Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Karsamstag, 10. April 2004
Predigt über 1. Petrus 3, 18-22, verfaßt von Hartmut Jetter
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Der Tag vor Ostern – ein Tag voller Gegensätze!
Auf den Autobahnen staut sich der Verkehr: Der wärmere Süden lockt. In den Städten Hochbetrieb: Volle Geschäfte und überfüllte Parkhäuser, Handel und Verkehr auf Hochtouren. Alsdann: Frohe Ostern!

In den Kirchen hingegen: Große Stille. Stiller Samstag – der stillste im Gang des Kirchenjahres. Tag der Grabesruhe nach den lauten Tagen von Jerusalem. Man liest die Geschichte von der Grablegung Jesu und hört das Finale der Matthäus-Passion: „Nun ist der Herr zur Ruh gebracht“. Letztes biblisches Bild: der Stein mit dem Siegel des römischen Prokurators. Besiegelt ist das Sterben Jesu, versiegelt die Passion insgesamt. Musikalisches Zeichen: Das Fermate; biblisch: SELA. Pause. Atemholen.

Doch in die Stille der Andacht mischt sich ein anderer Ton: ein Hymnus, ein Christuslied, angestimmt von den frühen Christen, das den Weg, den ganzen Weg ihres Herrn besingt. Geschnitzt aus dem gleichen Holz wie das noch bekanntere und auch öfter gelesene Lied von Philipper 2. Am Anfang der Karwoche, am Palmsonntag, stand es in der Predigt vor uns. Heute, am Karsamstag, lesen wir einen anderen Christuspsalm, den aus dem 1. Petrusbrief, Kapitel 3, ab Vers 18:

Der Text:
Denn: Auch Christus hat einmal für die Sünden gelitten,
der Gerechte für die Ungerechten,
damit er euch zu Gott führte,
und ist getötet nach dem Fleisch, aber lebendig gemacht nach dem Geist.
In ihm ist er auch hingegangen und hat gepredigt den Geistern im Gefängnis,
die einst ungehorsam waren, als Gott harrte und Geduld hatte zur Zeit Noahs,
als man die Arche baute, in der wenige, nämlich acht Seelen,
gerettet wurden durch das Wasser hindurch.
Das ist ein Vorbild der Taufe, die jetzt auch euch rettet.
Denn in ihr wird nicht der Schmutz vom Leib abgewaschen,
sondern wir bitten Gott um ein reines Gewissen,
durch die Auferstehung Jesu Christi,
welcher ist zur Rechten Gottes, aufgefahren in den Himmel,
und sind ihm untertan die Engel und die Gewaltigen und die Mächte.

Sein Weg für uns

Das war sein Weg, den Er gegangen ist. Noch ehe die 4 Evangelienbücher zum Abschluss gekommen waren, haben die Christen den Weg ihres Herrn in Liedern besungen. Psalmen, Oden und Hymnen waren ihnen bekannte Sprachformen. Sie haben sie für ihre Gottesdienste genutzt. Insbesondere ihr Bekenntnis zu Christus, ihr Credo, erforderte Kürze und Prägnanz. Dicht nebeneinander stehen hier die Kernaussagen über Seinen Weg, fünf an der Zahl: Gelitten, getötet, hinabgestiegen, auferstanden, aufgefahren gen Himmel zur Rechten Gottes. Allesamt haben sie später Aufnahme gefunden in den Text, den wir „zweiter Glaubensartikel“ nennen. Es führt also eine direkte Linie von 1. Petrus 3 zum Apostolischen Glaubensbekenntnis des 4. Jahrhunderts. Im 1. Petrusbrief sind sie predigtartig angereichert mit Bezügen zur biblischen Geschichte. So werden Noah und die Sintflut samt der Arche und den durch sie Geretteten in Beziehung gesetzt einerseits zur Taufe (samt deren Deutung als Reinigungs- und Erneuerungsbad), andererseits aber auch zum Weg Jesu.

Doch nun fragen wir: Welche Bedeutung haben sie, die ersten Christen, Seinem Weg zugemessen? Was für einen Gesamtsinn ihm abgewonnen? Wozu ist denn Er diesen so nachgezeichneten Weg „gegangen“ (Das Wort kommt zweimal im Text vor: „Hingegangen“ zu den Geistern und „hinaufgegangen“ in den Himmel). Wozu das alles? Die Antwort lautet, wiederum in lapidarer Kürze: „damit Er euch (in etlichen Handschriften steht „uns“) zu Gott führte“. Das ist schlicht und einfach die andere Seite der urchristlichen Botschaft und ist es so bis heute. Der Weg Jesu war und ist der Weg zum Heil, der Weg für uns und alle, ein und für allemal. Der eine und einzige zum Vater, zur Gemeinschaft mit dem Vater Jesu Christi.

Die eine Station des Karsamstag

Es liegt auf der Hand, dass sich unser Interesse an diesem stillen Karsamstag auf den einen speziellen Brennpunkt richtet: „Er ist hinabgegangen zu denen, die im Gefängnis sind“, oder – wie wir im Glaubensbekenntnis sagen: „hinabgestiegen in das Reich des Todes“. Wahrlich, ein Wort, das zu den dunkelsten im ganzen Neuen Testament zählt. Das eine Stück aus dem Ganzen des Glaubensbekenntnisses, für das es im ganzen Neuen Testament nur diese eine Belegstelle gibt. Da ist auch kein anderes Buch, kein anderer Zeuge im Neuen Testament, der uns dabei helfen könnte, die „Richtigkeit“ dieser einmaligen und einzigartigen Aussage zu bestätigen oder gar zu erhellen.

Aber wir! Wir sollen in unserer Karsamstagsandacht das alles ganz auf Anhieb verstehen!? Jesus Christus sei nach seinem Leiden, Sterben und Begrabenwerden auch noch „hingegangen“ zu den „Geistern“ (manche sagen hier auch „Seelen“), die dort unten in Gewahrsam genommen sind, um auf ihr Urteil zu warten. Ja – auch denen hat er das „Kerygma“, d.h. die Botschaft vom Heil Gottes in Christus „gepredigt“. Da kann unsereins nachschlagen wo er will, ob beim Exegeten oder beim Dogmatiker: Stets findet er das Wörtchen „schwierig“! Wird ja auch in 1. Petrus 3 kaum etwas Näheres hinzugefügt, womit uns das Verständnis erleichtert oder wenigstens eine blasse Vorstellung vermittelt würde.

Botschaft von einer anderen Welt

Wo also finden wir einen Schlüssel?
Zweierlei könnte uns weiterhelfen: Zum Einen eine mehr grundsätzliche, theologische Überlegung. Christen wissen von zweierlei Welten. Sie wissen von der Welt, in der wir leben, tagtäglich, von der Welt der guten Schöpfung Gottes mit all ihren Schönheiten und Herrlichkeiten und Wundern, aber auch mit ihren Abgründen und Dunkelheiten, mit ihren Schatten und Rätseln. Als Christen ist uns das Auge geschärft für vieles, was gegen Gott und gegen seine gute Schöpfung steht, die Welt der Lüge und der Gewalt, die Welt der Sünde und des Todes.

Jedoch – wir sehen auch durch diese Welt mit ihren gewaltigen Brüchen und Rissen hindurch das Licht der neuen Schöpfung Gottes. Jetzt schon! Wir wissen und glauben: Diese neue Welt Gottes ist schon im Anbruch. Seit Ostern! Wie es denn auch in unserem Christuslied heißt: „Er wurde lebendig im Geist“, d.h. doch: Im Geist der neuen Schöpfung Gottes. Und in eben diesem neuen Geist – so läuft der Gedankengang – ist Er auch „hingegangen“ zu denen da unten in ihrem Gefängnis.

Ja, gewiss! Vorstellen können wir uns das nicht. Die damals konnten es nicht und wir heute noch viel weniger. Deshalb tut uns der Rat Luthers in seiner Predigt (von 1533) gut, wenn er sagt: „Wie aber solches zugegangen sei, sollen wir uns nicht mit hohen und spitzen Gedanken bekümmern“. Den Einfältigen und den Kindern gesteht er es durchaus zu, dass man für sie auch dieses Geschehnis „an die Wände zu malen pflegt, wie Christus hinunterfährt mit einer Fahne in der Hand, vor die Hölle kommt, und damit den Teufel schlägt und verjagt, die Hölle stürmt und die Seinen herausholt“. Wesentlicher jedoch ist ihm der Glaube, dass Christus damit „die Macht des Teufels zerbrochen hat und dass uns weder Hölle noch Teufel können schaden.“ Solcher Glaube allein rettet. In diesem Glauben liegt die ganze Kraft der Rettung Gottes.

Für alle – auch für die vorangegangenen Generationen

Der andere Schlüssel, der uns für dieses dunkle, schier unbegreifliche Gotteswort öffnen kann, liegt in folgender Erwägung: Petrus schreibt, bzw. in dem von ihm vorgetragenen Lied heißt es: „damit Er uns zu Gott führte“. Bei dieser Aussage – so stellen wir uns das einmal vor – haben sich besorgte Anfrager zu Wort gemeldet: Für wen soll das gelten? Wer sind die „uns“? Noch direkter gefragt: Sind das wir, die Adressaten dieses Briefes hier in der römischen Provinz Asia oder auch alle anderen, die inzwischen die Botschaft von Christus gehört und angenommen haben? Oder? ... Ja: tief Luft nehmen! Was ist aber dann mit all unseren Vorfahren, mit den Generationen vor uns? Die hatten nicht das „Glück“, das Wort vom Kreuz zu hören und konnten sich nicht taufen lassen! Gab es denn damals auch so etwas wie die „Gnade der späten Geburt“?

So muss nun Petrus „alle Register“ seines theologischen Könnens und Wissens aufbieten. Weit, fast unendlich weit ist der Horizont, den er abschreitet, um alle die zu erfassen, die „Er zu Gott geführt“ hat. Nicht nur einen weiten geographischen Horizont, sondern auch einen geschichtlichen. Bis weit zurück in die biblische Urgeschichte geht sein Blick. Wohl wissend, dass die Lehrer der Synagoge zu seiner Zeit dies als gesicherte Erkenntnis weitergegeben haben: Jener Teil der Menschheit, der vor der Zeit der Sintflut gelebt hat, der ist nicht mehr in den sonst so universalen Heilsplan Gottes mit einbezogen.

Doch nun ist dies überholt. Die Lehrer und Zeugen des Evangeliums mit ihrer Botschaft von Karfreitag und Ostern, die wissen es anders. In Gottes Heilsplan sind sie alle mit eingeschlossen. Auch die, die zu ihren Lebzeiten die frohe Botschaft nicht haben selber hören können. Selbst für sie hat der göttliche Heilsplan eine Chance. Denn der Weg des Christus hat auch ihren Weg gekreuzt.

Tröstung und Vergewisserung

Gerade für die älteste Christenheit war dieses Stück im Ganzen des christlichen Glaubens von hoher Wichtigkeit. An ihr hing ein elementares seelsorgerliches Interesse, für das auch wir heute noch durchaus einiges Verständnis haben können. Petrus hat damit ein kleines, aber wichtiges Kapitel „Tröstungen“ geschrieben: Trost für Trauernde, Vergewisserung für Zweifelnde, Zuspruch für tief Beunruhigte. Denn so ist es doch: Die Zurückbleibenden – wie oft würden sie ja so gerne noch etwas tun für die, die ihnen voran gegangen sind. Doch: „Wie mag solches zugehen?“ (Vgl. Joh 3,9). Sie sind uns Lebenden entnommen. Es trennt uns von ihnen eine unüberbrückbare Kluft. Äußerstenfalls kann unser liebendes Gedenken, auch im Gebet, sie erreichen. Denn „Liebe höret nimmer auf“. Aber – retten? Nein, das können sie nicht. Am vergangenen Geschehen können sie nichts mehr reparieren.

Umso mehr: Was für ein Trost! Welch ein Wunder der Gnade Gottes! Welch eine Entlastung für schwer belastete Gewissen! Er – er bringt auch das noch in Ordnung! „Die Vergangenheit wird ihrer Unabänderlichkeit beraubt“ (W. Stählin). Seinem heilenden Wort und seinem zurechtbringenden Handeln kann nichts mehr im Wege stehen. Es ist alles vollbracht.

Er hat alles wohlgemacht

In seiner oben erwähnten Predigt gibt Luther zu erkennen, dass er sehr wohl um den seelsorgerlichen Stellenwert dieses Glaubens an „Seine Höllenfahrt“ weiß. Er respektiert ihn und will dem, dem damit geholfen ist, nichts wegnehmen. Aber für ihn steckt in dieser Botschaft noch mehr drin. Für ihn ist sie gleichsam das Vorspiel zum endgültigen Triumph Christi an seinem Ostermorgen. Der „Kern und Trost“ dieses „Karsamstag-Glaubensartikels“ hat nichts anderes zum Inhalt, als dass an uns und allen, die auf Christus getauft sind, der Teufel seine Macht verloren hat und dass uns weder Hölle noch Teufel weiter gefangen nehmen können. Noch bevor das grandiose „Resurrexit“ (Er ist auferstanden) die Grabesstille des frühen Ostermorgens zerreißt, grüßt uns schon die Botschaft: „Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes“! Kein Tod und kein Leid, keine Gewalt noch irgend eine Macht. (Vgl. Römer 8, 38f).

Zum Beschluss

Wenn uns nun an diesem stillen Samstag, dem Tag vor Ostern, der Weg auch über einen Friedhof führt an ein Grab, das uns mit Schmerz und Trauer erfüllt, zu einem Kreuz mit einem Namen, der uns nicht so leicht Ruhe gibt, dann möge uns diese Botschaft aus dem ersten Petrusbrief auch dorthin begleiten. Sie gilt allen, die da „Leid tragen“. Die Taufe aber ist und bleibt das Siegel auf Gottes Zusage.

Gebet:

Du Gott des Lebens,
in deiner Kraft ist dein Sohn, unser Herr Jesus Christus,
in das Reich des Todes hinabgestiegen,
damit er die Macht des Todes breche.
Wir freuen uns dieser Botschaft
und bitten dich: Lass uns, die wir gefangen sind in Todesfurcht,
an diesem Glauben festhalten, dass Christus das Tor zum Leben
aufgestoßen hat und Er die Seinen von den Banden der Sünde
und des Todes befreit zum ewigen Leben.
Lebendiger Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist:
Bleibe du unsere Hoffnung in Zeit und Ewigkeit. Amen.

(Nach EvGottesdienstBuch 1999, S. 315 zu Karsamstag)

Dr. Hartmut Jetter
Oberkirchenrat i.R., Stuttgart


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