Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Weihnachten, 26. Dezember 2003
Predigt übe
r Hebräer 1, 1-6, verfaßt von Heribert Arens
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Gottes unauffällige Herrlichkeit

Rabbi Baruchs Enkel, der Knabe Jechiel, - so erzählt eine chassidische Legende –spielte einst mit einem anderen Knaben Verstecken. Er verbarg sich gut und wartete, dass ihn sein Gefährte suche. Als er lange gewartet hatte, kam er aus dem Versteck; aber der andere war nirgends zu sehen. Nun merkte Jechiel, dass jener ihn von Anfang an nicht gesucht hatte. Darüber musste er weinen, kam weinend in die Stube seines Großvaters gelaufen und beklagte sich über den bösen Spielgenossen. Da flossen Rabbi Baruch die Augen über, und er sagte: „ So spricht Gott auch: ‚Ich verberge mich, aber keiner will mich suchen.'“ (aus: Martin Buber, die Erzählungen der Chassidim, Manesse Verlag, Zürich 1949, 191)

Diese Erzählung sagt von Gott: Er versteckt sich und will gesucht werden. Diese Aussage entspricht der Erfahrung vieler Menschen, nicht zuletzt derer, denen Gott nicht gleichgültig ist, die sich nach seiner Nähe sehnen. Gott versteckt sich, er verbirgt sich – oft so gründlich, als gäbe es ihn überhaupt nicht. Überlegen Sie, wie viel Not Sie dadurch schon durchlitten haben. Gerade da, wo er am meisten gebraucht wird, scheint er nicht da zu sein. Er zeigt sich nicht in Not, in Krankheit, in Lebensbedrohung, Arbeitslosigkeit, Kriegsgefahr. Die Klage des Psalmisten: „Gott, warum verbirgst Du Dich?“ ist für viele hoch aktuell. Gott ist ihnen nicht greifbar, nicht spürbar, nicht sichtbar, geschweige denn, eindeutig erfahrbar. Gott verbirgt sich. Für viele, gerade wenn Gott ihnen nicht gleichgültig ist, ist das eine schmerzliche Erfahrung.

Und da sagt der Hebräerbrief: „Er (Jesus) ist der Abglanz seiner Herrlichkeit“. Es lässt sich im Horizont unserer Zeit mit einiger Berechtigung fragen: Wo ist er denn – wo ist seine Herrlichkeit? Es ist nicht viel von ihm zu sehen in unserer Welt – geschweige denn von seiner Herrlichkeit. Schneller, als es uns lieb sein kann, landen wir bei jener Thematik, die die Geschichte Gottes mit dem Menschen wie ein roter Faden durchzieht: Der sich offenbarende Gott entzieht sich gleichzeitig immer wieder. So ist es ja auch mit seiner Geburt. Er erscheint in dem Kind von Bethlehem auf unserer Erde. Das tut er jedoch so unauffällig, fast unsichtbar, zumindest unscheinbar, dass man es übersehen könnte. Wer sucht Gott schon bei Schafen und Hirten? Wer entdeckt seine Herrlichkeit schon im Viehstall in einer Futterkrippe? Nicht umsonst landen die drei Sterndeuter aus dem Morgenland dort, wo sie es herrlich glauben: am Hof des König Herodes. Angesichts der Armut von Bethlehem vom „Abglanz seiner Herrlichkeit“ reden, das erfordert einige Phantasie.

Doch darum geht es. Das Auge des Glaubens trägt eine „Trotzdem-Brille“. Es bleibt nicht beim Vordergrund stehen, es blickt hinter Dinge, Ereignisse und Menschen. So sieht es die Geschichte dieses Kindes von Bethlehem, das ja als Erwachsener mit seinem schmählichen Ende am Kreuz auch nicht sonderlich erfolgreich war, in einem weiten Horizont: aus der Sicht des Ostermorgens und der Erhöhung in der Himmelfahrt.

Es gibt Dinge, die nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. Um manche Zusammenhänge zu begreifen, braucht der Mensch einen sehr langen Atem, einem Atem, der sich der Unendlichkeit eines Gottes annähert, der Zeit hat, viel Zeit!“ Mit solcher Ausdauer und Zähigkeit verlängert sich der Augenblick in die Fülle der Zeit, bis in die Ewigkeit. Weiter scheinen im Leben dieses Jesus immer wieder Begebenheiten auf, die nachdenklich machen: Er wirkt „Zeichen“, die über sich hinausweisen. So deutet es Johannes – und kann darum zusammenfassend über Jesu Leben sagen: „Wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit. (Joh 1, 14b) Er ist heilend in der Welt gegenwärtig. Aber diese Heilungen wollen durchsichtig bleiben auf Gott hin. Darum sollen die Geheilten kommen und „Gott die Ehre geben“. (Lk 17,18)

Der Augenblick erkennt diese Gegenwart Gottes und seine darin aufscheinende Herrlichkeit häufig nicht. Im weiten Horizont des gesamten Lebens Jesu und in der Aufmerksamkeit eines Glaubens, der Gott etwas zutraut, erkennt der verweilende Blick hinter den Dingen, Ereignissen und Menschen Gott – oft erst viel später. Will ich die Herrlichkeit Gottes im Wirken Jesu mitten in dieser Welt erkennen, muss ich gründlich und vor allem lange genug hinschauen.

Die Krippe verrät mir dabei noch etwas: Der Rückblick kann erkennen, dass in der Unauffälligkeit und Unscheinbarkeit der Krippe Gottes Herrlichkeit aufscheint. Ohne deswegen andere Wege und andere Orte des Gottsuchens in Frage zu stellen, es gibt Orte der Gottsuche, die wir leicht übersehen, von denen ich den Eindruck habe, dass es Gottes Lieblingsorte sind, und die sind „unten“. Jedenfalls haben schon viele, die Gott suchten, eine überraschende Entdeckung gemacht. Sie suchten Gott oben, aber sie fanden ihn unten.

Abbild seines Wesens

Das zweite, was unser Text über Jesus sagt, lautet: „Er ist das Abbild seines Wesens“. Willst du etwas von Gottes Wesen erfahren, dann schau auf Jesus! Ob Gott in seinem Sohn auf Erden erschienen ist, dass wir sein Wesen neu entdecken?

Michael Ende erzählt in seinem Buch „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ (Stuttgart/Wien 1990, S 124ff) von einem Riesen und seinem Geheimnis. Als Lukas und Jim Knopf den Riesen am Horizont sehen, erschrecken sie und wollen weglaufen. „Bitte lauft nicht fort“, bettelt der Riese. In dem er näher kommt, wird er immer kleiner, und als er neben ihnen steht, hat er die Größe eines normalen Menschen. Die beiden schauen ihn ratlos an. Er erklärt: Jeder Mensch hat ein Geheimnis, so auch ich. Jeder andere, der sich entfernt, wird zum Horizont hin immer kleiner. Bei mir ist es umgekehrt, ich werde immer größer. Und er fährt fort: „Je weiter ich entfernt bin, desto größer sehe ich aus. Und je näher ich komme, desto mehr erkennt man meine wirkliche Gestalt.“ Dieser Satz könnte aus dem Mund Gottes stammen. Gott ist herabgestiegen, nach „unten“ zu uns Menschen gekommen, weil er eine Sehnsucht hat, dass wir seine wirkliche Gestalt erkennen, dass wir sein wirkliches Wesen erkennen.

Der sich verbergende Gott ist für viele weit weg. Er wird darum von manchen missbraucht, wie es Mütter gelegentlich mit dem zur Arbeit abwesenden Vater tun: „Warte nur, bis Papa nach Hause kommt, dann gibt's was!“ Der weit entfernte Gott ist von Pharisäern und Schriftgelehrten missbraucht worden, um Menschen zu ängstigen und gefügig zu machen; ähnlich ist er Sinn später in der Kirche Jesu Christi missbraucht worden. Ob Jesus darum Mensch wurde, ob wir uns darum jährlich neu ins Gedächtnis rufen, dass er Mensch wurde? An ihm, an seinem Leben, an seinem Umgang mit den Menschen, an seiner Liebe und Treue bis in den Tod, an seiner Auferstehung, die stärker ist als jeder Tod sollen wir Gottes wahres Wesen erkennen.

Diese Zusage findet sich außer in unserer Textstelle in manchem anderen Schriftwort: „Wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat.“ (Joh 12,45) „Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes.“ (Kol 1,15) Im menschgewordenen Sohn Gottes können wir darum Gott erkennen. Welchen Gott? Wir erkennen in Jesus einen Gott, der Liebe ist: „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe!“ (Joh 15,9) Wir erkennen in Jesus einen menschenfreundlichen Gott: „Als aber die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Retters, erschien...“, schreibt der Titusbrief (Tit 3,4) Wir begegnen in Jesus dem Abbild eines Gottes, der uns Menschen liebt, der Unheiles heilt, der Schuld verzeiht, der Neuanfänge ermöglicht, der in seiner Liebe treu ist bis in den Tod, der stärker ist als der Tod, weil er das Leben ist, der „zur rechten der Majestät Gottes in der Höhe thront“.

„Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Abbild seines Wesens.“ Wenn wir heute am zweiten Weihnachtstag mit diesem Satz des Hebräerbriefes das Geheimnis der Menschwerdung Gottes vertiefen, haben wir die Chance, im menschlichen Gesicht des Kindes von Bethlehem das Gesicht des liebenden und menschenfreundlichen Gottes als Halt und Zusage für unser Leben zu entdecken.

(Einige dieser Gedanken sind meinem Buch entnommen: „Suchst du Gott, dann such ihn unten“, Erich-Wewel-Verlag, Donauwörth 2003)

Heribert Arens (Franziskaner)
Franziskanerkloster Hülfensberg
heribert_arens@huelfensberg.de


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