Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Reminiszere, 7. März 2004
Predigt über Römer 5, 1-5, verfaßt von Thomas Oesterle
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,

kaum einen schöneren Text hätte ich mir wünschen können, um in einer Kirche die nach dem Apostel Paulus benannt ist, zu predigen. Denn der Predigttext enthält in konzentrierter Form reinste paulinische Theologie. Er steht in Römer 5, umfasst die Verse 1-5 und lautet:

Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus.
Durch ihn haben wir auch im Glauben den Zugang zu dieser Gnade in der wir stehen. Und wir rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird.
Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Trübsale, weil wir wissen
dass Trübsal Geduld bringt.
Geduld aber Bewährung
Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden.
Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist der uns gegeben ist.

Ein Dreifaches möchte ich Ihnen heute zu diesem Text sagen:
Zuerst: Wir haben Frieden mit Gott
Und dann: Wir wissen um den Sinn des Leides!
und zuletzt: Gottes Liebe lebt in unserem Herzen.

Teil I
Ich beginne mit dem ersten: Wir haben Frieden mit Gott! Was für ein atemberaubender Satz. Können wir ihn verstehen? Ich denke, es fällt uns deshalb schwer diesen Satz wirklich wahrzunehmen, weil wir uns zu selten seines Gegenteils bewusst sind. Das Gegenteil zu diesem Satz lautet: Der Mensch lebt mit Gott im Krieg! Das ist ein hartes Wort, aber ich will versuchen es zu verdeutlichen. Der Gegenstand um den Gott und Mensch kämpfen - das ist das menschliche Ich. Gott ist unser Schöpfer und eigentlicher Herr, aber der Mensch schwingt sich auf, sein eigener und alleiniger Beherrscher zu sein. In diesem Konflikt um das Ich, um die menschliche Seele, werden sehr wohl Schlachten geschlagen, Gefechte geführt, da wird in einem inneren Krieg um Herrschaft gekämpft. Mir liegt diese militante Sprache eigentlich nicht, aber sie verdeutlicht, wie tief der Riss ist, der Gott und Mensch ursprünglich trennt, seit die Sünde in die Welt gekommen ist. Gott muss leiden unter verlorenen Kämpfen gegen seine Menschheit! Und der Mensch, in Verblendung, sich seines Gegenübers im Kampf ums eigene Ich schon nicht mehr bewusst, der Mensch strebt nur noch blind weiter nach mehr Macht, nach mehr Herrschaft. Er achtet weder auf den an ihm leidenden Gott, noch auf die an ihm leidenden Mitmenschen.
Und dahinein sagt uns Paulus: "Nun haben wir aber Frieden mit Gott"! Ist das Ungeheuerliche des Satzes jetzt etwas verständlicher ? Paulus sagt: " Der Krieg ist aus, wer glaubt der erkennt: Ich brauche keine Schlachten mehr gegen meinen Gott zu führen.“
Der Krieg ist aus - wir Jungen haben vielleicht Schwierigkeiten einen solchen Satz zu ermessen. Aber ich erinnere mich an Gespräche mit meinem Vater, gute und offene Gespräche, abends als wir bei einem Glas Wein zusammensaßen, Gespräche in denen er mir zu beschreiben versuchte, wie das damals war, als er 1950 nach 6 Jahren Krieg und 5 Jahren russischer Gefangenschaft zurückkehrte. Wie das war, als er nach 11 Jahren, die ihm genau die Lebenszeit zwischen 20 und 30 geraubt hatten, als er nach diesen 11 Jahren in Ulm aus dem Zug kletterte und wusste: "Der Krieg ist aus."
Dieses Gefühl ist von uns Nachgeborenen nicht zu ermessen, noch heute 40 Jahre später kann mein Vater darüber nicht ohne tiefste Erregung sprechen.
So umgetrieben und bewegt bis ins Innerste ist Paulus gewesen, als er an Christus erkannte: Wir haben endlich, endlich Frieden mit Gott. So umgetrieben ist Martin Luther gewesen, als er nach jahrelangem ängstlichen Ringen mit einem gerechten, fordernden Gott erkannt: Gott ist ein gnädiger Gott, kein böser Herrscher, einer der seinen Frieden mit uns Menschen gemacht hat.
Können wir das heute verstehen und annehmen ? Wenn Paulus von der „iustificatio impiorum“ – von der „Rechtfertigung des Sünders“ redet - und er tut das unzählige Male, dann heißt das für uns heute:
"Gott denkt uns Frieden zu, volles Heil. Uns Misstrauische, die wir im Grunde keinem Anderen und nicht einmal uns selbst über den Weg trauen können, - uns Misstrauische ermächtigt Gott zum Vertrauen, zum Vertrauen darauf, dass er, die letzte Instanz, Gott, der alleine wirklich das sagen hat, es gut mit uns meint." Gott hat eine Stimme und ein Ohr, er lässt sich hören und er kann uns hören. Gott ist nicht für sich, weit weg, ganz oben, gleichgültig gegenüber den Kriegen, die wir gegen ihn anzetteln und damit gleichgültig gegen unser selbstgeschaffenes Elend, Gott ist kein unzugängliches Licht über unserer Finsternis, nein! - er ist herabkommender Friede, Friede für uns, für unsere Seele und unsere Gedanken. Kein Friede den wir erarbeiten mussten, kein Friede für den wir zu bezahlen hätten, so wie der Unterlegene im Krieg bezahlen muss, kein Friede der uns erst zugeeignet wird, wenn eine entsprechende Gegenleistung auf dem Tisch liegt. Nein Martin Luther hat es in einem Brief an einem Freund ganz anders beschrieben:" Man kennt die Gerechtigkeit Gottes eben nicht, die uns in Christus so reichlich und umsonst geschenkt ist, wenn man trachtet, von sich selbst aus so lange Gutes zu tun, bis man meint mit Leistungen und Verdiensten geschmückt, vor Gott zu bestehen. Das kann ja unmöglich gelingen." Gottes Friede ist ein Geschenk an uns, etwas das wir mit offenen Händen nehmen dürfen. Dieser Friede ist am Kreuz von Golgatha gestiftet worden und dieser Friede wird dann vollendet sein, wenn wir in Gottes Reich kommen.

Teil II Wir wissen um den Sinn des Leides .
Wir würden hier wohl am liebsten abbrechen, erfüllt von der höchsten Freude die Menschen auf dieser Erde zuteil werden kann, nämlich erfüllt von der Erkenntnis, dass am Kreuz von Golgatha Gottes Friede unsere Gottesferne überwunden hat. Doch die Schrift lässt uns an dieser Stelle nicht los. "Nicht aber das alleine" heißt es jetzt. Noch ist nicht alles gesagt. Wir fragen zurück: "Was bleibt denn da noch zu sagen ?" Und die Schrift antwortet uns: Es ist noch ein Wort von dir zu sagen, ein Wort von deinem Leben unter dem Kreuz, ein Wort davon wie Gott dein Leben in seinem Frieden erproben will, damit der Friede nicht nur ein Begriff sei, sondern eine Wirklichkeit werde. Ob wir den Frieden Gottes tatsächlich gefunden haben, das wird sich daran erproben, wie wir in dem Bedrängenden das uns so oder so treffen kann fest stehen. Es gibt viele Christen, die beugen zwar ihr Knie vor dem Kreuz Jesu, aber gegen jede Trübsal im eigenen Leben setzen sie sich zur Wehr. Wer Leiden und Trübsale in seinem Lebens nur als etwas Feindliches und Bösartiges ansehen kann, der muss sich fragen lassen, ob er nicht erfahren hat, dass Gottes Friede ein Friede ist, der durch das Leid hindurchträgt. Ja Paulus geht sogar noch weiter und schreibt: "Wir rühmen uns aber der Trübsale" und ich denke, es stockt uns beim Nachsprechen dieses Satzes schon der Atem. Und doch steckt darin eine tiefe Wahrheit. Wir haben in diesen Tagen erfahren, was unbewältigte Trübsal aus Menschen macht. Ein Vater, der beim Flugzeugunglück über Überlingen vor 2 Jahren seine Frau und beide Kinder verlor, hat den Fluglotsen der Firma Skyguide erstochen, der an diesem Abend für die Flugüberwachung zuständig war. Auch dieser Mann war Familienvater. Wie ein Polizeipsychologe sagte, war wohl das unbewältigte Leid des russischen Vaters der Ausgangspunkt für diese Tat. Wir können es vielleicht nachempfinden was es bedeutet, in solchen Trübsalen zu stecken, wie jener russische Vater. Was soll da noch positives herauskommen, was ist da noch zum rühmen da? Auf der anderen Seite sehen wir nun, was erwächst, wenn man keinen letzen Frieden mehr findet, einen Frieden der durch das leid hindurch trägt.
Paulus will uns solchen Frieden zusprechen. Mitten in der Not und Bedrängnis schenkt uns der Friede Gottes Tugenden, die uns helfen das Leben zu meistern. Gottes Friede schenkt uns im Leid Geduld, Erfahrung und Hoffnung.
Leiden, das ist ja oft so, als würde man in einem dunklen Schacht sitzen. Aber dieser Schacht, so denkt Paulus, der birgt Schätze. Wenn man nachgräbt, wird man eines ums andere finden. Zuerst Erz, wenn man tiefer kommt Silber und zuletzt sogar Gold.
Zuerst Erz, das ist für Paulus die Geduld: Das griechische Wort an dieser Stelle heißt wörtlich übersetzt: "darunter bleiben", also eine Last nicht abwerfen, sondern tragen. Darunter bleiben, das heißt, wenn Gott uns eine Last auflegt, dann lasst uns auch geduldig den Rücken hinab beugen. Darunter bleiben, das heißt, Gott gibt uns die Kraft dazu, dass wir mit der Last fest stehen, und stark bleiben, nicht zusammenknicken. Das bedeutet Geduld.
Aus der Geduld erwächst Bewährung. Bewährung, das ist soviel wie Echtheit. Wer schon einmal eine Not durchgestanden hat, der wird fest, dessen Glaube hat eine größere Tiefe und Echtheit gewonnen. Mit Friedrich Hölderlin kann er getrost sagen: "Nah ist und schwer zu fassen der Gott. Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch." Diese Echtheit und Bewährtheit erlangt nur der Geduldige, der Ungeduldige bleibt auch ohne tiefe Lebenserfahrung.
Wer dieses "Bestanden-haben-in-der-Not" sein eigen nennt, der weiß wie große Hoffnung daraus erwächst. Denn er hat erfahren, dass jede Mitte der Nacht der Anfang eines neuen Tages ist, er hat erfahren, dass den dunklen Wolken im Leben Sonnenschein folgte. Deshalb hat er Hoffnung. Wer erfahren hat, wie Gottes Friede zuletzt auch Hoffnung in der Not schenkt, der hat Kraft und Mut, trotz aller Angst. Helmut Gollwitzer hat von dieser Hoffnung einmal gesagt: "Diese Hoffnung legt uns nicht herein. In alle Ewigkeit wird es keinen Augenblick geben, wo sie wiederlegt oder durchgestrichen würde durch eine schlimmere enttäuschende Wirklichkeit."
Dies alles ist der Sinn hinter dem Bedrängenden: Dass wir uns durch Gottes Friede mit Geduld, mit Bewährung und mit Hoffnung beschenken lassen und somit reicher werden für das weitere Leben.

Teil III
Kurz komme ich noch zum Letzten, zur Liebe Gottes die durch den Heiligen Geist in unseren Herzen lebt. Es ist ja Liebe, die uns befähigt, geduldig zu sein, Echtheit und Bewährung zu entwickeln, Liebe die uns befähigt, Hoffnung zu haben. Und diese Liebe ist wie eine Macht, die uns ergreift. Eine Macht, die von Gott herkommt und in welcher der Friede zwischen Gott und Mensch wurzelt.
Gott liebt uns und zwar besonders innig dann, wenn ein Leid auf unseren Lebensweg gestellt ist.
Er trägt uns, besonders dann, wenn wir etwas zu tragen haben.
Er bleibt uns treu, besonders dann, wenn unsere Geduld strapaziert wird.
Und daraus gewinnen wir die Kraft, mitten in dieser Welt im Umgang mit unseren Mitmenschen etwas vom Gottesfrieden sichtbar zu machen. "Die Kraft für die Liebe, die uns als Glaubende auszeichnen sollte, können wir ja nicht aus unserem Pflichtgefühl und unserem schlechten Gewissen beziehen, sondern alleine von Gottes Geist empfangen." Aber dann können wir lieben, weil wir geliebt sind. Wir werden fähig dazu, in die kleinen Dinge des Alltages etwas ganz wichtiges hineinzulegen: Den Frieden mit Gott den wir ganz tief drinnen empfinden!

Drei Schritte sind wir miteinander gegangen: Ausgangspunkt war: Wir haben Frieden mit Gott. Station auf dem Wege war die Erkenntnis: Dieser Friede ist stärker als die Trübsal, ja er beschenkt uns im Leiden. Endpunkt war die Gewissheit, dass wir lieben können, weil Gottes Liebe in unserem Herzen lebt. AMEN
WIR SINGEN: "In dir ist Freude"

Pfarrer Thomas Oesterle
Schorndorf
ev.pauluski.ost.schorndorf@t-online.de

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