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Kantate,
9. Mai 2004 |
Vorbemerkungen: 1. Die Epistel für den Sonntag Kantate ist ein überzeugendes Stück Paränese, in der doppelten Bedeutung von Ermahnung und Trost. 2. Da viele Ermahnungen aneinander gereiht sind, erlaube ich mir eine Auswahl: Liebe Gemeinde, Ich bin bei der Vorbereitung auf eine frühe Notiz gestoßen, die um das Jahr 100 nach Christus datiert ist. Christen aus dem 1. Jahrhundert berichten, daß sie am Sonntag vor Sonnenaufgang zusammen gekommen seien und für Christus im Wechselgesang ein Loblied angestimmt hätten. Man kann diesem Bericht abspüren, daß an jedem Sonntag Ostern gefeiert wurde, in aller Herrgottsfrühe, noch vor dem Aufstehen. Oder besser: Das frühe Aufstehen war gerade ein Hinweis auf die Auferstehung. Der Gouverneur von Kleinasien, der heutigen Türkei, mit Namen Plinius hat dies in einem Bericht an den römischen Kaiser Trajan festgehalten. Sie wurden als Christen denunziert und haben sich von diesem Glauben wieder abgewandt. Doch selbst aus der Distanz noch berichten sie von den Wechselgesängen auf Christus. Dies illustriert, welche hervor gehobene Rolle das gesungene Gotteslob in den frühen Gemeinden gespielt hat. Die Christen waren von Anfang an eine Singegemeinschaft und mögen es bitte auch bleiben. Sie haben Psalmen aus der hebräischen Bibel gesungen und bald auch eigene Lieder komponiert, "Hymnen" steht im griechischen Text und "Oden". 2. So ist es der Vers mit der Liebe allein nicht, der auf Brautpaare anziehend wirkt. Ob in den USA oder in Deutschland, die Paare haben in der Regel schon eine Weile zusammen gelebt und zusammen gewohnt. Sie haben die schönen Seiten der Beziehung kennen gelernt, aber auch die Macken und Unausstehlichkeiten, die beide an sich haben und die im täglichen Umgang erkennbar werden, mehr als einem lieb sein mag. Das Bemerkenswerte an diesem Abschnitt aus dem Kolosserbrief ist nun, daß er die Liebe über alles preist und zugleich eine kräftige Portion Nüchternheit in die Beziehung bringt. Sie wird nicht schön geredet. V. 13 lautet: "Ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!" Das ist Prosa und nicht Liebespoesie. O ja, es gibt eine Menge von schwer Erträglichem, das man wechselseitig aushalten muß. Wer die Flinte gleich ins Korn wirft, rennt dem gemeinsamen Leben davon und bleibt erst recht unbefriedigt. Wer standhält, lernt Durchhaltewillen. So kommt beides in die Beziehung: Liebe und Bereitschaft sich gegenseitig zu ertragen. Ich habe je länger desto mehr festgestellt, daß Brautpaare dankbar dafür sind klar Text reden zu können und nicht Schmus erzählen zu müssen. Je mehr sie davon loswerden können, desto größer wird die Chance für die Liebe, die eben doch das Band der Vollkommenheit ist. Wenn dann er große Tag der Hochzeit und die Trauung in der Kirche heran naht, kann es ein schönes Fest für das Paar und auch für die Angehörigen und Freunde werden. Diese können sich in die Situation ihrer eigenen Trauung versetzen, ob sie nun bereits zurück liegt oder noch vor ihnen. Sie können an sich vorüber ziehen lassen, wo die Liebe eine Himmelsmacht war oder ist und wo das schwer Erträgliche drückt. 3. Und doch: Wenn man keine Erklärung mehr hat für die Umtriebe unserer Gegenwart, kann man sich doch ans Klavier setzen oder an die Orgel und ihnen Töne entlocken, leise und laut grummelnde, und so einen ganzen Kosmos von Musik entstehen lassen. Und wenn es einem die Sprache verschlägt ob der krachenden Bomben, kann man sich doch in die Ecke setzen und aus der Gitarre Laute hervor zaubern. Ich vergesse nie ein Fernsehbild, das in Dubrownik in den 90ger Jahren aufgenommen wurde. Die schöne, alte kroatische Stadt wurde von Serben beschossen. Während die Schüsse einschlugen, stand auf einem Bürgersteig ein einsamer Cellospieler. Er wollte die Straße nicht dem mörderischen Spiel überlassen, er wollte die pfeiffenden Geschosse nicht die Szene beherrschen lassen. Er wollte einen Contrapunkt setzen mit seinem Cello, er spielte unter diesem Geschoßhagel, brachte sich selbst dadurch in Gefahr und setzte doch beherzt einen anderen Akzent: den der Kultur und Zivilisation. Musik kann Mut freisetzen. Es stimmt zwar: "Wir glauben längst nicht alles, was wir singen. Aber wir singen, damit wir Glauben lernen", hat ein Ausleger gesagt. Und damit wir Lebensmut gewinnen. Wir stimmen uns ein in das durchtragende Vertrauen. Viele Zeitgenossen bekommen Religion vermittelt auf dem Wege großer Musik. Oder durch eine einfache Melodie. Es stimmt eben doch: "Erd und Abgrund muß verstummen, ob sie noch so brummen." 4. Ich will ein Beispiel erzählen. In einer Gemeinde wurde mit 10jährigen Kindern die Jona-Geschichte behandelt. Die Erzählung von dem Propheten, der bei einem Seesturm ins tosende Meer geworfen, von einem großen Fisch verschluckt wurde und nun in dessen Bauch fest saß. Diese Situation spielten die Kinder nach. Sie verdunkelten den Raum, stellten Tische und Stühle so, daß mit einiger Phantasie das Gerippe eines Fisches zu ertasten war, und setzten sich hinein, dicht beieinander. In die Dunkelheit hinein und in das angstvolle Schweigen erzählte eine Mitarbeiterin leise und langsam die Geschichte, bis dahin, wo es heißt: Jona betete und lobte Gott im Bauch des Fisches. Da fingen die Kinder an zu singen. Sie zündeten dabei eine Kerze an, so daß es ein wenig heller wurde. Dann öffnete einer die Tür, Tageslicht fiel herein. Die Kinder sprangen auf und stürmten durch die Tür, die wie das große Maul des Fisches wirkte, ins Freie. Im großen Saal empfing sie fröhliche Musik, die Kinder begannen zu tanzen und zu toben. Sie ließen ihrer Freude freien Lauf, der Freude über Befreiung aus Dunkelheit und Angst. Sie hatten eine Ahnung davon bekommen, daß Gott aus der Enge und der Tiefe errettet. Wird sich dies Erlebnis festsetzen? Die Kinder haben gewissermaßen in der Geschichte gewohnt - wie im Bauch des Fisches -, haben gehört und gefühlt und getastet, Angst gehabt und Freude erfahren. Während sie dies alles erlebten, ist die Geschichte in sie hinein gewandert, hat in ihrem Inneren Wohnung bezogen, dort einen eigenen Raum geschaffen und gestaltet. "Ich bin klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein", heißt ein bekanntes Kindergebet. Ist es möglich, daß Jesus durch Bilder, Gleichnisse, Geschichten im Inneren junger Menschen wohnt? O ja, er kann sie ausfüllen, bereichern, beflügeln. Es ist auch möglich, daß erwachsen Gewordene auf solche Geschichten zurückgreifen. Sie haben einen Raum innerer Freiheit gewonnen, und innere Stärke gibt äußere Kraft. Amen Landessuperintendent i. R. Dr. Hinrich Buß
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