Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Karfreitag, 9. April 2004
Predigt über 2. Korinther 5, 19-21, verfaßt von Andreas Pawlas
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Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.

Liebe Gemeinde!

Warum musste Jesus Christus leiden und sterben? Diese Frage muss genau heute an diesem Karfreitag, an diesem Tag seiner Kreuzigung, verlässlich und verbindlich beantwortet werden. Was hat denn dieser Mann aus Nazareth getan? Was hat er denn verbrochen, dass man ihn so quält und foltert und so unbarmherzig umbringt? Oder war das vielleicht alles nur – ein Missverständnis oder eine Art Unfall?

Nein, ganz bestimmt nicht. Vielmehr bin ich mir ganz sicher, dass dieser Jesus frei und unbehelligt hätte nach Hause gehen können und mit allen Freunden und lieben Gästen das in Jerusalem anstehende große Fest hätte feiern können, wenn er nur seinen Peinigern, wenn er Gericht und Polizei ein einzigen Satz gesagt hätte. –

Was für einen Satz? Was für Worte? Ja, Worte sind hier ganz wichtig. Es sind wenige Worte, die hier entscheiden über Leben und Tod. Jedoch hören wir nun in unserem Predigttext Worte, die uns als modernen Menschen so fremd und unverständlich sind. Wir können darum nicht ohne weiteres erkennen, was sie mit Leben und Tod zu tun haben.

Nun hat es aber keinen Sinn, hier und heute darüber zu reden, woran das liegt. Es ist einfach so. Wenn wir also auch nur etwas verstehen wollen, müssen wir versuchen, Gehalt, Tiefgang und Wirkung der entscheidenden Worte zu begreifen. Und da gibt es doch allein im Hinblick diesen für das Geschehen an diesem Karfreitag und für unser Bibelwort entscheidenden Begriff der Sünde, so viele Missverständnisse . Denn vielfach wird doch im Alltag nur noch von Sünde geredet, wenn sich gesundheitsbewusste Damen trotz bester Vorsätze über dicke Sahnetortenstücke oder zu üppige Mahlzeiten hermachen. Dann sagen sie häufig: „O, jetzt sündige ich aber.“ Solches Denken und Reden kann aber schwerlich mit dem Sinn des Karfreitags zusammengebracht werden. Bei solchem Schlemmen geht es bestimmt nicht um Worte, die über Leben und Tod entscheiden.

Es geht aber um Leben und Tod im Begriff der Sünde von seinem Ursprung her. Denn mit „Sünde“ ist doch die große Kluft gemeint, die zwischen Gott und uns besteht, dieser große Spalt, dieser Riss, dieser Sund. Deshalb sagt man ja doch zu allem, was uns von Gott wegziehen und trennen will: „Sünde“. Jedoch selbst solche Erklärung dieses Wortes reicht noch nicht aus zu verstehen, was am Karfreitag in aller Tragweite geschehen ist und was das für uns bedeutet. Denn wenn wir uns heute in der Öffentlichkeit umhören, so bringt eine solche große Kluft zwischen Gott und uns, also die Sünde, viele heutige Menschen weder in Bedrängnis noch in Unruhe. Viele finden „Sünde“ sogar chic und verzehren etwa mit Genuss diese aktuellen nach den sieben Todsünden benannten Eisprodukte. Wozu also alle Aufregung wegen der Sünde, um die es im Karfreitagsgeschehen, und in unserem Bibelwort geht?

Sicherlich liegt hier aber der schlimmste Irrtum darin, dass nicht wahrgenommen und ernst genommen wird, was und wer Gott wirklich ist. Denn wenn sich viele Leute den sogenannten „lieben Gott“ als alten Mann mit weißem Bart vorstellen, was sollte es denn da ausmachen, ob man in seiner Nähe lebt oder durch eine Kluft, einen Sund getrennt eine Straße weiter, ob man in einem Land fern von Gott lebt, ob man eine Verbindung zu ihm hat oder ob es ihn überhaupt gibt. Wenn das die Wirklichkeit wäre, dann bräuchte es keinen Karfreitag und dann wäre die Kreuzigung Jesu wirklich nur ein Missverständnis.

Aber das Missverständnis und der entsetzliche Irrtum besteht ja genau anders herum! Denn wie ganz anders sieht alles aus, wenn ich fest damit rechne, dass genau Gott derjenige ist, in dessen Hand der Sinn meines Lebens steht, wenn genau in Gottes Hand alles Gelingen und Vollbringen, für alles gute Fügen und alle Lebensfreude für mich und für die ganze Welt steht? Und das wissen wir doch alle hautnah: wenn dort eine Störung ist, wenn ich da fremd und entfernt bin von Freude und Gelingen und Heilem und Gutem, dann wühlt mich das auf, dann treibt das mich um, dann macht mich das kaputt, dann bringt mich das um.

Wir wissen doch, was die Leute alles dafür geben, um Gelingen und Vollbringen in ihrem Leben zu erreichen, manche sind dabei sogar völlig rücksichtslos – kein Wunder, denn es geht ja um die Erfüllung des eigenen ganz persönlichenLebens! Und was interessiert dabei viele, was nun andere deshalb denken, fühlen oder erleiden. Manche schrecken dabei sogar noch nicht einmal vor Verbrechen zurück oder gehen dabei sogar über Leichen. Wenn auch – Gott sei Dank - nur wenige so weit gehen, so zermartern sich doch so viele ihre Hirne und rennen und rackern, um ja alles gut zu fügen und ja möglichst viel Lebensfreude und Lebensgenuss zu gewinnen – um dann aber am Ende zu erfahren, dass das große Lebensglück nicht in ihrer Macht liegt. Natürlich versuchen sie immer wieder, alles selbst und mit eigener Kraft zu erreichen und müssen meist daran verzweifeln. Sie versuchen, sich Glück und Gesundheit zu erkämpfen und zu erkaufen und müssen meist dabei scheitern. Und dabei weiß es nicht nur jeder Hochleistungssportler, dass, um von Siegesfreude völlig erfüllt zu werden, da das ganze Leben darangesetzt werden muss. Aber trotzdem kann immer nur einer der Sieger sein und die vielen vielen anderen sind die Verlierer

Und so kann es jeder in seinem Leben verspüren: Zwischen ihnen und der völligen Erfüllung des Lebens, da liegt ein großer Spalt, ein Riss, ein Sund. Und dieser Sund, diese „Sünde“, die bringt sie förmlich um. Und weiter wissen die meisten eins ganz genau: die Überwindung dieses Risses durch ihr Leben, die Überwindung dieser ihrer „Sünde“, die kann nicht durch irgendein Fingerschnipsen zu haben sein. Das fühlt man heute genauso wie man es zu früheren Zeiten fühlte. Nein, das Leben so grundsätzlich heil zu machen, das Leben so grundsätzlich zu erfüllen, das kostet sehr sehr viel. Ja, weil es um das Leben geht, muss es viel vom Leben kosten oder sogar das Leben.

Immer wieder berichten alte Überlieferungen, dass Könige einem Eroberer ihr Leben hingaben, damit das Volk nicht sein Leben lassen musste. Genauso hören wir immer wieder, wie aus Liebe, also um das Leben mit Liebe zu erfüllen, sich ein Liebender für den anderen opfert. Zuletzt so populär in Szene gesetzt in dem Film »Titanic«, wo der junge, armen Maler Jack nach dem Untergang der für unsinkbar gehaltenen »Titanic« im eiskalten Ozean sein Leben opfert, damit eben seine Geliebte, seine „Rose“, lebt.

Aber genau um unser Leben vor dem Untergang zu retten, genau um unser Leben vor dem Sturz in das bodenlose Nichts aufzufangen, um dagegen unser Leben grundsätzlich zu erfüllen, darum geht es am Karfreitag. Es geht also um einen jeden von uns und nicht um Christus. Es geht also um Dich und mich und nicht um Christus und dass er etwa irgendetwas Schlimmer oder Irrtümliches getan hätte. Denn ganz bestimmt hätte er frei und unbehelligt nach Hause gehen können und das Passahfest feiern können, wenn er nur diesen einzigen Satz gesagt hätte wenn er nur gesagt hätte, „Ich bin nicht der Messias“. Und das hieße ja in unserem heutigen Sprachgebrauch: „Nein, ich bin nicht der, der eurem Leben Sinn geben kann.“ „Nein, ich bin nicht der, der eurem Leben wunderbare Erfüllung geben kann.“ „Nein, ich bin nicht der, der euch die Schuld in eurem Leben vergeben kann.“ „Nein, ich bin hier nur ganz privat. Und ich habe nichts Böses getan.“ -

Und dann hätte er gehen können. Der Zorn und Eifer der damaligen Frommen, der hätte sich gelegt und man wäre ebenfalls nach Hause gegangen. Aber wir, genau wir alle hier, wir wären übrig geblieben mit diesem Spalt, Riss und Sund in unserem Leben.

Aber Jesus Christus sagt solche Worte nicht. Warum? Weil er uns kennt, weil er uns wirklich liebt. Und darum lässt Christus sich dafür totschlagen, dass er uns mit Gott versöhnen will, dass er unser Leben wunderbar machen will, dass er unsere Sünde trägt. Sie wollen es doch aus ihm herausprügeln, herauspressen und herausstechen. aber er sagt nicht das Wort, das ihn frei gegeben hätte, das ihm das Leben geschenkt hätte. Nein, vielmehr er gibt sein Leben hin, damit die Sünde, damit dieser große Spalt, Riss, Sund, der uns von Gott trennt und der unser Leben so verdirbt, nun geheilt und aufgelöst wird. Er gibt sein Leben hin, damit wir als sein Volk nicht unser Leben lassen müssen. Er versöhnt uns so mit Gott. Er richtet so unter uns das Wort von der Versöhnung auf. Und nicht nur das.

Denn wer das wirklich begriffen hat, wer das fühlen und schmecken kann, wie alles Unerfüllte in seinem Leben nun durch Christus erfüllt ist, wie alles Verdorbene und Zerbrochene in unserer Seele jetzt und in Ewigkeit heil wird, wie könnte der das für sich behalten. Nein, ganz von selbst erzählt man anderen von dem Mann am Kreuz, der für uns zur Sünde gemacht wurde, der für uns so alle Sünde getragen hat, der so viel für uns getan hat und immer noch tut. Ganz von selbst setzt man sich deshalb für alle von Gott geliebten Menschen und für die ganze Schöpfung ein und wird so „Botschafter an Christi Statt“, wird so ein Gesandter Gottes auf dieser Welt und dann bis in alle Ewigkeit. Amen.

Pastor Dr. Andreas Pawlas
Ev.-luth. Kirchengemeinde Barmstedt
Erlenweg 2
25365 Kl. Offenseth-Sparrieshoop
Andreas.Pawlas@t-online.de

 


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