Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Ostersonntag, 11. April 2004
Predigt über 1. Korinther 15, 1-11, verfaßt von Anna Polcková (Slowakei)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Ein Sprichwort sagt: Wenn eine Lüge hundertmal wiederholt wird, wird sie zur Wahrheit. Es spricht eine alte, sich immer wieder bestätigende Erfahrung aus.

Leider – sehr oft – erleben wir, dass es nicht darum geht, was der Mensch im Kopf hat, sondern wie sein Kopf aussieht. Es spielt keine Rolle, was ein Mensch sagt. Es geht allein darum, dass er sich als von seiner Wahrheit hundertprozentig überzeugt darstellt.

Doch ist dies eine tatsächlich unabänderliche Regel? Ein Gesetz, das schon immer und auf Dauer gilt? Wahrheit und Gerechtigkeit jedenfalls werden so relativiert. Ihre Gültigkeit wird abhängig von jener Welt.

Es stört uns kaum mehr, wenn es Menschen an der Fähigkeit zu kritischer Selbstreflexion mangelt und sie über ein ungesundes Selbstbewusstsein verfügen. Solche Leute vertreten um uns herum die Positionen, um die sich die Tüchtigeren gar nicht erst zu bewerben versuchen. So entscheiden diejenigen über wichtige Dinge, die sich zu produzieren und zu präsentieren wissen. Dienst, Geduld oder Ausdauer sind ihnen fremd.

Wir werden und sind Zeugen von Zusammenhängen, die beweisen, dass moralische Defizite, Charakterschwäche, einseitige und beschränkte Wahrnehmung der Probleme sich anmaßen, an die Stelle der Mühe von vielen ehrlichen, opferbereiten, fleißigen Menschen zu treten.

Die Geschichte zeigt uns, dass so etwas oft geschehen ist. Doch soll es darum als selbstverständlich gelten?

Ist es recht, wenn wir uns damit abfinden, dass Christus, der weise Lehrer, der empathische Heiler, der opferbereite Freund und Bruder, gestorben ist? – Lassen wir zu, dass das Evangelium so endet?

Ich hoffe: nein. Ich hoffe, dass wir einem von den Aposteln erlauben, uns daran zu erinnern, dass Jesus auferstanden ist. Er lebt. Er lebt wahrhaftig.

Sein Sieg ist die Quelle unserer Erwartung an die neue Welt Gottes, die Welt anderer Regeln und anderer Maßstäbe.

LESUNG des Predigttextes: 1. Korinther 15, 1-11.

Es gibt Dinge, die wir beständig tun müssen. Zum Arztsein reicht es nicht, das Studium an der medizinischen Fakultät abgeschlossen zu haben. Ein Arzt muss sich weiterbilden, sich mit der Problematik beschäftigen, in der er sich bereits auskennt. Sonst verlieren sein Diplom und der akademische Titel an Bedeutung.

Was tun wir immer fort, Brüder und Schwestern? Was dürfen oder wollen wir nicht vergessen? Meistens stehen der Beruf im Mittelpunkt unserer Interessen, die Kinder und die Familie. Wir sorgen dafür, dass wir Arbeit haben. Wir setzen viel Zeit ein für die Karriere, damit wir uns entfalten können. Ebenso liegen uns unsere Kinder am Herzen: Sie sollen sich vielseitig entwickeln, damit ihre Gaben ausgebildet werden und nicht brach liegen. Wir kümmern uns um die älter werdenden Eltern.

Im Mittelpunkt unserer Interessen stehen vor allem Aufgaben, Pflichten, Aktivitäten. Und manchmal folgt daraus nicht der gewünschten Erfolg, sondern nur Überlastung, Erschöpfung, Müdigkeit und Nervosität. Deshalb ist es so wichtig, dass uns Paulus erinnert, erinnern will an das Evangelium.

Wir sind immer „auf Empfang“: Wir hören zu, wir lesen, wir sehen Nachrichten im Fernsehen; wir schreiben und bekommen E-Mails, unsere Mobiltelefone sind ständig eingeschaltet. Nur wenige der empfangenen Nachrichten sind positiv. Eher machen sie uns müde, als dass sie uns Freude bringen. Selbstverständlich sieht man uns das, was uns nährt, an.

Es ist paradox: Die Informationsquellen der Menschen, die uns befriedigen mit ihrem Gesetz des Stärkeren, der Erfolgreichen, sie lassen uns abstumpfen in der Menschlichkeit, im Gefühl. Wir erreichen den Punkt, dass wir die Probleme und Spannungen dieser Welt allein nicht tragen können.

Deshalb hat Gott uns sein Evangelium geschenkt. Er hat für uns „gute Nachrichten“, sein Evangelium. Das Evangelium unterstützt uns, es hält uns, es motiviert uns, damit wir in der Liebe bleiben, an den guten Bemühungen und am guten Willen festhalten. Das Evangelium warnt uns, dass nicht alles Gold ist, was glänzt.

Das Evangelium lässt darauf aufmerksam werden, dass das, was unsere Augen und Sinne mit Wohlgefallen ansehen, von Gottes Widersacher stammen kann. Er weiß, was uns gefällt, und macht seine Angebote attraktiv, damit wir auf sie eingehen.

Vielleicht wehren wir uns gegen solche Gedanken. Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter! Die Rede vom Kampf zwischen dem Guten und Bösen mag uns zu philosophisch erscheinen, fremd und unbegreiflich.

Indes, es reicht, auf die Früchte zu sehen: Was hinterlässt jemand, was sät er?

Das ist der Faktor, der entscheidet. Die Tatsache, dass wir an etwas arbeiten und dass wir aktiv sind, muss noch nicht bedeuten, dass unsere Mühe auch Sinn hat. Es ist möglich, dass wir uns belasten, uns belasten lassen, uns unablässig bemühen, und unsere Mühe ist doch vergeblich. Es ist trügerisch.

Die gute Nachricht des Paulus heißt: Ich erinnere euch, Brüder, an das Evangelium, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch fest steht, durch das ihr auch selig werdet, wenn ihr es festhaltet in der Gestalt, in der ich es euch verkündigt habe, es sei denn, dass ihr umsonst gläubig geworden wärt.

Ist seine Verkündigung für uns eine Frage danach, wie wir, Brüder und Schwestern, es mit Gottes Evangelium halten, das wir von unseren Eltern, bei der Konfirmation, in der Kirche angenommen haben? Erinnern wir uns an es? Lassen wir zu, dass das Evangelium in uns wirkt? Oder lassen wir uns von den Sprichwörtern überzeugen, die die Erfahrung der Menschen ohne Gott schildern? – Auch die Sprichwörter sind leider wahr.

Gott kennt die Auswirkung, die vergebliche Mühe auf uns hat. Er weiß, worunter wir leiden, wenn wir keine Anerkennung bekommen, wenn wir uns vergeblich bemühen. Er weiß, wie schnell wir ausbrennen können – in den Beziehungen und in der Arbeit. Deshalb setzt er alles daran, dass wir annehmen, was wir für unsere Entfaltung und zum Wachsen brauchen.

Das Evangelium ist das Evangelium von Jesus Christus. Es spricht nicht nur von seinen Aktivitäten und Taten. Seine Passivität in der Passion entdeckt uns die schmerzhafte Tiefe von Feigheit, Ablehnung, Verzweiflung der Menschen, die zu erlösen er gekommen ist.

Das Evangelium endet nicht mit dem Tod. Die hundertmal wiederholte Lüge ist für Gott keine Wahrheit. Christus ist von den Toten auferstanden. Gott lässt sich nicht von seinem Geschöpf belügen. Er lässt sich nicht in den Hintergrund drängen. Und das sollen alle erfahren.

Christus hat diese Welt nicht verlassen, so dass wir uns das Ende seines Leben ausmalen, es idealisieren oder über es nachgrübeln müssen. Er ist von den Toten auferstanden und hat sich offenbart. Er hat sich Petrus, Jakobus und Paulus und vielen anderen offenbart.

In den drei genannten finden wir Prototypen der Menschen, die für den lieben Gott eine große Bedeutung haben.

Jesus hat sich Petrus offenbart, demselben Petrus, der Jesus dreimal verleugnet hat. Wir würden mit einem solche Menschen nie mehr etwas zu tun haben wollen, wenn er auch noch so wehklagen würde. Aber der von den Toten auferstandene Jesus fragt gerade nach ihm. Die Frauen, die vom leeren Grab weggehen, sollen gerade Petrus Zeugnis geben. Der Herr interessiert sich für ihn. Petrus soll wissen, dass er eine neue Chance bekommt. Und auch Du und Ich, die wir uns für das Evangelium geschämt haben, weil es in dieser Welt alt, fremd, unrealistisch, verloren erscheint, sollen wissen: Jesus vergibt großzügig, er gibt eine Chance – auch nach der Situation, die ich nicht bewältigt habe, auch in dem Fall, dass ich völlig versagt habe.

Jesus offenbart sich Jakobus, seinem Bruder. Die Evangelien erzählen, dass die Familie Jesus nicht verstanden hat. Sie glaubte nicht an ihn. Mutter und Brüder haben ihn mehrmals nach Hause gerufen, wenn er sich fremden Leuten zugewandt hatte: „Warum versteht er nicht? Warum will er anders sein als andere?“ – Die Verwandten verstehen nicht, dass Jesus die Sendung akzeptiert, mit der der Himmlische Vater ihn beauftragt hat. Es ist überaus schwierig, in der eigenen Familie Zeugnis abzulegen, wo alle unser Verhalten und unsere Eigenarten kennen, auch das, was wir am liebsten verbergen möchten. Dort muss sich Jesus selbst offenbaren – denen, die in der Familie Zeugnis geben, wie denen, die sein Zeugnis nicht achten, es unterschätzen oder ignorieren.

Schließlich nennt sich Paulus selbst. Jesus stößt selbst solche Menschen nicht zurück, die ihn ihrerseits vehement bekämpfen. Jesus braucht auch diejenigen, die Paulus ähnlich sind. Saulus/Paulus ist jemand, von dem anzunehmen ist, dass er genauso eifrig wird bei der Verkündigung des Evangeliums, wie er es bei der Verfolgung war. Jesus lässt sich nicht beirren. Deshalb spricht er Saulus an. Jesus hat sich bei niemandem unter uns geirrt. Auch mir, auch dir offenbart er sich, weil er uns als seine Apostel haben will. Er weiß, was er von uns verwenden kann.

Vielleicht konzentriert sich unsere Aktivität immer noch auf die Verachtung und auf die Verfolgung guter Absichten. Aber Gott kennt uns. Wenn wir in seinem Evangelium bleiben, offenbart er sich uns so, dass wir verstehen. Er zeigt uns, worauf wir uns konzentrieren sollen, wie er es Saulus/Paulus gezeigt hat.

Diese Offenbarung war nicht angenehm – Saulus lag einige Tage danieder, aber die Offenbarung war sehr wirksam. Paulus wandte sich dem Weg der Erlösung zu und hat das Evangelium darüber hinaus anderen verkündigt.

Die Aktivität, die aus dem Evangelium kommt, führt zu einem gesunden Selbstvertrauen. Paulus redet von sich selber realistisch. Er verschweigt seine Vergangenheit nicht: Er ist es nicht wert, dass er Apostel heiße, denn er hat die Gemeinde verfolgt. ABER.... durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen.

Paulus konnte aus der Gnade arbeiten. Die angenommene Gnade hat ihn nicht in den Hintergrund gedrängt, sondern hat ihn zum mächtigen und überzeugten Zeugnis mobilisiert.

In der Kirche stand Paulus nicht unangefochten da. Die Konkurrenz anderer Prediger in Korinth verschweigt er nicht. Er versucht, die Probleme auf den rechten Weg zu bringen. Denn er weiß, dass alle menschliche Mühe in Gottes Gnade beginnt und endet, damit sie nicht vergeblich wird.

1. Kor. 3,3-7 schreibt er: „Denn wenn Eifersucht und Zank unter euch sind, seid ihr da nicht fleischlich und lebt nach Menschenweise? Denn wenn der eine sagt: Ich gehöre zu Paulus, der andere aber: Ich zu Apollos –, ist das nicht nach Menschenweise geredet? Wer ist nun Apollos? Wer ist Paulus? Diener sind sie, durch die ihr gläubig geworden seid, und das, wie es der Herr einem jeden gegeben hat: Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen; aber Gott hat das Gedeihen gegeben. So ist nun weder der pflanzt noch der begießt etwas, sondern Gott, der das Gedeihen gibt.“

Dies ist der Dienst, der aus guten Nachrichten kommt, aus der verständlichen, persönlichen Offenbarung und daneben aus gesundem Selbstvertrauen. Hier zeigt sich die Einstellung, die jeder von uns in der Welt zum Ausdruck bringen soll, – zu seinen Aufgaben, Pflichten und Aktivitäten.

Das ist der Weg, der zum lebendigen Glauben, zu Liebe, Hoffnung und Erlösung führt, der Weg zum Leben und zu Beziehungen, in denen wir ohne Angst kommunizieren können, ohne die Befürchtung, dass wir jemanden hindern oder mit jemandem im Wettbewerb stehen.

Wenn wir den lebendigen Christus in uns zu Wort kommen lassen, werden wir in seiner Gnade an den Dingen arbeiten, die Sinn haben. Dann wird unsere Mühe gesegnet.

Wir können Gott nicht belügen. Vor ihm können wir unsere Lüge tausendmal wiederholen, er nimmt sie nie als Wahrheit an.

Nein, wir können die Welt nicht verändern. Aber wenn wir uns von Christus erlösen und ändern lassen, siegen wir in der Gemeinschaft mit ihm. Möge Gottes Arbeit an uns nicht vergeblich sein.

Amen.

Anna Polcková
polckova@stonline.sk

 


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