Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Letzter Sonntag nach Epiphanias, 1. Februar 2004
Predigt übe
r 2. Korinther 4, 6-10, verfaßt von Klaus Steinmetz
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Mit dem heutigen Sonntag und der ihm folgenden Woche geht die Epiphaniaszeit des Kirchenjahres zu Ende. Epiphanias bedeutet „Erscheinung“. Mit der Erscheinung des Sterns, dem die Weisen aus dem Morgenland gefolgt sind, hat es angefangen. In allen Geschichten und Texten, die in den Gottesdiensten an den Sonntagen seit dem 6. Januar vorgelesen wurden, schien etwas davon auf, wer der ist, der da geboren und gekommen ist. Bis dann heute in der Erzählung von seiner Verklärung alles Licht auf ihn fällt: Dies ist mein lieber Sohn; den sollt ihr hören!

Im heutigen Predigttext kommt einer zu Wort, der in den Umkreis dieses Lichtes geraten ist. Er sagt, wie sich das bei ihm ausgewirkt hat. Wenn Paulus auf das für ihn wichtigste, grundlegende Ereignis seines Lebens zurückblickt – man nennt es oft seine „Bekehrung“, dann kann er davon nur in großen, geradezu überschwänglichen Worten sprechen: Licht, heller Schein, Erleuchtung, Herrlichkeit. „Gott, der sprach: Licht soll in der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi“. Nicht zufällig erinnern diese Worte an die Schöpfungsgeschichte. Es werde Licht! Und auch an die Weihnachtsgeschichte: ..die Klarheit des Herrn umleuchtete sie. Mag auch die Erzählung in der Apostelgeschichte, dass bei Damaskus eine überwältigende Lichterscheinung Paulus für einige Tage regelrecht geblendet habe, legendenhaft ausgeschmückt sein, so hat sie doch nur die Bedeutsamkeit des Vorgangs in die bildhafte Sprache einer anschaulichen Geschichte übertragen.

Er selbst hat es immer wieder ausgesprochen, was ihm da im Licht, als Licht aufgegangen ist, das Licht, das sich mit einem Namen bezeichnen lässt: Jesus Christus. Und dieses Licht, dieser Name bedeutet, dass er selbst, dass alle von der Gnade und Liebe Gottes allein leben, ob sie es wissen oder nicht. Aber sie sollen es wissen. Und so wurde die Erleuchtung für ihn zugleich Beauftragung und Sendung. Er ist von jetzt an dazu da, dass durch ihn andere Menschen dieses Licht erreicht, dass ihnen diese befreiende Klarheit über sie selber aufgeht. Und wie sehr ist dieser Mann für diesen Auftrag da gewesen! Fast die ganze damals bekannte Welt hat er durchquert. Es ist schon beeindruckend, was er geleistet hat.

Doch so sehr er auch für dieses Licht sich einsetzen konnte und musste, mit seiner ganzen Kraft, mit seinem ganzen Leben, die Garantie dafür übernehmen kann und will er nicht. Das muss ein anderer tun, Gott selbst. Die Kraft des Lichtes ist Gottes Kraft, nicht seine, des Paulus. Es darf keine Verwechslung zwischen Herrn und Diener, zwischen dem Boten des Lichts und dem Licht selber geben. Und es kann diese Verwechslung auch gar nicht geben, wenn man den Boten genau ansieht. Es ist merkwürdig: Der vom Licht Erfasste steht selber nicht im Licht und wird nicht zur Lichtgestalt. Er steht bestenfalls in einem Raum, in dem Licht und Dunkel um die Vorherrschaft ringen.

Wohl ist ihm so etwas wie ein Schatz anvertraut. Aber er selber ist für diesen Schatz nur so etwas wie ein irdenes Gefäß. Irden, aus Ton – das heißt in erster Linie zerbrechlich, gefährdet. Im Vergleich zu einem Gefäß aus Metall oder gar Gold eher unansehnlich, eben für den normalen Gebrauch und auch Verbrauch bestimmt. Und was das nun genauer bedeutet, erfahren wir,, wenn wir aus den folgenden Sätzen des Paulus jeweils nur den ersten Teil hören:

Ich bin von allen Seiten bedrängt – mir ist bange (wörtlich: Ich stecke in einer Aporie) – ich leide Verfolgung – ich werde unterdrückt. Und zuletzt: Das ist geradezu ein Sterben, was sich in seinem Leben vollzieht. „Allezeit trage ich das Sterben Jesu an meinem Leib“. Das Sterben Jesu – auch und gerade hierin ist er ihm verbunden. Also eine alles andere als glänzende, beneidenswerte Existenz. Eben „irdenes Gefäß“, am Rande des Zerbrechens. Kein Wunder, dass manche fragten: Und dieses unansehnliche Gefäß, dieser gezeichnete Mensch soll einen Schatz umschließen und zu bieten haben?

Nun sind dies zunächst die ganz persönlichen Erfahrungen des Paulus, nur von ihm so gemachte Erfahrungen. Und Erfahrungen sind nicht ohne weiteres übertragbar. Trotzdem: Hätte Paulus dies alles gesagt und mitgeteilt, wenn er nicht der Meinung wäre, dass das Aussprechen dieser Erfahrungen auch für andere etwas bedeuten und bringen kann? Warum reden wir selber denn mit anderen über unsere Erfahrungen, auch über sehr persönliche? Würden wir das tun, wenn wir der Auffassung wären, es hätte gar keinen Sinn? Und schließlich: Mag Paulus auch unvergleichlich viel mehr gewesen sein als wir, Bote, Zeuge, Missionar, Apostel, Heiliger – erscheint nicht hier auch ganz einfach der Mensch Paulus, der Mensch, der mit dem, was ihm auferlegt ist, fertig werden und leben muss? Der Mensch, dem das nicht in den Kopf will und der das immer wieder neu lernen muss, dass auf seiner Seite nicht Licht ist, sondern Dunkel, nicht Kraft, sondern Schwachheit, nicht Unbeschwertheit, sondern Angst? Das bringt ihn jedem nahe, der auch mit dem leben und fertig werden muss, was ihm zu schaffen macht.

Hier kommt einer zu Wort, der Angst hat und kennt. Und wir erfahren hier, wie das Licht, wie die große Zusage „Fürchte dich nicht!“ bei einem ankommt, der in Angst ist, wie es sich bei ihm auswirkt. Da sind dann nicht vollmundige Worte am Platz, sondern eher verhaltene, zurückhaltende. Aber dafür sind sie erfahrungsgesättigt, und andere mit ähnlichen Erfahrungen können sich darin unterbringen.

Die erste Wirkung des „Hab keine Angst!“ ist vielleicht, dass einer von seiner Angst überhaupt reden kann, so wie Paulus das hier tut. Christen sind ja nicht Menschen, die keine Angst haben; dann wären sie eher unmenschlich, und man müsste geradezu Angst vor ihnen haben. Das gilt auch für politische Verantwortungsträger. Der frühere, kürzlich 85 Jahre alt gewordene Bundeskanzler Helmut Schmidt hat einmal geäußert: Wer gar keine Angst kennt, ob die Entscheidungen, die er zu treffen hat, wirklich richtig sind, der wäre nicht geeignet, politische Verantwortung zu tragen. Also: Christen sind nicht Menschen, die keine Angst haben. Aber sie sind Menschen, die miteinander über ihre Angst reden können.

Allerdings, dass sie von ihrer Angst reden können, ist noch nicht alles. Wenn einer von seiner Angst spricht, kann das auch ganz schön deprimierend wirken und in Ausweglosigkeit enden. Die Sätze des Paulus, in denen er so deutlich von seinen Belastungen redet, hinterlassen nicht dieses deprimierende Gefühl. Irgendwie spürt man, dass da doch das Licht mit seinem „Fürchte dich nicht!“ dahinter steht und seine Wirkung tut. Das heißt nicht, dass es Wunder tut, Wunder in dem Sinn, dass alle Angst um das Leben und die Zukunft, die eigene und die der Kinder und die der Welt nun einfach weg wären. All das von dem Bedrängtsein, von dem Ratlos-sein, von der Unterdrückung und dem Sterben bleibt ja immer wieder bedrängende Erfahrung. Und doch, das Licht – es wirkt Wunder. Es ist doch ein Wunder, wenn einer mitten in solchem Bedrängtsein die Erfahrung macht: Ich kann damit leben, weiter, neu. Vielleicht stellt einer erst im Nachhinein fest, dass es so gekommen ist.

Bei Paulus folgen auf die vorhin angegebenen Äußerungen ja jeweils auch noch ganz andere, gegensätzliche. Und daraus höre ich auch ein gewisses Erstaunen heraus, das dabei mitschwingt. Er versteht es selbst nicht ganz, und doch ist es so: Ich bin von allen Seiten bedrängt, aber ich ängstige mich nicht; mir ist bange, aber ich verzage nicht. Geht das überhaupt zusammen? Ja, es geht! Auch das ist eine Erfahrung, am Ende sogar die entscheidende und Ausschlag gebende. Und wenn es eine Erfahrung ist, dann muss das ja auch irgendwann angefangen haben. Irgendwann mittendrin in der Ausweglosigkeit und Angst, irgendwann hat das Licht mit seinem „Fürchte dich nicht!“ angefangen zu greifen und seine Wirkung zu tun. Davon können Christen dann auch reden. Sie kennen wohl das Dunkel, die Angst. Und sie können und sollen jeden, der in Angst ist, ernst nehmen und verstehen, und er soll sich bei ihnen aufgehoben fühlen. Aber dann reden sie auch von dem, was sie in ihrer Angst leben, wirklich leben lässt. Sie haben das nicht als unangefochtenen, jederzeit verfügbaren Besitz, schon gar nicht aus sich selbst. Sie sind immer neu zu diesem Licht hin auf dem Weg. Oder wie Paulus es ausdrückt: Das Leben Jesu soll ja erst noch offenbar werden an ihnen.

Aber indem sie darauf vertrauen, wenn es sein muss, mitten in der Angst, erweist es sich schon wirksam an ihnen. Paulus hat es an anderer Stelle einmal so auf den Punkt gebracht: In Ängsten- und siehe, wir leben! Amen

Klaus Steinmetz, Sup. i. R.
kjsteinmetz@t-online.de

 


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