Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Ostermontag, 12. April 2004
Predigt über 1. Korinther 15, 12-20, verfaßt von Rainer Stahl
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Leserinnen, liebe Leser,
liebe Schwestern und Brüder,

wie lange hält Ostern vor?
Wie bei Weihnachten verlagert sich ja auch bei Ostern alles immer weiter nach vorne. Seit vielen Wochen gibt es schon Schokoladenhasen, Schokoladenkücken und andere Ostersüßigkeiten in unseren Geschäften. Viele meinen, die Woche vor Ostern wäre die Osterwoche und heute sei eigentlich alles schon wieder vorbei.
Merkwürdig! Das Geheimnis des Wartens und der Vorbereitung geht verloren. Das Wissen und Erleben geht verloren, dass ein Fest einen besonderen Reiz gewinnt – hier schreibe ich bewusst: gewinnt! –, wenn wir nicht hineinstolpern, sondern Phasen des Verzichts und des Wartens vorschalten. Nun wissen wir „Evangelischen“, oder auch: „Protestanten“, kaum, haben wir kaum erlebt, dass die Adventszeit in vielen Kirchen eine Fastenzeit ist, eine Vorbereitungszeit der Entbehrung. Aber, dass vor Ostern die Erinnerungszeit an den Leidensweg Jesu abläuft, an seine Verurteilung zur Kreuzesstrafe, an seinen schrecklichen Tod, das ist uns doch eigentlich klar.
Wieso halten dann viele die Karwoche für die Osterwoche? Wieso kommt es vor, dass Paare an Karfreitag, oder Karsamstag heiraten wollen – wohlgemerkt: kirchlich heiraten wollen? Wie es in der DDR unter der Situation, dass der Ostermontag als Feiertag abgeschafft war, schon geschehen ist!
In diesem Jahr hat uns – die wir ihn gesehen oder von ihm gehört haben – der schreckliche Spielfilm über die letzten Stunden im irdischen Leben Jesu vielleicht solche Unsicherheiten ausgetrieben: Ostern ist nicht schon vorher; Ostern beginnt wirklich in der Nacht zum Ostersonntag; Ostern beginnt mit der Verkündigung:
„Christus ist auferstanden!“
Und da wird nun wichtig: Wie lange hält Ostern vor?

Damit ist uns die Frage bewusst geworden, was Ostern bedeutet:
„Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlt’s im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurückzusehen.
Aus dem hohlen, finstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden,
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.“

Seien wir ehrlich: So würden wir es vielleicht nicht unbedingt sagen; in unserer Zeit wären andere Vergleiche wichtig, wie:
„durch guten, neuen Arbeitsplatz mit neuem Lebenssinn voran;
auf Grund von Versicherungsleistungen gewiss in die Zukunft…“
Aber genau das, was da Goethe so künstlerisch ausgesprochen hat, meinen und hoffen wir doch auch: Ostern der Anfang neuer Zuversicht, neuen Optimismus’, neuen Aufbruchs in unserem Leben.

Mit allem, die so Ostern feiern können, freue ich mich mit. Das ist schon viel. Da können wir uns wünschen: Frohe Ostern!

Aber – durchaus ist ein großes „Aber!“ nötig –, aber: Das ist nicht genug!
Für diejenigen Ostern das ist, die gehören – so Paulus! – zu den Elendsten unter den Menschen:
„Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus,
so sind wir die elendesten unter allen Menschen.“
Ostern hält viel länger vor!

Der eigentliche Clou des Osterfestes ist es gerade, dass es Hoffnung über unseren Tod hinaus, – ich muss hier persönlich reden, denn das kann nur ein persönliches Glaubenszeugnis sein – über meinen Tod hinaus eröffnet.

Nicht nur in unserer Zeit, nicht nur bei uns – Christen und Nichtchristen –, sondern schon zur Zeit des Paulus – sogar in den kleinen Gemeinden, die er gegründet hatte – war dies umstritten. Das Osterbewusstsein war auch damals gestaffelt. Viele blieben – wie heute – bei den Hoffnungen und Erwartungen für unser Leben hier: für die Gesundheit, für den Lebenssinn, für das Wohlbefinden. Diejenigen, bei denen das so ist, will Paulus ansprechen und mitnehmen hin zum letzten und eigentlichen Sinn des Osterfestes, hin zur Hoffnung über unser Leben hinaus.

Solche Hoffnung ist nun nicht begründet in einer allgemeinen Liebe Gottes uns allen gegenüber – egal, was wir so glauben. Solche Hoffnung ist begründet im Anklammern an den Jesus.

Paulus macht es mit seinem Gedankengang ganz deutlich; das Osterfest ruft uns diese Wahrheit wieder in Erinnerung: Aus dem Vertrauen in die Auferweckung des gekreuzigten Jesus ist Hoffnung zu gewinnen. Genauer: Nur aus diesem Vertrauen ist Hoffnung zu gewinnen. Aus sonst nichts. Weil:
„Nun aber … Christus auferstanden [ist] von den Toten
als Erstling unter denen, die entschlafen sind,“
können auch wir für uns und für unsere Verstorbenen Zuversicht haben. Ausschließlich und völlig kommt es darauf an, dass wir auf die Auferweckung des Christus vertrauen. Dass wir den Ostergruß:
„Christus ist auferstanden!“
für uns beantworten, ihn so auf uns und unser Lebensschicksal beziehen:
„Er ist wahrhaftig auferstanden!“

Dazu lade ich Sie ein. Vielleicht legt dieser schreckliche Jesusfilm – ich habe ihn nicht gesehen – in überraschender Weise dazu eine Grundlage. Das wäre mein Wunsch.

Denn die wenigen Szenen, die ich in den Fernsehnachrichten aufnehmen konnte, haben mir gezeigt: Dieser Film ist keine Verfilmung des historisch denkbaren Kreuzigungsgeschehens. Vielmehr ist er eine Verfilmung der Bildtraditionen der Kirche. Und diese Bildtraditionen deuten ja schon, interpretieren das grausige Geschehen vom Osterglauben her:
So wird der vom Kreuz Abgenommene in die Arme seiner Mutter gelegt. Davon steht nichts im Neuen Testament! Aber es ist ein Bild für den durch den Glauben der Kirche in Erinnerung bewahrten und verkündigten Gemordeten, ein Bild für den für uns – für mich! – gemordeten Jesus. Schon diese Szene deutet das Grauen. Sie deutet es von der Erfahrung von Ostern her.
So zeigt der Film den Vorgang der Auferstehung in der Weise, dass der Geschundene völlig verwandelt aus dem Grab hervorkommt. Ganz bewusst erzählen die neutestamentlichen Texte dies gerade nicht! Aber wir kennen solche Bilder von christlichen Gemälden, die den Glauben verkündigen wollen. Genau dazu lädt also letztlich auch dieser Film ein – diejenigen ein, die durchgehalten haben.

Und auch ich lade Sie ein zu dieser großen Osterwahrheit:
Für uns, für mich ist Christus auferweckt. Ich kann alle Todesängste zurücklassen und ganz von der aus dieser Botschaft erwachsenden Lebenshoffnung her durch meine Tage gehen!
Amen.

Dr. Rainer Stahl
Generalsekretaer des Martin-Luther-Bundes
E-Mail: gensek@martin-luther-bund.de


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