Heiland wurde, bedeutet zweitens, daß uns eine Hoffnung geschenkt wird. Hoffnung hat nichts zu tun mit Optimismus oder Pessimismus. Hoffnung ist etwas, was wir haben oder nicht haben, ganz unabhängig von den äußeren Umständen. Hoffnung ist Gottes Gabe an uns. Die Hoffnung kam in der Weihnacht auf die Welt. Und das bedeutet: Wenn alle unsere Möglichkeiten erschöpft sind, wenn wir an die Grenze dessen gelangt sind, was wir können, dann bleibt noch die Hoffnung.

Wenn der Arzt gesagt hat: Wir können leider nichts mehr für Dich tun. Wir haben keine Behandlungsmöglichkeiten mehr. Dann bleibt noch immer die Hoffnung, nicht als Optimismus, denn es gibt vielleicht nicht sehr viel, worauf man den Optimismus begründen könnte. Sondern als Hoffnung, weil Hoffnung Vertrauen ist auf ihn, der über alles bestimmt, deine und meine Zukunft und die der ganzen Welt. Hoffnung kommt zu uns, auch und vielleicht besonders, wenn es am finstersten aussieht. Und da können wir die Nähe Gottes in einer wunderbar starken Weise erfahren. Ihn in unser Herz flüstern hören: ich lasse dich nicht los, ich verlasse dich nicht. Du und ich gehören zusammen.

Wir brauchen nicht etwas Bestimmtes zu tun oder besonders barmherzig und gut zu sein, um erlöst zu werden. Wir können und sollen nur eines: Gott vertrauen. Dem vertrauen, der zu uns in der Weihnacht kam. Die Erde ist noch warm von seinem Körper. Er ist unser Heiland. Es geht nicht darum, genug Karma zu sammeln in einer Reihe von Leben nach einander, um sich schließlich sein eigenes Heil zu verdienen. Es geht nicht darum, selbst göttlich zu werden. Es geht nur um dieses eine: Gott zu vertrauen. Am Vertrauen zu ihm festzuhalten. Ihn die Nummer eins in unserem Leben sein zu lassen. Und ist Gott für uns, wer kann da gegen uns sein. Komme, was da wolle. Die Hoffnung verlieren wir nicht.

Es gibt einige, denen ich heute abend besonders eine frohe Weihnacht wünschen möchte. Das seid Ihr, die an diesem Weihnachtsfest jemanden vermissen, jemanden, den Ihr seit dem letzten Weihnachtsfest verloren habt. Wen da so viel ist, was Ihr gerne mit demjenigen oder derjenigen teilen möchtet, die nun weg sind. Vergeßt nicht die Hoffnung! Daß Christus unser Heiland ist, bedeutet auch, daß der Tod uns nicht scheiden kann von Gott. Ihm gehören wir im Leben und im sterben. Und wir dürfen einfach und echt zu einander sagen: Unsere Toten haben es gut bei Gott. Und wir werden sie einmal wiedersehen.

Das ist die Ruhe, die wir brauchen und die wir hier in der Kirche finden. Es gibt so viel, das uns verwirrt und angst macht vor der Zukunft. Merkwürdig, daß dies so ist. Nie ging es uns besser als in diesen Jahren. Wir sind eines der reichsten Länder der Welt, und wir haben uns an einen Lebensstandard gewöhnt, der zu den allerhöchsten in der Welt zählt. Abgesehen von gelegentlichen Orkanen sind wir verschont von großen Naturkatastrophen, die andere Teile der Welt zerstören.

Wir leben in Frieden mit unseren Nachbarn. Wir brauchen keine Angriffe von außen zu fürchten. Wir haben trotz aller Kritik eines der am besten funktionierenden Gesundheitswesen mit Ärzten, Krankenhäusern und Kliniken. Wir haben eine Sozialgesetzgebung, um die uns viele Länder beneiden. Kurz: Wir leben fast unbeschreiblich guten und gesicherten Verhältnissen.

Dennoch haben wir Angst. Dennoch sind wir verwirrt. Dennoch liegt die Furcht vor einer künftigen Katastrophe dicht unter der Oberfläche in unsere gut funktionierenden Gesellschaft. Das Weihnachtsevangelium sagt uns, daß wir ohne Furcht leben sollen. "Fürchtet euch nicht", sagten die Engel. Lebe dein Leben ohne Furcht. Die Vergangenheit kannst du unter die Vergebung Gottes legen. Die Zukunft kannst du unter die Hoffnung legen. Der Gegenwart kannst du dich öffnen. Fürchte dich nicht. Gesegnete Weihnachten. Amen.

Bischof Karsten Nissen
Domkirkestræde 1
DK-8800 Viborg
Tel.: ++ 45 - 86 62 09 11
E-mail: kn@km.dk

 


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