Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Judika, 28. März 2004
Predigt über Hebräer 5, 7-9, verfaßt von Hellmut Mönnich
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Liebe Gemeinde,

geht es Ihnen auch so? Man hört zwar zu, wenn die Epistel für den Sonntag heute vorgelesen wird – aber spätestens,  wenn man anschließend  mit eigenen Worten sagen sollte, was man gehört hat, merkt man, wie schwer zu verstehen der Hebräerbrieftext ist.. Die kultischen Begriffe, Sachverhalte und Bilder des Hebräerbriefes sind uns modernen Menschen fremd und eigentlich wenig verständlich. Um so sinnvoller  ist es  deshalb zu fragen: Was will der Verfasser mit Hilfe seines Textes sagen? Und: was sagt uns das heute?

Vom vorgelesenen Text hat der eine oder die andere vielleicht behalten, dass vom „ irdischen Leben“ die Rede war – es geht offenbar um Jesus -  und „vom Tod erretten“, vom „ewigen Heil“ und dann vom „Hohenpriester nach der Ordnung Melchisedeks“. Offensichtlich hat der Textabschnitt Jesus Christus als Thema und damit das, was er bewirkt hat. Bestätigt wird das, wenn man einen Kommentar zum Hebräerbrief in die Hand nimmt. Kurzgefasst  kann man dann finden,  dass die Bezeichnung  „Hebräerbrief“  nicht ursprünglich ist sondern später aus dem Inhalt erschlossen wurde;  dass das Schriftstück auch kein Brief ist sondern eher ein Lehrschreiben, und dass  der Verfasser unbekannt ist. Allerdings helfen uns diese Auskünfte zum Verstehendes Textabschnittes kaum. Hilfreicher sind schon die Auskünfte, dass unser Schreiben eine sehr eigenständige Auslegung des Christusbekenntnisses ist und dass es im Urchristentum in der zweiten Generation verfasst wurde, also etwa um das Jahr 80 n. Chr. Das Besondere der Auslegung des Christusbekenntnisses im Hebräerbrief aber sei der Versuch, den Kern des Christlichen Glaubens mit kultischen Vorstellungen, Bildern und Begriffen auszudrücken und deutlich zu machen – und eben das wirkt auf uns heute so fremdartig.

Die Voraussetzung dieser Darstellungsweise ist der Tatbestand, dass es damals geradezu selbstverständlich für die unterschiedlichen Religionen  im Mittelmeerraum war, dass sie Tempel, Priester und  einen Opferkult hatten – nur die Christen hatten das alles nicht. Der „Hebräerbrief“ – um bei diesem geläufigen Begriff zu bleiben – ist nun der faszinierende Versuch, den Kern des christlichen Glaubens auszudrücken in Entsprechung zu den anderen zeitgenössischen Religionen und doch zugleich den Glauben der Christen von den anderen Religionen abzuheben.

Wenn wir jetzt hier im Kreise säßen, jeder den Hebräerbrief  in der Hand, und versuchten, diesen Brief genauer kennen zu lernen, dann würden uns vielleicht schon die ersten Zeilen dieses Schreibens auffallen. In der Lutherübersetzung lesen wir da: Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat  er ...  zu uns geredet durch den Sohn, den er eingesetzt hat. Darauf folgt dann eine ganze Reihe von Stellen aus der alttestamentlichen Bibel, in denen der unbekannte Verfasser Jesus  Christus gekennzeichnet findet. Tatsächlich ist es geradezu  Kennzeichen des Hebräerbriefes, dass das Alte Testament -  oder das erste Testament wie manche sagen -  auf Jesus Christus hin gelesen und das Geschick Jesu von dort her verstanden wird. Dabei wird Jesus Christus – genau formuliert heißt das ja „Jesus, der Messias“,  -   im Hebräerbrief meistens „Sohn“ genannt statt Jesus Christus. So lesen wir also: Gott hat  zu uns geredet durch den Sohn, den er eingesetzt hat . Von diesem Sohn, von Jesus Christus also, führt der Hebräerbrief  angesichts der anderen  Religionen seiner Zeit aus: Auch wir haben einen Tempel, ein Heiligtum – im Himmel. Auch wir haben einen Priester, ja, dieser Priester steht sogar  über allen Priestern, ist oberster Priester,  „Hohepriester“ (den es ja im „alten“ Gottesvolk in Jerusalem tatsächlich gab!), und er hat sogar das himmlische Heiligtum betreten. Zu diesem himmlischen Heiligtum, zu Gott sind wir im Leben unterwegs – wandernd durch die Wüsten des Lebens. Davon spricht das 3. Kapitel.

Wie der alttestamentliche Hohepriester Aaron ist der Sohn  von Gott berufener Hohepriester. Das heißt: er hat sich nicht selbst dazu gemacht, ist auch nicht durch Menschen eingesetzt, sondern durch Gott, der ihn gewollt und bestimmt hat.

 Auch der Hohepriester der Christen muss Opfer darbringen -  aber sie sehen ganz anders aus als die der  damals von Menschen berufenen Priester: Die Opfer des Hohenpriesters  der Christen waren die Bitten und das Flehen Jesu in Gethsemane, dem Beginn des Kreuzigungsgeschehens. (Dass Gebet, Flehen und Schreien als Opferdarbringung gelten können, ist die Meinung schon alttestamentlicher Psalmen und auch verbreitete Auffassung im zeitgenössischen Judentum.)

Schließlich; im 7.Kapitel unseres Hebräerbriefes wird  Menchisedek vorgestellt als König von Salem und  als Priester des höchsten Gottes - dabei ist an 1. Mose 14,18-20 gedacht, -  um am Beispiel des Priesterkönigs Melchisedek und seiner Überlegenheit über Abraham und Levi die überragende Stellung des Sohnes als des himmlischen Hohenpriesters deutlich zu machen.

Liest man nun den Zusammenhang des Predigtabschnittes sorgfältig, dann merkt man, dass der gedankliche Zusammenhang schon mit Kapitel 4 Vers 14 beginnt und sich alles zusammen in freier Übersetzung etwa folgendermaßen zusammenfassen lässt: Da wir nun einen großen Hohenpriester haben, der die Himmel durchschritten hat, Jesus, den Sohn Gottes, lasst uns an  unserem Bekenntnis festhalten ... .Und nun fährt der vorgeschlagene Predigttext fort: Als er noch auf der Erde lebte, hat er sich mit flehendlichsten Bitten an Gott gewandt, der allein ihn aus dem Tod erretten konnte. Und er wurde erhört , weil er an Gott festhielt.

Allerdings: obwohl er Sohn Gottes war, hat er in  seinem Erleiden  Gehorsam gelernt.

Als er dann vollendet worden war, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, zum Begründer  ihrer endgültigen Erlösung geworden. Denn Gott hat ihn zum Hohenpriester gemacht – wie Melchisedek.

Vielleicht  denkt jetzt der eine oder die andere:  Etwas verständlicher als die biblische Übersetzung in der  Epistellesung ist das vielleicht schon – aber so richtig genau zu verstehen ist  das immer noch nicht. Wir müssen deshalb zunächst noch einmal kurz ausholen:

Ein  Ereignis  im Leben Jesu ließ die frühen Christen – auch die, die hinter dem Hebräerbrief stehen – nicht los:  die Kreuzigung und Auferstehung, die Kreuzigung und die Erhöhung Jesu. Paulus hat das nicht losgelassen, bis er dieses deuten  und formulieren konnte. Dabei hat er es verstanden hat als befreiende Erkenntnis: Gott  ist es, der in  all dem gehandelt hat. Jesu Kreuzestod hat eine tiefe Bedeutung: Jesus hat die äußerste Gottesferne durchstanden, um sie durch sein Sterben aufzuheben. Eine befreiende, erleichternde, frohmachende Erkenntnis.

Das Johannesevangelium hat dasselbe später auf seine Weise ausgedrückt, und  eben nun der Hebräerbrief: Mit dem „ Durchschreiten der Himmel“ drückt der Hebräerbrief aus ,dass  das Unheil der Gottesferne der Menschen besiegt ist. Mit anderen Worten: Wie immer wir sind, welche Last unseres Tuns, welche Last unseres Versagens und wie sehr unser Vergessen Gottes uns kennzeichnet -   alles das ist nicht mehr unüberbrückbarer Graben zwischen uns und Gott. Das gilt es festzuhalten. Das gilt es zu glauben.  Jesus Christus hat in seinem Todesgeschick Gott vertraut und an ihm festgehalten – und Gott hat ihn nicht im Tod und seiner Dunkelheit  versinken lassen sondern er hat ihn ins Leben erhoben. Nun gilt: für alle, die auf den Erhöhten setzen, ist der Weg zu Gott frei, hat der Tod seine Dunkelheit verloren. Gott hat Jesus Christus zum Wegbereiter  ins Leben, zum Wegbereiter zu Gott gemacht. Kann man nicht daraufhin mit Melchisedek  sagen: „Gelobt sei Gott, der Höchste, der dir den Sieg ... gegeben hat“?

Haben nicht wir, liebe Gemeinde, dieselben Fragen, die die Menschen schon damals vor zweitausend Jahren bewegt haben: die Frage nach Schuld  etwa, die Frage nach dem Tod und dem Ziel des Lebens, auch die Frage nach Gott?

Der Hebräerbrief beantwortet unser Fragen! Wer auf Jesus Christus setzt, den „Sohn“, -   den Gott , der Unsichtbare, selbst  als seine Antwort auf unsere natürlichen Fragen  bestimmt hat, -  der kann gewiss sein:  seine Schuld zählt nicht weiter.

 Und das Sterben endet nicht in der Dunkelheit des Todes.

 Und das Ziel des Lebens vollendet sich endlich in der Gegenwart Gottes.

 Mit diesem Glaubenswissen kann man leben! Und das Leben hat mit diesem Glaubenswissen andere Akzente als ohne den vertrauenden Glauben an Gott und  den gekreuzigten und erhöhten Sohn. Gelobt sei Gott!

Pastor i.R. Hellmut Mönnich
Ewaldstr. 97
37075 Göttingen
Tel.: 0551-68611

hi.moennich@freenet.de


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