Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

2. Sonntag nach Epiphanias, 18. Januar 2004
Predigt übe
r Römer 12, 4-16, verfaßt von Ulrich Nembach
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe braucht Mut und Zupacken.

Liebe Gemeinde,

1.1  heute geht es um dich und mich! Weihnachten liegt hinter uns. Jesus kam in die Welt, zu uns. Nun sind wir gefragt. Wir werden direkt angesprochen, gefragt. Du und ich werden erstens auf unsere Rolle in der Kirchengemeinde angesprochen. Zweitens werden du und ich auf unsere Rolle im Alltag angesprochen. Anders ausgedrückt: einmal geht es um uns hier in der Kirche und einmal draußen, vor der Kirchentür, auf der Straße in der Schule, im Beruf, zu Hause. Leben wir die Liebe, die Jesus uns vorgelebt, vor-geliebt hat, als er uns nicht allein ließ, sondern in die Welt kam?

Warum feiern wir Weihnachten? Warum freuen wir uns auf Weihnachten? Wegen der Geschenke? Ja. Wegen der Weihnachtsmärkte auf den Plätzen unserer Städte, wegen des Glühweins, den es dort gibt? Ja, aber sind das wirklich die Gründe, warum wir Weihnachten feiern? Ich denke, wir alle wissen, dass Weihnachten mehr ist. Weihnachten ist: Jesus kommt. Er lässt uns nicht allein! Ja, und heute geht es konkret um die Frage: Was haben wir von Weihnachten gelernt? Was hat es uns gebracht. Die Antwort ist kurz: Liebe. … und was heißt Liebe ? Genau darum geht es heute Morgen.

Ein Theologe sagte einmal, dass Gott sich durch die Liebe uns zu erkennen gibt, und die Liebe in der Erlösung (Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube, § 166).

Ich lese den Text noch einmal und bitte Sie, mitzulesen. Der Text steht hinten im Gesangbuch unter der Nr. 954.15 und dort unter dem Stichwort „Epistel“, dem griechischen Wort für Brief. Paulus schreibt an die Gemeinde in Rom.

1.2. Paulus schreibt viel und er schreibt kompliziert. Er hat nämlich ein Problem: Er will konkret werden, und er will viele, alle (?) Gemeindemitglieder in Rom ansprechen. Damit beginnt sein Problem: Wie soll, kann er viele, alle direkt ansprechen, zumal er sie persönlich nicht kennt? Das Ergebnis ist unser komplizierter Text.

Wir lesen.

Nun habe ich das Problem des Paulus: Wie soll, kann ich heute jede und jeden hier in der Kirche ansprechen? Es gibt Junge und Alte, Arme und Reiche. Manche Jungen sind in der Schule gut, andere weniger. Manche Erwachsene haben einen Arbeitsplatz, manche nicht. Und doch sind wir eine Gemeinde, haben wir uns heute hier gemeinsam versammelt, sind wir alle Christen.

Soll ich jetzt auch kompliziert reden? Ich mache es anders. Ich konzentriere mich auf zwei Grundfragen der Liebe. Liebe braucht Mut und die Bereitschaft, zuzupacken .

2.1. Mut

Es braucht Mut, ,,um auf dem Schulhof zu dem hinzugehen, der gerade gehänselt wird. „Weint mit den Weinenden,“ nennt das Paulus.

Es braucht Mut, um in der Firma zu der hinzugehen, die gemobbt wird.

Ich will eine Geschichte erzählen, die Geschichte eines Filmes, eines Western. Er läuft zur Zeit nicht in den Kinos. Er wurde schon 1943 gedreht. In dem Film wird nicht herumgeballert. Nur ein Schuß fällt, ganz am Schluß. Der Regisseur hatte nicht viel Geld zur Verfügung. Doch ist es ein toller Film geworden, der Film mit dem deutschen Titel „Der Ritt zum Ox – Bow“. Auf englisch heißt er „The Ox – Bow Incident“.

Vieh ist gestohlen worden. Der Sheriff ist nicht da, er ist unterwegs. Also nehmen einige Männer die Verfolgung auf. Ein alter Offizier, der auch in dem Ort wohnt, übernimmt das Kommando, und es geht los. Nahc einiger Suche finden die Verfolger 3 Männer mit Vieh. Es sind die Diebe ihrer Meinung nach. Sie sollen darum gehängt werden und zwar gleich an Ort und Stelle. Eine Gerichtsverhandlung findet nicht statt; sie ist nach Meinung der Verfolger gar nicht nötig. Die 3 Männer sagen, dass sie keine Diebe sind, das Vieh nicht gestohlen haben. Ja, sie beteuern ihre Unschuld. Es nutzt nichts. Das einzige, was sie erreichen ist, dass die Verfolger sich zu einer Abstimmung bereit finden. Es soll eine Abstimmung über Tod oder Leben stattfinden. Eine Linie wird gezogen. Wer für Hängen ist, der bleibt stehen. Wer dagegen ist, soll auf die andere Seite gehen. Wer geht? Geht überhaupt jemand? Ein alter Mann geht auf die andere Seite. Er ist ein Schwarzer, und er ist ein Laienprediger. Wir würden sagen, dass er ein Pfarrer im Ehrenamt ist. Schließlich folgt ein Zweiter. Geht noch jemand? Wo steht die Mehrheit? Sie bleibt auf der Seite des Todes stehen. Die Drei werden gehängt. Der Sheriff kommt zurück. Er sagt, daß die Falschen gehängt wurden. Die bislang so mutigen Rächer des Gesetzes schleichen nach Hause. Der Offizier, der selbsternannte Anführer, geht in sein Haus. Er holt seine Pistole und erschießt sich. Er hat nun nicht einmal mehr den Mut, sich dem Richter, dem wahren Richter zu stellen.

Ja, Mut braucht die Liebe, den Mut des alten Mannes.

2.2. Ein Zupacken braucht die Liebe ebenfalls. Was zuzupacken, heißt, will ich wieder an einer Geschichte zeigen. Die Geschichte ist real. Sie ereignete sich in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg in Deutschland, in Nordfriesland. Die Zeiten sind schlecht. Menschen brauchen ein neues Zuhause. Sie brauchen als Bauern Land. Sie haben etwas Geld, sie tun sich zusammen und wollen dem Meer Land abgewinnen. Der Staat hilft. Er hilft so gut er kann. Viel Geld hat selbst er nicht. Sie machen sich ans Werk. Das ist schwierig, viel schwieriger als sie dachten. Neue Probleme tauchen auf, die nicht vorauszusehen waren. So wird der Deich, der neue Deich, der das neue Land vor dem Meer schützen soll, nicht fertig. Die Zeit geht dahin und das Geld auch. Manche müssen aufgeben. Andere machen weiter. Da kommt ihnen ein Reicher zu Hilfe. Er gibt ihnen einen Kredit. Eine Sicherheit konnten ihm die Leute nicht geben. Woher sollten sie sie nehmen? Trotzdem gibt er den Kredit. Er zögerte nicht. Er packte zu. Der Deich, der neue Deich konnte so doch noch fertig gestellt werden.

Zupacken ist gefragt und Mut.

Dieses Zupacken und diesen Mut, echte Liebe, wünsche ich jetzt nach Weihnachten Dir und mir auf dem Schulhof, am Arbeitsplatz, in der Wohnung, zu Haue.

Amen.

Prof. Dr. Dr. Ulrich Nembach, Göttingen
ulrich.nembach@theologie.uni-goettingen.de


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