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Okuli,
14. März 2004 |
„Lebt in der Liebe“ Werdet also Nachahmer Gottes als geliebte Kinder und lebt in der Liebe, wie auch Christus euch geliebt hat. Er hat sich selbst für uns hingegeben als Gabe und Opfer für Gott zu einem lieblichen Wohlgeruch. Von Unzucht aber und Schamlosigkeit aller Art soll bei euch nicht einmal die Rede sein, wie es sich für Heilige gehört. Auch schandbare, närrische oder lose Reden stehen euch nicht an, sondern vielmehr Danksagung. Denn das sollt ihr wissen, dass kein Unzüchtiger oder Unreiner oder Habsüchtiger - das sind Götzendiener - ein Erbteil hat im Reich Christi und Gottes. Lasst euch von niemandem verführen mit leeren Worten; denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Ungehorsams. Macht euch nicht mit ihnen gemein. Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. (Epheser 5, 1 - 8a) Liebe Gemeinde! *************************************************************************** „Lebt in der Liebe, wie auch Christus euch geliebt hat.“ Das sagt sich so leicht. Das klingt wie ein schöner Spruch für das Poesiealbum. Und ist doch so unendlich schwer, wie Andreas mir gezeigt hat. Wie macht man das, in der Liebe leben? Gibt es dafür eine Gebrauchsanweisung? Einen „Bauplan“ für gelingendes Leben? Natürlich nicht. Man kann auch als Gottes geliebtes Kind scheitern. In Ephesus hat man Erfahrungen mit dem Scheitern gemacht. Der Schwung der ersten Jahre der Christenheit ist dahin. Der Traum, jedes Jahr weiter zu wachsen, ist für die junge Kirche ausgeträumt. Die junge Kirche ist älter geworden. Man tritt auf der Stelle. Es scheint keine Vision für die kommenden Jahre zu geben. Die Jüngeren wenden sich ab, hin zu anderen, attraktiveren Religionen. Was sagt man Menschen in der Situation, wo es „Spitz auf Knopf“ steht? Welches Wort hilft aus den Verkrampfungen? „Lebt in der Liebe, wie Christus euch geliebt hat.“ Auch auf die Gefahr hin, das alles, was gesagt wird, sich „moralisch“ anhört. Es muss jedem ins Herz gesagt werden. Man kann als Mensch an allem im Leben scheitern, die Kirche mag kleiner werden, mögen alle eigenen Träume platzen. Eines geht nicht: Ein Leben ohne Liebe. Es geht um eine Liebe, ohne die wir nicht sein, nicht existieren können. Um eine Liebe, die auch noch in Momenten großer Verlassenheit da ist. Eine Liebe, die Dich noch trägt, auch wenn Dir das das Leben den Boden unter den Füßen weggerissen hat. Um die Liebe zum Leben, die bleibt, selbst wenn der Job weg ist, die Ehe unerträglich geworden oder wenn das Alter den Körper fest im Griff hat. „Lebt in der Liebe, mit der Christus euch geliebt hat!“ Denn ohne das Wissen, unbedingt geliebt zu sein, kannst Du nicht leben. Das ist die tiefe Sehnsucht jedes Menschen: Dass es Liebe gibt, die uns trägt. Ohne Liebe sind wir „Finsternis“. Ein dunkler Schatten, aber kein Mensch mehr. Was tun, wenn die Finsternis übermächtig wird im Leben? Alle 45 Minuten geschieht in Deutschland ein Selbstmord. 11.100 Menschen nehmen sich pro Jahr in Deutschland das Leben. Jeder vierte davon ist unter 30 Jahren wie Andreas. 11.100 Menschen, denen etwas Elementares im Leben gefehlt hat. Auf jeden erfolgten Suizid kommen 15 Versuche. Wer macht so etwas? So fragt man hinterher oft. Es sind Menschen, denen für den Augenblick der Grund des Lebens abhanden gekommen ist. Die Zurückbleibenden fragen sich oft: Warum? Die Eltern von Andreas beteuerten: Wir haben doch alles für ihn getan, ihm all unsere Liebe geschenkt! Das Motorrad, die Reisen mit der Schule – er bekam alles, was er nur wollte. Hätten wir Mitschüler ihm doch nur zugehört, als er einmal ziemlich wütend sagte: „Ihr seid manchmal alle so komisch zu mir. Euch ist es völlig egal, ob ich da bin oder nicht.“ *********************************************************************** Liebe ist offenbar mehr als jemandem alle Wünsche zu erfüllen. Echte Liebe will nicht festhalten. Sie kann lange Zeit zuhören und spüren, wie es dem anderen geht. Vielleicht ist es auch das, was viele Menschen heute an der „Institution“ Kirche stört. Dass sie kaum lange genug den Menschen zuhört und scheinbar schon immer weiß, was für den anderen gut ist. Das sie sich anmaßt, anderen Menschen quasi allwissend Wege aufzuzeigen. Und dass sie so leicht „moralisch“ wird. Zum Glück gibt es auch Gegenbeispiele! In der Telefonseelsorge haben Ehrenamtliche Tag für Tag mit Menschen wie Andreas zu tun. Sie müssen mit offenen Ohren und viel Fingerspitzengefühl auf Sätze reagieren wie: „Ich will nicht mehr, ich mach jetzt Schluss.“ Oder Leuten etwas antworten, die mit festem Ton sagen: „Mir wird das alles zu viel!“ Was sagt man dann? Oft sind einem dann die üblichen Sprüche nicht zuhanden, weil sie nicht passen würden. Welches Wort, welche Reaktion hilft aus der Sackgasse heraus? Für den Epheserbrief gibt es nur eine Liebe, die aus der Sackgasse herausführt. Es ist die Liebe, die Jesus Christus gelebt hat. Eine Liebe, die er mit „Hingabe“ und „Opfer“ beschreibt. Echte Liebe will den anderen nicht besitzen oder festhalten. Nicht einmal den, der Selbstmord verüben will. Es gibt Theologen, die wagen in der Telefonseelsorge mit Suizidkandidaten den Satz: „Wenn sie jetzt Tabletten nehmen wollen, kann ich sie nicht daran hindern.“ Ich finde das sehr mutig und stark. Liebe lässt Freiraum, den eigenen Weg zu gehen. Liebe engt nicht ein. Liebe eröffnet – positiv – neue Handlungsmöglichkeiten. ******************************************************************** „Lebt in der Liebe, mit der Christus euch geliebt hat.“ Wir sind geliebte
Kinder Gottes. Wir stehen in seinem Licht. Auch wenn wir manchmal blind
sind für dieses Licht. Auch wenn wir Gott nicht spüren in unserem
Leben. Die Liebe ist also nicht das, was wir verloren haben. Sie ist
auch nicht das, was wir wie eine Sache besitzen können. Sie ist
das, was uns geschenkt ist - geschenkt in Christus. Trauen wir uns seine
Liebe zu, die uns zur Liebe bewegt! Auch sein Leben war wie das von Andreas
früh, viel zu früh zu Ende. Aber es hat zu einem Ziel geführt:
Zu Liebe und Hingabe, die im Kreuz die ganze Welt umspannt. Das Kreuz
umfasst alle Menschen, auch noch den Selbstmörder, der sich selbst
auslöschen will. Es umfasst die Depressiven, die nicht leben und
nicht sterben können. Es umfasst die Kranken auf dem Weg in den
OP, wenn sie Angst vor dem Aufwachen haben. Jesus am Kreuz umfasst mit
seinen ausgebreiteten Armen alle Dunkelheiten, in die wir nur geworfen
werden können. Pastor Frank Mühring
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