Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Letzter Sonntag nach Epiphanias, 1. Februar 2004
Predigt übe
r 2. Korinther 4, 6-10, verfaßt von Manfred Wussow
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Liebe Gemeinde,

Erinnern Sie sich noch? Als Kinder haben wir Schätze geliebt! Sie waren versteckt und weit weg. Ein Abenteuer, sie zu finden. Eine grosse Welt unter der Bettdecke. Man brauchte nur eine Taschenlampe. Wir fieberten mit, wenn es gelang, Piraten, Halunken und lichtscheuem Gesindel den Schatz zu entreissen. Wir schmiedeten Allianzen, kämpften mit Ungeheuern und sahen dem Schrecken ins Auge. Aber: wir mussten ihn haben, den Schatz!

Als wir dann älter wurden, die erste Freundin, der erste Freund – wir nannten sie, ihn auch „Schatz“. Vielleicht nicht weniger geheimnisvoll und abenteuerlich, einem Menschen so nahe zu kommen – und gelegentlich hatten wir auch das Gefühl, in einem Strudel mitgerissen zu werden, in einem paradiesischen Irrgarten zu verschwinden, auf Gedeih und Verderb nicht mehr zurückzukommen. Aber: wir mussten ihn haben, den Schatz!

Jahre später ist die Frage schon fast bescheiden: Wo, bitte, ist denn hier die Schatzkammer? Ich sehe kein Schild. Kein Zeichen. Im Prospekt steht etwas von dem bedeutendsten Kirchenschatz nördlich der Alpen. Mit Exponaten aus 2000 Jahren. In modernsten Ausstellungsräumen. Aber die Frau, die ich frage, zeigt auf die offene Kirchentür. Hat sie mich nicht verstanden? Im Prospekt steht eine andere Anschrift. Muss hier zwar in der Nähe sein, aber … Ich frage noch einmal. Die Schätze sind da drin, sagt die Frau – und weist auf die Kirche.
Wie komme ich an ihn heran, den Schatz?

Paulus schreibt an die Gemeinde zu Korinth:

Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten,
der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben,
dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.

Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns.
Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht.
Uns ist bange, aber wir verzagen nicht.
Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen.
Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um.
Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde.
(2. Kor. 4, 6-10)

I.
Ein Schatz in irdenen Gefäßen! Das Bild gefällt mir. Weil es so widersprüchlich ist. Aber auch so einfach! Denn irdene Gefäße sind Gefäße aus Erde. Aus Ton. Mit Händen geformt. Im Feuer hart geworden. Mit Salz lasiert. Jedes Stück ein Unikat. Einmalig. Mit Handzeichen, unten auf dem Boden. Ob Paulus die Schöpfungsgeschichte neu in Worte setzt? Gott habe, so heißt es da, den Menschen aus Erde, aus Lehm, geformt. Was so kurios und fremd klingt, erzählt aber ein Geheimnis: dass jeder Mensch aus der Hand Gottes kommt – und so einmalig ist wie sein Gedanke! Wie sein Gedanke in mir, in Ihnen! Ob es überhaupt möglich ist, ein solches Geheimnis anders zu beschreiben – als mit dem Bild von den irdenen Gefäßen? Paulus hat da, zugegeben, noch etwas hinzugelegt: die Offenheit, ja, die Leere, das Hohle mit ins Bild genommen. Der Eindruck trügt wohl nicht: Fertig, abgeschlossen, abgefüllt ist hier noch nichts. Ein Schatz in irdenen Gefäßen!

Bei dem Schatz gingen den Korinthern die Ohren auf. Alles, was sich geheimnisvoll anhörte, sprach sie an, weckte ihre Phantasie, ließ Geschichten entstehen. Sie hatten da auch schon einige. Was ihnen Paulus zutrug, war fremd. Er schrieb ihnen von „Licht“ – und meinte den Schatz. - Ob die Korinther die Schöpfungsgeschichte überhaupt kannten? Sie waren eine Missionsgemeinde, bunt zusammengewürfelt, mit unterschiedlicher sozialer Herkunft und unterschiedlicher Bildung (die meisten wohl ohne). Es gab Sklaven und Sklavenbesitzer, Diskussionslöwen und – in Diskussionen aufgefressene Menschen, Juden und Griechen, die von hier und die von dort (denn Korinth war eine Stadt von Welt)… Auch wenn sie es nicht gewusst haben sollten, mit wenigen Worten hat Paulus ihnen die Schöpfungsgeschichte ins Haus geholt. Denn am Anfang der Schrift heißt es: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.  Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.
Und Paulus macht daraus: Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben …

Es sind Bilder von der Schöpfung: das irdene Gefäß ebenso wie das Licht. Und es sind Bilder von der neuen Schöpfung, die mit der Taufe verbunden sind. „Es ist alles neu geworden“, sagt Paulus. Und erinnert die Menschen an ihre Taufe.
Klar, Paulus hat Menschen im Blick. Eben die Korinther. Ihre Vitalität (die, unter uns gesagt, Paulus schwer zu schaffen machte) und ihre Individualität (die, im Vertrauen gesagt, mehr für Streit sorgte, als einem lieb sein konnte). Aber das Bild von dem Schatz in irdenen Gefäßen entwickelt eine eigene Dynamik: Ein Mensch, aus der Hand Gottes, offen – gefüllt mit Licht, überbordend in seinem Reichtum. In diesem Bild nimmt Paulus die Menschen ernst, richtet ihre Gedanken aber neu aus: es geht doch darum, sagt Paulus, dass bei uns die Herrlichkeit Gottes erkennbar wird. Ist es das, was mich an diesem Schatz so fasziniert? Dass jeder Mensch – den einen gibt es ja nicht – auf seine Weise und mit seinen Möglichkeiten, Bild Gottes ist!

II
Irdene Gefäße sind zerbrechlich. Sie sind gezeichnet, tragen Spuren, weisen Sprünge auf. Die Lebensjahre haben sich auf ihnen – verewigt. Für kosmetische Korrekturen eignet sich das Material nicht. Die Gefäße bleiben, was sie immer schon waren: einmalig. Einmalig auch die Kratzer, der abgebrochene Henkel, die gesprungene Lasur.
Passen sie aber für Schätze?
Als die Kölner unter Reinald von Dassel den Mailändern gegen Ende des 12. Jahrhunderts – nach einem verlorenen Krieg – die Gebeine der Hl. Drei Könige abnahmen -, schuf Meister Nikolaus von Verdun ihnen einen goldenen Schrein. Mehr noch: Einen Dom im Kleinformat. Mit kostbarem Figurenschmuck. Knochen – in Gold und Edelsteine gefasst. Das Vergängliche, die Überreste – im übrigen auch noch mit dubioser Herkunft – in einen Schatz verwandelt. Den Kölner ging es danach gut – wirtschaftlich amortisierte sich die Investition in den Schrein in kurzer Zeit. Die Leute kamen, sahen und kauften. Der Schatz als Kapital, mit dem gewuchert wurde.

Ob Nikolaus von Verdun Paulus kannte? Nach alten Gesetzen – sie sind nur zum Teil in Worte gegossen – gelten für Schätze besondere Regelungen: Neben dem angemessenen Schutz gilt es, sie optimal zur Schau zu stellen. Ihnen den passenden Rahmen zu geben. Schließlich hängt man die Mona Lisa nicht mit Heftzwecken an die Tür zum Abstellraum, den Mann mit Goldhelm nicht mit dem berühmten doppelseitigen Klebestreifen auf die Toilette, die Knochen Karls d.Gr. hebt man nicht im Pappkarton auf.
Nikolaus wird Paulus gekannt haben. Schließlich wurde aus seinem Brief vorgelesen. Aber wenn er mit seinen Gesellen in der Goldschmiedewerkstatt war und mit Liebe zum Detail die Figuren schuf, die Bilder zusammensetze, die Seiten komponierte – werden ihm da Zweifel gekommen sein? Seinem Meisterwerk – und es ist eins! – sieht man´s nicht an.

Aber hier beginnt Paulus selbst zu einem Licht zu werden. Denn sein Bild von dem Schatz in irdenen Gefäßen ist voller Leben. Während die einen Schätze konservieren, die anderen Schätze für Schätze machen – erzählt Paulus die Geschichte von der Schöpfung. Ein irdenes Gefäß – das Licht – ein Mensch. Und die Schöpfung geht weiter: Immer, wenn das Licht die Finsternis überwindet, immer, wenn ER spricht. Dann geschiehts! (Ps. 33).

Das Johannesevangelium beginnt sogar damit, „dass das Wort Fleisch wurde“. Und wir seine Herrlichkeit sahen!

III
Mir gefällt das alles noch nicht. Viel zu allgemein das Ganze, wenn nicht, ja, wenn nicht Paulus von sich erzählen würde – auch wenn er betont „wir“ schreibt. Das „ich“ würde hier auch nicht passen, ich nehme es ihm ab. Denn die Erfahrung, die Paulus beschreibt, teilt er mit anderen – vor allem: mit einem: Jesus.

Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht.
Uns ist bange, aber wir verzagen nicht.
Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen.
Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um.
Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde.

Ganz offen: Paulus hat das alles erlebt. Zu jedem Satz kann er eine Geschichte erzählen. In seinen Briefen tut er es auch. Und wenn ein Mensch zu Erzählen anfängt, ist es wie eine Offenbarung, es ihm gleich zu tun. Paulus, der große Worte machte, dem das auch vorgeworfen wurde – ein kleiner Mensch. Ja, sogar zu seiner Statur muss das gepasst haben.

Er macht seine Erfahrungen – abzählbar.
An den 10 Fingern:
In der einen Hand sind:
Wir sind bedrängt …
Uns ist bange …
Wir leiden Verfolgung …
Wir werden unterdrückt
Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserem Leibe

In der anderen Hand sind:
Wir ängstigen uns nicht.
Wir verzagen nicht.
Wir werden nicht verlassen
Wir kommen nicht um
Das Leben Jesu wird an unserem Leibe offenbar.

Beide Hände kann ein Mensch zusammenlegen,
beide Hände kann ein Mensch falten,
beide Hände kann ein Mensch öffnen,
beide Hände einem anderen reichen …

Die Korinther hatten übrigens eine besondere Vorliebe für alles Grosse und Schöne. Sogar für den Glauben sahen sie erhabene Dinge vor. Das mit dem Schatz hörte sich gut an. Aber dass Paulus von irdenen Gefäßen schrieb – wo sie sich doch als goldene sahen: das saß!
Nur: könnten Menschen geradezu „goldig“ die Erfahrung bewahren und tragen, dass es Bedrängnis, Angst, Verfolgung, Unterdrückung gibt, mehr noch: das Sterben Jesu an unserem Leibe? Könnten wir das zerbrochene, verstörte, bedrohte Leben annehmen – wenn es um goldene Gefäße ginge? Um die tolle Hülle, die alle Blicke auf sich lenkt und für sich vereinnahmt? Der Schöpfer, so erzählt die alte Geschichte, sei wie ein Töpfer zu Werke gegangen, nicht wie ein Goldschmied.

Paulus weiß – an anderer Stelle nennt er es die Kraft des Evangeliums – das irdene Gefäß mit seinem Schatz von Christus zu empfangen. Die Herrlichkeit Gottes ist auf seinem Gesicht zu finden, aber es ist das Gesicht des Gekreuzigten. Paulus schöpft daraus das Zutrauen, dass auch sein bedrängtes, geängstigtes, angefochtenes Leben anderen Menschen Mut macht und zu einem Licht wird.
„Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“, hört er den Auferstandenen sagen.
Der Schatz in irdenen Gefäßen – ist nur eine Übersetzung des Herrenwortes.
Das Wort des Schöpfers. Neu gesagt.

IV
Als Kinder mussten wir den Schatz finden! Aus den Kisten quollen Edelsteine, Waffen, unsere eigenen Wünsche. Schatz: das war etwas Wertvolles, Großartiges, Überragendes. Etwas, für das zu kämpfen – und notfalls zu leiden – lohnte.
Als Verliebte entdeckten wir, dass die guten Seiten, die ein Mensch hat, versteckt sind und wach geküsst sein wollen. Wir entdeckten auch, dass der Schatz Schwächen hat – und wir eben auch. Das hat uns nicht besonders beeindruckt: Wir vertrauten, dass es die Liebe ist, die einen Menschen so nimmt, wie er ist.
Und sollten wir auf dem Weg zur Schatzkammer sein, gehen wir doch in die offene Kirche. Es ist tatsächlich so, dass die wahren Schätze hier sind: Das gelesene, bedachte, erinnerte, durchlittene Evangelium – und die Menschen, die ihre Lebenserfahrung in die gefalteten Hände legen. Die fremde Geschichten so ernst nehmen wie die eigenen. Die einen anderen Menschen annehmen, als käme er von Gott. Die Schätze suchen – und einen Menschen finden.

Am Ende bin ich doch wieder Kind: Schatz – das ist etwas Wertvolles, Großartiges, Überragendes. Auch wenn wir nur irdene Gefäße sind – aber was heißt hier „nur“? Ich ertappe mich doch ständig selbst …

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft,
der bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus, unserem Herrn


Sonntagsevangelium:
Mt. 17,1-9

Lieder:
Am letzten Sonntag nach Epiphanias natürlich Epiphaniaslieder.
Sie singen in vielen Bildern von „irdenen Gefäßen“ und – als großes Thema: vom Licht.

Manfred Wussow, Aachen
M.Wussow@gmx.de

 


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