Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Weihnachten, 24. Dezember 2003
Predigt übe
r Römer 1, 1-7, verfaßt von Georg Kretschmar (St. Petersburg)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,

wir beginnen das Weihnachtsfest, das Fest der Geburt Christi, am Heiligen Abend. Was feiern wir da? Einen historischen Gedenktag? Wir in St. Petersburg haben in diesem Jahr zurückgeblickt auf dreihundert Jahre der Geschichte unserer Stadt. 1703 hatte Peter der Große sie gegründet. Wir erinnern uns, weil es unsere Stadt ist. Mit der Geburt Jesu Christi ist das etwas anderes. Wir kennen das historische Datum gar nicht. Vor allem geht es nicht allein um ein Geschehen das 2000 Jahre zurückliegt und das wir durch unser Erinnern in die Gegenwart holen.

Der große schlesische Mystiker Johann Scheffler, genannt Angelus Silesius, der schlesische Engel, hat im 17. Jahrhundert einmal geschrieben: „Wär Christus hundertmal in Bethlehem geboren und nicht in dir, so wärst Du doch verloren“. Der Apostel Paulus gebraucht eine andere Sprache. Er stellt die Geburt Christi in die Geschichte, die er als ganze „das Evangelium Gottes“ nennt. Sie beginnt schon mit den Propheten, zu diesem Evangelium gehört der Weg von der Geburt zur Auferstehung, von Weihnachten bis Ostern, und sie schließt den apostolischen Auftrag ein, die Botschaft vom Sohne Gottes weiter zu tragen. Die Brücke von der Vergangenheit zur Gegenwart ist die Verkündigung, das Amt des Apostels. Sein Ziel ist es, den „Gehorsam des Glaubens“ aufzurichten, unter allen Heiden. Damals schrieb er an die Römer, an alle Heiden, das schließt auch uns in St. Petersburg oder auch Christen in aller Welt mit ein. Damit rückt Weihnachten, die Geburt dessen, der nach seiner natürlichen Abstammung aus der Königsfamilie Davids kam, in die Mitte der Geschichte. Wir zählen ja auch die Jahre nach Weihnachten also vor Christi Geburt und nach Christi Geburt. Und weil diese Geburt in die Geschichte gehört, deshalb kann man von ihr durch Geschichten erzählen, wie es unter den Evangelisten vor allem Lukas getan hat.

In allen diesen Geschichten geht es aber darum, daß sie das Evangelium Gottes erzählen, in dessen Mitte eben Jesus Christus, Gottes- und Marienssohn steht. Es ist die Geschichte vom Sinn und Ziel unseres Lebens. Um das deutlich zu machen, müssen wir noch weiter ausholen, als es der Apostel am Anfang seines Briefes an die Römer tut. Das Evangelium Gottes gilt allen Menschen, den Nachkommen Abrahams, zu denen auch König David gehört, also den Juden und allen anderen Völkern, der Heiden, weil wir alle davon gezeichnet sind, daß wir nicht nach dem ursprünglichen Willen Gottes, unseres Schöpfers, leben. Wir sind gezeichnet davon, daß wir Gott vergessen haben, wir sind gezeichnet von der Sünde und deshalb vom Tod. Die Heilige Schrift sagt, wir sind Adams Kinder. Das Evangelium Gottes ist sein Weg, uns zurückzuholen in die Gemeinschaft mit ihm. Gott liebt uns und deshalb läßt er seinen Sohn als Kind in der Krippe zu uns kommen, erweckt den Gekreuzigten aus dem Tod und lädt ein zum Glauben an ihn und damit an Jesus Christus als Gabe des Heiligen Geistes. Das wissen wir nicht aus uns selbst. Das muß uns gesagt werden.

Der Apostel Paulus stellt sich am Anfang dieses Briefes der Gemeinde in Rom vor. Er beruft sich deshalb auf Gewißheiten, die er auch bei seinen Adressaten voraussetzen kann. Daß Jesus Christus, Gottes Sohn, als Kind in unsere Welt kam, das gehört zum Kern des Christenglaubens. Die meisten Weihnachtsgeschichten enden damit, daß die Menschen, die damals dabei waren, es weitererzählten. Auch Paulus schreibt als Apostel, wenn er die römische Gemeinde daran erinnert, was Grundlage des gemeinsamen Glaubens ist.

Zu diesen Grundlagen gehört nun auch, daß diese Geburt tief in der Geschichte verankert ist. „Geboren aus dem Geschlecht Davids“. Da treten doch die Geschichten dieser Familie in unser Gedächtnis. Etwa die Erzählung von der Moabiterin Ruth, die als Witwe mit ihrer Schwiegermutter nach Bethlehem, in das Land Juda kommt und daß Fremde doch einen Anverwandte ihres verstorbenen Mannes für sich gewinnt und so zu einer der Stammmütter Davids wird. Oder die Geschichten der Frauen dieses Königs und der späteren Mutter Salomos – auch sie gehört zu den Ahnfrauen Jesu. Nicht irgendein Kind, nein, der Erbe einer sehr besonderen Geschichte wird Mariens Sohn und sein Leben wird von Geschichten gezeichnet und begleitet sein, das erzählen uns die Evangelien. Natürlich wollen sie uns damit erinnern was geschah. Aber er selbst, Jesus Christus, ist eben nicht nur eine Gestalt der Vergangenheit, sondern ist „Gottes Sohn in Kraft“, wie der Apostel schreibt und damit wohl eine den Römern bekannte kathechetische Formel zitiert. Er ist der gegenwärtige Herr. An ihn zu erinnern heißt nicht nur in die Vergangenheit zu schauen, sondern nach oben, zu Gott, seinem Vater und um uns, wo er als unser Herr wirkt und nach vorn zu sehen. Denn der, der als Kind, verborgen von der Öffentlichkeit kam, wird seine Herrschaft sichtbar machen. Das sprechen wir in jedem Gottesdienst aus, wenn wir das Glaubensbekenntnis zitieren. Weihnachten weist auch auf Karfreitag und auf Ostern voraus. Alle diese Taten Gottes können wir nur in Geschichten erzählen und wir müssen sie weitererzählen, weil an ihnen unser Glaube und damit das gelingende Leben hängt.

Der Evangelist Lukas berichtet, daß Jesus in der Stadt seines Ahnherrn Davids, in Bethlehem geboren wurde. Dort ist heute nicht der Friede, den die Engel in der Nacht der Geburt verheißen haben. Aber die Christen feiern dennoch Weihnachten. Sie tun das aber – wie wir in Rußland – an verschiedenen Tagen. Die Christen abendländischer Tradition am 25. Dezember, ebenso eigentlich die Christen orthodoxer Tradition, aber wenn sie noch dem alten julianischen Kalender folgen, dann ist das eben nach dem neuen Stil der 7. Januar. Die Armenier feiern Weihnachten am 6. Januar, das ist der 19. Januar des gregorianischen Kalenders. Drei Daten sind dies und doch ein Weihnachtsfest, weil wir alle zu denen gehören, die – wie der Apostel schreibt – von Jesus Chrstus berufen sind. Viele Geschichten und ein Herr. Er möge und allen ein gesegnetes Weihnachtsfest schenken. Amen.

D. Georg Kretschmar
Erzbischof der ELKRAS (Ev.-luth. Kirche in Rußland, der Ukraine, in Kasachstan und Mittelasien)
St. Petersburg
E-Mail: kanzlei@elkras.org


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