Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Miserikordias Domini, 25. April 2004
Predigt über 1. Petrus 2, 21b-25, verfaßt von Charlotte Hoenen
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Predigttext 1. Petrus 2, 21-25 (nach der Übersetzung Martin Luthers):

21 Denn dazu seid ihr berufen,
da auch Christus gelitten hat für euch
und euch ein Vorbild hinterlassen,
dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußtapfen.

Er, der keine Sünde getan hat und in dessen Mund sich kein Betrug fand,
23 der nicht widerschmähte, als er geschmäht wurde,
nicht drohte, als er litt;
er stellte es aber dem anheim, der gerecht richtet.

24 Er hat unsere Sünde selbst hinaufgetragen an seinem Leibe auf das Holz,
damit wir, der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben.

Durch seine Wunden seid ihr heil geworden.
Ihr wart wie die irrenden Schafe;
Aber ihr seid nun bekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen.

Liebe Gemeinde!

Obwohl es Osterzeit, Freudenzeit ist, hören wir mit dem Predigttext ein altes Christuslied, in dem Jesu Leiden und Sterben im Mittelpunkt stehen. Wie ist das zu verstehen?

(1) Ostern – gegenwärtiger Karfreitag
Ostern deutet das Geschehen des Karfreitags, die Auferstehung ist die Vergegenwärtigung des Kreuzes, Ostern setzt den Kreuzestod Jesu in Kraft! Dabei war dem 1. Petrusbrief das überlieferte Glaubensgut hilfreich, z.B. das Gottesknechtslied aus Jesaja 53. Das Leiden Jesu, das gleich dem des Gottesknechtes sinnlos erscheint, erhält von Gott Bedeutung für alle Menschen bis in unsere Gegenwart. Ich erinnere, wie Lukas Cranach in der Predella des Altars der Wittenberger Stadtkirche den reformatorischen Glauben ins Bild gesetzt hat: Der Prediger Martin Luther steht auf der Kanzel am Rand und weist auf den Gekreuzigten im Zentrum des Bildes. Das Leiden und Sterben Jesu sind Mitte der Predigt und Inhalt des Auferstehungsglaubens. Damit ist von Ostern her deutlich: Das Kreuz ist eine Durchgangsstation, aus ihm erwächst neues, verändertes Leben.

Was hat sich durch Ostern heute verändert? In Politik, Wirtschaft und Gesellschaft hat Ostern nichts Grundlegendes verändert. In jedem der Gesellschaftssyssteme gibt es Menschen, die am Rande leben, die Ungerechtigkeit erleiden – und oft nicht einmal selbst klagen können. Gleiches Recht für alle, soziale Gerechtigkeit, Mitbestimmung aller sind keine politische Wirklichkeit, sondern bleiben zukünftige Ideale, die immer noch auf Verwirklichung warten. Auch die kommunistische Idee, nach der jeder nach seinen Bedürfnissen leben könne, blieb eine Utopie.

Die Realität des Zusammenlebens von Menschen sieht so aus, wie sie uns im Zusammenhang des Predigtabschnitts in der Anrede an die Sklaven begegnet (V. 18-20): In der „Sklavenhaltergesellschaft“ – ich habe Geschichtsunterricht in der DDR gehabt! – waren Menschen als Sklaven Sacheigentum ihres Besitzers. Ihnen wurde keine Menschenwürde zugesprochen. Sie waren der Gewalt ihrer „Herren“ auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Wir meinen, das sei zum Glück geschichtlich überwunden! Doch in unserem Land leben zehntausende Menschen schlimmer als die Sklaven damals: Frauen aus Ost- und Südosteuropa, die zur Prostitution mit brutalsten Mitteln gezwungen werden. Jede Nacht werden sie von mehreren Tausend Männern unseres Landes als Objekte benutzt. Es scheint so, dass ein demokratischer Rechtsstaat dagegen machtlos sei, dass er keine Mittel habe, dagegen einzuschreiten. Aber das sind nicht die einzigen Versklavungen unserer Zeit, die sich in den Beziehungen von Menschen heute ereignen.

(2) Verfolgte folgen
Das Neue, das der 1. Petrusbrief von dem Geschehen an Karfreitag und Ostern an uns vermittelt, ist: Gerade auch die Menschen, die am tiefsten gedemütigt werden, wie die Sklaven, haben einen gleichberechtigten Platz und eine Menschenwürde vor Gott und in der Gemeinde Jesu Christi. Sache der Kirche und der Christen ist nicht der Umsturz politischer Ordnungen – darin werden auch heute Christen dem 1. Petrusbrief widersprechen – , sondern der Einsatz für neue Wege aus Ungerechtigkeit und das Erlernen einer Haltung, mit Demütigungen umzugehen. Der Schreiber des Briefs wandte sich an Christen, die selbst Betroffene sind, weil sie mit ihrer Lebensweise im Widerspruch standen zu den gesellschaftlichen und kulturellen Erwartungen des Römischen Reichs. Sie wurden verdächtigt, verleumdet, bekämpft. Die Welle der ersten Christenverfolgungen erreichte in Abständen die Gemeinden.

Wir sind heute weit entfernt von einer solch akuten Verfolgungssituation. In der DDR war es von Beginn an Praxis, Christen zu verspotten und sie in Bildung und Beruf zu benachteiligen. Ich kenne Beispiele, dass ein Lehrer eine Klasse aufforderte: Wer zu Christenlehre geht, der steht jetzt auf! Zwei oder drei Kinder erhoben sich. Darauf der Lehrer: Jetzt lacht die mal aus, die so rückschrittlich sind! Heute trifft der Spott seltener den Einzelnen als vielmehr – versteckt, unterschwellig oder offen – die Kirchen oder die grundsätzliche Haltung des Glaubens. Der christliche Glaube wird belacht, gilt als vorgestrig oder erledigt, obwohl dabei auch mit Recht seine Relevanz, seine Wirkung bzw. Wirkungslosigkeit angefragt sein kann.

Wie sollen Christen lernen, mit dem Leiden und Verletzt-Werden umzugehen?
Der Apostel stellt der damals verfolgten Gemeinde mit dem Christuslied den Weg Jesu vor Augen. Er ermutigt dazu, sich auf zweierlei Weise, anhand zweier Bilder, auf den Weg zu machen: Übernehmt das Verhalten Jesu für euch wie eine Schreibvorlage – Luther übersetzt „Vorbild“ – und zeichnet mit eurem Leben Jesu Vorlage nach! Das kostet Mühe und Übung und will – wie bei den ABC- Schützen – nicht gleich perfekt gelingen. Und: Folgt den Fußspuren von Jesus! Er hat es geschafft – ihr schafft das auch!

Diese Bilder rufen bei denjenigen Widerspruch hervor , die sich nach Freiheit und Selbstbestimmung sehnen und ihn im christlichen Glauben suchen. Hat die Nachahmungs- und Vorbild-Pädagogik nicht gerade eine Gehorsamsmoral gefördert , die viel Unglück und Leid in der Geschichte heraufbeschworen hat? Doch hier ist das Thema der Nachfolge angeschlagen, als Weg der Bindung an Jesus, der zu verantwortlichem Handeln in Freiheit führt . In diesem Zusammenhang ist es gut, an Dietrich Bonhoeffers Nachfolge-Ethik und an einige Sätze aus seiner „Nachfolge“ zu erinnern: „ Der Ruf in die Nachfolge ist also Bindung an die Person Jesu Christi allein, Durchbrechung aller Gesetzlichkeiten durch die Gnade dessen, der ruft. Er ist gnädiger Ruf, gnädiges Gebot. Er ist jenseits der Feindschaft von Gesetz und Evangelium. Christus ruft, der Jünger folgt. Das ist Gnade und Gebot in einem.“ (Nachfolge, EVA Berlin 1956, 28).

(3) Jesus – Stopschild im Kreislauf des Bösen
Das Christuslied des 1. Petrusbriefs (V. 22.23) weist für die Nachfolge auf die Gestalt Jesu selbst hin: Er wandte keine List an, kein Betrug kam aus seinem Mund. Als er verschmäht und erniedrigt wurde, zahlte er es nicht zurück. Er drohte nicht mit Rache, als er litt, sondern betete: „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“. Im Vertrauen auf Gott überließ er es ihm, das Unrecht in Ordnung zu bringen. Er verzichtete auf Gegengewalt und Vergeltung. In der Bergpredigt hatte er es so anschaulich gemacht: „Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar!“ (Mt. 5,39). Mit seinem Verhalten setzte Jesus ein Stop-Schild im Kreislauf des Bösen und des Unrechts.

Diese Haltung, der Gewalt ein Stop-Schild entgegen zu halten, erfordert eine innere Stärke und das Vertauen: Ich komme da hindurch. Jesus hat es auch geschafft!
Es kann sein: Der Gewalttäter und Verächter lässt von seinem Tun ab, aber es kann auch sein, die Aggression und Zerstörungslust werden gegenüber einem „Dulder“ noch mehr gereizt und gehen bis zum Äußersten.

Deshalb besteht ein Risiko, in Jesu Fußstapfen zu treten und seine Vorlage zu benutzen. Aber wo es gelingt, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen – da hat sich der Einsatz gelohnt! Welche Stopschilder sind heute nötig, um die Terrorspirale im Nahen und Mittleren Osten zu durchbrechen und den weltweiten Bedrohungen Einhalt zu gebieten?

(4) Durch seine Wunden geheilt
Legen wir Jesu Schreibvorlage auf unser Lebensmuster, stellen wir immer wieder fest: Trotz unseres Bemühens weichen wir von der Vorlage ab und werden mitschuldig an den Ungerechtigkeiten in unserer Welt. Die Grenzen unserer Nachfolge werden uns am Ende des Weges Jesu, an seinem Tod, bewusst gemacht. Damit hat Jesus für uns etwas Entscheidendes getan, das wir nicht tun können (V.24): Er hat alles, was uns belastet und von Gott und seinem Willen trennt - unsere Sünde-, an das Holz des Kreuzes getragen. Die Sünde ist damit nicht ungeschehen gemacht, aber sie ist am Kreuz beiseite geschafft und von uns weggenommen. Sie kann uns nicht mehr niederdrücken und belasten. Ein homöopathischer Heilungsprozess im Weltmaßstab: Gleiches heilt Gleiches! Jesu Striemen und Verletzungen heilen unsere Verletzungen!

Wie Seele und Körper da zusammengehören, will ich an einem Erlebnis verdeutlichen. Ich lag im Krankenhaus. Neben mir quälte sich eine Frau, sie war krebskrank und bekam eine Chemotherapie. Es ging ihr elend, sie erbrach sich viele Stunden lang. Der katholische Priester kam, reichte ihr Brot: Christi Leib, für dich gegeben! Die Unruhe wich von ihr. Sie musste nicht mehr brechen. Indem sie Christi Leib in sich aufnahm, konnte sie ihre Krankheit auf sich nehmen und tapfer ertragen. Ertragen ist nicht nur passives Erdulden, sondern auch ein aktives Übernehmen von Lasten. Das geistliche Geschehen von Karfreitag und Ostern stärkt und erneuert den, der diese Kraft persönlich für sich annimmt. Im Sakrament des Abendmahls kann persönlich erlebt werden: „Durch seine Wunden seid ihr heil geworden!“

(5) Umgekehrt zur Hoffnung
Im letzten Vers des Predigttextes (V.25) wird noch einmal das Thema der Nachfolge aufgenommen, das nun auf den auferstandenen Christus bezogen wird: Ihr wart wie die irrenden Schafe; aber jetzt seid ihr umgekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen. Im Sakrament der Taufe geschieht diese Kehrtwendung, die die Lebensperspektive auf den guten Hirten Jesus Christus richtet. Ihm zu folgen und sich an ihm zu orientieren, das ist ein guter Weg.

Auch gegenüber dem Bild vom Hirten und den Schafen kann sich Protest melden, sich nicht wie ein dummes Schaf vereinnahmen zu lassen: Alles, was nach Zwang oder vorgefertigtem Lebensmuster klingt, das behindere die eigene Freiheit und Entwicklung. Aber so ausschließlich lassen sich Freiheit und Abhängigkeit nicht gegeneinander stellen. Gerade am Beispiel des Jugendalters kann man lernen, wie sich hohe Freiheitsansprüche mit Gruppenzwängen verbinden. Die verschiedenen Fan-Gruppen lassen in Bezug auf Musik, Kleidung, Sport, Sozialverhalten nur ihre Normen gelten, sie folgen ihren Stars und Idolen und grenzen sich gegen andere Gruppen und Richtungen ab. Alle Menschen werden beeinflusst von Vorlagen und Mustern, was sich Werbung und Reklamen zunutze machen. Es kommt darauf an, damit bewusst umzugehen und die Freiheit eigener Entscheidungen zu lernen.

Wenn sich Christen am auferstandenen Christus als dem „guten Hirten“ und „Bischof der Seelen“ orientieren, dann können sie mit Vertrauen in die offenen Räume der Zukunft gehen, weil sie sie vom „Hirten geborgen“ und vom „Aufseher bewahrt“ wissen, der die lebensbedrohenden Todesmächte gebannt hat. Damit gewinnen wir Lebensperspektive für die ungewisse Zukunft. Auf dem Weg seiner Spuren sind wir nicht allein, sondern in der Gemeinschaft derer, die sich immer wieder neu rufen lassen: berufen zur Nachfolge, geheilt vom Zwang zum Bösen, bekehrt zur Hoffnung des Lebens. Amen.

Charlotte Hoenen
Am Hasengarten 14a, 06120 Lieskau
rhoenen@t-online.de


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