Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Lätare, 21. März 2004
Predigt über 2. Korinther 1, 3-7, verfaßt von Thomas Dreher
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,

wo ist Trost? Das haben sich sicher in den Vergangenen anderthalb Wochen viele Menschen gefragt, die Bilder der Weinenden und getöteten Menschen in Madrid vor Augen.

Wo ist Trost? Das hat auch die weinende Frau wissen wollen, die am Telefon erzählte, daß sie erblinden müsse.

Wo ist Trost? Das fragt sich die Frau, die diese Woche ihren Mann verloren hat.

Wo ist Trost?
Es gibt so viele Lebenslagen in denen Menschen sich diese Frage stellen, und sie kennen sicher auch eine eigene Lebenserfahrungen in der sie sich diese Frage gestellt haben. Entweder für sich selbst, oder auch für Menschen, deren Not sie tief berührt hat.

Der Apostel Paulus schreibt in seinem zweiten Brief an die Gemeinde in Korinth über seine Trosterfahrungen. Und es ist gleich ein Lob, das da zum Himmel steigt, wenn der vielgereiste und leidgeprüfte Apostel an seine Erfahrungen von Trost denkt und sie beschreibt:

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes,
der uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott.
Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus. Haben wir aber Trübsal, so geschieht es euch zu Trost und Heil. Haben wir Trost, so geschieht es zu eurem Trost, der sich wirksam erweist, wenn ihr mit Geduld dieselben Leiden ertragt, die auch wir leiden.
Und unsere Hoffnung steht fest für euch, weil wir wissen: wie ihr an den Leiden teilhabt, so werdet ihr auch am Trost teilhaben.

Drei Botschaften entnehmen wir diesem Briefabschnitt des Paulus:
- Christus tröstet Paulus in seinem Leiden,
- Paulus sieht seinen Trost im Dienst der ihm anvertrauten Gemeinde
- und alle sind in Christus zur Überwindung des Leidens verbunden.

Paulus erlebt sich in einer umfassenden Gemeinschaft mit Christus, mit dessen Leiden und Auferstehen Paulus verbunden ist.
"Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserem Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar werde", schreibt er den Korinthern.
Seit seinem Erlebnis in Damaskus lebt Paulus mit der Wirklichkeit des lebendigen Christus an dem sein ganzes Leben und Erleben orientiert und verändert ist. Und in diesem Glaubenshorizont ist in einer mystischen Teilnahme die Gemeinde einbezogen, zu der Paulus sagt: "denn ich habe schon zuvor gesagt, daß ihr in unserem Herzen seid, mitzusterben und mitzuleben" (2.Kor 7,3b).

Es ist eine Raum und Zeit übergreifende Verbundenheit im Leben, die auch im Trost trägt und auf Erlösung des Leidens zielt.

Das wird uns unmittelbar anschaulich, wenn Paulus selbst genauer beschreibt, wie solche Gott- und Menschenverbundenheit sich im Leben darstellt. Denn dann zeigt sich, daß Paulus zwar eine deutende Sprache des Glaubens spricht, aber sie hat ihren Anhalt mitten im Alltag auf den Begegnungen und Reisen im mediterranen Alltag des Völkerapostels.

Paulus erzählt ein paar Kapitel später im Brief, wie er Trost erlebt (7,4ff). Es geht ihm da zunächst nicht anders, wie vielen Menschen bis heute: wir "fanden keine Ruhe; sondern von allen Seiten waren wir bedrängt, von außen mit Streit, von innen mit Furcht".
Und da erfährt Paulus einen zweifachen Trost, für den er Gott dankt. Er trifft Titus wieder, seinen Gefährten und Mitarbeiter, den er schon vermisst hatte. Aber nicht nur das. Ein zweiter Trost ist, daß Paulus hört, wie Titus in der korinthischen Gemeinde als Bote des Paulus selbst aufgenommen und getröstet worden war, und die Gemeinde sich um Paulus bemühte.

Trost erfährt Paulus also durch Gott in einem lieben Menschen, der ihm begegnet und durch die Botschaft, daß die Gemeinde sich mit ihm auseinandersetzt und für ihn eintritt.
Wir könnten sagen, daß Paulus hier in einer schwierigen Situation von Solidarität erfährt , und daß er den Beistand eines guten Freundes geniesst.

Und ist das nicht auch das, was auch uns tröstet, daß da Menschen sind, die an uns denken, die an unserem Schicksal teilnehmen und denen wir begegnen? Manchmal geht es so überraschend, wie Paulus Titus trifft, aber auch die Begegnungen beim Einkaufen, in einer Gemeindegruppe oder die Freundschaften, die uns tragen sind ein Element dieses Trostes, der uns über die Bedrängnisse hinweghelfen will.

Und es ist wohl kein Zufall, daß hier eine Geldsammlung für die Gemeinde in Jerusalem erwähnt wird, in denen der "Armen gedacht" wird. Aus Trost wächst Trost, ganz so, wie Paulus es im Glauben erlebt. Trost kann auch finanzielle Hilfe für die Armen sein.

Freilich ist Trost nicht immer einfach da und erfahrbar. Da ist die Einsamkeit und die Untröstlichkeit, die viele Menschen erleben. Viele Arme in unserer Welt ebenso, wie auch Menschen mitten unter uns.
Dieses Erleben der Untröstlichkeit wurzelt tief in uns: wie ist es, wenn ein Kind schreit und keine Antwort bekommt? Es wird nach langer Zeit verstummen, und ungetröstet sein. Manchmal ein auch erwachsenes Leben lang eine Traurigkeit in sich tragen, die unerhört und vielleicht unerkannt und unerlebt bleibt.
Manchmal sind Menschen auch so in der Trostlosigkeit verhakt, daß nichts sie aus dem Kreislauf von Kränkung und Lieblosigkeit reissen kann, obwohl sie inbrünstig ihre Situation anklagen.

Es gibt oft genug keinen schnellen Trost. Auch die Auferstehung mit Christus ist kein schnelles Heilmittel.

Auch Paulus kennt das zu Tode betrübt sein, und nicht mehr weiter wollen. Aber die grundlegende Erfahrung von Gott geliebt zu sein, hat die Sicht des Leidens bei Paulus nachhaltig verändert:
"wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, daß Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist" (Rö 5, 3bff).

Paulus kennt die langen Wege der Trauer, des Verlustes, eines Abschieds oder einer neuen Lebensphase, Paulus kennt den ausweglosen Fanatismus ebenso, wie die zerstörende Kraft des Hasses, Paulus kennt die rastlose Suche nach Liebe ebenso, wie die Antwort auf seine Untröstlichkeit durch die Liebe Gottes im Herzen und auf dem Wege.
In den dunklen Tagen von Damaskus und den darauf folgenden Jahren des Wandels hat sich tief die Erfahrung der Liebe Gottes in Paulus Raum geschaffen.

In dieser Liebe liegt die Grundlage für den Trost, den wir empfangen und geben. Denn nur wenn wir unser Herz liebend anderen Menschen öffnen können, wird ihr Schmerz uns erreichen und berühren. Und deshalb ist Trost immer auch Antwort auf die Liebe, die wir erfahren haben oder manchmal mühsam begreifen mussten.
Und wohl dem Menschen, der sich einschwingen kann in diesen Schmerz und doch dabei aushalten als die andere Perspektive, daß Tod, Leid und Geschrei, daß Krieg und Gewalt ein Ende haben werden.
Das ist die Botschaft des Kreuzes Christi für die Paulus und auch die Kirche stehen. Mel Gibson zeigt in seinem Film "Passion", der seit vergangenen Donnerstag auch in den deutschen Kinos gezeigt wird, nur die Seite des Leidens, die zur Pornographie wird. Daß dieses Leiden die Konsequenz eines befreienden Lebens ist und daß dieses Leiden der Geburtsschmerz einer neuen Menschheitsepoche ist, das wird nicht hinreichend deutlich. Die alten Passionsbilder zeigen da anderes.

Die Botschaft der Barmherzigkeit und des Trostes tönt leise in der Bedrängnis und im Leiden. Vielleicht ist es eine gehaltene Hand, ein verstehender Blick, eine praktische Hilfe, ein hörendes Ohr, das auch über lange Zeit nicht müde wird, dieselbe Not zu ertragen. Liebende Achtsamkeit mit der wir uns selbst begegnen, aber auch den Leisen und Kleinen, den Alten und Kranken, den Fremden und Armen.

Und dann wird das Wunder des Glaubens eintreten, daß wenn wir die Ängste vor der Untröstlichkeit im Vertrauen auf die Gegenwart Christi haben fallen gelassen, daß dann die uns trösten, die wir zu trösten ausgezogen waren:
- die Zuversicht eines Strebenden
- die Kraft zu kämpfen
- die Fähigkeit zu trauern
- die Erfahrung gebraucht zu sein.

Und in diesen Begegnungen begegnet uns die Liebe Gottes, die tragend in solchen tröstlichen Begegnungen durchscheint und sie durchlichtet mit dem Licht der neuen Schöpfung.
Und schon kann uns ganz eigen sein die Erfahrung, daß die Welt in Gottes Horizont weit ist, und daß wir eingeladen sind trotz allem nicht untröstlich zu bleiben.
Das ist die Torheit des Kreuzes. Die Macht Gottes ist nicht das ewige Verhindern und Eingreifen. Gott ist kein Kosmopolizist. Daß Gottes Kraft, nach der Erfahrung des Paulus, in den Schwachen mächtig ist, das bedeutet, daß die Trauenden und Leidtragenden getröstet werden, auch wenn es für uns manchmal unerträglich lange dauert.

" Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes,
der uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott."

Amen.

Pfarrer Thomas Dreher
Panoramastraße 37
74321 Bietigheim-Bissingen
pfamlk.Bissingen@web.de


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