Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Okuli, 14. März 2004
Predigt über Epheser 5, 1-8a, verfaßt von Eta Reitz
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Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus, Amen!

„Heiligkeit ist kein Luxus für wenige: Sie ist nicht für einige Menschen da. Sie ist gedacht für dich und für mich, für jeden von uns. Das ist eine einfache Aufgabe, denn wenn wir lernen zu lieben, lernen wir, heilig zu werden.“

Liebe Gemeinde,
diese Worte Mutter Teresas bringen es auf den Punkt. Auch heute im 21. Jahrhundert gilt es, neu über die Heiligkeit nachzudenken und wegzukommen von der Vorstellung, dies beträfe nur eine Elite besonders Frommer, eben Heiliger, die irgendwann einmal vom Papst heilig gesprochen wurden oder werden.

Deshalb sei die Frage eines Filmes erlaubt, der in den 60-er Jahren im Religionsunterricht gezeigt wurde und dem Film den Titel gab: Sind sie ein Heiliger? Sehen sie sich als „heilig“ an? In dem Film werden verschiedene Menschen von einem Reporter ganz unvermittelt befragt, ob sie von sich sagen würden, dass sie ein Heiliger, eine Heilige sind? Wir reagieren sicher ähnlich, wie die Menschen des Filmes. Manche waren erstaunt und gaben zur Antwort: „Da müssen sie einen Pfarrer oder eine Nonne fragen, ich bin nur ein ganz kleines Kirchenlicht.“ Andere waren zynisch und sagten: „Klar bin ich ein Heiliger, ich sehe doch auch schon aus wie Franz von Assisi, nur mit den Tieren sprechen kann ich noch nicht!“ Einige reagierten ärgerlich: „Wollen sie mich veräppeln? Mit solchen Sachen macht man keine Scherze!“ Am Ende aber antwortet eine junge Frau ohne Umschweife, ernst, und überzeugt: „Ja, ich bin eine Heilige. Um mich zu retten, um mich von Sünde und Schuld zu erlösen, hat Jesus Christus Leid und Tod auf sich genommen. Ja, ich bin Gott heilig!“ Und dann wendet sich die junge Frau direkt an den Reporter: „Und sie sind auch ein Heiliger!“

An diesen Antworten merken wir: es ist nicht einfach, sich mit dieser Frage zu befassen. Denn gerade in unserer Zeit fällt es uns schwer, etwas mit dem Wort „heilig“ anzufangen, da uns das Gefühl für Heiligkeit mehr und mehr verloren geht. Wir stellen uns mehr oder minder vor, es hätte etwas mit Perfektion zu tun. Demzufolge müssten wir unser Leben perfekt führen, um heilig zu sein. Dieser Vorstellung trat schon Josefmaría Escrivá de Balaguer, der Gründer von Opus Die mit den Worten entgegen: “Heiligkeit heißt nicht Perfektion, sondern tägliche Bekehrung und Neubeginn!” Und Mutter Teresa geht noch einen Schritt weiter und verbindet Heiligkeit mit der Liebe. Vielleicht ist auch das der Grund, weshalb der Apostel Paulus die Gemeindeglieder ständig daran erinnert, dass sie Heilige sind. Ein Abschnitt aus dem 5. Kapitel des Epheserbriefes verdeutlicht dies. Ich lese die Verse 1 – 8:

1 Eifert also Gott nach, weil ihr seine Kinder seid, die er liebt.
2 Und schenkt reichlich Liebe. Denn Christus hat euch zuerst geliebt. Er hat sein Leben eingesetzt für euch, er hat es dargebracht und geopfert, und Gott nahm es gerne an.
3 Unzucht, Habgier und Haltlosigkeit sollt ihr noch nicht einmal dem Namen nach kennen. So gehört es sich für Heilige.
4 Das gilt auch für unanständiges, dummes Gerede und für angeblich Witziges. Ihr solltet lieber danken.
5 Denn merkt euch dies: Wer unzüchtig oder habgierig oder haltlos ist, der ist eigentlich ein Götzendiener, am Reich Christi und am Reich Gottes hat er nicht teil.
6 Keiner soll euch mit leeren Worten betrügen. Deswegen droht Gottes Zorngericht allen, die ihm nicht gehorchen.
7 Macht nicht gemeinsame Sache mit ihnen.
8 Denn einst wart ihr von Finsternis umhüllt, jetzt steht ihr im Licht, weil ihr dem Herrn gehört.

Man könnte diesen Abschnitt auch überschreiben: „Maßstäbe für Heilige!“

Und all das unter der Prämisse der „imitatio Dei“ - was für ein ungewöhnlicher Aufruf! Es ist die einzige Stelle im Neuen Testament, die den Menschen so nahe mit Gott in Verbindung bringt. Sie steht in einem gewichtigen Zusammenhang mit der Aussage von der Gottebenbildlichkeit des Menschen in der Schöpfungsgeschichte – „und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde“. Hinter diesem Aufruf steht die Frage nach der Qualität wirklichen Lebens, eine Frage, die wir uns immer wieder stellen und beantworten müssen. Es geht um das Nachahmen, dem „nacheifern“ seiner Liebe. Gott hat uns durch Jesus wissen lassen, dass wir seine geliebten Kinder sind.

Wenn wir Kinder beobachten, die Vater, Mutter und Kind spielen, kommen wir unwillkürlich ins Schmunzeln, weil Kinder bei diesem Spiel ganz deutlich das wiedergeben, was sie selbst erleben. In dem Maße, in dem Kinder von ihren Eltern Liebe empfangen, vermögen sie diese nachzuahmen und weiterzugeben. Genau das meint der Apostel Paulus, wenn er sagt: „ Eifert also Gott nach, weil ihr seine Kinder seid, die er liebt. Doch Paulus verlangt keine frommen Leistungen von uns: Was zählt, sind die kleinen Lichtblicke, die wir durch unser Verhalten anderen schenken. Der Gott der Liebe lässt uns bei unserer aufrichtigen und ehrlichen Suche nach erfülltem Leben nicht allein und überlässt uns auch nicht Beliebigkeiten. Deshalb können wir die von ihm empfangene Liebe ausstrahlen, weitergeben. Dieses „nacheifern“ müssen wir aber immer wieder einüben und uns dabei in diejenigen hineindenken, denen unsere Aufmerksamkeit, unsere Zuwendung gelten soll. Häufig genug stehen uns Dinge im Wege, die uns daran hindern, der Liebe Gottes freien Raum zu geben, so dass wir unserer Rolle als Nachahmer Gottes nicht gerecht werden. Doch Paulus erinnert uns mit seinem Satz: So gehört es sich für Heilige!“ an die Tatsache, dass wir zu Gott gehören. Und diese Zugehörigkeit verändert unser Leben. Denn e in Gott entsprechendes Leben ist geprägt von Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit. Dann bleibt das Wohl des anderen Menschen im Blick und wird nicht durch Egoismus relativiert. Ja, wir sind Gott heilig! Und jeder in unserer Gemeinde ist von Gott als Heiliger, als Heilige berufen! Wir sind als Menschen gewürdigt, ein Bewusstsein von uns selbst und ein Wissen von Gott zu haben. Er hat uns aus allen Geschöpfen der Welt herausgehoben, damit wir seine Ebenbilder und Freunde, seine Kinder, ja seine Erben sind. Wahrhaftig: „Heilige sind wir!“ Weil wir dadurch aber „im Licht stehen“ , werden wir manches einfach nicht mehr tun können.

Vor diesem Hintergrund werden wir in unserem Leben „Unzucht“ keinen Raum geben. Bei diesem Wort denke ich an: Missbrauch der Menschen, die mir vertrauen, sich mir anvertrauen; Missbrauch an Kindern; Missbrauch zwischen Erwachsenen in der Partnerschaft, in Freundschaft, im Beruf. Ganz gleich in welcher Lebensform wir Menschen begegnen - ihre Liebe, ihr Vertrauen werden wir nicht missbrauchen. Lug und Trug, Scheinheiligkeit, Kleinkariertheit, Neid und Verlogenheit werden im Umgang miteinander keinen Platz haben. Genauso wenig werden wir „die Hände in Unschuld waschen“, oder wegschauen, wo Unrecht geschieht. Wenn wir uns vor Augen führen, was wir von Gott geschenkt bekommen haben, werden wir nicht immer mehr und mehr wollen, in Raffgier ohne Ende. Es wird uns auch nicht mehr möglich sein unanständigem, dummen Gerede und angeblich Witzigem.“ Raum zu geben. Stattdessen strecken wir uns danach aus, anderen Menschen - in all dem Dunkel dieser Welt - Licht und Wärme zu geben.

Natürlich spüren wir deutlich: Noch sind wir von dieser Haltung entfernt: Vielleicht, weil wir uns zu oft „von leeren Worten betrügen ließen!“ Weil wir immer noch und immer wieder davon ausgehen, dass wir nur kleine, endliche Menschen sind, die in ihrem kurzen Leben doch alles mitnehmen und haben müssen, was zu kriegen ist. Weil wir viel zu gering von uns denken: „Ich bin doch nur ein schwacher, erbärmlicher Mensch, der Gott nie so gefallen kann, damit ihm etwas an ihm liegt.“ Und letztlich sehen wir nicht, wie hoch Gott uns achtet und wie wichtig wir ihm sind. Darum noch einmal: Wir sind Heilige! Wir sind dem großen Gott heilig!

Wir sind von IHM auserwählt aus allem, was er geschaffen hat. Er hat uns so geschaffen, dass wir sein Wort hören und ihm antworten können. Wir haben von ihm einen freien Willen bekommen. Ja, wir sind von ihm so wert geachtet, dass er uns durch Jesus Christus ruft, und ihn, seinen Sohn für uns in Leid und Tod schickt. Diese Würdigung vom Schöpfer der Welt können wir im tiefsten Grund nicht verstehen! Und doch ist diese große, grenzenlose und ewige Liebe da! Heilige sind wir! Nicht kleine, elende Menschen ohne Zukunft und ohne Bedeutung, zu denen wir uns machen oder von anderen gemacht werden. Wir dürfen unseren Kopf heben. Wir sind von Gott befugt, einmal durch die Tür hindurchzugehen und einzutreten in Gottes Reich, weil wir heilig sind! Wenn wir dieses Attribut von Gott annehmen, ergibt sich alles andere: Wir können hell sein, Wärme verbreiten, das unanständige, dumme Gerede“ lassen, die Gott wohlgefälligen Dinge tun!

Wir können glauben, weil Gott uns den Glauben schenkt. Wir müssen uns nicht verkrampft und voll frommen Eifers darum mühen, heilig oder doch wenigstens einigermaßen recht in Gottes Augen zu werden. Nein, Gott sagt: Ihr seid mir heilig! Deshalb wollen wir einander ermuntern lieben zu lernen, um dadurch heilig zu werden“. Und wenn es uns mit Gottes Hilfe gelingt, dann müssen wir nicht danach gefragt werden, sondern werden in unserem Leben etwas davon aufleuchten lassen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere menschliche Vernunft, als all unser Begreifen bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unserem Herrn. Amen.

Eta Reitz
e-mail: etareitz.mut@gmx.de


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