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Kantate,
9. Mai 2004 |
So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut und Geduld; Der Apostel Paulus schreibt an seine Glaubensbrüder in Kolossä und seine klaren Vorstellungen vom „rechten Leben“ der Christen äußern sich hier in unserem Abschnitt mit der Forderung eines – wie wir es heute nennen würden – „zivilisierten“ Zusammenlebens. Die Verse 16 und 17 sind wohl auch der Grund, warum dieser Text dem Sonntag „Kantate“ zugeordnet ist, der seinen Namen dem Beginn des Psalms 98 Cantate domino, canticum novum „Singet dem Herrn ein neues Lied“ verdankt. Auf das Singen soll offensichtlich unser Augenmerk gelenkt sein, auf das Singen im Gottesdienst. Das Singen als wesentlicher Bestandteil der Gemeinschaft, hier der Gemeinschaft im Namen des Herrn Jesus. Obwohl alle in Vers 16 in aüßerster Kürze zusammengefassten Anweisungen Paulus’ zur Gestaltung des Gottesdienstes (Gegenseitige Lehre und Ermahnung in aller Weisheit) genügend Stoff für eine Predigt, mehr noch für Liturgie-Ausschüsse geben könnte, möchte ich für heute beim Singen bleiben. Nachfolgende Überlegungen möchte ich in vier Abschnitte gliedern:
Singen ist Merkmal der Gemeinschaft Warum hat sich die Forderung Martin Luthers und „seines“ Kantors Johann Walter nach gemeinschaftlichem Gesang im Gottesdienst bis heute gehalten? Das Handeln des Einzelnen für die Gruppe oder mit der Gruppe definiert diese überhaupt erst als Gemeinschaft. So ist in unseren Gottesdiensten nicht nur das Abendmahl ein Zeichen der Gemeinschaft, sondern auch z.B. die Kollekte (man sammelt gemeinsam für eine Sache). Aber eben auch das Singen. Das dies so ist, hat zunächst ganz banale technische Gründe. Gemeinsames Musizieren kann nur gelingen, wenn gewisse verbindliche Regeln eingehalten werden: Tonhöhen, Rhythmus und Text müssen koordiniert sein um Gesang in harmonischer Form pflegen zu können. Mangelnde Übereinstimmung wird kaum anderswo so deutlich, wie in der Musik, sie kann sehr schnell zum Scheitern des Ganzen führen. Und hier versteht man auch die Forderung des Apostels Paulus, der mit der Aufforderung zum gemeinsamen Gesang der Psalmen und geistlichen Lieder eine Festigung der Gemeinschaft, ja vielleicht sogar eine Sicherung in Zeiten der Anfechtung sieht. Natürlich hat auch die ästhetische Komponente Gewicht. D.h. die (eigene) Gemütsergötzung wie Johann Sebastian Bach schreibt, kann Menschen in die Gemeinschaft locken, und halten. Als Grund für die Mitwirkung in einem Chor geben die meisten Sängerinnen und Sänger eben diese beiden Argumente an: Das Gemeinschaftserlebnis und die Freude über das gemeinsam geleistete künstlerische Ergebnis. Singen ist Bekenntnis Mit dem Anstimmen von Liedern können Gefühle ausgedrückt werden. Zum traurigen Anlass gibt es traurige Lieder, zu freudigen Anlässen gibt es freudige Lieder. In unserem etwas steifen Deutschland spielt dies zwar kaum eine Rolle mehr – im östlichen und südlichen Europa jedoch ist das Singen als spontaner Stimmungsausdruck noch häufiger anzutreffen. Unsere Kirchenlieder definieren die Gemeinschaft und nennen den Namen in wessen wir uns versammeln. Paulus: Psalmen, Lobgesänge ... geistliche Lieder ...alles was ihr tut ... das tut im Namen des Herrn Jesus... Leider fehlt es unserer heutigen gottesdienstlichen Liturgie oft an Einfallsreichtum, den Anlass der Versammlung und den Namen des Herrn eindeutig zu benennen. Und gerade in dieser Frage wird Paulus deutlich: mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. Das heißt der Gesang der Psalmen und Lobgesänge ist Herzenssache. Das heißt auch, dass wir in der Wahl unserer Lieder, der gesamten Kirchenmusik aber auch der liturgischen Teile (ein genaues Ordinarium ist in der ganzen Bibel nicht zu finden!) immer wieder aufs Neue gefordert sind, den Gefühlen unseres Herzens Ausdruck zu verleihen um so ganz im lutherischen Sinne ins „Gespräch mit Gott“ zu kommen. Kann Musik nonverbaler Glaubensausdruck sein? Beinahe in jedem Jahr schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrem Feuilleton in der Passionszeit über das Phänomen der Passionsvertonungen Johann Sebastian Bachs. Über hervorragende und beliebte Konzertaufführungen und über schlecht besuchte Gottesdienste und über die Unfähigkeit der Kirche zu begreifen, wie das schwierige Thema von Tod und Auferstehung Jesu zu behandeln sei. Und in der Tat belegen die Besucherzahlen hier ein Phänomen, das ausgerechnet in einer Zeit emotionalen Rückzuges eine eindeutige Sprache spricht. Selbst Menschen, die sonst eher selten zu klassischen Konzerten gehen, finden sich in der Passionszeit zu Passionsaufführungen ein, einen Karfreitagsgottesdienst hingegen, haben sie schon lange nicht mehr besucht. Zu Ostern sind sie natürlich in Urlaub. Die Annäherung an ein brisantes Thema wie Tod und Auferstehung; Gegenwart und Ewigkeit ist offensichtlich für viele Menschen nicht im Gespräch und somit auch nicht auf der Ebene eines (verbalen) Gottesdienstes möglich. Sehr wohl aber suchen sie Kontakt zu diesem Thema. Ihre Neugierde verrät schon einen Teil ihres Glaubens. Offensichtlich kann hier Musik etwas vermitteln, was vielleicht rational schwer verdaulich wäre. Ganz deutlich wird dies am Beispiel der zweiten Symphonie Gustav Mahlers, der sogenannten „Auferstehungssinfonie“. Der Dirigent Michael Gielen hat in einer Beschreibung dieses Werkes im Zusammenhang seiner Aufführungen gesagt: „Obwohl ich selber nicht weiß ob ich dieser Meinung bin („Der Mensch liegt in größter Pein! Je lieber möchte’ ich im Himmel sein“ Friedrich Gottlob Klopstock) – ich habe immer behauptet, ich bin es nicht – aber wenn wir von der Zweiten Mahler sprechen, so ist doch der Tod das zentrale Ereignis des Lebens; auf jeden Fall wenn man an Auferstehung denkt, an ein geistiges Überleben. Wenn es also ein Leben im Körper gibt und ein Leben ohne den Körper, dann ist die Schnittstelle, der Tam-Tam-Schlag (im vierten Satz), im Leben der Tod. Wie das nun beschrieben wird, wie diskret ...mit der Totenfeier ...es kommen Träume vor ... Träume vom Leben ... und wie der Chor im Finale von dem Traum eines Überlebens spricht;... und danach ist das Leben im Tod und nach dem Tod...“ Wenn wir im kommenden Jahr dieses Werk im Rahmen des 75-jährigen Bestehens der Göttinger Stadtkantorei aufführen, dann auch weil wir deutlich machen möchten, das dies der Grund ist, warum wir uns in Kirchen versammeln: Der Glaube an das Leben, das ewige Leben und der damit verbundenen Hoffnung. Diese wunderbare Musik wird Ausführende und Zuhörende hoffentlich mit hineinnehmen in die hierzu notwendigen tiefen Empfindungen. Ein unausgesprochenes, aber zutiefst empfundenes Credo. Musik und Ritual Dass Musik zur Gestaltung eines Rituals besondere Bedeutung hat, ist wohl unbestritten. Über die Gestaltung von Gottesdiensten und ihrer aktuellen liturgischen Gesänge ist viel diskutiert worden. Das Ergebnis ist ein neues Gottesdienstbuch, das sehr dick geworden ist, weil es den unterschiedlichen Strömungen und Traditionen Rechnung tragen will. Der Gedanke Gott durch Kunst und Ästhetik in der Musik zu gefallen, war immer Anreiz für Anstrengungen im Bemühen um kunstvolle Kirchenmusik. Das heißt „Gottesdienst“ im weiteren Sinne: Mensch bringt vor Gott was er durch dessen Hilfe erlernt, erwirtschaftet oder gestaltet hat. Dieser Gedanke reicht zurück bis zu den urkirchlichen Opferkulten. Übrigens, wie ich finde, kein schlechter Gedanke als Anleitung zur Gestaltung von Gottesdiensten. Das Beste sei hier gut genug! Auch Paulus fordert den gebildeten Menschen. Kein willenloses einbimsen von Texten, sondern kritische Reflexion mündiger Christen ist hier gefragt. Lehret und ermahnet euch selbst in aller Weisheit. Gerade dies fehlt uns heute vielerorts: Der Gottesdienst als ein Teil unserer Kultur. Ein Teil unserer Bildung, ein Teil unseres Wissens und Könnens, was wiederum ein Teil des Werkes unseres Schöpfers ist. Lasst uns dies einbringen in unsere Gottesdienste und Versammlungen: Unsere Fähigkeit kritisch aber auch konstruktiv zu diskutieren, uns mit unseren Fähigkeiten zu engagieren, Kunst in ihrer vielfältigen Ausdrucksform, Musik die von Herzen kommt und zu Herzen geht. Und Dankbarkeit dem Dank gebührt, dem Schöpfer aller Dinge. Denn: ...alles was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn. Amen. Bernd Eberhardt |
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