Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Palmsonntag, 4. April 2004
Predigt über Markus 14, 3-9, verfaßt von Karsten Nissen (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(dänische Perikopenordnung, Epistellesung Phil. 2,5-11)

Keine Löcher in der Unwissenheit der Leute über das Christentum

Nur jeder dritte Däne weiß, warum wir Palmsonntag feiern. Und nur jeder fünfte Däne weiß, was Gründonnerstag geschah. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung, die das Meinungsforschungsinstitut Gallup für die dänische Zeitung Berlingske Tidende vorgenommen hat. Vielleicht ist es richtig, was seinerzeit der königliche Hofmarschall in Kopenhagen Hans Sølvhøj gesagt hat: "Es gibt fast keine Löcher in der Unwissenheit der Dänen über das Christentum".

Die Kluft zwischen Kirche und Volk. Dänemark ist ein christliches Land

Das ist natürlich eine Herausforderung für die Volkskirche. Aber das zeigt offenbar auch eine Kluft zwischen der Kirche und dem Volk. Einerseits besteht kein Zweifel daran, daß Dänemark ein christliches Land ist in dem Sinne, daß christliche Werte und christliches Denken unsere Gesetzgebung, unsere Sprache, unsere Kunst und unsere Kultur prägen. Die dänische Verfassung, das Grundgesetz, sagt es so: "Die evangelisch lutherische Kirche ist die dänische Volkskirche und wird als solche vom Staat unterstützt".

Aber unsere Zukunft ist bedroht, wenn uns das Wissen abhanden kommt

Andererseits aber ist unsere Zukunft als christliches Volk ernsthaft bedroht, wenn die Dänen ganz einfach das Verständnis und das Wissen von den zentralen Elementen der christlichen Botschaft verlieren. Dann sind wir nämlich auch leichte Beute für andere Religionen, die in unser altes christliches Land kommen.

Das Einzigartige: Warum macht es einen Unterschied, ob man Christ ist?

Deshalb ist es wichtig, daß wir uns darauf besinnen, was das Einzigartige, das Besondere und Eigentümliche am Christentum ist. Was ist es, das bewirkt, daß der Christ von Jesus sagen kann, er ist "der Weg, die Wahrheit und das Leben", und "niemand kommt zum Vater ohne durch ihn"? Oder anders gesagt: Was würde uns eigentlich fehlen, wenn es das Christentum nicht gäbe? Warum macht es einen Unterschied, ob es das Christentum im dänischen Volk gibt?

Das heutige Evangelium: Eine verschwenderische Handlung

Das Evangelium für den heutigen Tag, Palmsonntag, hilft uns, diese Frage zu beantworten. Wir hören von einer scheinbar verschwenderischen und unnötigen Tat. Eine Frau, die der Überlieferung nach Maria Magdalene sein könnte, salbt das Haupt Jesu mit einer sehr kostbaren Salbe. Der Preis von dreihundert Denaren entspricht fast dem Jahreslohn eines Arbeiters. Der Tagelohn war damals normalerweise ein Denar. Es ist klar, daß diese schwindelerregende Geldverschwendung Anstoß erregen mußte.

Verschwenderische Liebe

Aber sie salbte Jesus zu seinem Begräbnis. Und die ganze Welt soll von dem hören, was sie getan hat, sagt Jesus. Und diese Prophetie ging auch in Erfüllung. Heute hören wir und tausende von anderen von dem, was sie tat. Was diese Frau uns von Gott lehrt, ist dies, daß er niemals müde wird zu geben. Daß er eine verschwenderische Liebe hat.

Die Früchte der Bäume

In einigen Wochen springen die ersten Bäume aus. Die Buche in gut einem Monat. Die krummen, braunen und grauen Zweige werden durch schönes hellgrünes Laub bedeckt. Und zum Sommer stehen sie mit Blüten, die dann Früchte tragen. Die Früchte breiten sich über die Landschaft aus. Millionen von Samen kommen in die Erde, aber nur ganz wenig Promille von diesen Samen werden zu Bäumen. Und das wiederholt sich Jahr für Jahr.

An allen anderen Stellen müssen wir kompetent sein

So ist Gott, voll von verschwenderischer Liebe. Und das ist eben das Einzigartige. Das macht den Unterschied. Das würde uns fehlen, wenn wir nicht das Christentum unter uns hätten. An allen anderen Stellen in unserem Land müssen wir uns qualifizieren, uns ausbilden, Erfahrungen machen, um das zu erlangen, was der Modebegriff unserer Zeit zu sein scheint: Kompetenz. Immer wieder hören wir, daß wir unsere Kompetenzen entwickeln und erkennen sollen, welche Kompetenzen uns im Vergleich zu anderen auszeichnen. Ja, man spricht sogar von dem "kompetenten Kind".

Das Evangelium spricht nicht von Kompetenzen, sondern von verschwenderischer Liebe

Das Evangelium spricht nicht von Kompetenzen. Das Evangelium spricht nicht von all dem, was wir tun sollen. Das Evangelium spricht von dem, was die Frau im heutigen Evangelium Jesus gegenüber zeigt: Verschwenderische Liebe. Davon handelt das Evangelium heute, an Palmsonntag.

Ostern als Gottes verschwenderische Liebe

Verschwenderische Liebe. Geht es nicht gerade an Ostern darum? Wir treten heute ein in die stille Woche. Noch einmal werden wir von dem Abend hören, als Jesus das Abendmahl einsetzte, Gründonnerstag, vom Karfreitag, als er am Kreuze starb. Das sind die Haupttage des Christentums. Das ist der Kern in all dem, was man Christentum nennen kann. Das ist das größte Fest der Kirche, vor dem wir nun stehen. Und am Eingang zu diesem Fest hören wir von der verschwenderischen Liebe Gottes.

Mißmut: Mit welchem Recht nennst du dich einen Christen. Luthers erstes Gebot

Wir kennen alle den Mißmut, der über uns kommen kann, wenn wir an unser Verhältnis zu Gott denken. Mit welchem Recht nennst du dich einen Christenmenschen, fragen wir. "Ein Gott heißet das, dazu man sich versehen soll alles Guten und Zuflucht haben in allen Nöten. Also daß ein Gott haben nichts anders ist, denn ihm von Herzen trauen und glauben ... Ist der Glaube und Vertrauen recht, so ist auch Dein Gott recht, und wiederum, wo das Vertrauen falsch und unrecht ist, da ist auch der rechte Gott nicht. Denn die zwei gehören zuhaufe, Glaube und Gott". So sagt Luther in seinem großen Katechismus.

Gott ist vielleicht nicht Nummer eins, aber wir können ihn dennoch nicht loslassen

Erwarten wir alles von Gott? Nehmen wir unsere Zuflucht zu Gott in allen Nöten? Ist unser Glaube an Gott aufrichtig? Solche Fragen schaffen Mißmut, weil wir die Antwort schon wissen. Gott ist nicht immer die Nummer eins in unserem Leben. Allzu oft herrschen wir über das Leben, als sei es unser Eigentum. Und doch können wir in all dem nicht von Gott loskommen. Wir können ihn nicht loslassen. Denn ohne ihn fühlen wir uns kalt und einsam, uns selbst und unserem eigenen Schicksal überlassen.

Ich will gerne glauben, aber ich kann nicht

"Ich will so gerne an Gott glauben, aber ich kann nicht. Wenn ich zu Gott bete, hoffe ich auf ein warmes Herz und ein offenes Ohr bei Gott. Aber da ist nur Leere. Wenn ich zum Abendmahl gehe, hoffe ich sehr auf die Nähe Gottes. Aber da geschieht nichts. Ich gehe genauso einsam und frierend wie ich gekommen bin. Wenn ich Fürsorge, Liebe und Verständnis erwarte von der Gemeinde, von denen, die an ihn glauben, dann stoße ich meist auf Selbstgenügsamkeit, Härte und Kälte".

Wir können uns verdammt fühlen

So können wir uns fühlen, und wir glauben, daß wir mit diesen Gedanken ganz allein stehen. Aber das ist weder Verdammnis noch Ausgeschlossensein von Gott. Das ist die Anfechtung des Glaubens, die jeder Mensch kennt. Deshalb wollen uns die Gottesdienste Palmsonntag und Ostern etwas ganz Einfaches sagen, lebensnah und einzigartig:

Vertraue auf Gott. Werde nicht müde

Vertraue auf Gott. Werde nicht müde. Denn er ist treu. Er hat dich in verschwenderischer Liebe mit guten Gaben überschüttet. Ja, er hat seinen eigenen Sohn gesandt, damit wir hören, sehen und glauben können. Deshalb haben wir heute auch die Epistel gehört aus dem Philipperbrief von Jesus Christus, der bei Gott war, zu seiner Rechten saß, aber seinen Himmel verließ, um zu uns auf der Erde zu gehen. Als er als ein Mensch erfunden war, erniedrigte er sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Verschwenderische Liebe. Davon handelt das Evangelium.

Wir können nur Glauben, wenn wir aufgeben, selbst zu wollen

Glaube erfordert keine Kompetenz. Wir können nur glauben, wenn wir es aufgeben, selbst glauben zu wollen. Wir erhalten den Glauben erst, wenn wir mit unseren leeren Händen zu Christus kommen und erkennen, daß wir nur bei ihm Vergebung und Frieden finden. Nicht weil wir es verdient hätten, sondern weil er uns mit seiner verschwenderischen Liebe so liebt, wie wir sind.

Ein kleiner Junge schläft ein

Ein kleiner Junge hatte sich vorgenommen, den Augenblick zu erleben, an dem er abends einschlief. Aber das gelang ihm nicht. Der Wunsch, diesen Augenblick zu erleben, hielt ihn wach. Und er schlief erst ein, als er sich selbst loslies. So ist es auch mit dem Glauben. Wir müssen uns selbst loslassen und es geschehen lassen. Gott in seinem Wort suchen, in der Taufe und im Abendmahl. Uns auf seine Vergebung verlassen. Wenn wir unseren eigenen Willen vergessen und uns dem Willen Gottes unterwerfen, kann es geschehen, daß wir unerklärlich in uns spüren: Gott ist. Und er will mit mir zu tun haben. Amen.

Bischof Karsten Nissen
Domkirkestræde 1
DK-8800 Viborg
Tel.: ++ 45 - 86 62 09 11
E-mail: kn@km.dk

 


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