Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Lätare, 21. März 2004
Predigt über 2. Korinther 1, 3-7, verfaßt von Monika Waldeck
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


"Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes,
der uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott.
Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus.
Haben wir aber Trübsal, so geschieht es euch zu Trost und Heil.
Haben wir Trost, so geschieht es zu eurem Trost, der sich wirksam erweist, wenn ihr mit Geduld dieselben Leiden ertragt, die auch wir leiden.
Und unsre Hoffnung steht fest für euch, weil wir wissen: wie ihr an den Leiden teilhabt, so werdet ihr auch am Trost teilhaben."

Auf dem Weg ins Krankenhaus versuche ich mich vorzubereiten.
Die Bekannte ist schwer an Krebs erkrankt.
Wie mag es ihr gehen?
Wie wird sie aussehen?
Ob sie überhaupt besucht werden will?
Und wie werde ich selbst diesen Besuch verkraften?

"Geh sie noch mal besuchen", sagt ihre Familie, "sie stirbt uns unter den Händen weg."
Ich empfinde es wie einen Auftrag. Als ob sie meinten, ich hätte die Macht, etwas aufzuhalten. Das macht den Gang noch beklemmender.

Und dann sehe ich sie im Bett liegen. Äußerlich verändert, von der Krankheit gezeichnet, nach der Chemotherapie all ihrer kraftvollen Lebendigkeit beraubt.
Ihre Mattheit, ihre Angst und Verzweiflung übertragen sich sofort auf mich. Es ist wie eine graue Decke, die alles unter sich erstickt.

Die aufmunternden Worte, die ich zur Begrüßung versuche, klingen hohl und unehrlich.
Ich fühle mich hilflos, keine Äußerung passt, die sonst zu Anfang eines Gesprächs Kontakt herstellt.
Am liebsten möchte ich weit weg sein.

Dann bricht es nach einem Schweigen aus ihr heraus: "Ach Gott, mir geht es so schlecht" sagt sie.
Und jetzt kann ich ihre Hand nehmen, ihre Klage hören und später auch mit ihr zusammen weinen. Wir kommen miteinander in eine innere Bewegung, sie läßt mich teilhaben an ihrem Grauen vor den Schmerzen und dem Sterben. Und ich spüre, dass ich wieder wachsen kann, trösten, aushalten, was mir sonst doch selbst soviel Angst macht.

Da ist etwas wirksam zwischen uns, was ich nicht gemacht habe, sondern was sich ereignet hat. Für mich ist es Gott, der in diesem Moment tröstet, nicht nur die Kranke, sondern auch mich.

Es ist eine Erfahrung, die ich bei Besuchen häufiger gemacht habe.
Wenn sich Trost ereignet, dann spüre ich die Anwesenheit Gottes in einer Begegnung.

"Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet", so haben wir es aus dem Jesajabuch (Kap.66,13) vorhin in der Lesung gehört.
Es ist für mich einer der schönsten biblischen Sätze.

Um Leiden und Trösten geht es heute, ein echtes Passionsthema.
Leiden, seien es seelische oder körperliche Schmerzen, sie sind uns ja nichts Fernes, sondern ein Erleben, das zu unserem Menschsein gehört.
Von Leidenserfahrungen wird jeder und jede von uns vielfältig berichten können, auch wenn es manchmal den Anschein hat, als dürften wir uns das nicht eingestehen, als müssten wir es verdrängen wie eine lästige Störung.

Aber während Leiden zum Leben gehört, hat Trost etwas Ereignishaftes an sich. Trost ist nicht selbstverständlich, ich kann ihn mir kaum selbst spenden, sondern er widerfährt mir im Kontakt zu einem anderen Menschen.
Manchmal muß man bitter erkennen, dass ersehnter Trost ausbleibt, dass man vertröstet oder mit billigem Trost abgespeist wird.
Manchmal hingegen wird er in einer Begegnung unverhofft geschenkt.

Bei meinem Krankenbesuch habe ich eine Tür zum Trost in dem Moment gespürt, in dem die Kranke aussprach, wie sie sich fühlte. Sie konnte ihre Wirklichkeit anerkennen, die ganze schmerzhafte Realität. Sie mußte sie nicht verschweigen, sondern konnte sie beklagen. Und mir damit sagen, was sie brauchte.

Auf diesem Hintergrund höre ich die Worte des Paulus in seinem Brief an die Korinther:
"Gelobt sei Gott...der Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Trübsal,...damit wir trösten können."

Da bin ich neugierig zu erfahren, welche Trostgeschichte Paulus erlebt hat, um so schreiben zu können:
Er steht am Ende eines schweren Konfliktes mit der Gemeinde in Korinth. Paulus ist tief verletzt, weil ihm von den Korinthern Charakterschwäche und Betrug durch Gemeindeglieder vorgeworfen worden ist und einige Menschen sogar seine Autorität als Apostel in Frage stellen.
Er schreibt nun einen Brief, in dem er seine Gefühle darstellt und dem Konflikt ins Auge sieht.
Indem er die Realität benennen kann, überzeugt er die Korinther und er erhält einen Brief aus Korinth zurück, in dem die Gemeinde schreibt, dass sie sich mit ihm aussöhnen will. Auf diesen antwortet er glücklich und erleichtert mit den Worten unseres Textes.
Die Kraft, die ihm ermöglicht, den ersten Schritt zu tun, kommt nicht aus ihm selbst, sondern entspringt seinem Glauben an den gekreuzigten Christus.
Im Vertrauen darauf, dass Gott bei ihm sein wird und ihn trösten will, kann er sein Leiden annehmen.

Ich möchte noch einmal das Wort aus dem Buch Jesaja aufgreifen, in dem eine Zusage Gottes an uns Menschen ausgedrückt wird.
"Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet."
Weil Gott uns tröstet, darum können wir trösten. So empfindet es Paulus.

Spricht das auch in unsere Gegenwart?
Wir alle sind Kinder gewesen, viele von uns sind Mütter oder Väter.
Es ist ein Urbild aus dem Anfang unseres Lebens, das uns hier gezeichnet wird.
Ein weinender Säugling liegt auf den Arm der Mutter, die ihn wiegt, streichelt und tröstet. Das Kind spürt, dass die Mutter all seine Verzweiflung aushält. Dadurch wird die Not erträglich, verträglich und das Kind fühlt sich getröstet.
Durch die vielen tausend Male, die dies im Laufe der Kindheit immer wieder geschieht, fassen wir Vertrauen in die Tragfähigkeit der Beziehung zu Menschen und können mutig angstmachende Situationen aushalten.
Aber wir müssen nicht immer nur aus eigener Kraft leben, wir können darauf vertrauen, dass Gott unser Tröster ist.
Gott hält unsere Not aus, lebenslang.

So gehen wir auch in diesem Jahr wieder durch die Passionszeit, die uns vor Augen führt:
Wir müssen unser Leid nicht wegdrängen, sondern können es ansehen, der Wirklichkeit ins Gesicht sehen.
Dabei hilft der Blick auf den gekreuzigten Christus.

Und mit dem Blick auf ihn können wir sogar noch mehr sagen:
Der Tod hat nicht das letzte Wort, denn auf die Passionszeit und Karfreitag folgt Ostern und die Auferstehung.
"In dir ist Freude, in allem Leide" heißt es in dem Lied, das wir gleich singen wollen.

Es ist Hoffnung, die hier durchscheint.
Es ist unsere ureigenste christliche Hoffnung, die angelegt ist mitten in der tiefsten Verzweiflung.
Ostern kommt, auch in diesem Jahr.

Monika Waldeck, Studentenpfarrerin, Witzenhausen
waldeck.esg-wiz@ekkw.de


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